Von veganer Puttanesca im Fine-Dining-Restaurant bis zur Eisdiele mit Kirsche- Knochenmark als Sorte des Monats: In den letzten Jahren trugen Starköche und Jung-Gastronomen gleichermaßen dazu bei, dass der Abbot Kinney Boulevard zur stadtbekannten Gastromeile von Los Angeles wurde. Jasmin Tomschi war für nomyblog in Venice und hat ein paar Konzepte für Experimentierfreudige getestet.
1. Gjelina
Im Osten des Abbot Kinney Boulevard, wo er die Milwood Avenue streift, zieht an einem Dienstagmorgen im September, dem Tag unseres Besuchs, nicht „Gjelina“ selbst, sondern die Menschentraube vor dem Nebenlokal die Aufmerksamkeit auf sich. Denn wer wenig Zeit hat, stellt sich für ein Sandwich von der Theke und Coffee to go beim Schwesterkonzept GTA („Gjelina Take Away“) an. Soll’s ein gemütliches Frühstück sein, ist eine Reservierung im 2008 eröffneten, ersten Hotspot des Gastronomen Travis Lett keine schlechte Idee.
Im Innenbereich hat Industrial Chic die Überhand genommen; eine lässige Mischung aus Kopfsteinpflaster am Boden, Dielen an der Decke, zwei langen und mehreren kleinen Tischen um einen geschäftigen Bar-Bereich. Wir ergattern den letzten freien Platz für vier im beschaulichen Innenhof und bestellen geräucherten Lachs mit einem perfekt wachsig gekochten Ei, pochierte Eier auf würzigem Tomaten-Bohnen-Bett, „crispy sunny eggs“ mit Kürbis, Fresno-Chili und Chermoula. Dazu starken Espresso und überraschend fruchtigen Cold Brew, frisch gepressten Orangensaft und Mimosas. Danach noch richtig gute Zitronen-Buchweizen-Ricotta-Pancakes mit Crème Fraîche und Blaubeeren – macht insgesamt 40 Dollar pro Person, inklusive einer verbindlichen Servicegebühr von 20 Prozent. Die ist übrigens gang und gäbe, sobald sich die Gastronomie etwas gehobener fühlt. Tatsächlich stimmt aber bei jeder einzelnen Speise die Qualität. Preise wie dieser, so merken wir schnell, gehören am Abbot Kinney Boulevard einfach dazu.
Nicht weniger teuer, aber auf jeden Fall einen Besuch wert, ist übrigens „Gjusta“ – Letts Bäckerei mit Deli und Café an der Sunset Avenue, eine Viertelstunde entfernt. Knusprige Pizza mit Pilzen und Spiegelei zum Frühstück ist mal was anderes und der Buchweizen-Bananen-Kuchen mit Walnuss könnte nicht besser sein.
1429 Abbot Kinney Blvd
Öffnungszeiten: täglich 9 bis 24 Uhr, Samstag/Sonntag: Brunch bis 15 Uhr
2. Salt & Straw
Nur eine Minute weiter westlich, gleich an der Ecke des nächsten Häuserblocks, zog 2016 die Eisdiele „Salt & Straw“ ein. Was fünf Jahre zuvor von den Cousins Kim and Tyler Malek in Portland, Oregon gegründet wurde, ist mittlerweile auch in Los Angeles stadtbekannt. In Downtown LA wird Eiscreme für fünf Standorte hergestellt. Das Erfolgsrezept – Zutaten im ungewöhnlichen, süß-pikanten Mix – ist zwar nichts Neues, wird an dieser Adresse aber zweifelsohne auf die Spitze getrieben. À propos auf die Spitze treiben: Eine Kugel kostet 4,90 Dollar, zwei Kugeln kommen auf 6,90 Dollar.
Die Entscheidung fällt zwischen Klassikern wie Honig-Lavendel mit Kräutern der „Central Coast Lavender Farm and Apothecary“, Ziegenkäse mit getrockneten Oliven von „California Coast Naturals“ oder Meersalz mit Karamell und Limited Editions, die monatlich wechseln. Darunter finden wir bei unserem Besuch eine ziemlich verrückte Kombination: Knochenmark und geräucherte Kirschen mit leicht fettigem Geschmack.
1357 Abbot Kinney Blvd
Öffnungszeiten: täglich 11 bis 23 Uhr
3. Intelligentsia Coffee
Eingerahmt von ausgefallener Mode und italienischen Designerbrillen lockt wieder eine Gehminute weiter ein etwas unscheinbarer Durchgang in die mit Abstand coolste Kaffeebar, die uns entlang des Boulevards unterkommt. Im Grunde sieht „Intelligentsia“ aus wie eine kleine Lagerhalle mit dekorativen Barista-Tools in den Regalen und witziger Kunst an der Wand. Die Vision entstand in Zusammenarbeit mit „MASS Architecture & Design“, die sich mit der Konzeption von Gastroflächen auskennen: mit Bänken und Theken ist so ein großes Miteinander um den offen gestalteten, zentralen Arbeitsbereich entstanden.
Draußen ist es heiß. Wir entscheiden uns gegen ein üppiges Matcha-Croissant und probieren stattdessen Cold Brew aus der hauseigenen Sorte Itzamna, Guatemala mit Geschmacksnoten Kiwi, Granatapfel und Melasse für 4,50 Dollar. Der ist nicht nur billiger, sondern auch um einiges besser als der von Gjelina.
1331 Abbot Kinney Blvd
Öffnungszeiten: Montag bis Donnerstag 6 bis 20 Uhr, Freitag 6 bis 22 Uhr, Samstag 7 bis 22 Uhr, Sonntag 7 bis 20 Uhr
4. The Butcher’s Daughter
In der New Yorker Gastroszene ist Heather Tierney ein etablierter Name: 2008 eröffnete sie in Chinatown die weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Cocktailbar „Apothéke“, vier Jahre später in Nolita ein vegetarisches Café mit Saftbar. Weil das bewusste Konzept von „The Butcher’s Daughter“ auch perfekt zum kalifornischen way of life passt, zog es Tierney 2016 damit nach Venice in ein knapp 300 qm großes, bis ins kleinste Detail durchgestyltes Ganztagsrestaurant. Credo in all ihren Lokalen: Produkte von regionalen Bio-Bauernhöfen haben Vorrang (auch im Cocktail).
Am Montagabend nach Labor Day ist die Venice-Dependance brechend voll. Das Service ist bemüht, nur Wein aus Kalifornien hat unser Kellner keinen parat, deshalb gibt’s eine österreichische Alternative: „Pichler Riesling Smaragd Loibner Loibenberg“ für 55 Dollar die Flasche. Die Speisen auf der Sommerkarte sind allesamt vegetarisch, oft sogar vegan und glutenfrei. Wir bestellen eine Schüssel Kale-Chips mit Chili und gehobeltem Parmesan garnierten Blumenkohl, cremige Mac’n’Cheese aus der Pfanne und eine dolce/picante-Pizza aus dem Steinofen. Schade nur, dass auch der viel versprechenden Carbonara mit „angel hair spaghetti“ aus Kürbis, Adzuki-Speck und Eiern vom Bauern das gewisse Etwas fehlt.
In guter Erinnerung bleibt der Butcher’s Burger mit Gruyere, karamellisierten Zwiebeln, veganem Brioche und ebenfalls veganer Harissa-Mayonnaise. Und dass wir an diesem Abend lediglich Trinkgeld bezahlen, liegt daran, dass unsere Begleitung kurz vor Ladenschluss gesehen haben will, wie eine Ratte im Lokal über einen Holzbalken lief. Somit ging das Dinner ohne weitere Diskussion aufs Haus. Nagetier hin oder her: Wir würden wieder kommen, dann aber lieber zum Brunch.
1205 Abbot Kinney Blvd
Öffnungszeiten: täglich 8 bis 22 Uhr
5. Blue Star Donuts
Direkt gegenüber von „The Butcher’s Daughter“ ist es wieder ein Import aus Oregon, bei dem man sich außergewöhnlich gute Desserts abholen kann: Seit 2015 machen sich die Bäcker von „Blue Star Donuts“ mit ihrem französisch-inspirierten Brioche-Rezept auch in Los Angeles einen Namen – vom Anrühren des Teiges bis zum fertigen Produkt vergehen übrigens ganze 18 Stunden.
Die Variation in der Vitrine des kleinen, rein auf To-go-Bestellungen ausgelegten Ladens in Venice wechselt mit der Saison. Wir kommen genau zum richtigen Zeitpunkt. Denn die Sorte „Passion Fruit Cocoa Nib“ mit Püree aus Passionsfrucht, einer Prise Cayenne-Pfeffer und Kakaobruch ist zweifelsohne der beste Donut, das wir je gegessen haben. Der Teig ist fluffig weich, die täglich frisch zubereitete Glasur noch ein wenig flüssig und der Mix aus süß, leicht säuerlich und scharf perfekt ausbalanciert.
1142 Abbot Kinney Blvd
Öffnungszeiten: täglich 7 Uhr bis keine Donuts mehr da sind
6. Plant Food + Wine Venice
Am südlichen Ende des Abbot Kinney Blvd setzt Starkoch Matthew Kenney ein veganes Fine-Dining-Konzept in bodenständigem Ambiente um. Die Karte von „Plant Food + Wine Venice“ hat sowohl italienische als auch mexikanische und japanische Einflüsse – und ist dabei überraschend umfangreich. An einem Dienstag um 20.30 Uhr tauschen wir einen Ecktisch im weiß gestalteten, fast leeren Innenbereich gegen einen runden Gartenplatz inmitten von stimmungsvoll beleuchteten Bäumen und ein paar weiteren, aber insgesamt doch relativ wenigen Gästen.
Zum biodynamischen Rotwein „Petite Sirah Dry Creek Valley 2014 Sonoma County“ snacken wir einen bunten Oliven-Mix in Zitronen-Chili-Saft, Raclette aus Cashews mit Cornichons und gegrilltes „Butter“-Brot, bis die Hauptgänge kommen: Neben etwas gewöhnungsbedürftiger Ceviche aus Palmherzen glänzt die Puttanesca mit gelber Augenbohne und Safran-Blumenkohl-Aioli mit einem Geschmack, der dem des Originals verblüffend ähnlich ist. Zu den richtig innovativen Highlights des Abends gehören aber ein cremiges Spicy-Udon-Nudelgericht mit Tempeh, gerösteten Nüssen, rotem Senfkraut und Togarashi-Gewürzmischung sowie die Tacos, unter anderem gefüllt mit Pilzen nach Barbacoa-Art, Chayote-Kürbis, Salsa Verde und Pepita-Fenchel.
Die spannenden Ideen an dieser Adresse rechtfertigen den gehobenen Preis – die Scheibe Vorspeisenbrot kostet 6 Dollar, Hauptspeisen der Kategorie „Sowas-hatten-wir-noch-nie” beginnen bei 19 Dollar. Der einzige Minuspunkt geht an den Service, der zwar freundlich ist, aber nicht intuitiv handelt, wie man es sich in einem Fine-Dining-Restaurant wünschen würde. Vom Aufnehmen der Bestellung bis zum Abräumen der leeren Teller wartet man immer etwas länger als gewohnt.
1009 Abbot Kinney Blvd
Öffnungszeiten: Montag 17 bis 22 Uhr, Dienstag bis Freitag 12-22 Uhr, Samstag/Sonntag 11 bis 22 Uhr
Mehr Infos zur hippsten Meile an der Westküste und seinen gastronomischen Konzepten gibt es hier.