“Transformation wird nur gelingen, wenn auch die Schwächeren etwas zu gewinnen haben”. Das sagte Bundespräsident Steinmeier nach seiner Wiederwahl. Der Mann hat recht, und was er sagt, trifft auch auf den digitalen Wandel in der Gastronomie zu.
Die Schwächeren sind hier vor allem die Individualbetriebe, denen die Systemgastronomie im Moment davoneilt. Denn sie müssen mit ihren Mini-Organisationen Anforderungen bewältigen, für die in den Großunternehmen ganze Abteilungen sowie üppige Budgets für Berater*innen bereitstehen.
Viele kleinere Betriebe laufen dieser Macht mit zunehmendem Abstand hinterher: Im Marketing schwach, in der Organisation ineffizient – und für den Gast bisweilen anstrengend altmodisch. Die Pandemie hatte in erschreckend vielen Restaurants, Bars und Cafés kaum Veränderungen in den Abläufen zur Folge – außer, dass man als Gast einen Zettel ausfüllen musste. Für die Nachverfolgung. Statt einfach einen QR-Code zu scannen. Ansonsten: Alles im Prinzip wie immer.
Es geht ein Riss durchs Metier. Auf der einen Seite stehen die eben beschriebenen Individualbetriebe, die mit der digitalen Transformation nicht recht vorankommen. Auf der anderen die Systemgastronomie. Aber nicht nur die. Sondern auch eine zunehmende Zahl von Individualbetrieben, die sehr erfolgreich die richtigen Methoden und Technologien anwendet, um Gäste ins Haus zu holen und den Betrieb auf Effizienz zu trimmen.
Es ist eine reine Alltagsbetrachtung von mir. Aber ich habe stark den Eindruck, dass vor allem die Betriebe auch in der Pandemie gut zu tun haben, in denen nicht nur Service und Leistung stimmen, sondern auch sinnvoll digitalisiert wurde. In verschiedenen Foren höre ich zwar regelmäßig, dass es auf der einen Seite die modernen Betriebe und auf der anderen Seite die Nachzügler gibt. Aber warum so viele Gastgeber*innen nicht mitkommen, wird praktisch gar nicht besprochen.
Ich sehe dafür zwei Hauptgründe. Erstens: Die Digitalisierung ist ein weites Feld. Sie greift tief ins Unternehmen ein und viele Unternehmer*innen wissen nicht so recht, was möglich und in ihren Unternehmen sinnvoll und nötig ist. Zur Informationsbeschaffung sind aber noch keine so richtig geeigneten Quellen aufgebaut worden. Insbesondere bei den Branchenverbänden wie DEHOGA, IHK und NGG vermisse ich ein systematisches Informations- und Bildungsangebot. Und an den Schulen? Steht zum Thema nichts oder sehr wenig im Lehrplan. In den nächsten fünf Jahren (oder gar noch länger!) bringt der Nachwuchs also auch keine Impulse ins (Gast-)Haus.
Zweitens habe ich den Eindruck, dass das Thema Digitalisierung für viele Gastronom*innen so spannend ist wie Buchhaltung und Controlling. Im Gastro-Podcast der Metro wird als Ergebnis einer Umfrage vorgetragen, dass die meisten Gastgeber*innen ihre Preise nach Bauchgefühl festlegen. Dabei wäre eine ordentliche Kalkulation schon mal ein wichtiger Schritt in Richtung Digitalisierung. Stichwort: Daten systematisch erheben, aufbereiten und kaufmännisch anwenden. Man kann beides, Digitalisierung und sein Rechnungswesen, unangenehm finden und so weit wie möglich von sich wegschieben. Das ist allerdings eine äußerst riskante Strategie, die für viele langfristig nicht aufgehen wird.
„Transformation wird nur gelingen, wenn auch die Schwächeren etwas zu gewinnen haben”. Stimmt. Gewinnen tun sie, wenn sie im digitalen Bereich vorankommen und dadurch im Wettbewerb gestärkt mitmischen können. Dazu brauchen sie die geeigneten Informations- und Bildungsangebote. Diese müssen endlich aufgebaut werden.
Gleichzeitig müssen sich so einige in der Branche jetzt ernsthaft aufraffen, die Herausforderung anzunehmen und zu meistern. Dabei gilt es insbesondere, das ganze Team einzubeziehen, mitzunehmen und zu unterstützen. Das alles ist eine gewaltige Aufgabe. Aber sie anzugehen, ist wichtig und lohnt sich. Damit wir auch in Zukunft eine vielfältige, qualitativ hochwertige und liebenswerte Gastronomie erleben.
Unser Kolumnist Jochen Stähler ist Experte für Digitalisierung, hat selbst mehrere Jahre erfolgreich Gastronomien betrieben und hat das Fachbuch Gastro.Digital geschrieben. Mehr Infos auf seinem Blog.