Es gibt verschiedene Arten von Wissenschaft: Klimawissenschaft, Geowissenschaft oder die Wissenschaft des Tischdeckens, zum Beispiel. Die Zwillingsschwestern Forough und Sahar Sodoudi beherrschen sie alle.
Nachdem sich beide Schwestern viele Jahre der Forschung gewidmet und an den großen Universitäten dieser Welt gelernt und gelehrt hatten, Sahar ihren Doktor in Klimawissenschaft und Nachhaltigkeit und Forough ihren Doktor in Geophysik und Seismologie gemacht hatte, ließen sie die prekären Arbeitsverhältnisse in der Forschung hinter sich und machten sich im September 2020 mit dem Dr & Dr Middle Eastern Culture and Food Lab selbstständig.
Dies sei der Schritt von der Forschungsarbeit zur Kulturarbeit gewesen, sagen die Schwestern. Während ihrer vielen Reisen im universitären Kontext sei ihnen eines immer wieder aufgefallen, wenn sie erzählten, dass sie aus dem Iran kommen: nüchterne Reaktionen, die entweder von maximaler Unwissenheit oder von negativen Vorurteilen zeugen mussten. Ihr Eindruck, dass die mediale Präsenz des Irans im politischen Sinne keinen Platz mehr ließ für die kulturelle Vielfalt des Landes, verstärkte sich zunehmen. Es tat ihnen weh zu sehen, wie all die wunderschönen Dinge, die der Nahe Osten zu bieten hat, dabei unter den Tisch fielen. Deswegen beschlossen sie, sie wieder auf den Tisch zu legen.
Dieser Tisch steht in der Reichenberger Straße in Kreuzberg und ist eigentlich mehr eine Tafel, und zwar die schönste Berlins. An diesem Mittwochabend im Mai blühen die Pfingstrosen, glänzen die goldenen Platten und beeindruckt die Farbenpracht der Speisen: grüne Spinatblätter mit roten Granatapfelkernen, weißer Labneh mit roten Ofentomaten, grüne Oliven, rote Radieschen, pinke Rote-Beete-Creme — und das sind nur die Vorspeisen, die Mezze.
Darauf folgen eine filigrane Labnehkugel ummantelt von knusprigen Kadayef-Fäden, dazu eingelegte Mandeln und eine geröstete Aubergine mit Joghurt und einem großen Klecks Schug, der jemenitischen Gewürzpaste, die Schärfe und Säure perfekt vereint.
Der Höhepunkt des Menüs ist das Tahdig: ein persischer Safranreis, der nach dem Garen gestürzt wird, sodass seine goldene Kruste beim Servieren oben ist. Dazu gibt es Hähnchenbrust in einer Tomatensoße, Blumenkohl aus dem Ofen mit Safransoße und einen Joghurtdip mit Gurke, Minze und Rose. Das Dessert aus Mango und Mascarpone schließt das üppige Festmahl sommerlich-leicht ab. Es ist Hausfrauenkost in filigran und fein, dazu gibt es guten Wein.
Kultur und Kulinarik sind unzertrennlich, sagt Forough. Im Iran sowie in all den anderen Ländern im Nahen Osten, die die beiden Schwestern im Rahmen ihrer Recherchearbeit für ihr Food Lab vor einigen Jahren bereist hatten, spielte das gemeinsame Essen eine zentrale Rolle. Beginnend mit dem Gespräch darüber, dem Einkauf, der Zubereitung, dem Servieren und natürlich dem Speisen, ging eine unglaubliche Freude, Begeisterung und Hingabe von diesem Thema aus.
Und weil geteilte Freude ja bekanntlich die schönste Freude ist, wollten Sahar und Forough genau dies tun. Mit der Eröffnung ihres „Dr & Dr Middle Eastern Culture and Food Lab“ schufen sie einen Raum dafür — für Kochkurse, private Abendessen und kulturelle Events. Kultur durch Kulinarik, sozusagen. Vor allem ihre Heimatküche, die persische, sei in Deutschland noch sehr unterrepräsentiert. Durch das gemeinsame Kochen und Essen mit den Leuten, sei es den beiden nun endlich möglich, den Leuten ihre Kultur etwas näher zu bringen und den Iran mit neuen Assoziationen zu behaften.
Und tatsächlich: Ein Abendessen bei Forough und Sahar Sodoudi ist so herzlich, wohlig und gelungen, dass man meinen könnte, es stecke eine ganze Wissenschaft dahinter.