Wie geht es der Gastronomie nach zweieinhalb verrückten Jahren? Wie sieht es aus, das „new normal“? Große Fragen. Eine Antwort, nämlich für ihren eigenen Betrieb, gibt uns Federica Fele-Schartner vom Gasthaus Sternen in Bohlingen. Die Gastronomin schildert uns, wie sie auf die aktuelle Situation – Ruhe vor dem erneuten Sturm? – blickt und wie sie ihr Unternehmen umgebaut, sich neuen Bedingungen angepasst und hoffentlich widerstandsfähiger gemacht hat. Ihr Appell: Vorsicht vor trügerischer Sicherheit. Hier ist ihr Gastbeitrag.
Es ist ruhig geworden in der Presse um die von der Pandemie betroffenen und gebeutelten Gastronomie. Niemand möchte mehr darüber reden, die wenigsten Leute informieren sich über aktuell wieder steigende Inzidenz-Werte. Wir wiegen uns in der Sicherheit des Sommers. Sonnig, warm und beschränkungsfrei haben uns diese umsatzstarken Monate fest im Griff und geben uns ein Gefühl von Freiheit. Volle Restaurants, Beach Clubs, Hotels und Biergärten bestätigen, dass die Menschen die Freude an der Leichtigkeit zurückgewonnen haben und sie geniessen. Erinnerungen an 2G+ und Personal in Kurzarbeit sind tief in einer Schublade in unseren Köpfen verstaut.
Arbeiten am Limit
Wir arbeiten am Limit, mit wenig Personal und täglich steigenden Lebensmittel- und Energiepreisen. Wir arbeiten am Limit mit dem Ziel, alles erdenklich Mögliche aus diesem Sommer rauszuholen, um die Kredite und die gestundeten Rechnungen aus dem Corona-Winter abzubezahlen. Täglich in der unternehmerischen Verantwortung, das noch vorhandene Personal nicht zu „verheizen“ und den Gästen trotzdem jene komfortablen Öffnungszeiten zu bieten, die sie gewohnt waren. Denn man will sie nicht verlieren!
Wie lange ist dieser Zustand jedoch tragbar? Was ist unser Antrieb, all dies fortzuführen? Ist es alleine die Leidenschaft zu unserem Beruf als Gastronom*in? Es fühlt sich nach zweieinhalb Jahren an wie ein Spiel, von dem keiner weiß, wie viele Level es gibt. Aber hat der, der dieses Spiel am längsten durchhält, wirklich gewonnen? Zu viele haben das Spiel schon verloren. In unseren Köpfen ist fest verankert: Wir müssen für unsere Leidenschaft kämpfen und uns den Herausforderungen stellen, um sie zu meistern. Dabei darf es, wenn wir unserer Passion folgen, auch mal holprig und frustrierend zugehen. Es gibt Krisen und Zeiten, in denen unsere Passion sich nicht erfüllend, sondern eher Leid verursachend anfühlt. Zeiten, in denen sie uns keine Freude bereitet, sondern, der tägliche Kampf sich als purer Stress darstellt.
Schublade der gemachten Erfahrungen öffnet sich wieder
Doch bis jetzt hat es sich immer gelohnt, diese Krisen durchzustehen. Sie haben uns stärker gemacht und zu dem werden lassen, was wir und unsere gastronomischen Unternehmen heute sind. Wenn die Krise, in der wir uns befinden, jedoch von außen gesteuert wird, kommt mit der Zeit das Gefühl von Machtlosigkeit mit ins Spiel. Die Stimmen, dass es im Herbst wieder Beschränkungen geben wird, werden jetzt schon lauter. Die Schublade, in der wir alle diese Erfahrungen aus den vergangenen Lockdowns verdrängt haben, öffnet sich in den ruhigen Momenten wie von selbst.
Und das ist gut so! Eine langanhaltende Krise wie die Pandemie, die zu den verschiedenen Jahreszeiten ganz unterschiedliche Auswirkungen auf unsere Branche hat, hat trotz allem einen Vorteil: Es ist ein wiederkehrender Rhythmus, auf den man sich vorbereiten kann und muss. Es kann uns nicht mehr völlig unvorbereitet treffen. Wir haben inzwischen den Umgang mit der Pandemie gelernt und unser Aufgabenfeld hat sich entsprechend erweitert. Also geht es nicht nur darum, den Sommer zu nutzen um sich wirtschaftlich wieder aufzustellen, sondern auch darum, seine Vorsorge für den Herbst/Winter aufzubauen.
4,5-Tage-Woche
Die Pandemie hat Veränderung in die Branche gebracht. Veränderung, die längst nötig war. Von der Digitalisierung bis hin zum Verständnis, dass das Wohl der Mitarbeiter*innen auch in der Gastronomie an erster Stelle stehen sollte. Dann der Durchbruch des Jahres: die Vier-Tage-Woche. Auf dem Land ist sie schwer umzusetzen, denn was in Großstädten Anklang findet, braucht Zeit, bis es sich auch in ländlicheren Regionen durchsetzen kann. Je ländlicher die Region, desto mehr wird an gewohnten Mustern und Traditionen festgehalten.
Aber ich möchte einen Mittelweg finden und biete meinen Mitarbeiter*innen eine 4,5-Tage-Woche an. In diesem Jahr halte ich das Team gezielt klein und passe die Öffnungszeiten an. Neben dem À-la- carte-Geschäft sind Veranstaltungen und Events in diesem Jahr sehr gefragt, denn es gibt einen massiven Nachholbedarf. So versuchen wir durch Außer-Haus-Events den Umsatz von 4,5 Öffnungstagen zu erhöhen und gleichzeitig nutzen wir die Events für Werbezwecke.
Kompromisse zwischen Personalmangel und Gästebedürfnissen
Von Mittwoch bis Samstag fahren wir unsere saisonale und regionale Karte. Sonntags gibt es eine kleine Mittagskarte, Sonntagabend haben wir jedoch geschlossen. Ein Schritt, für den es immer wieder viel Überzeugungsarbeit bei den Gästen benötigt. An ausgewählten Sonntagabenden im Sommer bieten wir jedoch vereinzelt BBQ-Veranstaltungen an, die das Team stemmen kann, ohne dass ein Teildienst erforderlich ist. Das ist ein Kompromiss zwischen Personalmangel und dem Bedürfnis unserer Gäste, auch an einem Sonntagabend bei uns zu essen. Und: Er bekommt sogar noch mehr geboten als die Standardkarte.
Innovation beinhaltet auch eine Umorientierung oder Erweiterung eines vorhandenen Kerngeschäfts. Im Sommer verlagert sich unser Geschäft hauptsächlich auf den Außenbereich und wir profitieren von den Bodensee-Urlaubern, die in der Region unterwegs sind. Unser Weinkeller, der im Winter zu lauschigen Abenden in gemütlicher Atmosphäre einlädt, steht im Sommer leer. Schnell ist die Idee eines eigenen Shops entstanden, für den wir mit wenig Aufwand eigene Gewürze und Öle herstellen und zum Verkauf anbieten. Ein ansprechendes Branding und eine schöne Dekoration des Raumes setzen die Produkte perfekt in Szene. Produkte und Dekorationsartikel, die wir selbst im Gasthaus nutzen, die zu unserem Gesamtauftritt passen und den Kunden emotional an uns binden. Integration neuer Trends und unsere hausgemachten Produkte sorgen für Spannung und Abwechslung bei unseren Gästen.
Darüber hinaus hat sich die Art der Kommunikation verändert. Social Media – Instagram, Facebook – ist ein Tool, das nicht mehr wegzudenken ist. Reels zu Anrichte-Prozessen oder Stories über die Mitarbeiter binden unsere Gäste an das Team. Es ist nicht nur ein Weg, um in Kontakt mit unseren Gästen zu treten, sondern bietet uns auch die Möglichkeit, uns als starke Gemeinschaft zu präsentieren und die jüngere Gäste-Generation, die mit Social Media aufwächst, für unseren besonderen Beruf zu begeistern.
Zusammenhalt nachhaltig stärken
Sollten kommende Beschränkungen in den kalten Monaten auf uns zukommen, so werden wir sicher auch diese Herausforderungen stemmen. Wenn die Mitarbeiter in der Umsetzung neuer Ideen einbezogen werden und sich aktiv in der Unternehmensführung beteiligen dürfen, so kann man sicher sein, dass in drohenden Krisen der Zusammenhalt nachhaltig gestärkt ist. Wir dürfen also die Pandemie nur nicht zu sehr und zu lange ausblenden, sonst wird uns diese trügerische Sicherheit auf die Füße fallen.
Mehr über das Sternen in Bohlingen hier.