Kostendruck, knappe Mittagspausen und k(l)eine Kantinen prägen vielerorts die Schulverpflegung – ganz zu schweigen von einer in den Schulalltag eingebetteten Esskultur. Der von der EU geförderte „Whole School Food Approach“ setzt genau hier an.
Ein Abend in der Trainingsküche des Berliner Projekts Kantine Zukunft, das Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung in der Hauptstadt unterstützt, gesünder und nachhaltiger zu kochen und den Bioanteil – kostenneutral übrigens – zu heben. Lernort Schulkantine lautet der Titel der Veranstaltung, zu welcher sich Vertreterinnen und Vertreter aus Catering, Gemeinschaftsverpflegung, Bildungseinrichtungen und Lebensmittelhandwerk eingefunden haben.
Präsentiert wird der so genannte „Whole School Food Approach“, kurz WSFA, der 2022 vom von der EU geförderten Projekt SchoolFood4Change vorgestellt worden ist. Der WSFA will als ganzheitlich ausgerichtete Methode die Esskultur in Schulen fördern – und das auf dem Speise- wie auf dem Stundenplan. Nicht nur soll Schulessen gesund und nachhaltig sein, Esskultur soll auch ein integraler Teil des Unterrichts werden.
Vier-Säulen-Prinzip
Der „Whole School Food Approach“ fußt auf vier Säulen, wie Susie Broquist Lundegård erklärt, die per Videostream zugeschaltet ist. Die ehemalige Lehrerin und Schulleiterin ist Programmkoordinatorin für Bildung für nachhaltige Entwicklung beim World Wide Fund for Nature in Schweden und hat den WSFA mit ausgearbeitet.
Säule eins sieht eine Arbeitsgruppe je Schule vor, bestehend aus Lehrern und Schulleitung ebenso wie aus Schülern und dem Kantinenpersonal bzw. dem Caterer. Gemeinsam arbeitet diese Gruppe einen Aktionsplan aus: Wie lässt sich das Schulessen mit dem Lernkonzept der jeweiligen Schule, ihren Werten und Schwerpunkten in Verbindung bringen? Ziel ist, das Schulessen in das Gesamtgefüge der Schule einzubetten (und nicht als externen Faktor zu behandeln, wie es so oft Realität ist).
Säule zwei des WSFA bildet die Esskultur: Die Mensa/Schulkantine wird vom „Pausenraum“ zur aktiven Lernumgebung, in der Esskultur sehr praxisnah vermittelt wird: Was macht gute Lebensmittel aus? Woher kommen sie? Was ist Geschmack? Was ist gesund? Aber auch: Wie lässt sich Lebensmittelverschwendung vermeiden und wie sieht ein verantwortungsvoller Umgang mit den Ressourcen aus?
Eine fächerübergreifende Ernährungsbildung bildet Säule drei: Essen und Esskultur sollen theoretisch in der Klasse ebenso wie praktisch – etwa in Kochkursen und Workshops mit dem Kantinen- und Küchenteam, in Form von Exkursionen zu Bauernhöfen oder durch Kultivieren eigener Schulgärten – in das Curriculum eingefügt werden.
Säule vier öffnet den WSFA nach außen, zum Beispiel durch Kooperationen mit regionalen Landwirten, mit Betrieben des Lebensmittelhandwerks oder lokalen Gastronomiebetrieben als Partnern der Schule.
Lundegårds Tipp an das Auditorium: Kleine Schritte machen, das Konzept peu à peu aufbauen und einen eigenen Weg finden – jede Schule ist schließlich ein bisschen anders. Im WSFA-Konzept gibt es drei Level von Bronze über Silber bis Gold, an denen sich die Einrichtungen orientieren und entlang arbeiten können.
Kochkurse und Sprossengärten
In Tschechien hat man bereits viele dieser kleinen Schritte gemacht: Unter dem Projektnamen Skutečně zdravá škola, was sich mit „wirklich gute Schule“ übersetzen lässt, wurden seit 2015 schon über 500 Bildungseinrichtungen mit 80.000 Kindern und Jugendlichen auf den Weg gebracht. Der Ansatz beinhalte Kochkurse für alle Schüler (auch für die Jungen, wie Projektleiter Tom Václavík humorvoll betont), Besuche auf Bio-Bauernhöfen und das Bewirtschaften eigener Schulgärten.
Von einer Bonner Schule berichtet die Biologin und Lehrerin Cecilia Eyssartier: Dort haben sich Arbeitsgruppen aus Schülern, Lehrern und Küchenpersonal – wie es die erste Säule des WSFA vorsieht – gebildet. In den Klassenräumen lernen die Schüler mit eigenen kleinen „Sprossengärten“ in Gläsern, wie Lebensmittel entstehen.
„Caterer wollen den Weg der Veränderung mitgehen“
Anders als in Schweden oder Tschechien, wo viele Schulen über eine eigene Küche verfügen, kommt das Schulessen hierzulande bekanntlich oft von außen – durch Schulcaterer. Dass dies im Sinne des WSFA jedoch keine Hürde darstellt, unterstreicht Dorothee Everding. Sie koordiniert das Projekt „SchoolFood4Change“ in Nürnberg, zusammen mit Essen/Ruhr Pilotstadt des Projekts in Deutschland. „Die Caterer, mit denen wir im Rahmen des Projekts zusammen arbeiten, sind unglaublich willig, den Weg der Veränderung mit uns zu gehen“, berichtet die Ex-Lehrerin. Diese Veränderung zeichne sich durch Weiterbildung der Mitarbeitenden in den Cateringbetrieben ebenso aus wie in der Bereitschaft, sich mit den Schulen zusammenzusetzen und auszuloten, was in Sachen WSFA umsetzbar ist.
Und da steht weniger mangelnde Bereitschaft im Wege als die mangelhafte bauliche Beschaffenheit vieler Schulen – kleine, enge Kantinen, in den die Schüler jahrgangs- bzw. etappenweise und oft mit Zeitdruck das Essen zu sich nehmen müssen, sind keine gute Basis für eine ganzheitliche Ernährungsbildung. „Wir sind noch lange nicht so weit, dass Esskultur im Curriculum verortet ist“, so Prof. Steffen Wittkowske, der an der Universität Vechta Didaktik des Sachunterrichts lehrt und Botschafter des Deutschen Netzwerks für Schulverpflegung (DNSV) ist.
Per Puzzle zum gesunden Schulspeiseplan
Was tun? Die „kleinen Schritte“, von denen die schwedische Expertin sprach, geht die Spandauer Schulleiterin Constanze Rosengart zusammen mit ihrem Schulkoch: Hier hat man ein Puzzle mit Teilen entwickelt, die auf den DGE-Standards fußen. Aus Gemüse, Obst, Kohlenhydrate, Proteine und Co. puzzeln interessierte Schüler den Menüplan für die Folgewochen selbst zusammen. „Das macht die Kinder stolz“, berichtet Rosengart.
So ein Puzzle könnte auch der Schulcaterer bereitstellen. Oder zu einer Exkursion in die Großküche einladen und den Schülerinnen und Schülern zeigen, wie ihr Essen gekocht wird. Er kann Kochkurse und Workshops ausrichten, Ernährungs-Experten in die Klassen schicken, Schulgärten mit aufbauen und vieles mehr. Mancherorts gibt es diesen wertvollen Austausch ja auch schon. Man sei ja schließlich auch Dienstleister und darauf bedacht, auf die Wünsche seiner Kunden einzugehen, so die Wortmeldung eines Catering-Mitarbeiters aus dem Fachpublikum.
Wertvolles Werkzeug
Kleines Fazit: Mit dem „Whole School Food Approach“ bekommen die Akteure nun ein wertvolles Werkzeug in die Hand, das bei der Transformation hin zu einer integrierten Ernährungsbildung in der Schule unterstützt. Und das ist sehr wesentlich – denn Ernährung ist ebenso eine Kulturtechnik wie Deutsch, Mathe oder Musik. Die Essbiografien der nächsten Generation werden in Bildungseinrichtungen von vielen Seiten beeinflusst, stellt Dinah Hoffmann, stellvertretende Projektleiterin von „Kantine Zukunft“, heraus: „Die aktive und passive Begegnung und die Auseinandersetzung mit nachhaltiger Ernährung an verschiedenen Stellen des Schulalltags, auch außerhalb von Kantine und Mensa, kann einen positiven Einfluss auf das Essverhalten dieser Generationen haben.“
Die Präsentationen der „Lernort Schulkantine“-Vortragenden gibt es zum Download unter
www.kantine-zukunft.de/kantine-zukunft-talk-lernort-schulkantine