Jonas Merold: „Den Kopf in den Sand zu stecken, bringt’s nicht, das habe ich bei Tim Raue gelernt“

Ein Gespräch zur Wiederöffnung des Restaurants Merold nach 16 Monaten statikbedingter Renovierung

von Jan-Peter Wulf
original 96ef8599 5ab2 4ce8 ac04 9baa810adbf1 PXL 20240903 095032252 1 - interviews-portraits, management, gastronomie Jonas Merold: „Den Kopf in den Sand zu stecken, bringt's nicht, das habe ich bei Tim Raue gelernt“

Foto: Redaktion

Stell’ dir vor, du hast das Kochen unter anderem bei Tim Raue und René Frank im Coda gelernt und verfeinert, hast verschiedene Restaurantprojekte mit eröffnet und entscheidest dich mit Ende 20, ein regional-saisonales Restaurant in Berlin-Neukölln zu eröffnen, findest eine Fläche, es läuft gut an, du machst Gewinn und kannst den Kredit bedienen, aber du weißt: Du musst bald wieder schließen. Weil das Haus einsturzgefährdet ist und dringend saniert werden muss. Und dann werden aus den dafür vorgesehenen sechs Monaten endlos lange sechzehn … so geschehen ist es Jonas Merold.

Eröffnet hat er sein Restaurant Merold im November 2021. Wir waren im Frühjahr 2022 zu Gast und waren sehr angetan. Wir haben dann den Trouble mit der Schließung zum Mai 2023 am Rande mitbekommen und ganz ehrlich, wir hatten kein gutes Gefühl, als wir im Laufe des Jahres 2023 beim gelegentlichen Blicken durchs Fenster gefühlt keinen Baufortschritt erkennen konnten.

Nun aber ist das „Merold“ bald zurück. In den kommenden Wochen eröffnet es soft wieder und will dann peu à peu wieder richtig Fahrt aufnehmen. Wie ist es dem jungen Betreiber gelungen, eine so lange Zeit zu überbrücken? Finanziell, mental, überhaupt? Wir haben viele Fragen zum Gespräch mitgebracht und sind, das schon vorweg, dankbar, dass Jonas sie so offen beantwortet.

Jonas, was ist hier passiert?

Ich habe das Restaurant vom Vorgänger „Shed“ (das zu den Betreibern der Neuköllner Pizzeria „W Pizza“ gehörte, Anm. d. Red.) übernommen. Die hatten den Boden neu gemacht, die Elektrik. Alles sah gut aus. Aber die Bausubstanz hat sich scheinbar nie jemand genauer angeschaut. Dann ist dem Fliesenleger, den ich beauftragt habe, im Keller aufgefallen, dass die Feuchtigkeit an den Wänden sehr hoch steigt und er keine Fliesen dransetzen kann. Daraufhin kam heraus: Die Nässe ging so hoch, dass die Stahlträger, die den Boden halten, praktisch weggerostet waren.  (Er zeigt uns Fotos, die ausgehöhlte alte Stahlträger zeigen. Die T-Stücke sind noch sichtbar, aber man kann durch die Löcher hindurch gucken).

Sieht irre aus.

Das Haus wurde um 1900 erbaut und laut Anmerkungen der Bewohnerinnen und Bewohner zuletzt in den 1950er-Jahren richtig saniert. Zudem ist der  Grundwasserspiegel hier sehr hoch und drückt Wasser in die Wände hinein. Zwei Tage vor meiner offiziellen Eröffnung kam der Statiker und hat sich den Keller angeschaut: „Sofort zumachen, das Haus ist baufällig.“ Ich habe gesagt: „Wenn ich jetzt zumachen muss, mache ich nie auf.“ Ich konnte ihn überreden, Kellerstützen einzusetzen. Es standen überall Stützen, sonst wäre das Haus vermutlich irgendwann wie ein Kartenhaus zusammengebrochen.

Aber das konnte ja nur ein Provisorium sein.

Damals hieß es noch, es müsse nur der vordere Bereich neu gemacht werden, eine Sache von drei vier Monaten. Dann aber hat man alles überprüfen lassen und es wurde klar: Der Schaden betrifft das ganze Erdgeschoss, auch die Wohnung und die Gewerbefläche neben uns im Haus müssen saniert werden. Dann am besten über den Sommer 2023, habe ich vorgeschlagen, sodass ich nach dem Sommerloch im Herbst 2023 wieder hätte aufmachen können.

Es dauerte letztlich noch viel länger.

Erst hat man drüben in der Wohnung den Boden rausgenommen, in der Zeit musste er hier drinbleiben, weil nicht zu viel Bodenfläche frei liegen darf, sonst wird das Gebäude instabil. Und so hat sich alles immer mehr nach hinten verschoben.

Gehen wir noch mal kurz einen Schritt zurück: Du warst bei der Anmietung im guten Glauben, das Gebäude sei in Ordnung.

Ja, es war ja auch gerade alles renoviert worden. Und kein Leitfaden für Existenzgründung rät dir, die Statik zu überprüfen. Mit dem Auto muss man alle zwei Jahre zum TÜV. Wieso nicht mit Häusern? Wir haben in Deutschland für alles so viele Regeln, und spielt mit Wohnraum, Existenz, letztlich dem Leben?

Ihr habt also, das wusste ich damals gar nicht, eine recht lange Zeit mit dem Wissen gearbeitet, wieder zumachen zu müssen. Wie war es, als der Termin dann näher rückte?

Ich habe mich gefühlt, als ob wir verlieren. Völlig absurd. Im letzten Monat des Restaurantbetriebs war ich total fertig. Ich hatte keine Lust mehr, zur Arbeit zu kommen. Das haben die Mitarbeitenden gemerkt, das haben alle gemerkt. Wir alle hatten das Gefühl, es ist vorbei, jetzt reißt dir jemand den Boden unter den Füßen weg.

Im wahrsten Sinne des Wortes.

Erst dachte ich ja, es werden nur sechs Monate, das geht schon irgendwie. Ich habe dann ein paar Pop-Ups über den Sommer gemacht, habe in der „MAD Academy“ in Kopenhagen einen Business- und Leadershipkurs absolviert und es sah so aus, als würde alles funktionieren. Dann kam der September und der alte Boden war noch nicht mal raus.

Ich komme mehrmals pro Woche hier entlang und kann mich daran erinnern, es muss vor einem guten Jahr gewesen sein, dass ich dachte: Wiedereröffnung im Oktober, das wird nichts. Und auch später, wenn ich reingeschaut habe, hatte ich nicht das Gefühl, als gehe es hier voran.

Ich habe, glaube ich, sechs Startdaten bekommen, acht Bauzeitenpläne, und die Firmen haben immer gesagt: Wenn es so koordiniert abläuft wie im Plan steht, schaffen wir das. Aber Firmen sind lange nicht gekommen. Aus Oktober wurde dann Dezember, dann der 2. Februar. Dann wurde mir gesagt: Mai, ganz sicher. Daraufhin habe ich Stellen ausgeschrieben und im April Personal eingestellt – mein altes Team musste ich ja damals leider komplett entlassen. Dann wurde aus dem Mai wieder nichts.

Und du hattest Personal auf der Payroll.

Anton, meinen Sommelier, Tobi, meinen Koch. Mein Anwalt riet mir, ihnen wieder zu kündigen. Ich konnte sie aber nicht einfach wieder auf die Straße setzen, nachdem ich sie aus Jobs rausgeworben habe.

Wie sieht es überhaupt in Sachen Kosten und Finanzen aus?

Die Baukosten trägt die Vermieterin. Und rechtlich gesehen muss sie mir den Laden im vorigen Zustand übergeben. Aber es musste ja alles neu gemacht werden, Boden, Elektrik, Gas, Wasser.

Und deine Kosten bzw. die entgangenen Erlöse?

Wir haben vier Monate, bevor wir schließen müssten, das erste Mal endlich so gut Geld verdient, dass wir Gewinne eingefahren haben. Dann kam der Stopp. Ich habe Teile meiner Firma Merold Gastronomie GmbH verkauft, um die ursprünglich sechs Monate zu überbrücken, ein Freund hat Anteile übernommen und mir dafür Geld gegeben. Ich habe allein 250.000 Euro Ablöse und die Umgestaltung der Fläche gezahlt und es war unmöglich, das Geld bei diesem Zustand von einem Nachmieter zurück zu bekommen. Seit der Schließung habe ich noch einmal rund 100.000 Euro versenkt, für Fixkosten und Gehälter. Mir selbst zahle ich nur soviel aus, dass ich die Krankenkasse bezahlen kann. Ich versuche, über andere Jobs Geld reinzubekommen.

Was hat die Bank gesagt, bei der du einen Kredit aufgenommen hast?

Die hat gesagt: Deine Geschäftsgrundlage ist weg. Wir müssen prüfen, wie es mit dir weitergeht. Es liegt in diesem Fall ein Sonderkündigungsrecht vor, somit hätte ich alles zurück zahlen müssen. Ich konnte sie aber beruhigen. Ich habe der Bank ein Schreiben vom Anwalt und Vermieterin hingelegt und konnte sie überzeugen: Wir machen sicher wieder auf. Ich zahle den Kredit weiter ab. Und durch die Bürgschaftsbank, die bei der Finanzierung ja dahinter steht, ist die Bank ohnehin abgesichert.

Du hast einen Kredit zu bedienen, neue Kosten und fast anderthalb Jahre ohne Erlöse aus Gastrogeschäft hinter dir. Wie finanzierst du das alles?

Ein Freund hat mir wie gesagt Geld geliehen. Auch Stammgäste haben mir Geld geliehen. Mein Vater hat mir auch noch mal Geld gegeben. Er hat zwei Biosupermärkte betrieben, hat das Geld dort rausgenommen und mir gegeben. Es ist ein großer Luxus, wenn jemand wie mein Vater hinter einem steht. Deswegen kam eine Insolvenz auch nicht infrage: Dann kriegt die Bank als erstes Geld und ich hätte das Familienbusiness, mit dem ich aufgewachsen bin, kaputt gemacht. Mit meinem Businessplan hatte ich ursprünglich geplant, binnen sieben Jahren schuldenfrei zu sein, das hätte wohl auch geklappt. Jetzt dauert es eben 14, 15 Jahre.

Du wirkst zuversichtlich. Es gab sicher ganz andere Momente in den letzten 16 Monaten?

Ich habe immer wieder gedacht: Ich höre auf, ich kann nicht mehr. Und dann habe ich gemerkt: Den Kopf in den Sand zu stecken, bringt’s nicht, das habe ich bei Tim Raue gelernt. Dort gab es richtig harte Momente in der Küche, und Tim hat immer gesagt: Wir geben nie auf, wir gehen nie einen Schritt zurück. Wenn, dann gehen wir mal kurz einen Schritt zur Seite. Wir orientieren uns neu und gehen dann weiter nach vorne. Ich hätte es ohne ihn nie geschafft, dieses Restaurant mit 27 Jahren aufzumachen, und ich hätte nicht dieses Durchhaltevermögen.

Du hast ja, erwähntest du schon, einige Gastspiele gemacht in der Zeit.

Ich war im „NaNum“, im „Aerde“, im „Dotori“, in der „Liesl Weinwirtschaft“, im „Sake 36“, in der „Nomi Weinbar“ und habe viele andere kleine Events gemacht. Mit The Common Table war ich mehrfach für die Firma Poggenpohl unterwegs und habe gekocht. Und ich habe ein paar Mal das Artistdinner im Club „about:blank“ gemacht.

Oh echt, was gibt es da?

Fast immer Thai Curry oder Sandwiches (lacht). Das alles hat ein bisschen geholfen, aber war lange nicht genug, nicht um die Kosten zu decken. Aber: Es kamen viele Stammgäste, und das waren immer sehr coole Momente.

Mit wie vielen Leuten startet ihr jetzt neu?

Mit kleinem Team: Zwei in der Küche, zwei im Service, eine Spülkraft. Wir regulieren erstmal alles runter auf 20 bis 30 Gäste am Tag, wir können insgesamt 70 platzieren. Wir machen drei Wochen Soft-Opening und jetzt als erstes eine Hochzeit. Die haben wir im April verkauft haben, als wir noch dachten, im Mai geht’s los.

Was ist im neuen Merold anders, optisch? 

Wir haben eine neue Eingangstür, das Restaurant war in Holz eingekleidet und wir haben daraus fast alle neuen Möbel wie Regale oder Sideboards gebaut. Ein guter Freund ist Tischler in Augsburg, wir haben die Möbel gemeinsam in zwei Wochen gebaut. Die Sanitäranlagen wurden komplett erneuert und die Küche saniert und umgestaltet. Der Boden ist logischerweise neu und die Wände haben einen Kalkanstrich. Den haben wir selbst noch zweimal übergestrichen, bis er so aussah wie jetzt.

Und kulinarisch?

Werden wir es alles ein bisschen einfacher machen. Mehr German-Wirtshaus-Style. Früher hatten wir einen Fermenter, eine krasse Liebhaberei, aber wir haben immer noch rund 400 Kilogramm Miso im Keller stehen. Das ist jetzt natürlich perfekt (lacht). Wir fangen aber im Prinzip mit der gleichen Karte an wie kurz vor der Schließung, wir ändern nur paar kleine Sachen. Dann setzen wir uns mit Neuem auseinander. Ich habe ja nie gelernt, klassisch französisch zu kochen, darin habe ich mich während der Schließzeit eingearbeitet. Früher kam das Rapsöl aus Deutschland, jetzt aus Frankreich. Auch bio, kostet aber nur die Hälfte. Wir sind nicht so fokussiert wie ein „Nobelhart und Schmutzig“, kein Fine-Dining-Restaurant, das 200 Euro fürs Menü nimmt und Leute den ganzen Tag damit beschäftigen kann, ein Tier im Ganzen zu verarbeiten. Die Höfe, von denen wir beziehen, werden dieselben bleiben, alles bleibt bio, wir wollen kurze Wege und faire Bezahlung. Aber nicht mehr so detailversessen wie früher. Der Fokus auf regionalen Produkten bleibt, aber wir müssen auch nachhaltig in der wirtschaftlichen Richtung sein.

Hast du noch Lust auf Gastronomie?

Vor ein paar Wochen haben wir zum ersten Mal wieder hier gekocht. Für zehn Leute hinten in der Ecke, die Bank war schon fertig. Wir haben Tische hingestellt, zwei Induktionsplatten aufgestellt, gekocht und ich habe gemerkt: Ich freue mich drauf. Und eigentlich hätte ich gerne sechs oder sieben Restaurants.

Immer noch?

Immer noch (lacht).

Vielen Dank, lieber Jonas. Und guten Neustart. 

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