Zum Glück gibt es sie, diese Menschen, die – wie mir mal ein Gastronom sagte – im positiven Sinne „bekloppt“ genug sind, sich diesen Stress anzutun: eine Gastronomie zu eröffnen und zu führen. Eine individuelle Gastronomie zumal, mit eigenem Charme, eigener Idee, eigenen Gesetzen. Denn sonst sähe unsere Welt gastronomisch betrachtet vermutlich sehr langweilig aus, mainstreamig und glattgebürstet.
Und zum Glück gibt es immer wieder Menschen, die die – in der Regel turbulente – Entstehungsgeschichte solcher Gastronomien niederschreiben. Wir haben einige dieser Bücher hier vorgestellt: Gefahrenzone von Roland Mary, Für hier oder zum Mitnehmen von Ansgar Oberholz und weitere.
Jetzt ist wieder ein Buch erschienen, das davon erzählt, wie aus einem Wunsch nach einer eigenen Gastronomie Wirklichkeit wurde: In Drei Bier auf die Vier: Vom Abenteuer, die eigene Kneipe zu eröffnen berichtet Maria Rossbauer, Journalistin und gelernte Hotelfachfrau, wie ihre beste Freundin Sonja Obermeier den „Klinglwirt“ vor den Toren Münchens, in dem sie als Tochter einer Gastronomenfamilie einen Teil ihrer Kindheit verbrachte, im Münchner Stadtteil Haidhausen als bayerisches Wirtshaus wieder zu neuem Leben erwachen ließ.
Natürlich nicht eins zu eins wie das Original, in dessen Saal sich die Rock´n´Roll-Tanzgruppe und der Männergesangsverein und schließlich das ganze Dorf versammelte, bis jemand rief, dass man nun zusperren könne, es seien ja alle da. Aber eben doch ein bisschen so. Der Klinglwirt lockt von Tag eins an die Menschen zu sich (auch dank einer Rezension, die an Tag eins in der Süddeutschen Zeitung erschien, die übrigens, was Gastronomie-Neuvorstellungen angeht, die beste Tageszeitung des Landes ist) und entwickelt sich zum sozialen Ort für die Nachbarschaft: Ein Ehepaar holt sich gar wöchentlich Essen und Bier ab und verzehrt es in der eigenen Wohnung (und bringt am nächsten Tag das ausgeborgte Geschirr zurück), und die jungen Eltern, die ein paar Etagen über der Kneipe wohnen, sind froh, dass sie ausgehen können, ohne einen Babysitter bestellen zu müssen – die Reichweite des Babyphons reicht aus. Zwischenzeitlich wird Sonja Obermeier gar einmal als Münchnerin des Jahres gehandelt und entwickelt sich zur Betreiberpersönlichkeit, die auf der Straße gegrüßt wird.
Und doch ist diese Geschichte keine bloße Erfolgsgeschichte, zumal seit der Gründungsidee gerade einmal vier Jahre vergangen sind. Zu früh für ein Erfolgsfazit. Bis zum Schluss des Buches, dessen erzählte Zeit im Herbst 2013 endet, hat Sonja Obermeier ordentlich zu kämpfen mit ihrem „Klinglwirt“: Hohe Personalkosten, der schwache Januar, unbefriedigendes Mittagsgeschäft, das schließlich eingestellt wird, Kredite, die zurückgezahlt werden müssen und nie die Gewissheit, ob es voll wird, denn nur dann bleibt etwas hängen. „Es wird schon gut gehen“, sagten die beiden engen Freundinnen zum ersten Geburtstag des Hauses einander.
Bestimmt tut es das. Auch, weil der „Klinglwirt“ für etwas steht, mit dem sich Menschen identifizieren: für Ursprünglichkeit und Regionalität. Uriges Ambiente, an den Wänden Reminiszenen an den alten Familienbetrieb, das Fleisch kommt ausschließlich von der bekannten ökologischen Viehzucht Hermannsdorfer des Ex-Herta-Chefs Schweisfurth, und die Schnäpse, allen voran der im Buch öfter angesprochene Eierlikör, von kleinen Herstellern im Umkreis des Ur-„Klinglwirts“. Produkte, die die Food- und Beveragekalkulation aber nicht gerade einfach machen – der Spagat zwischen hohem Produktanspruch und akzeptablem Endpreis für den Gast ist eine Herausforderung, oder wie es die Wirtin im Buch auf den Punkt bringt: „Schon komisch, früher, im alten Klinglwirt, konnten sich die einfachen Leut eben nur das Essen leisten, das aus der Gegend kam. Heute braucht man dafür Geld.“
Was Maria Rossbauer mit diesem Buch gelingt, ist eine zugleich unterhaltsame und informative Story zu erzählen. Details über stinkende Rohre, diebische Kellnerinnen und extrovertierte Köche, die empfehlen, Souvlakia und Fladenbrot ins Wirthaus-Sortiment aufzunehmen, gibt es hier ebenso wie ausführliche Beschreibungen der Suche nach dem richtigen Standort, der Ausgestaltungsmöglichkeit des Brauereivertrags, der richtigen Businessplanformulierung für eine Finanzierung bei der Bank und der Beachtung von Gastroregeln. Wie jener, die besagt, dass die Pacht durch den Umsatz in den ersten drei Tagen des Monats eingefahren werden sollte. Und dazwischen auch detaillierte, man könnte auch sagen monotone Passagen über das, was im Gastro-Alltag eines bayerischen Wirtshauses eben so anfällt: Leberschneiden, Knödeldrehen und Töpfeschrubben.
Wer sich bald auch zu eingangs genannten „Bekloppten“ im positiven Sinne zählen will, bekommt hier en passant jede Menge Ratschläge für Fehlervermeidung, Ablaufplanung, Chaosbeseitigung und Co. Diejenigen, die es schon hinter sich haben, werden sich häufiger beim zustimmenden Nicken ertappen. Und alle anderen, die weiterhin lieber Gast bleiben wollen wie der Rezensent, werden einfach gscheit unterhalten.
Maria Rossbauer:
Drei Bier auf die Vier: Vom Abenteuer, die eigene Kneipe zu eröffnen
256 Seiten, 9,99 Euro
erschienen bei Blanvalet
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