Vor rund Jahren kam Streetfood nach Deutschland. Mit dem ersten „Street Food Thursday“ im Frühjahr 2013 begann ein Hype, der sich schnell im ganzen Land ausbreitete – von Märkten über Foodtruck-Roundups bis hin zu vielen gastronomischen Neueröffnungen, die sich vom Stand zum festen Konzept mauserten. Wo steht das Thema heute? Und wohin geht die Reise? Wir haben mit vier Köpfen der Szene gesprochen.
„Nahezu jeder Stand hat heute eine vegan-vegetarische Alternative im Angebot“
Olivier Witzkewitz, Leiter Events & Gastronomie in der Markthalle Neun Berlin und Organisator des „Street Food Thursday“:
Der große Hype der Anfangsjahre ist vorbei, aber jeder Donnerstag bei uns ist wirtschaftlich sinnvoll und funktioniert. Es ist für alle ein schönes Format. Unsere Leitidee ist nach wie vor dieselbe: Wir wollen Händlerinnen und Händlern aus aller Welt, die nach Berlin kommen, eine Plattform geben, um sich auszuprobieren und Feedback zu erhalten. Unser Auswahlprozess ist immer noch streng mit Gesprächen, Tastings und Qualitätskontrolle. Die Menschen stehen bei uns im Vordergrund. Was ist ihre Geschichte? Wie erzählen sie diese über das Gericht, das sie auf dem Street Food Thursday kochen und verkaufen wollen?
Wir haben seit dem Beginn 2013 insgesamt 322 (Stand Ende März 2023, Anm. d. Red.) verschiedene Händlerinnen und Händler bei uns zu Gast gehabt. Einige von ihnen sind seit vielen Jahren dabei, zum Beispiel „Son Kitchen“: Die drei Jungs haben 2015 bei uns angefangen und betreiben heute drei Läden in der Stadt. Sehr viele weitere haben eine eigene Gastronomie eröffnet, das ist auch heute noch für viele das Ziel. Es gibt aber auch weiterhin Leute bei uns, die in Versicherungen oder anderen Unternehmen arbeiten und es als reines Hobby und als Leidenschaft machen. Das sind meine persönlichen Lieblinge!
Der Händler-Pool hat sich durch Corona zunächst dramatisch verringert, danach hatten wir aber eine neue Bewerbungswelle und nicht nur das: Auch die Qualität ist noch einmal deutlich gestiegen. Und: Nahezu jeder Stand hat heute eine vegan-vegetarische Alternative im Angebot, reine Fleisch-Foodstände sind selten geworden. Vegane Fleischersatzprodukte spielen bei uns jedoch keine Rolle, statt dessen selbstgemachte Gemüseküche. Wir haben viel bewegt: Ohne den Street Food Thursday in Berlin wäre ein Ort wie „Manifesto“ nicht denkbar.
„Immer mehr Streetfood findet in Shopping Malls und Foodcourts statt“
Miranda Zahedieh, Gründerin Bite Club, Berlin:
Der Bite Club war von Beginn an ein Inkubator für kleine Food-Businesses: Viele haben bei uns angefangen und sind „brick and mortar“ gegangen, haben Produktionen aufgemacht. Unser Händler „Brammibal’s Donuts“ ist heute eine Systemgastronomie (mit sechs Outlets in Berlin und drei in Hamburg, Anm. d. Red.). In der letzten Zeit sind in Berlin viele Shopping-Malls und Foodcourts entstanden, die Streetfood machen: Kantini im Bikini, „Manifesto“ am Potsdamer Platz und dort eröffnet jetzt bald auch noch „Kerb“ – das ist aus einem Streetfoodmarkt zu sechs Locations in London gewachsen.
Streetfood ist heute nicht mehr trendy, keine Mode mehr – wir haben vor einigen Jahren sogar schon überlegt, beim „Bite Club“ den Begriff rauszunehmen und statt es dessen „global kitchens“ oder so ähnlich zu nennen. In London (von dort stammt Zahedieh, Anm. d. Red.) ist Streetfood kein Eventformat mehr, sondern einfach ein Ort geworden, an dem die Leute sich etwas zu essen kaufen. Wir haben uns mit dem „Bite Club“ immer als Antithese zu dieser Entwicklung verstanden, als wilde kleine Schwester oder Nichte des „Street Food Thursday“ (lacht).
Musik, Event und Party gehörte bei uns immer dazu. Das wird auch 2023 so bleiben: Wir kehren für drei Events an unsere alte Location an der „Arena“ zurück – im Mai, zum Geburtstag im Juli (14.7.) und dann noch mal am 18. August. Es werden auch viele unserer ersten Händler wieder mit dabei sein. Wie es danach mit dem „Bite Club“ weitergeht? Wir werden es sehen. Das B2B-Geschäft – vor Corona haben wir mit großen Events und Tech-Festivals kooperiert – befindet sich derzeit noch im Wiederaufbau.
„Das Thema Streetfood-Catering wird sich noch viel stärker entwickeln“
Till Riekenbrauk, Gastronom („Brauhaus Johann Schäfer“) und Veranstalter des Street Food Festival, Köln:
Streetfood ist von einem Trendthema zu einem etablierten Thema geworden, und das ist auch gut so. Vor Corona war es schon ziemlich überhitzt. Die Qualität, die ich auf anderen Veranstaltungen gesehen habe, war zum Teil fragwürdig. Der Markt hat sich durch die Pause bereinigt – sie hat gewirkt wie ein Acker, den man ein Jahr brach liegen lässt, um ihn sich erholen zu lassen. Die „Guten“ haben die Zeit gut weggesteckt, so meine Beobachtung. Handwerk und Ursprünglichkeit waren uns beim „Street Food Festival“ ja schon immer sehr wichtig, wir wählen sehr streng aus, und da sehen wir insgesamt eine positive Entwicklung. Auch bei der Vielfalt, wenngleich Brot-Fleisch-Brot-Angebote nach wie vor die am meisten gefragten auf jedem Festival sind.
Ansonsten sehe ich gerade zwei große Entwicklungen. Zum einen stürzen sich jetzt die Foodcourts auf das Thema Streetfood – es ist zwar eine begrüßenswerte Sache, wenn es nicht überall immer dieselben großen Foodmarken gibt. Aber trotzdem muss man kritisch beobachten, was da passiert. Für uns und unsere Händler spannender ist das Thema Catering: Während es nur wenige dauerhaft erfolgreich geschafft haben, vom Festival über Pop-ups zum eigenen Restaurant zu gehen, haben wir mittlerweile viele, die bei uns einen Stand hatten, die richtig gut gebucht sind und volle Auftragsbücher haben. Nicht nur für Hochzeiten und andere private Feste, sondern vor allem auch im B2B-Bereich.
Es gibt viele Firmen, die auf ihren Events praktisch ein eigenes kleines Streetfood-Festival ausrichten wollen und dann lieber verschiedene Spezialisten zusammen sammeln, als einen Caterer zu beauftragen. Wir bieten dafür ja auch eine eigene Plattform an. Ich denke, in diese Richtung wird sich das Thema Street Food noch viel stärker entwickeln.
„Expansion mit Foodtrucks wird für Restaurants immer spannender“
Franziska Weidner, Gründerin Food Trucks United, München:
Wir sind im Coronajahr 2020 und doch genau zur richtigen Zeit gestartet: Viele Kantinen mussten ja schließen, aber es gab trotzdem viele Leute, die in die Unternehmen zur Arbeit gegangen sind und versorgt werden wollten. Mit unseren Foodtruck-Händlern konnten wir hier eine Lücke schließen und das nicht nur temporär: Home-Office hat sich etabliert und für viele Caterer lohnt es sich weiterhin nicht, mit Firmen zusammen zu arbeiten, wenn sie für einen Breakeven viele Hundert Essen verkaufen müssen. Und die Firmen wiederum können den frei gewordenen Platz anderweitig nutzen. Also die Foodtruckszene hat davon schon enorm profitiert.
Wir organisieren das ganze Drumherum für unsere Kooperationspartner: Wir schicken den Firmen die Fahrpläne, sie können ihren Mitarbeitenden das Essen subventionieren und wir sorgen für Abwechslung. Aktuell haben wir rund 150 verschiedene Trucks im Sortiment, Tendenz steigend. Auch das Thema Eventcatering floriert, das wird immer mehr, weil die Firmen lieber einige unterschiedliche coole Trucks zu sich holen wollen als einen Caterer, der 25 Chafing-Dishes bei ihnen aufbaut. Unsere Trucks fahren vor, machen das Catering und sind wieder weg, da muss nichts groß aufgebaut werden. Übrigens vermitteln wir nicht nur Trucks, sondern auch E-Fahrräder, Trailer oder mobile Bars.
Wir sehen auch, dass Expansion über Foodtrucks für die Restaurants immer spannender wird: Viele melden sich bei uns, weil sie lieber einen Truck an den Start bringen wollen als einen weiteren festen Standort zu eröffnen – oder weil sie ihr Cateringgeschäft auf diese Weise vorantreiben wollen. Als Restaurant haben sie ja schon eine Produktionsküche – von denen gibt es übrigens immer noch viel zu wenige. Beim Essen selbst boomt vegan extrem, aber auch Pommes mit coolen Toppings oder Hotdogs mit besonderen Saucen. Es ist immer noch ein schwieriges Business und kein leicht verdientes Geld, umso wichtiger ist ein guter USP!
Dieser Beitrag erschien zuerst in fizzz 5/2023 und wurde leicht angepasst.