Größer, besser, lauter: Mit ihren „Chefdays“ in Berlin wollte das Magazin Rolling Pin auch in Deutschland sein Revier markieren. Im Vorfeld hagelte es jedoch Kritik: Sexismus in der Kommunikation wurde den Veranstaltern vorgeworfen. Haben sie daraus etwas mitgenommen? Hat sich etwas verändert? Aida Baghernejad war für den nomyblog vor Ort.
Es ging ein Raunen durch Gastro-Deutschland: Die Rolling Pin, das streitbare Gastro-Magazin aus Graz, wollte seine Koch-Convention „Chefdays“ in Kooperation mit Metro nach Deutschland bringen und zwar direkt in die Hauptstadt. Neben einem großen Rummel für Köche, bei dem diese sich bei Ausstellern von Nischenmarken wie Monkey47 bis Convenience Food-Produzent Salomon Food Solutions und natürlich Platzhirsch Metro über neue Produkte und mehr informieren können, sollte es auch Liveshows mit einigen der besten Köche der Welt geben und als besonderes Schmankerl auch eine Preisverleihung für die fünfzig besten Köche des Landes.
So weit, so bekannt – allerdings brach im Vorfeld ein Kontroverse aus, die sich gewaschen hatte: Nicht, weil ausgerechnet ein österreichisches Magazin zeigen will, wie man ein großes internationales Event in der Hauptstadt ausrichtet, sondern weil in der Liste der fünfzig besten Köche genau eine Frau vorkam, Douce Steiner aus dem „Restaurant Hirschen“ in Sulzburg. Nun ist es kein Geheimnis, dass die Gastronomie keine Branche ist, in der Awareness-Trainings und progressive Gesellschaftsmodelle sich unbedingt durchgesetzt haben und dass der Frauenanteil unterdurchschnittlich ist. Doch ganz so schlecht ist er nun auch nicht und diverse Kritiker*innen wie Köchin Sophia Hoffmann, Bloggerin Mary Scherpe und der Aktivist, Foodhändler und Gastronom Hendrik Haase bemängelten, dass diese Auslassung von weiblichen (geschweige denn PoC- oder gar LGBTQI*-Stimmen) System zu haben schien: Auch auf der Bühne war keine einzige Frau angekündigt. Kritik wurde auf Facebook geäußert, doch kritische Kommentare wurden allesamt gelöscht.
Rolling-Pin-CEO Jürgen Pichler veröffentlichte ein Video, in dem er sich erklärte und Fans von Rolling Pin sich über vermeintliche politische Korrektheit echauffierten. Ein (ausschließlich mit männlichen Protagonisten des Skandals besprochener) Roundtable kam bislang nicht zustande. Aber würden die „Chefdays“ selbst von der Auseinandersetzung beeinflusst werden? Würde Rolling Pin sich die Kritik zu Herzen nehmen?
Die kurze Antwort: Nein. Die lange Antwort gibt ein dezidiert feministischer Blick auf die Veranstaltung und ein Interview mit Jürgen Pichler selbst. Am 11. und 12. September wurden die „Chefdays“ in Berlin, besser gesagt in Spandau, abgehalten. Betrat man die Veranstaltung, wurde man als erstes von Hostessen begrüßt, deren T-Shirts dem Betrachter stolz „FOOD IS MY PORN“ entgegen schrieen. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt. Das T-Shirt sollte man den Tag über noch öfter sehen. Eigentlich an allen Rolling-Pin-Mitarbeitern, inklusive der Chefredakteurin. Außer an Jürgen Pichler. Er trägt einen modisch schmalgeschnittenen Anzug kombiniert mit Chuck Taylors, ist jovial, laut und gut gelaunt – und befindet sich gefühlt überall gleichzeitig. Er ist Rolling Pin und Rolling Pin ist er, das merkt man. Bei der Eröffnung der Veranstaltung wird er angekündigt wie ein Rockstar, in seiner Eröffnungsrede spricht er von Inspiration und Networking. Man wolle mit den heutigen Kochshows und der Messe die deutsche Gastronomie inspirieren und natürlich auch fett feiern – am gleichen Abend am anderen Ende der Stadt, im „Festsaal Kreuzberg“.
Eine Lightshow wie beim „Rock am Ring“
Die Veranstaltung ist restlos ausverkauft. Unterhält man sich mit Besuchern, stellt sich heraus, dass sie aus allen Ecken und Enden Deutschlands angereist sind, um die vermeintlichen Rockstars der Branche live kochen zu sehen – und sich nebenbei an den Ständen von neuen Produkten, Technologien und Techniken überzeugen zu lassen. Das Programm auf der Bühne gleicht einer Mischung aus Mainstream-Rockkonzert und der Netflix-Erfolgsserie „Chef’s Table“: Spitzenköche wie Dani Garcia (Spanien), Nick Bril (Belgien) oder Lokalmatador (und frischgebackener Ehemann der Chefredakteurin) Tim Raue erklären ihre Küche. Mal wird vorgekocht, mal das Konzept erklärt, wobei im besten Fall immersives Vorkochen betrieben wird – Zuschauer werden zum Probieren auf die Bühne gebeten oder Essen sogar gleich an alle verteilt.
Zwischen dem Bühnenprogramm und der Messe im Raum nebenan gibt es allerdings ein starkes Gefälle: Hier Gastronomie auf Spitzenniveau, oft mit selbstgezogenen Zutaten, dort Soßenbinder und Convenience-Produkte. Angekündigt werden die Köche auf der Bühne von einem Ansager, der jedem Box-Promoter den Rang ablaufen würde. Pophits werden dazu gespielt, dass einem tatsächlich das Hören vergeht, eine Lightshow, die einem „Rock am Ring“ würdig wäre, leuchtet den Raum aus. Superlative, fette Bässe, großes Trara.
Testosteronlastige Cover
Lernt man Jürgen Pichler kennen, merkt man: Das ist auch sein Stil. 2003 gründete er Rolling Pin, die 16 Mal im Jahr erscheint und sich zu einem der wichtigsten Jobmärkte für Gastronomie im deutschsprachigen Raum entwickelt hat. Inhaltlich geht es um die großen und die kleinen Kochstars aus aller Welt.
„Wir sind ein internationales Magazin“, sagt Pichler im Interview – allerdings erscheint die Rolling Pin auf Deutsch. Alles ist hier ein wenig lauter, ein wenig knalliger und vor allem recht testosteronlastig, auf das Cover verirren sich verhältnismäßig selten Frauen. Das Magazin wirft gerne mit Superlativen um sich, wie auch Pichler selbst auf der Bühne. Alles ist „geil!“, „ultimativ“, ziemlich oft „das Beste“ und eigentlich sowieso „das Größte“.
Spricht man ihn auf die Kontroverse im Vorfeld an, verteidigt sich Pichler mit dem hohen Frauenanteil in seinem Unternehmen: Von 55 Mitarbeitern seien 40 Frauen. „Wir sind alles andere als frauenfeindlich. Bis auf mich sind eigentlich alle Abteilungsleiter Frauen.“ Auch die Planung des Line-Ups für die Bühnenshows lag in Frauenhand – und der Fokus lag eben darauf, die gesamte Bandbreite von Gastronomie zu zeigen. Dass da keine Frauen als Speaker und auch nicht bei den „50 Best Chefs“ vertreten seien, nun, das sei den Organisatoren erst bewusst geworden, als sie darauf angesprochen wurden. Bösen Willen kann man dabei weder Pichler noch seinem Team unterstellen, doch gewiss Blindheit gegenüber einem System, das Frauen strukturell marginalisiert.
Abwendung von strukturellen Problemen der Gastronomie
Sexismus ist eben nicht nur der schmierige Typ im Club, der seine Hände nicht bei sich behalten kann, sondern vor allem auch ein Resultat einer patriarchalen Gesellschaft, in der Frauen immer noch ein enges Rollenbild zugestanden wird. Frauen stehen zu Hause am Herd, doch das Kochgenie, das war selten eine Frau – diese Denkweise ist nicht allein auf Männer beschränkt. Auch Frauen haben vielmals das patriarchale Weltbild verinnerlicht. Das Argument, dass man eben nicht mehr Geschlechter sehe, erinnert stark an den oft von Konservativen vorgebrachten „Ich sehe keine Hautfarben, nur Menschen“. Und genau hier liegt der Fehler: Wenn wir glauben, das Geschlecht ignorieren zu können, wenden wir uns ab von den strukturellen Problemen, die Frauen in der Gastronomie zurückhalten. Und dass es dort einige Probleme gibt, ist ja leidlich bekannt: der raue Ton in den Küchen, Männerbünde, sexuelle Übergriffe.
Die „Rolling Pin“ soll einen positiven Einfluss auf die Gastro-Szene haben, so formuliert es Jürgen Pichler. Doch fragt man, ob die Empörung und die Diskussionen im Vorfeld einen Einfluss auf das Magazin haben werden, verneint er das vehement. „Wir lassen uns nicht erpressen!“ Die Kontroverse im Vorfeld war für ihn ein Shitstorm, der nichts lösen könne und den er in gewisser Weise als Erpressungsversuch ansehe. Man müsse über andere Arbeitsmodelle reden, doch dafür seien die Chefdays nicht da und auch nicht die Abstimmung über die besten Köche Deutschlands. Auch da hätten ja Frauen mitgestimmt – rund 1.000 der 5.000 Abstimmenden seien Frauen gewesen.
Verantwortung weisen Pichler und damit auch die Rolling Pin so weit von sich. „Für Köche zählt nur die Kreativität auf dem Teller“, Geschlecht, Hautfarbe oder sexuelle Orientierung seien doch in der Gastronomie ganz egal. Hört man aber Berichte von weiblichen Köchen und anderen Gastro-Expertinnen, klingt das ganz anders: Rike Schindler vom Cateringunternehmen „No Tiers“ berichtet zum Beispiel von systematischer sexueller Belästigung während ihrer Ausbildung. Und sie ist nicht die einzige – zahlreiche Beispiele dieser Art findet man nicht nur im deutschen Raum, sondern auch in internationalen Berichten. Wenn die Frauen überhaupt sprechen wollen, sich trauen.
Gastro-Realität: Reduzierung auf Sexualität
Worte schaffen Realität und deswegen kann man schlüpfrige Witze – wie sie übrigens auch auf der Rolling-Pin-Facebookseite gepflegt werden – und dumme Sprüche in der Küche auch nicht einfach ignorieren. Sie erschaffen eine Atmosphäre und eine Realität, in der Frauen oft auf ihre Sexualität reduziert werden. Und auch wenn Pichler darauf pocht, dass das Geschlecht am Herd ja nicht zählt: Bei der großen Award-Inszenierung zu den 50 besten Köchen beschreibt er Douce Steiner als die Person, die „die Weiblichkeit hochhält“.
Am Ende stellt sich als die progressivste Stimme auf dem Event ausgerechnet Staatssekretär Hermann Onko Aeikens von der CDU heraus: „Ich sehe sehr wenig Frauen. Unter den 50 Besten ist eine Frau dabei. Daran müssen wir alle arbeiten. Auch die Männer.“
Aida Baghernejad schreibt über Essen und Foodkultur und promoviert am King’s College in London über Streetfood, Creative Industries und Migration.
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