Saisonalität und Regionalität sind ein Dauertrend, zudem darf es für die Gäste gerne etwas sein, das es nicht überall gibt, das möglichst naturbelassen ist und dann ist da auch noch das Thema steigender Rohstoffpreise … wie wäre es, all das zusammen zu denken und sprichwörtlich in einen Topf zu werfen?
Möglich macht dies ein neues Buch: Gefundenes Fressen – Wilde Zutaten erkennen, sammeln & zubereiten von Fabio Haebel, Jan Hrdlicka und Olaf Deharde. Sie haben sich auf den Weg ins „domestic adventure“ gemacht und jede Menge Rezepte von Ahornpfannkuchen bis Zierquittenlimonade sowie viele Tipps und Pflanzenkunde mitgebracht. Wusstet ihr, dass die Brennnessel eigentlich ein Superfood ist und nicht nur lästiger Piekser am Wegesrand? Oder dass Giersch kein „Unkraut“ ist, sondern ebenso hervorragend für die Küche verwendet werden kann? Dass Schlehen die Oliven des Nordens sind?
Wildpflanzen bestimmen und für die Küche nutzen, Pilze sammeln (dazu ein weiterer Buchtipp hier), die Saison einfangen (sprich Einlegen und Fermentieren), selbst am Strand noch Essbares finden … ein Buch für Experimentierfreudige, inspirierend für den privaten wie für den professionellen Gebrauch. Im Folgenden gibt es eine Leseprobe aus dem Kapitel „Der kleine Wildpflanzen-Ratgeber“.
Wildpflanzen haben einen großen Vorteil. Sie wurden selten domestiziert und sind somit von der Industrie nie so richtig „in Form gebracht“ worden.
Viele Lebensmittel, die wir auf dem Markt kaufen, sind gezüchtete Hybrid-Sorten, denen unangenehme Eigenschaften über Jahre herausgezüchtet worden sind. Deswegen sind aber auch wichtige Inhaltsstoffe nicht mehr enthalten und die Sortenvielfalt lässt immer mehr zu wünschen übrig. Am Ende stehen wir vor Regalen mit den immer gleichen Möhren oder der einen Spinat-Sorte – Gemüse, die immer gleich aussehen, gleich schmecken und zu jeder Zeit verfügbar sind.
Dieser Umstand ist nicht nur kritisch zu hinterfragen, sondern für Genussmenschen wie uns auch ziemlich langweilig. Wer also seinen Geschmacks-Horizont erweitern und sich und seiner Gesundheit dabei noch etwas Gutes tun möchte, dem*der sei geraten, sich vor die Tür zu bewegen, ein Pflanzenbestimmungs-Buch einzupacken und einfach mal in einem Umkreis von zwei bis drei Kilometern vor seiner Haustür Ausschau zu halten, was da alles so wächst.
Ihr müsst dafür nicht auf dem Land oder im Wald wohnen oder extra einen Tag frei nehmen. Giersch, Vogelmiere, Franzosenkraut oder Gundermann sind, wenn man seinen Fokus einmal geschärft hat, überall zu finden. Teilweise sogar ganzjährig wie die Vogelmiere. Für den Anfang reicht es, dass ihr euch auf bekannte Wildpflanzen wie Löwenzahn, Gänseblümchen und die unglaubliche Super-Power- Pflanze Brennnessel begrenzt, um sie in euren Koch-Alltag zu integrieren.
Die in Löwenzahn enthaltenen Bitterstoffe sind zwar für ungeübte Zungen erstmal etwas gewöhnungsbedürftig, doch sind gerade diese bitteren Inhaltsstoffe sehr gesund für die Verdauung und sorgen zum Beispiel dafür, dass Nahrung schneller und besser verwertet wird. Wir Menschen haben dafür extra eine Geschmacks-Erkennung auf der Zunge, die dazu dient, Bitteres sofort zu erkennen und dafür zu sorgen, dass dieser Inhaltsstoff an die richtige Stelle umgeleitet wird. Falls ihr also
versucht, bittere Wildpflanzen in einen süßen Smoothie „hineinzumogeln“, wird das nicht funktionieren.
Was gesunde Inhaltsstoffe angeht, ist die Brennnessel einfach nicht zu schlagen. Wenn man sich damit beschäftigt, ist nicht mehr nachzuvollziehen, warum sich diese Pflanze nicht auf unserem Speiseplan befindet. Die Brennnessel kostet nichts, ist ziemlich häufig anzutreffen, kann sehr leicht identifiziert werden und schmeckt viel besser als frischer Spinat. Hätte Popeye Brennnesseln gefuttert, wäre er vor lauter Vitaminen, Proteinen und Eisen wahrscheinlich explodiert. Hier alle Inhaltsstoffe der Brennnessel aufzuführen, würde den Rahmen sprengen, und es soll hier ja auch nur am Rande klargestellt werden, welche Super-Power heimische Wildpflanzen für eure Gesundheit und euren Geldbeutel haben.
Wichtig ist, dass ihr eure Sammelstellen gut aussucht, bevor ihr euch die Taschen vollpackt, denn an stark befahrenen Straßen, an gern besuchten Spazierwegen, auf der Hundewiese oder an überdüngten Maisfeldern zu sammeln ist nicht besonders ratsam. Es gibt überall ein paar ruhige Stellen in Hinterhöfen, in Parks oder auf Spielplätzen, wo ihr wirklich erstaunliche Funde machen könnt. Aber denkt bitte daran: Andere Wildpflanzen-Jäger*innen suchen auch und nicht zuletzt sind alle Wildtiere auch auf Nahrungssuche. Nehmt also nur so viel mit, wie ihr braucht, und lasst immer etwas für die anderen übrig.
Goldnessel
Die Goldnessel erinnert geschmacklich an frische Champignons. Daher passt die Pflanze super in Risotto oder eignet sich auch als Füllung für Pasta. Bereits im März/April kommt mit ihr eine gute Portion an Mineralstoffen, Vitaminen und Spurenelementen in unsere Küche.
Knoblauchsrauke
Der Name ist Programm. Aber nur, wenn die Pflanze roh verzehrt wird. Ansonsten war’s das mit dem feinen Knoblauch-Geschmack. Knoblauchsrauke eignet sich bestens für Kräuterbutter, Quark oder Pesto. In Wildpflanzen-Chimichurri ist die Knoblauchsrauke eine Pflichtzutat.
Quendel
Das perfekte Würzkraut für Salatsaucen, Pastagerichte oder schwere Schmorgerichte. Auch als Feld-Thymian bekannt, der Geschmack entfaltet sich besonders gut beim Trocknen.
Schlangenlauch
Stell dir vor, du fährst in einen kleinen Waldweg und auf einmal schießt dir der Geruch von frischem Knoblauch in die Nase. Schlangenlauch verströmt sein Aroma in den Wind! Ganz jung und zart kann man ihn im Ganzen verwenden, später dann die Wurzel oder die Blüten. Toll!
Gundermann
Sehr intensiver Geschmack. Wer aber einmal auf den Geschmack gekommen ist, der will schnell mehr. Bitter, ätherisch und scharf in der Nase begleitet Gundermann sowohl Herzhaftes als auch Süßes, da er leicht an Minze erinnert. Früher wurde er statt Hopfen ins Bier gegeben.
Lindenblatt
Die Linde ist eindeutig ein Baum und kein Kraut. Wir müssen sie aber ausnahmsweise in diesem Rahmen erwähnen, da es im Frühling ein wirkliches Highlight ist, an einem Lindenbaum zu stehen und von seinen Blättern zu naschen. Sie sind so zart, so süßlich und nussig, dass man schwer aufhören kann.
Goldnessel-Graupen
Die Goldnessel ist im Erscheinungsbild der Brennnessel sehr ähnlich, besitzt jedoch wie auch andere Taubnessel-Arten keine brennenden Eigenschaften. Ab dem Frühjahr recken sich ihre namensgebenden goldgelben Blüten empor. In der Küche hat sie sich als schmackhaftes Wildgemüse etabliert. Und Graupen verdienen einen besseren Ruf – sie schmecken zum Beispiel großartig anstelle von Reis in einem Risotto, wie in diesem Rezept!
für 4 Personen
1 große Gemüsezwiebel
1 Knoblauchzehe
100 g Hartkäse (z.B. Parmesan)
1 l Gemüsebrühe
Olivenöl plus Öl zum Marinieren
Salz
200 g Perlgraupen
70 ml trockener Weißwein
100g Butter
2 Handvoll Goldnesseln
1/2 Handvoll Thymian
Zitronensaft
Pfeffer
- Die Zwiebel und den Knoblauch schälen und jeweils in feine Würfel schneiden. Den Hartkäse reiben und die Gemüsebrühe in einem Topf erhitzen.
- Das Olivenöl in einem möglichst breiten Topf erhitzen, die Zwiebel- und Knoblauchwürfel beigeben, mit einer Prise Salz würzen und farblos anschwitzen. Wenn sie glasig sind, die Perlgraupen beigeben und gemeinsam für weitere 2 Minuten dünsten. Mit Weißwein ablöschen. Unter ständigem Rühren einkochen und die Hitze etwas reduzieren. Die heiße Gemüsebrühe kellenweise dazugeben und einkochen. Diesen Prozess wiederholen, bis die Graupen eine biss- feste Konsistenz haben.
- Wenn die Graupen den gewünschten Biss haben, den Topf von der Hitze nehmen, die in Würfel geschnittene Butter und den geriebenen Hartkäse beigeben und einen Deckel auflegen.
- Die Goldnesseln und die Thymianblättchen in einer Schüssel mit Salz, Zitronensaft und Olivenöl marinieren, sodass sie leicht benetzt sind.
- Den Deckel vom Topf nehmen und die Graupen mit einem Teigschaber oder einem Silikonpinsel cremig rühren. Zuletzt mit Salz und Pfeffer abschmecken und anrichten. Die marinierten Goldnesseln auf den Graupen verteilen.
Gefundenes Fressen – Wilde Zutaten erkennen, sammeln & zubereiten
von Fabio Haebel, Jan Hrdlicka und Olaf Deharde hat 240 Seiten, 120 Abbildungen und kostet 35 Euro.
Erschienen bei Brandstätter.