„Märkte sind für die Stadt wie die Küche für eine Party“: Im Gespräch mit Fabio Haebel, Gastgeber, TV-Koch und Kochbuch-Herausgeber

von Jan Zorgati
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Fabio Haebel auf seinem Lieblingswochenmarkt in Syrakus/Sizilien. Alle Fotos: Timon Koch/Brandstätter Verlag

Fabio Haebel ist einer dieser kulinarischen Tausendsassas, an denen man heutzutage kaum noch vorbeikommt. Wer den Wahl-Hamburger kennt, weiß um seine absoluten Networking-Qualitäten und wie multiperspektiv er unterwegs ist.

Jetzt hat er sein neues Kochbuch „It’s Market Day – Die angesagtesten Märkte Europas“ herausgebracht, inspiriert von Wochenmärkten auf dem ganzen Kontinent. Unser Autor Jan Zorgati hat Haebel zum Gespräch im Rohbau des alten und bald wieder neu eröffnenden Restaurants „hæbel“ getroffen. 

Fabio, mittlerweile bist du seit zehn Jahren in der Hansestadt und seitdem ist sehr viel in deinem Leben und beruflichen Werdegang passiert. Aber wie bist du dazu gekommen, Kochbücher zu schreiben?

Ein Kochbuch zu schreiben, war schon immer ein Traum von mir. Als ich noch in Freiburg gewohnt habe und in der Ausbildung war, habe ich nach der Arbeit einfach den Fernseher angeschaltet und mich berieseln lassen. Hier habe ich den Stein des Anstoßes gefunden: Jamie Oliver. Er hat damals etwas dargestellt, das es so noch nicht gab und mir vollkommen neu war. Seine unkonventionelle Art, beispielsweise Mozzarella zu zerrupfen anstatt ihn in Scheiben zu schneiden und die Kreativität, mit der er seine Gerichte erstellt und sie präsentiert, das war schon cool. Als ich dann noch sah, dass er auch noch Kochbücher schreibt, war der Gedanke dazu geboren.

Dein erstes Buch, „Kochecht“, kam Anfang 2015 auf den Markt. Wie denkst du heute über dein Erstlingswerk?

Heute bin ich der Meinung, dass ich mit meinem ersten Buch sogar noch ein Jahr hätte warten können. Es ist zwar immer noch ein gutes Buch, auf das ich sehr stolz bin, aber ein bisschen mehr Zeit in ein solches Projekt zu stecken, hätte sicher nicht geschadet. Bei „It’s Market Day“ habe ich mir von vorne herein mehr Zeit genommen. Deswegen würde ich das Buch als deutlich reifer als das erste bewerten.

Wie schwer war es damals für dich, das Projekt auf die Beine zu stellen?

Ich dachte wirklich, dass so ein Buch weniger Arbeit erfordert. Aus der Sicht eines Kochs ist es erstmal nur Recherchieren, Kochen und Rezepte schreiben – das machen wir ja sowieso jeden Tag in den Küchen. Der Teufel steckt jedoch im Detail. Das Foodstyling für die Fotos zu machen, genau zu überlegen, welche Zubereitungszeit die Leser benötigen, welcher Schwierigkeitsgrad hinter jedem Rezept steckt und alles einheitlich zu gestalten, ist mindestens genauso viel Arbeit, wenn nicht mehr.  

Was war die Idee hinter deinem ersten Buch?

Mir war es damals extrem wichtig, den Lesern zu zeigen, woher Nahrungsmittel eigentlich kommen und wie sie hergestellt werden. Dass es mehr ist als nur einfach die Verpackung im Supermarkt zu sehen und danach seine Kaufentscheidung zu treffen. Viele werden sich daran erinnern, welchen Shitstorm Tim Mälzer damals losgetreten hat, als er das Foto mit dem Schweinekopf gepostet hat. Den Meisten ist Fleisch eben nur recht, wenn sie es schon als Endprodukt wie Wurst oder Schinken auf den Tellern haben. Das zeigt aber nicht, wo das Fleisch herkommt und wie man respektvoll mit Tieren umgeht. Ein Tier zu verarbeiten, bedeutet mehr als nur Wurst und Filet daraus herzustellen. Es ging mir vor allem darum, „echt“ zu kochen und zu zeigen, wo der Unterschied zwischen Supermarktware und handwerklich erzeugten Produkten liegt. Wir in Deutschland kaufen einen Grill für Tausend Euro und legen eine Wurst für 80 Cent drauf. Es geht aber auch anders.

Jetzt kommt dein zweites Buch mit dem Titel „It’s Market Day – Die angesagtesten Märkte Europas“ auf den Markt. Wie ist es zu diesem Thema gekommen?

Die Leitidee war es zu zeigen, wie viel Märkte zum Leben einer Stadt beitragen. Märkte sind für die Stadt wie die Küche auf einer Party – der Ort, an dem sich die Leute am Ende treffen. Die Geschichte der Märkte hat mich schon immer beeindruckt. Wo kommt der Markt her, warum gibt es diesen einen Marktplatz? Ein überaus spannendes Thema, vor allem wenn man sich die Vielfalt der regionalen Produkte anschaut. Leider fehlen mir solche Märkte in Hamburg und auch generell in Deutschland.

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Fabio Haebel beim Fischeinkauf in Madrid

Wie ist die Auswahl der Märkte entstanden?

Entstanden ist das Ganze auf Sizilien, wo der Markt der wichtigste öffentliche Treffpunkt ist. Es gibt hier nichts anderes, auf der Halbinsel Ortygia findet man nicht einmal einen Supermarkt. Der Markt hat jeden Tag offen und dieser persönliche Kontakt zu den Händlern ist ein ganz anderes Einkaufserlebnis. Nach diesen Kriterien haben wir auch die anderen Märkte ausgesucht: Sie mussten für ihre Stadt oder Region etwas ganz Besonderes darstellen.

In Deutschland hast du dir die Berliner Markthalle Neun ausgesucht. Was unterscheidet diesen Markt zu anderen guten Märkten wie beispielsweise dem Viktualienmarkt in München?

Einer der wichtigsten Aspekte, den ich mit dem Buch aufzeigen wollte ist, diese unglaubliche Diversität. Ein Markt unterscheidet sich allein aufgrund der Stadt, der Region oder des Landes sehr von jedem anderen. Die „Markthalle Neun“ war für mich das perfekte Beispiel für einen Markt der Zukunft, der aber gleichzeitig sehr klassisch und historisch ist. Die Mischung aus Lebensmittelmittelverkauf und dem neudeutschen Wort „Streetfood“ gibt es in dieser Form nicht noch einmal in Deutschland. Ich hoffe und ich glaube fest daran, dass die Entwicklung der „Markthalle Neun“ noch lange nicht beendet ist und sich das Konzept der kleinen Manufakturen und Streetfood-Stände weiter ausbreitet, so dass auch der Aldi irgendwann seine Pforten dort schließen wird.

Glaubst du, dass die Marktkultur speziell in Deutschland wieder eine Zukunft hat?

In Deutschland sind wir hier, wie auch in vielen anderen Dingen – die Burgerkultur mal als Beispiel genommen – viel später dran als anderswo auf der Welt. Es liegt nicht daran, dass wir als Köche nicht innovativ sind oder man uns als eine Kopiernation abstempeln könnte, vielmehr ist es der extremen Vorsicht der Deutschen geschuldet. Gerade bei Märkten ist ein Hype zu beobachten, egal ob der New Yorker „Farmers Market“, der „Neighbourgoods Market“ in Johannesburg oder der „Quarter Market“ in Melbourne: alles Orte die an sieben Tagen in der Woche überrannt werden. Jeder, der neu in einer Stadt ist, sollte eigentlich als erstes auf einen Markt gehen, um den „Vibe“ der Stadt ganz und gar zu erfassen. Hier siehst du, wie die Leute drauf sind, wie die Stimmung ist – ein Spiegelbild der Gesellschaft.

Gibt es in deinem Buch einen Markt, der für dich ganz besonders herausgestochen ist?

Die Idee zu dem Buch ist wie eingangs gesagt auf Sizilien entstanden. Diesen Markt kenne ich einfach schon am längsten und es ist der emotionalste für mich, weil mich die Händler hier schon mit Namen begrüßen. Das ist schon etwas ganz Besonderes für mich. Aber der Markt, der am meisten mein Lebensgefühl getroffen hat, war der „Marché d´Aligre“ in Paris. Es ist einer der kleinsten in der Stadt, aber sehr speziell. Es ist wie eine Momentaufnahme: Ich habe morgens um sieben spontan entschieden, auf diesen Markt zu fahren, weil ich ihn mir für das Buch anschauen wollte. Als ich gerade aus dem Taxi gestiegen bin und mich zur Orientierung ein paar Mal um mich selbst gedreht habe, wurde ich erst einmal von einem Händler umgeschubst, der mit einer halben Rinderhälfte auf der Schulter angelaufen kam und mich auf Französisch beschimpfte. Als ich dann wieder bei mir war, habe ich bei einem Kaffee angefangen, mit einem älteren französischen Herrn Backgammon zu spielen und wir haben kein Wort voneinander verstanden. Trotzdem war dieser Moment sehr schön und speziell. Jeder, der dort hingeht, wird sicherlich einen ähnlich schönen Eindruck wie ich bekommen.

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Einkaufen und Genießen auf dem „Marché d’Aligre“ in Paris

Was war für dich das Wichtigste an dem Buch: die Rezepte oder die Märkte?

Für mich ist es mehr als ein Kochbuch, es ist eher eine Mischung aus Reise-, Kultur- und Kochbuch. Ich möchte zeigen, wie viele Möglichkeiten einem die Märkte bieten. Es ist toll, auf diese Art und Weise am Leben einer Stadt teilzunehmen. Gleichzeitig soll es auch Lust machen und dazu einladen zu sagen: „Hey, lass uns doch heute mal auf den Markt gehen und etwas Tolles kochen!“

Was sagst du zu dem „Trend“, dass es zu jedem noch so kleinen Thema ein Kochbuch gibt und jeder sich befähigt fühlt, eines zu schreiben?

Wie auch bei mir selbst, wünsche ich mir, dass man sich, bevor man den Plan ergreift, sein erstes Buch zu schreiben, mehr Zeit nimmt und gründlich recherchiert, was die Themen sein könnten und wo die Nischen liegen. Leider muss man sagen, dass Kochbücher mit diesem anhaltenden Trend immer mehr zu Coffee-Table-Books werden, als dass wir sie wirklich nutzen. Dem gegenüber stehen jedoch auch Bücher, bei denen Menschen ihr ganzes Herzblut hineingesteckt haben. 

Du hast gerade dein Restaurant „Tarterie St. Pauli“ umbenannt und wirst es unter neuem Namen nach der Renovierung neu eröffnen. Wie kam es zum neuen „hæbel“?

(lacht) Es war eigentlich eine logische Entscheidung. Viele Gäste die uns vorher nicht kannten, sind nicht zu uns gekommen, weil sie dachten, dass wir nur Tartes servieren. Auf der anderen Seite gab es aber auch solche, die dachten, dass wir nur Tartes servieren und diese mussten wir dann enttäuscht nach Hause schicken. Ich freue mich jetzt extrem, das mein Restaurant auch meinen Namen trägt und wir hier tolle skandinavisch-französische Küche in fünf Gängen anbieten können.

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„Auf dem Markt siehst du, wie die Leute drauf sind, wie die Stimmung ist – ein Spiegelbild der Gesellschaft.“

Momentan machen in Hamburg viele neue Restaurants auf, deren Küche sich ähnelt. Wie gehst du mit der Konkurrenzsituation um?

Viele von denen, die neue Restaurants aufmachen, sind ehemalige Kollegen oder sogar Freunde. Man kennt und man schätzt sich. Und auch wenn die Küchenstile sich zunächst einmal ähneln, so bringt doch jeder seinen ganz persönlichen Stil ein und setzt ganz andere Schwerpunkte in den Menüs, so dass es am Ende nicht vergleichbar ist. Bei uns ist es 80 Prozent französische Küche und das Nordische besteht eher darin, dass wir versuchen, die Opulenz, die der französischen Küche anhaftet, zu reduzieren. Am Ende ist Hamburg auch groß genug für so viele und sogar noch mehr gute Restaurants.

Die aber alle Personal benötigen. Warum ist es aus deiner Sicht gerade in der Küche so schwer, gute Leute zu finden?

Man sagt, dass ein Koch beim Schicken mehr Stress hat als ein Pilot bei der Landung. Das liegt oft an der Gestaltung der Hierarchien in den Küchen. Der Koch hat keine Angst vor dem Gast, sondern vor seinem Chef. Das erste, was die deutschen Küchen und die Altmeister ablegen müssen, ist dieser künstliche Druck. Auch heute werden immer noch Auszubildende in Deutschland misshandelt und das macht viel bei einem jungen Menschen aus. Das Ergebnis einer solchen Entwicklung bekommen wir jetzt alle zu spüren, indem sich eben immer weniger Leute für diesen Beruf entscheiden. 

Wie schaffst du es persönlich, deine verschiedenen Projekte unter einen Hut zu bringen?

Das habe ich durch meinen Restaurantleiter gelernt, der gleichzeitig mein erster Vorgesetzter war. Das Zauberwort heißt Abgeben, man muss Vertrauen in seine Mitarbeiter und Angestellten haben und immer auch einen Spielraum für Kreativität einräumen. Das gibt mir dann die Freiheit und das Vertrauen, mich auch Projekten wie dem Kochbuch, SAT.1 oder Chefkoch.de zu widmen. Aber: An erster Stelle muss immer das Restaurant stehen.

Vielen Dank, Fabio.

 

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It’s market day – Marktfrisch auf den Teller hat 240 Seiten mit 200 Abbildungen und kostet 29,90 Euro. Erschienen im Brandstätter Verlag

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