The swimming chicken: Einblicke in die vietnamesische Pangasius-Zucht

von Redaktion
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Die Aorta Südostasiens: der Mekong

Pangasius kennen wir als gesichtslosen, weil filetierten und grätenfreien TK-Fisch im Supermarkt und der Großverpflegung. Doch wo kommt er her? Wie sieht er aus, bevor er zum Massenprodukt prozessiert wird? Und was ist dran am negativen Image, das er hat? Unterwegs im Mekong-Delta in Vietnam.

Ich fische reichlich unbeholfen eine Gräte aus meinem Mund. Man soll ja auch nicht reden und essen gleichzeitig. Schwierig, wenn es ein Presse-Mittagessen ist, wo es doch viel zu fragen gibt. Das findet auf einem schmucken Restaurantschiff auf dem Mekong im Süden Vietnams statt. Es ist heiß, drückend, und es gibt unter anderem eine kräftige, fruchtige Fischsuppe mit Pangasius – nicht als Filet, sondern im Ganzen. So, wie man ihn entlang des Mekong traditionell isst. „Pangasius hat Gräten“, sagt Herr Tai. Er ist Deputy General Director von „Aquatex Bentre“, einer mittelgroßen Pangasiuszucht und -fabrik am Fluss, und lächelt mich an.

Der Fisch ohne Eigenschaften

Das mit den Gräten kann einem schon mal entfallen bei diesem Fisch. Denn so, wie man ihn in der Regel antrifft, könnte man glatt glauben, er habe keine: Pangasius kennt man in Europa praktisch ausschließlich als Filet. Tiefgefroren, aus der Plastiktüte, einzeln entnehmbar. 100% grätenfrei. Ein Fisch ohne fischigen Geruch, ohne ausgeprägten Geschmack. Das macht ihn besonders bei Kindern beliebt. Pangasius wird in der Branche als „the swimming chicken“ bezeichnet, weil die Abwesenheit von Geschmack ihn so vielseitig einsetzbar macht.

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„Added Value“ ist der neue Trend: Pangasius mit individuellen Würzungen

Zwei Tage zuvor, auf der Fachmesse „Vietfish 2015“, konnten wir uns davon überzeugen. So genannte „added values“ sind der Trend der Stunde im Panga-Business: Wurde bislang vor allem das nackte Filet exportiert, präsentierte man dort Tiefkühlfisch in verschiedenen Fertigwürzungen wie „Malaysian Curry“, „Teriyaki BBQ“ oder „Tuscan Garden“. Mach dir deinen Panga, wie du ihn willst.

Zurück an den Mittagstisch auf dem Mekong. Warum sitze ich hier überhaupt und werde mit Infos über Pangasius und Pangasius in der Schale gefüttert? Der vietnamesischen Fischverband „VASEP“ hat eingeladen, nach dem Motto „Schau es dir selbst an, das Panga-Business“. Das ist ungefähr so, als würde der Verband der Fleischwirtschaft einen einladen, mal einen Schlachthof in Südniedersachsen zu begutachten. Nicht so einen, wo die namentlich bekannten Tiere mit Lächeln ins offene Messer laufen, sondern einen, wo täglich Tausende Schweine aufgeschlitzt und im Nu verarbeitet werden. Die recht idyllischen Teiche von Herrn Tais Unternehmen „Aquatex Bentre“, die direkt am Fluss liegen, zeigt man uns ebenso wie die alles andere als idyllischen Produktionshallen der „Hoang Long Company“.

„Westliche Konsumenten wollen helles Fleisch“

In denen wird binnen weniger Laufmeter das „raw material“, wie der lebende Fisch hier genannt wird, zu TK-Ware prozessiert: Der Fisch wird gewaschen, dann mit einem Stechschnitt getötet. Warum man diese – aus westlicher Sicht rabiate – Tötungsmethode wähle, statt eines Herunterkühlens des Fisches mittels Eis, wie – aus westlicher Richtung – so oft gefordert, fragt jemand aus der Blogger- und Journalistenrunde den Vizepräsidenten des Unternehmens, Herrn Dat. „Weil der westliche Konsument gerne weißes Fischfleisch will. Tötet man den Fisch wie wir es tun, entweicht das ganze Blut und der Fisch wird weiß. Beim Töten durch Herunterkühlen bekommt er eine rötliche Farbe. Das wird dann aber nicht gekauft.“ Als Industrie stecke man da in einem Dilemma, sagt er.

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Menschen statt Maschinen: die Hoang Long Fischfabrik am Mekong

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Pangasius-Filets, verpackt für Edeka Deutschland. Endpreis: 2,49 Euro für 500 Gramm

Die Pangasien werden dann entgrätet, filetiert, gewogen und klassifiziert, dazwischen immer wieder gewaschen, schließlich vorgefroren, gefroren, überprüft und verpackt. In der laufenden Schicht verschwinden die Filets in Packungen für Edeka Deutschland, Eigenmarke „gut und günstig“, Ladenpreis rund 2,49 Euro für 500 Gramm. 300 Euro im Monat verdienen die Mitarbeiter in der Fabrik, die wir angeschaut haben, 200 davon fester Lohn, der Rest leistungsabhängig. Gearbeitet wird an sechs Tagen pro Woche, acht Arbeitsstunden am Tag, und es gibt pro Jahr 14 Urlaubstage.

„Dass man Pangasius maschinell nur sehr schwierig entgräten kann und es deswegen händisch tun muss, stellt in Asien wegen der geringen Lohnkosten kein Problem dar“, erklärt Fisch-Experte Michael Wickert aus Berlin. Er macht die Fischräucherei „Glut und Späne“ in der „Markthalle IX“, wo auch der „Street Food Thursday“ stattfindet. Wickert ist diplomierter Fischereiwissenschaftler und hat eine große Forellenzucht in der französischen Picardie gemanagt. „Pangasius hat auch den Vorteil, dass er auch über die Haut atmen kann. Man kann ihn deswegen in sehr engem Besatz halten. 400 Kilogramm pro Kubikmeter sind in Asien keine Seltenheit. Das ist das 20-fache des in der EU erlaubten Besatzes.“

Und noch ein Vorteil: Er frisst günstig. Wickert: „Das Teuerste an der Fischproduktion ist das Fischfutter, der Preis dafür ist in den letzten Jahren drastisch gestiegen. Beim Pangasius kann man statt Fischmehl auf pflanzliche Alternativen wechseln, weil er pflanzliches Protein besonders gut verwerten kann. Soja, Erbsen, Linsen und Sonnenblumenöl sind deutlich billiger als Fischöl.“

Das große Panga-Business

Mit diesen Vorteilen erschwamm sich der Pangasius, einst nur einer von vielen im Mekong schwimmenden Fischen, dem keine besondere Beachtung zuteil wurde, in den 1990er-Jahren die Pole Position, wurde zum Exportschlager Vietnams. 90% der weltweiten Produktion dieser Welsart findet hier statt. 1,8 Milliarden US-Dollar Umsatz machte Vietnam mit einer Milliarde Tonnen Pangasius im vergangenen Jahr. Das ist rund ein Viertel des Gesamtumsatzes der Fischproduktion des Landes. Vor 40 Jahren hatte Vietnam insgesamt vierzig Fischfirmen. Heute, nach der Privatisierung der staatlichen Unternehmen des kommunistischen Landes, gibt es davon 500. Das große Pangasius-Geschäft findet rund um den Mekong statt, wo die Fische in künstlich angelegten Teichen gezüchtet werden. Das Wasser kommt aus dem Fluss.

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Ein Teich von „Aquatex Bentre“

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Bei der Fütterung sind wir „an Bord“

In Europa geriet der Panga-Import-Boom der Nuller-Jahre zuletzt kräftig ins Stocken: Um rund ein Drittel schrumpfte die Menge von 2010 bis 2013. Irgendwann während der Reise fällt der Begriff „Panga-Bashing“. Damit sind die negativen Berichterstattungen gemeint, die vor allem in Deutschland über die Zucht- und Produktionsbedingungen am Mekong veröffentlicht wurden, unter anderem die NDR-Dokumentation „Die Pangasius-Lüge“ aus dem Jahr 2011.

Dass die Doku bis heute immer wieder ausgestrahlt wird, mißfällt Esther Lüthen, Senior Commercial Marketing Manager der NGO „Aquaculture Stewardship Council“: „Die Situation hat sich längst verbessert. Unabhängige Überprüfungen ergeben, dass es zu immer weniger Vorfällen kommt“, erklärt sie uns beim Gespräch auf der Fischmesse. Damit meint sie, dass einige Hersteller mittels Phosphat Wasser in den Fisch gepumpt haben, um das Einwaage-Gewicht einer Packung künstlich zu erhöhen (das aufgetaute Ergebnis verwässert dann den Sud in der Pfanne). Und dass die Tiere mit Antibiotika (eine auch in der Fleischindustrie gängige Praxis) als „Nahrungsergänzungsmittel“ gefüttert werden, um die Population in den Teichen gesund zu halten. Und dass das Wasser aus den Teichen, das dem Mekong entnommen wird, ungeklärt in den Fluss zurückgeleitet wurde.

Ein Logo als Zwischenschritt

Das alles ist passiert, und es wurde reagiert: 2012 wurde das „ASC-Logo“ eingeführt, das findet findet sich mittlerweile auf vielen Pangasius-Packungen, auch auf der für den deutschen Supermarkt produzierten Charge. Fischproduzenten, die in Europa noch was reißen wollen, brauchen das Siegel, und müssen sich verpflichten, ihr Abwasser zu klären, vereinbarte Sozialstandards einzuhalten, weniger oder bestenfalls keine Medikamente (wie Antibiotika) und Chemikalien einzusetzen und weniger Fischmehl zu verfüttern. Beide Fischunternehmen, die wir besuchen, tragen dieses Siegel und dürfen es auf ihre Verpackungen drucken. Auch Restaurants können das Logo nutzen: Wer Fisch aus ASC- und MSC-Zuchten (MSC ist das Siegel für Meeresfisch) in seinem Betrieb verkauft, kann dafür eine Lizenz beantragen.

pangasius fisch - food-nomyblog The swimming chicken: Einblicke in die vietnamesische Pangasius-Zucht

So sieht er aus, der Pangasius

Doch das ambitionierte Ziel, dass bis Ende 2015 die Hälfte der gesamten Pangasius-Produktion unter ASC-Standards passiert, wird wohl nicht erreicht – zurzeit (Stand Juli 2015) dürfen es gerade mal 40 vietnamesische Betriebe tragen. In Absatzzahlen: 15.000 Tonnen Pangasius nach neuem Standard hat man 2013 in Europa verkauft, letztes Jahr 17.000. Esther Luiten findet die passende Formulierung: „Das ist nicht viel, aber ein Trend entgegen dem rückläufigen Absatz insgesamt.“ Der WWF sieht das Logo, das er mitvergibt, indes nur als Kompromiss, als Zwischenschritt. Und empfiehlt, Pangasius in Bio-Qualität zu kaufen. Damit spricht er für den deutschen Markt eine Kaufempfehlung für genau einen Anbieter aus: Der Pionierbetrieb „Long Xuyen“ züchtet und verarbeitet Pangasius in Bio-Qualität speziell für den zentraleuropäischen Markt. Das Volumen von Bio-Pangasius aus Vietnam laut WWF beträgt bislang dünne 0,2 Prozent.

Pangasius bekommt Konkurrenz von anderen Welsarten

Der Eindruck dieses Besuchs: Man befindet sich in einer Umbruchphase. Man hat schon verstanden: So ging es nicht weiter. Pangasius boomte, wuchs gigantisch, ohne dass jemand groß geschaut hätte unter welchen Bedingungen. Dann bricht der Absatz ein, man identifiziert den Grund – eine Sendung! Man reagiert, führt neue Standards ein, bewirkt Veränderungen und Verbesserungen. Langsam, zu langsam? Will Pangasius im europäischen Markt weiter mitmischen, wird man sich den Aufgaben zügiger stellen müssen. Nicht nur der Konsument ist irritiert, auch die schwimmende Konkurrenz im europäischen Raum schläft nicht. Die Bestände des Seelachs in Nord- und Ostsee haben sich in den letzten Jahren erholt, und nachhaltige Aquakultur, in der u.a. der afrikanische Verwandte aus der Welsfamilie, der „Clarias“, gezüchtet wird, ist zwar klein, aber im Kommen. Nicht nur in der gehobenen Gastronomie beliebt ist die europäische Welsart „Waller“ (der niedersächsische Züchter im Video hinter dem Link hat seine ganz eigene Wasser-Qualitätsprüfung).

Wer füttert die Welt der Zukunft?

Doch auf globaler Ebene sieht das Bild noch mal ganz, ganz anders aus. Fischproduktion in Aquakulturen ist die Zukunft: In 35 Jahren werden sich rund 9,6 Milliarden Menschen leergefischten Meeren in vielen Teilen der Welt gegenübersehen. Fische wie der Pangasius könnten dann ein globaler, günstiger Nährstofflieferant für einen überbevölkerten Planeten sein. Richtig viele „schwimmende Hähnchen“, die dann besser ohne Medikamente auskommen. Und vielleicht findet man ja auch einen Weg, biologisch und fair für alle Beteiligten zu züchten, zu produzieren und zu exportieren.

Übrigens: Der Pangasius in der Suppe, im Ganzen mit Gräten und Haut, den es zu Mittag gab, war recht schmackhaft. Ebenso überraschte die traditionelle Zubereitung des Fisches mit Essig, Knoblauch und Kräutern. Gar nicht so neutral wie der aufgetaute Filet-Kollege. Nach dem Essen sagte mir die Vertreterin der VASEP, Frau Ngan: „Die Menschen im Westen wissen oft gar nicht, wie der Fisch überhaupt aussieht.“ Und dass er Gräten hat.

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Fischsuppe mit Pangasius

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Lecker: Pangasius traditionell zubereitet

Offenlegung: Jan-Peter Wulf ist auf Einladung des VASEP nach Vietnam gereist. Die Reisekosten wurden übernommen. Die Art und Weise der Berichterstattung bleibt davon unberührt.

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