Das neue Casual: Foodtrends vom World Street Food Congress 2017 in Manila

von Jan-Peter Wulf
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Philippinisches Streetfood: Chicken Isaw, frittierter Hühnerdarm. Kross und herzhaft

Streetfood hat sich zu einem globalen Phänomen entwickelt: Inspiriert von den Straßenküchen der Länder Asiens und Amerikas hat es sich seinen Weg auch ins kühle Nordamerika und Mitteleuropa gebahnt. Beim „World Street Food Congress“ auf den Philippinen trafen sich die Protagonisten der Szene, um gemeinsam die Zukunft der Branche auszuloten.

Anfang Juni 2017, ein großer Platz vor einer großen Shopping-Mall. Es ist Abend. An rund 30 Ständen verkaufen Händler ihre Speisen, Schlangen bilden sich, es läuft laute Musik, auf langen Bänken und an Stehtischen wird gemeinsam genossen, es herrscht ausgelassene Atmosphäre.

Das alles könnte so Anfang Juni in Deutschland passiert sein, Streetfood-Events finden schließlich jedes Wochenende irgendwo statt. Dieses jedoch in Manila auf den Philippinen, die Stände präsentieren Food von Mexiko bis Malaysia und die Händler sind von weit her angereist. Es gibt Tostadas mit Schweinefuß und schwarzen Bohnen aus Mexiko, das Philippinen-Streefood Nummer eins, frittierter Hühnerdarm gewürzt mit Annatto, vietnamesische Bánh-xeo-Crêpes und ein sensationelles Schweinefleisch-Ei-Pilz-Gericht aus dem Restaurant „102“ Foshan im Süden Chinas, das dank viel Essig und Ingwer den Körper von innen wärmt und von außen kühlt. Man muss, nein: Man darf einfach immer weiter und weiter essen.

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Einmal um die Welt futtern: „Street Food Jamboree“ in Manila

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Hawker, Händler und Köche aus aller Welt bereiten beim World Street Food Congress ihre Spezialitäten zu

Was hier in Schalen und auf Papptellern serviert wird, ist größtenteils besser, interessanter, leckerer als das Essen, was in gängigen Restaurants auf den Tisch kommt. Auch der deutsche Beitrag zu diesem straßenkulinarischen Stelldichein kommt sehr gut an bei den asiatischen Foodies: frische Brat- und Currywurst, die das Team um Ulf Tassilo Münch, der eigentlich für seine asiatischen Nudel- und Teigtaschenspezialitäten bekannt ist, mit feinen Gewürzen und einer fantastischen Sauce serviert. Über hundert Kilogramm Equipment, unter anderem bleischwere Wurstfüller, haben er und seine Mitstreiter Fritjof Slüter und Eric Göllner aus der Heimat mitgebracht, um in Fernost das „German heritage street food“ zu zelebrieren.

Professionalisierung und neue Möglichkeiten für Streetfood-Händler

Das alles klingt verrückt, aber ist kein Zufall. Das „Jamboree“, wie dieses große Futtern vor Asiens größtem Einkaufsparadies „Mall of Asia“ heißt, will zeigen und die Zungen erfahren lassen, was in Sachen Streetfood möglich ist. Es ist öffentlicher Teil des fünften „World Street Food Congress“, eines von dem singapurischen Journalisten und Top-Experten für die asiatische Straßenküche KF Seetoh ins Leben gerufenen Treffens der Protagonisten der globalen Streetfoodbewegung.

„Re-Imagine Possibilities“ lautet das Motto 2017. Neben dem großen Foodmarkt gibt es auch ein Fachforum, das tagsüber in einem für Haut und Hirn angenehm gekühlten Zelt auf dem Platz stattfindet. Wie sieht die Zukunft des Streetfoods aus? Darüber diskutieren die Teilnehmer, die ebenfalls aus der ganzen Welt angereist sind, und geben spannende Insights aus ihren Regionen.

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Im Gespräch: Foodexpertin Ruth Alegria aus Mexico City (rechts), Celia Florian Köchin aus Oaxaca (links) und Stefanie Rothenhöfer vom Berliner Food Entrepreneurs Club

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Aus Delhi, Indien: Dalchand, Betreiber des Streetfood-Stands „Mangla Chaat“. Sein Beitrag zum World Street Food Congress heißt „Aloo Tikki“, eine Kartoffelkrokette mit Zwiebeln, Linsen und Gewürzen, Rohkost, süßem Quark, Koriander und Tamarinde-Chutney serviert

Ruth Alegria, eine der renommiertesten Food- und Esskulturexpertinnen Mexikos, zeigt in ihrem Talk nicht nur die enge kulinarische Verbindung zwischen den beiden ehemaligen spanischen Kolonien Mexiko und den Philippinen auf (die berühmten „Tamales“, in Pflanzenblättern eingehüllte Fisch- oder Fleischspeisen, gibt es beiden Ländern), sie berichtet auch von den sehr professionellen „Streetfoodmärkten“ des prähispanischen Mexico City des 16. Jahrhundert: „Diese Märkte hatten Marktleiter und Aufseher, die auf die Hygiene und Qualität achteten“, so Alegria. 

Ein Thema, das aktueller kaum sein könnte: In Indien mit seinen Millionen von Streetfood-Ständen gibt es einen eigenen Verband, die NASVI (National Association of Street Food Vendors), und sie hat bewirkt, das zum Beispiel nahezu alle Händler in der Megametropole Delhi mittlerweile legalisiert und zertifiziert sind. Die Verkäufer – viele von ihnen Analphabeten und mit wenigen finanziellen Mitteln ausgestattet – erhalten Qualitäts- und Hygieneschulungen und Unterstützung, um ihre Produkte mithilfe moderner mobiler Küchentechnik zuzubereiten und zu lagern. Streetfood werde heute auch von Seiten der Regierung als ein zu bewahrendes Element der indischen Kultur angesehen und gefördert, erklärt NASVI-Gründer und Vorsitzender Arbind Singh.

Casual excellence“: Wird Streetfood das neue Vapiano?

Für mich ist es verblüffend zu sehen und zu hören, mit welcher Professionalität und Weitsichtigkeit hier über das Thema Streetfood, bei uns ein erst seit kurzer Zeit boomender Trend, diskutiert wird. Greg Drescher, Leiter des berühmten CIA (nein, nicht der Geheimdienst, sondern das „Culinary Institute of America“) spricht gar von „casual excellence“: Streetfood-Händler besäßen das Potential, die Welt der Casual-Restaurants, die von systematisierten Ketten dominiert ist, kräftig umzukrempeln: Mit schmackhafteren Speisen, authentischen Zutaten und besonderen Zubereitungsverfahren könnten sie die am Reißbrett entstandenen Foodangebote der Großen übertrumpfen, glaubt er – wenn sie lernen, sich durch Storytelling und Selbstvermarktung in der Social-Media-Welt aus ihrer Namenlosigkeit zu heben. „Die Streetfoodwelt braucht Champions und Vorbilder“, so Drescher.

Ein erster Champion dieser Art ist Chan Hon Meng. Der Foodhändler im „Chinatown Complex“ von Singapur erhielt 2016 für seinen Stand, an dem er seit vielen Jahren Hühnchen nach kantonesischer Art brutzelt, einen Michelin-Stern. Eine kleine Revolution! Einen Stern hat auch das „Rhong-Thiam“ des umtriebigen Andy Yang aus Bangkok verliehen bekommen: Yang inszeniert Streetfood-Gerichte Südostasiens und Familienrezepte und hat sie schon nach New York und Dubai gebracht – im Herbst 2017, so erzählt er uns strahlend, eröffnet er ein weiteres Outlet – in Berlin. „Streetfood und Sterneküche eint die perfekte Mise en Place. Beständigkeit ist eine große Kunst“, so Yang. Optimale Vorbereitung, die Verwendung frischer Zutaten und die Fähigkeit, viele Gäste in gleichbleibender Qualität glücklich zu machen, das zeichne einen Sternekoch ebenso aus wie einen Straßenkoch.

Wie sich Streetfood als Restaurant-Konzept spielen lässt, stellt der britische Koch Peter Lloyd beim Livekochen auf der Bühne des Kongresses vor: Das legendäre thailändische Dessert „Sticky Mango“ sublimierte er mit moderner Küchentechnik zu einem wie ein Spiegelei aussehenden Premium-Produkt, welches Topseller in seinem 2016 eröffneten Restaurant in der Coin Street in London ist, und diesem auch seinen Namen gibt. Alle Speisen auf seiner Karte sind Streetfood-Gerichte, und das „Sticky Mango“ ist so erfolgreich, dass Lloyd schon wenige Monate nach dem Start die beiden Geschosse über der Souterrain-Location dazu gemietet und seine Fläche verdreifacht hat.

Nächstes Level: eine globale Streetfood-Akademie

Und bei uns in Deutschland? „Die enorme Bandbreite und Qualität, die Streetfood in Asien zu bieten hat, ist genau das, was wir auch in Deutschland brauchen“, findet Ulf Tassilo Münch. „Streetfood in Deutschland befindet sich im Goldrausch-Stadium. Immer mehr Trucks, immer mehr Stände, aber auch immer mehr Gier beobachtet er. Der Begriff drohe zu verwässern, weswegen er zusammen mit Kollegen aus der Branche an einer Zertifizierung und Klassifizierung arbeitet.

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Frische Bratwurst mit hausgemachter Sauce: Currywurst auf Topniveau in der Hitze Manilas

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das deutsche Team um Ulf Tassilo Münch (3.v.l.) beim World Street Food Congress

Auch auf internationalem Level gibt es Bestrebungen in dieser Richtung: KF Seetoh, der Gründer des Streetfood-Kongresses, umtreibt die Idee einer „World Street Food Academy“ vor – sie soll den Akteuren auf den Straßen und Foodmärkten der Welt Bildungs- und Schulungsangebote an die Hand geben. Nicht nur, um ihren kurzfristigen wirtschaftlichen Erfolg zu sichern, sondern auch, um Streetfood als „kulinarisches Weltkulturerbe“ zukunftsfähig zu machen. Denn so romantisch das Bild der Gar- und Straßenküchen ist: Immer weniger junge Menschen, egal in welchem Land, wollen in diesem harten und nicht selten kargen Geschäft arbeiten, und auch die Verdrängung von den Straßen vieler Städte droht im Zuge der Modernisierung ganzer Stadtteile.

Streetfood: Weiterreichen der Fackel, nicht Festhalten der Asche

Letztlich geht es darum, Streetfood als Erbe zu bewahren – aber nicht museal, sondern lebendig und leidenschaftlich, attraktiv für die nächste Generation. Wie es in praxi funktionieren kann, zeigt das Beispiel von „Martabak“, dem typisch-indonesischen Streetfood, das es in herzhafter und süßer Form gibt: Statt in der klassischen, geschichteten Form wird die süße Variante auf dem „World Street Food Congress“ am Stand von „Martabak San Francisco“ aus Jakarta in Pizzaform präsentiert. Das sieht himmlisch aus und ist am Ende des „Jamboree“ der absolute Topseller. Auf die bunten Toppings und den Instagram-tauglichen, transformierten Look setzen viele junge Konzepte Indonesiens und werden geradezu überrannt, vergleichbar mit dem Erfolg von „Wonder Waffel“ in Deutschland, das es mit seiner Adaption einer Istanbuler Süßspeise von einem kleinen Restaurant in Berlin-Kreuzberg auf rund zwei Dutzend Shops in ganz Deutschland gebracht hat. So wird aus einem kleinen Foodprodukt ein großes Gastro-Business.

Am Ende der eindrucksvollen und kalorienhaltigen Tage in Manila werden auch Pläne für ein deutsch-philippinisches Foodhybrid geschmiedet: Sisig, das philippinische Nationalgericht aus Schweinekopf und -leber, in Form einer typisch-deutschen Bratwurst. Das wäre dann ein schönes neues Beispiel für globalisiertes Essen. 

Mehr Bilder vom World Street Food Congress 2017

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Foodbilder vom WSFC 2017 gibt es hier.

Vielen Dank an Makansutra, Singapur, und das Tourism Promotions Board der Philippinen (TPB) für die Einladung nach Manila, sowie an Ulf Tassilo Münch, der den Kontakt hergestellt und nomyblog für eine Berichterstattung vor Ort empfohlen hat. 

www.wsfcongress.com

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