Food, Beverage, Konzept, Business: 10 Trends und Themen, die uns 2016 beschäftigen werden. Nicht glaskugelig, sondern Gastronomie und Food Trends abgeleitet von dem, was im Vorjahr in der Gastronomie schon zu entdecken war und was daher vermutlich noch stärker und wichtiger wird.
1. Minimalkonzepte
Sie sind das Gegenteil der quasi rund um die Uhr geöffneten All-in-Ones mit einer riesengroßen Speisekarte: Minimalkonzepte beschränken sich auf ein sehr schmales Sortiment mit wenigen Positionen und eine sehr spezialisierte Küchenrichtung (nicht indisch, sondern südindisch, nicht Burger, sondern Wild- oder Taiwan-Burger, nicht Hot Dogs, sondern Bourbon Hot Dogs oder ausschließlich Longdrinks/Highballs oder nur Drinks mit Mezcal und Tequila). Qualität vor Quantität ist oberstes Gebot, Tiefe vor Breite auch. Dem Gast wird die Qual der Wahl erleichtert. Das Leistungsversprechen ist: „Ich habe wenig Auswahl für dich, aber das, was ich dir anbiete, gibt es hier in sensationeller Qualität.“ (Muss man dann natürlich auch halten können). Konzepte dieser Art sind oft, aber nicht immer klein und mit wenigen Plätzen versehen, als Betriebstyp sind sie mitunter dem Imbiss nahe. Viele von ihnen entspringen dem Street-Food-Business (siehe auch Trend 4): Dort wurde an einem oder wenigen Rezepten über lange Zeit getüftelt, die Iterationen wurden live auf Märkten vorgestellt, und wenn das Produkt tragfähig für ein Restaurantkonzept ist, dann bitte. So ein Konzept hat letztes Jahr den „Leaders Club Award“ gewonnen.
2. Naturwein
Erst hat Craft Bier die Gerstensaftbranche kräftig durchgerüttelt. Jetzt ist die Weinwelt dran. Die ist freilich weniger von großen Konzernstrukturen (gegen die Craft Bier ja „rebelliert“) durchzogen, aber von geschmacklichen Standards und Normen. Die Produzenten von Naturwein oder Vin Naturel brechen diese auf, indem sie den Wein „leben lassen“, nicht oder kaum schwefeln, er darf nachgären, es wird biodynamisch ohne Chemie, dafür mit Esel zwischen den Weinstöcken, produziert. Ergebnis sind Weine, die oft trüb sind, orangefarben, die besondere und mitunter seltsame Geschmacksbilder aufweisen: Joghurt, Sauerkraut, Kuhstall. Warum es kein Freakdingen, sondern ein Thema für die Gastronomie ist? Weil der Wunsch nach besonderem Geschmack, nach Neuartigem, nach Andersartigem die Foodwelt längst erobert hat, warum sollte er vor dem Wein (zumal als Speisenbegleitung) halt machen? Vin-Naturel-Bars wie das „Maxim“ in Berlin stehen an der Speerspitze des Trends, neue Weinbars nehmen die besonderen Weine ins Sortiment auf. Proppevoll war´s auf der Naturweinmesse „RAW“, die im November 2015 erstmalig in Berlin stattfand. Stehen wir hier also am Anfang eines „tipping point“ für die Weinbranche, wie wir ihn im Bier-Bereich schon erlebt haben? Mehr zum Thema hier.
3. Brunch reloaded
„Eine Scheibe Käse, eine Scheibe Wurst. Dazwischen ein Stängelchen Petersilie oder ein Tomatenachtel. Und obendrauf eine Silberzwiebel. Im Hintergrund Chill-Out-Musik. Die Leute aßen und aßen. Ihre Augen glänzten vor Appetit. Ab Mittag wurde das Angebot um Quiches, Croques, Suppen, Salate und ein vegetarisches Pastagericht ergänzt. Brunch as brunch can. Nachmittags Saisonkuchen, der passt immer noch rein.“
Heinz Strunk, „Die Zunge Europas“
Brunchen, dieses Hybrid aus Breakfast und Lunch (und Kaffee), ist Völlerei. All-you-can-eat bis man platzt. Dann heim aufs Sofa, Tatort. Beliebt, allgegenwärtig, aber so richtig mit Stil selten. Es geht auch anders: Zuerst tauchte das Food-Event „Papi Crunch“ im „Parker Bowles“ Berlin auf. Brunchen à la carte, mit exquisiten Speisen wie den mexikanischen „Huervos Rancheros“ oder Bananen-Walnuss-Pancakes. Das „Geist im Glas“, die „Beuster Bar“ (mit eigenen Cocktails wie einer grünen Bloody Mary für den Samstags-Brunch), der „California Breakfast Slam“, oder, trägt´s schon im Namen, die Eventreihe „Das Brunch“ in verschiedenen Berliner Locations, der sonntägliche „Brunch-Pop-Up“ des Burger-Foodtrucks „Bunsmobile“ im Café-Restaurant „L´Eustache“ mit herzhaftem Frühstück-Mittagessen – alles Ansätze, Brunch sexy zu machen, mit Eventcharakter und hochwertigem Angebot. Für das am Ende mehr bezahlt wird als 9,50 plus ein Kaffee.
4. Zweistufige Gastronomie-Gründung
In einem Satz: Früher wurde eröffnet und gebetet, dass das Konzept aufgeht, dass Gäste kommen und dass es ihnen schmeckt, heute testet man das, worum es im Zentrum geht – das Food – in vivo vorab, auf Streetfood-Märkten und auf Events, als „proof of concept“.
In mehr Sätzen und mit Beispielen: hier.
5. LieferSERVICE
Ist Delivery das neue Couponing? Werden die Gastronomen Foodora und Deliveroo bald so „gerne“ haben wie einst Groupon (das in Berlin übrigens quasi-dichtgemacht wurde)? Kürzlich erschien ein Beitrag, der zu Tage brachte, was den Gastronomen an Provisionen abgezogen wird, wenn sie einen Bestelldienst nutzen. Auch ich habe schon von Provisionen von 35% gehört! Das ist sehr viel Geld. Viel Geld kostet es übrigens auch den Gast, nämlich fast immer eine Bestellgebühr von zwei bis drei Euro, die auf den normalen Speisenpreis oben drauf kommt. Viel Geld dafür, dass man nicht in den Genuss des „dritten Ortes“ des Restaurants gelangt, sondern von einem Radfahrer das mehr oder minder warme Essen an die Tür geliefert bekommt. Belieferung ist Bequemlichkeit. Damit es aber für die Gastronomie als Zusatzgeschäft attraktiv ist und „der Gast zu Hause“, wenn schon nicht den Ort, dann aber zumindest die Qualität aus dem Restaurant genießen darf, muss eine Schippe drauf (darf ich nach mehrfachen Bestellungen behaupten): Lieferfähige Speisen identifizieren, nicht alles macht Sinn. Konzepte wie „Stadtsalat“ oder „Eatclever“ erscheinen mir da einen Schritt weiter zu sein. Besondere „delivery only“-Positionen könnte man möglicherweise außer Haus anbieten, solche, die es im Restaurant gar nicht so gibt. Eine gastronomische Darreichung, keine 08/15-Aluschalen. Gebrandete Servietten. Vielleicht ein handgeschriebenes „Dankeschön“ auf einer beigefügten Visitenkarte. Nebst Angebot, bald mal selbst vorbeizukommen. Oder ganz andere Arten von Liefern (wie in diesem Beispiel, wo der Gast ins Restaurant „geliefert“ wird). Mein Tipp: Lieber einige wenige Speisen anbieten, die auch bei Kälte per Fahrrad gut geliefert werden können, diese gut kalkulieren und ansehnlich verpacken. Und selbstbewusst mit den Diensten verhandeln. Service wird bei euch großgeschrieben? Dann BITTE.
6. Netzwerk-Gastronomen
Das Bild des „Ellenbogen-Gastronomen“, der mürrisch zum Wettbewerber-Nachbarn rüberblickt, sich nicht in die Karten blicken lässt, hat ausgedient. Es rückt eine junge Gastronomen- und Foodgründer-Generation nach, die mit (sozialen) Netzwerken aufgewachsen ist und verstanden hat, dass die Summe größer ist als die einzelnen Teile, gemeinsam sind wir stark und so. Es gab 2015 zahlreiche Networking-Events von den „FEC Tuesdays“ des „Food Entrepreneurs Club“, die jetzt nach einem halben Dutzend Terminen in Berlin auch in München stattfinden, über den „Gastro-Gründertag“ und die „Gastro Startup Sessions“ oder die „Street Food Convention“ in Nürnberg bis hin zu völlig informellen Meetups. Man tauscht sich stärker aus, hilft sich mit Material und Personal, veranstaltet gemeinsam Events, macht „Takeovers“ und „Gastschichten“. Das kannte ich bislang nur aus der Barszene. Schön!
7. Obstbrand (ist der neue Gin)
Jepp. Williams-Christ-Birne, Himbeergeist und Co. kommen. Nicht ins Barfach im Laminat der Großeltern oder das gutbürgerliche Restaurant, sondern in die Gläser der Trend- und Szenegastronomie. Glaub ich fest dran. Die „Made in GSA Competition“ hat der Freiburger Alexander Mayer 2015 mit einem Drink aus Roter Williamsbirne und Buttermilch (ja, Buttermilch) gewonnen. Bei einer Roadshow eines Traditions-Obstbrenners konnte ich mich von den gemixten Qualitäten selbst überzeugen. Gin und Tonic – schön und gut. Aber mit feinen Destillaten aus Obst, zum Drink verarbeitet, kommt Heimisches ins Glas, und das ist doch im Trend beim Essen, warum nicht beim Trinken? Ich bin sehr gespannt, wie es hier weitergeht. Brände im Drink gibt’s z.B. in der Berliner Bar „Lost in Grub Street“, und hier noch ein Hörtipp zum Thema.
8. Social F&B Business
Social Business kennen wir. Dass ein Teil des Umsatzes des Verkaufs von Essen und Trinken an soziale Projekte gespendet wird – Elefanten, Regenwaldgrundstücke, Aidshilfe etc., wissen wir auch. Diese Konsumgüter aber überhaupt zu verkaufen, um damit ausschließlich Geld für Gutes zu erwirtschaften, das öffnet ganz neue Räume und Dimensionen. „Viva con Agua“ aus Hamburg oder das Bier „Quartiermeister“ (mein Interview mit dem Jung-Braumeister zur Idee dahinter hier) zeigen: Man kann in den Regeln der profitorientierten Wirtschaft agieren und damit einen sozialen Mehrwert schaffen, nämlich bares Geld für Projekte. Nicht zu knapp. Das Spirituosen-Projekt „Refugin“, im Herbst 2015 binnen weniger Wochen hochgezogen, hat in drei Monaten 12.000 Euro Spendensumme für die Münchener „SchlaU-Schule“ erwirtschaftet, „Quartiermeister“ 17.000 Euro. „Viva con Agua“ seit seinem Bestehen sage und schreibe 4,5 Millionen Euro. Ist ein globales Social-Beverage-Brand undenkbar? Oder eine Restaurantkette, die alles, was übrig bleibt, als Spende weitergibt? Einen Club, der das tut, den gibt es immerhin schon. Da wird mehr kommen.
9. Selbstgrill-Restaurants
Ein kleiner, feiner Trend: Restaurants, in denen die Gäste einen Teil der Zubereitung (also auch: Arbeit) selbst übernehmen, weil es ein Erlebnis ist. Grillen scheint sich besonders gut dafür zu eignen: Der neue Hipster-Koreaner „Ssam“ mit Tischgrill-Barbecue ist ständig gut gefüllt, die japanische Variante bietet das „Ushido“. Cem Tanriverdi, der Betreiber des ebenfalls 2015 eröffneten, modernen türkischen Restaurants „Fes“, bei dem auch Tischgrills im Zentrum stehen, sagt: „Das Fleisch in der Qualität, die wir bieten, roh zu sehen, gibt ihnen (den Gästen, d. Red.) ein anderes Gefühl. Und unsere Gäste sind produktiv, sie haben einen Anteil daran, dass es schmeckt. Das ist eine andere Art des Zusammenkommens.“ Vielleicht ja nicht nur aufs Grillen beschränkt?
10. Sauer Bier
Man könnte ja fast meinen: Craft Bier ist gleich Pale Ale oder IPA. Der kleine Siegeszug der aromahopfigen handwerklichen Biere ist wundervoll, aber für die ganze Kategorie nur als Türöffner in die Welt der Aromatik zu verstehen. Bier kann nämlich auch sauer schmecken, und zwar richtig gut. Die Belgier brauen mit ihrer Geuze schon immer tolle säuerliche Erzeugnisse, ebenso mit der Lambic-Richtung. Die Berliner Weiße braucht keinen Zuckersirup, sondern Sorgfalt und Leidenschaft, um ohne Rot oder Grün ganz fantastisch zu schmecken (und es ist schön, dass kleine Brauer wie Brlo oder Berliner Berg sich hier umtun. Mein Favorit kommt aus Leipzig-Hypezig: Gose. Ein lokales, traditionelles Sauerbier mit Koriander und Salz, dafür wurde sogar eine Ausnahme im Reinheitsgebot gemacht. Ach ja: Das wiederum hat dieses Jahr einen sehr runden Geburtstag, den 500. Was die einen als Anlass zum Feiern sehen, die anderen als guten Zeitpunkt, es in die Kanalisation zu schicken oder zu reformieren. Mal schauen, ob jemand irgendwo 95 Bierthesen an eine Kirchentür nagelt.
… und was ist eigentlich aus den für 2015 orakelten Trends geworden? Haken dran, Fragezeichen oder Germany, zero points? Schauen wir sie uns nochmal an:
1. Futtern, Feiern, domestiziertes Street Food
Ich würde sagen: Haken dran.
2. Verschwinde, Verschwendung!
Neue Ideen für Lebensmittelverschwendung sind aufgetaucht. Zum Beispiel das Restaurantkonzept „Restlos Glücklich“, das nun bald in die Realisierung gehen soll. Aber ein durchgreifendes Gesetz, wie es 2015 in Frankreich verabschiedet wurde (Großhandel darf unverkaufte Ware nicht mehr wegwerfen/unbrauchbar machen, Verschwendung soll bis 2025 halbiert werden) fehlt.
3. Free-From-Foodkonzepte
Joah. War jetzt nicht so die Top-Prognose. Ist vermutlich dann doch kein Alleinstellungsmerkmal, sondern fließt vermutlich/hoffentlich eher sanft in die Karten ein. Was für Gäste umso besser wäre – ohne Sorgen ob eigener Unverträglichkeiten überall was essen können.
4. Craft Bier endlich in der Gastronomie
Neue Craft-Bier-Bars eröffnen monatlich, dazu Spezialitätengeschäfte bzw. Kioske und auch nicht auf Craft Bier spezialisierte Gastronomien nehmen gerne mal ein oder zwei besondere Biere ins Programm auf. Und das auch außerhalb der Metropolen. Es läuft. Haken dran.
5. Marktsondierung und Fachkräftekollaps
Ich hoffe, dass oben genannte Netzwerk-Gastronomie ein Gegentrend zu diesem unschönen Trend ist. Mehr Selbstbewusstsein statt „wer nichts wird“, eine neue Art Gastronomie zu denken und zu leben. Genau deswegen mag ich den Begriff „Food-Entrepreneur“ so sehr, weil er das Reflektierte und Bewusste inkludiert, die es braucht. Oder anders gesagt: Vielleicht macht der Nachwuchs zukünftig immer häufiger lieber selbst ein eigenes geiles Restaurant oder eine Bar auf, statt sich von irgendwem mit Frust und Sorgen im Bauch anscheißen zu lassen. Wiedervorlage 2017.
6. Peru, Peru!
Ich war immer noch nicht im neuen „Chicha“ (übrigens auch ein Beispiel für zweistufige Gründung) essen, fällt mir da ein. Das ist aber auch das einzige Konzept, was mir zu dem von mir wohl als etwas zu schnell zu uns gelangenden Trend in den Sinn kommt. Dass die Küche sensationell ist (und so viel mehr als nur in Limettensaft gegarter Fisch mit ein paar harten Maiskörnern) steht außer Frage, hier ein Hörtipp zum Thema.
7. Cocktails: Tiki & Fancy
Spannend fand ich die Domestizierung des Tiki, die es beim „Bar Convent Berlin 2015“ am Stand von Jägermeister zu erleben gab. Hier wurden übrigens auch die besagten heimischen Obstbrände – und die Rum-Historie Flensburgs, die ziemlich in Vergessenheit geraten ist – in Szene gesetzt. Aber von einer regelrechten Tiki-Welle und der Rückkehr von Fancy-Drinks kann man bislang nicht sprechen.
Mehr Gastro- und Branchentrends für 2016:
Foto: 2016 via Shutterstock
2 Kommentare
Spannende 10 Beispiele, aber auch irgendwie „wie aus der Retorte“. Wir haben vor einiger Zeit mit Partnern in der Elfenbeinküste, also Westafrika, begonnen eine Premiummarke zu kreieren. Auf der Grünen Woche 2017 (20. bis 29.01.) werden wir aus dieser Kooperation ein neues Gastro-Konzept vorstellen. Der Name ist Gouolia Diegonefla (R), ein sehr authentisches aber modernes Konzept mit sehr spannenden Angeboten und einer sehr spannenden afrikanischen Story. Ihr findet Gouolia Diegonefla (R) auf dem Gemeinschaftsstand KEY-GATE in Halle 7.2 C. http://www.key-gate.com
Gouolia steht für einen „heiliger alter Ort“ der Begegnung, der Hoffnung, des Ausgleichs, des Genusses, Fortsetzung der Gemeinschaft!
Vielleicht sieht man sich ja auf der Grünen Woche im Januar, frank
Interessante Ansätze zu den Trends der Gastronomie … mehr Input und der Austausch mit vielen Kollegen und Experten gibt es auf der http://www.intergastra.de