5 Gastronomie-Trends 2022

Die neue Innenstadt, Köstliche Intelligenz, #proggastro, Veganormal und Ghost Kitchen

von Jan-Peter Wulf
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Illustration: Susann Massute

Welche Themen, Trends und Strömungen beschäftigen die Branche im Jahr 2022 und darüber hinaus? Unsere 5 Gastronomie-Trends: Die neue Innenstadt, Köstliche Intelligenz, #proggastro, Veganormal und Ghost Kitchen.

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1. Die neue Innenstadt

Innenstädte müssen nicht nur, damit Gastronomie und Einzelhandel überleben, sondern damit sie insgesamt ihre gesellschaftliche Funktion behalten oder zurückgewinnen, wieder zu „dritten Orten“ werden. Dafür sind auch kommunale Strategien gefragt. 

Dieser Trend wird uns viele Jahre begleiten und wird sich immer weiter entwickeln – er tut es schon längst und die Geschwindigkeit hat seit der Corona-Pandemie noch einmal zugelegt: Das Modell der City/Innenstadt oder, auch kleinere Städte betreffend, der „Fußgängerzone“, kommt an sein Ende. Fußgängerzone – alleine der Begriff! Wie ein Hundeauslauf oder ein Laufstall für Säuglinge, während drumherum der motorisierte Wahnsinn tobt. Der Städtebau der alten Bundesrepublik, mithin auf Automobilfreundlichkeit und viele Parkplätze ausgerichtet, ist nicht mehr zeitgemäß. Zeitgleich nimmt die Bedeutung der Innenstädte nicht nur als Ort der Versorgung ab (die Verbrauchermärkte stehen ja längst auf der grünen Wiese), sondern eben auch für den gezielten Einzelhandelsbesuch. 

Aktuelle Frequenzmessungen in mehreren Innenstädten haben ergeben, dass die Besucher*innenzahlen teils stark rückläufig sind und die Leerstandsquoten im Einzelhandel deutlich zunehmen – zugunsten des zuletzt (2020 um rund ein Viertel, 2021 prognostiziert noch mehr) gewachsenen Onlinehandels, von dem wiederum viele der Klein- und Kleinsthändler jedoch nur marginal partizipieren. Dass vom Rückgang des Einzelhandels auch die örtliche Gastronomie mitbetroffen ist, liegt auf der Hand: Der Kaffee oder der Lunch, der während des Einkaufsbummels eingenommen wird, fällt weg, wenn die Leute zu Hause bleiben und erst der Paket- und dann der Essenslieferdienst klingelt. 

Diesem tragischen Trend zuzusehen, wäre eine Möglichkeit. Eine andere ist, die Innenstädte neu zu denken. „Es wird nicht nur darum gehen, einzelne Straßenzüge oder Plätze einladend zu gestalten, sondern darum, den öffentlichen Raum umfassend neu zu denken und sämtliche urbanen Bereiche mit einzubeziehen. Statt Parkstreifen für Autos und fließendem Verkehr, Sitzgelegenheiten unter Bäumen, Fußgängerzonen oder gastronomisch genutzte Flächen – Aufenthaltsqualität erhöhen und Möglichkeiten für Veranstaltungen schaffen“, wird in diesem Sinne suggeriert.

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Foto: Redaktion

Wie so etwas konkret aussehen bzw. beginnen kann, kann man sich derzeit in München anschauen. Dort definieren hübsche Pop-up-Schankvorgärten den Begriff „Parkraumbewirtschaftung“ neu und verändern den Look von ganzen Straßenzügen. Es gibt schon ein Buch dazu. In New York wurde in der Pandemie das Open Restaurants Program gestartet, das der Gastronomie mehr Straßenland-Nutzung wortwörtlich einräumt – und es soll verstetigt, sprich dauerhaft werden. Auch aus anderen (deutschen) Städten kennen wir diese Entwicklung, wenngleich sie – siehe Berlin, siehe Köln – zum Teil zäh ist und erkämpft werden muss. Aber wo wir gerade in der Domstadt sind: Dort gibt es jetzt eine städtische, zentrale Anlaufstelle für die Gastronomie – das ist gut und sollte Vorbild für andere Kommunen (auch regional-ländliche) sein.

Und natürlich ist das Ganze wesentlich komplexer und langwieriger, als allein etwas mehr Platz zu genehmigen. Es geht um nicht weniger als eine komplette Transformation der Innenstädte hin zu dritten Orten – zu Orten der Begegnung, des Aufenthalts, des Genusses und der Inspiration, neben bestehenden Funktionen wie Arbeiten oder Einkaufen.

Die Stadt Essen – über dem Eingang zur Fußgängerzone am Bahnhof liest man immer noch in großen Lettern „Die Einkaufsstadt“ – hat sich auf den Weg gemacht: Die städtische Marketinggesellschaft entwickelt derzeit zusammen mit einen Projektentwickler ein Konzept zur strategischen Entwicklung der Gastronomie in der City, die dafür in Cluster und Zielgruppen eingeteilt wird. Ziel ist eine thematisch aufeinander abgestimmte Ansiedlung. Man darf gespannt sein, ob und wie das funktionieren wird – derzeit spielt sich nahezu die gesamte Neuansiedlung von Gastronomie entlang der Rüttenscheider Straße im Essener Süden ab.  

Auch ein Instrument ist die Nutzung von Leerstandsflächen – zum schmalen Taler oder gar mietfrei – für die Ansiedlung von kleinen Shops, Gastros oder Mischkonzepten, die dann die Attraktivität der Orte wieder steigern. Das geschieht zum Beispiel in Bremen und in Hamburg, und die IFH Köln hat sogar gleich 14 Städte für die Erschließung sogenannter „Stadtlabore“ in ihrem vom Bund geförderten Ansiedlungsmanagement-Projekt.

Selbige IFH hat im vergangenen Jahr zusammen mit der Metro AG eine (hier kostenlos verfügbare) Studie verfasst, die u.a. mit dieser  Handlungsempfehlung konkludiert: „Eine aktive Förderung der Politik von gezielter Nutzungsmischung auf Seiten der Mieter durch ggf. ein städtisches Vorkaufsrecht oder gezielter Zwischenanmietung für Gewerbeimmobilien kann Abhilfe schaffen, dass auch kleine Gastronomiebetriebe attraktive Standorte mieten können. Gleichzeitig kann eine städtische Vergabeplattform von Gastroflächen Transparenz über den lokalen Immobilienmarkt bieten.“


Gastronomie schafft Erlebnisse, Begegnungen, übernimmt eine wichtige soziale und kulturelle Aufgabe – das ist alles soweit bekannt, doch nun ist es wirklich an der Zeit, diese elementare Rolle auch in der Form Wertschätzung zu eben, dass man Zugänge erleichtert, Räume schafft, den Start fördert (auch finanziell wie es die Stadt Schweinfurt neuerdings tut), zu Gastro-Besuchen mit Gutscheinen motiviert und im Zusammenspiel der zuständigen Einrichtungen, idealerweise unterstützt von Akteur*innen innovativer Stadtplanung, im Sinne des Placemaking neue Gegebenheiten in den Städten, großen wie kleinen, schafft. Dann ist die gastronomische Utopie der F&B Heroes vielleicht schon bald keine mehr, sondern neue Normalität: 

„Die Gastronomie hilft bei der Rückeroberung des innerstädtischen Raums für die Menschen. Die leblosen Konsumhochburgen und Investitionsluftschlösser wandeln sich zu Kulturräumen. Freie Flächen in den Innenstädten werden von Investoren und Immobilieneigentümern aus Eigeninteresse zum Selbstkostenpreis der Gastronomie zur Verfügung gestellt. (…) Dank der Professionalisierung und der neuen Transparenz der Gastronomiebranche entsteht eine enge Zusammenarbeit, die neue Ideen und Modelle hervorbringt. Die Immobilienbranche erkennt, dass Gastronomie der Anker ist und eine wichtige Rolle als Plattform für das Sozial- und Kulturleben einer Stadt einnimmt.“

2. Köstliche Intelligenz

Die Digitalisierung in der Gastronomie schreitet voran: Maschinelles Lernen sowie die Automatisierung von Prozessen sind zwei Themen, mit denen sich die Branche fortan immer mehr beschäftigen wird (müssen). Was das für den „Faktor Mensch“ bedeutet, ist auch eine Frage der Haltung, der Kompetenz und der Ethik. 

Künstliche Intelligenz und Gastronomie: Da läuft es ja manchen eiskalt den Rücken herunter. Und ganz ehrlich, die zurzeit kursierenden Bilder von – unsere Meinung – etwas gruselig designten Servicerobotern, die das Essen an Tische fahren, tragen ein Stück weit dazu bei, wenngleich die Idee, den Service mit selbstfahrenden Tablettwagen zu entlasten, im Prinzip keine schlechte ist.

Aber gehen wir das Thema noch mal ganz anders an: Künstliche Intelligenz könnte hierzulande auch ein Imageproblem haben, weil die landläufige Übersetzung von „intelligence“ aus dem Englischen sich hier eben auf Intelligenz eingeschossen hat. Das Wort, das kennen wir aus Spionagefilmen, heißt übersetzt nämlich auch schlicht und ergreifend „Information“ – und das ist eigentlich, Stand 2022, Anwendungsgebiet Gastgewerbe, viel brauchbarer.

Darum geht es: Mittels digitaler Lösungen dem Betrieb – genauer den Menschen im Betrieb – inFormation gebrachte Daten zur Verfügung stellen, anhand derer Entscheidungen getroffen werden können. Beziehungsweise Vorschläge für Entscheidungen, indem diese digitalen Lösungen „selbstlernend“ vorherige Prozesse auswerten und Prognosen erstellen. Um beispielsweise Bedarfsmengen (Ware, Personal) und Frequenzen zu ermitteln. Dabei zu helfen, Abfälle zu reduzieren und den Betrieb von A bis Z wirtschaftlicher zu machen.

Einige Beispiele: Damit sich (teure) Lebensmittelabfälle vermeiden lassen, guckt eine KI in den Müll. Sowohl das Schweizer Unternehmen Kitro als auch Winnow aus England (eventuell gibt es schon weitere) haben dafür Systeme entwickelt, die mit einer Kombination aus Kamera, Waage und Software das Weggeworfene identifizieren, klassifizieren, wiegen/messen und die im wahrsten Sinne des Wortes versunkenen Kosten berechnen. Sprk aus Berlin richtet sich mit seiner KI wohl eher an Produktion und Handel, ist aber hier dennoch erwähnenswert, weil das Unternehmen zudem aus „geretteten“ Lebensmitteln selbst Produkte herstellt und diese sogar in einem eigenen klitzekleinen Deli verkauft.

Für das bereits genannte Prognostizieren, man kann es auch Forecasting nennen, hat z.B. das Unternehmen Delicious Data aus München eine Lösung gebaut (was Ähnliches gibt es u.a. von Bikky oder Dragontail). Dafür sammelt und interpretiert die KI große Datenmengen, etwa von Verbrauchsmengen in der Vergangenheit zu spezifischen Zeitpunkten wie dem Vorjahrestag, bezieht aber auch aktuelle Faktoren ein, Wetter, Feier- und Brückentage beispielsweise. 

Richtig funky ist Tastewise aus Tel Aviv (ohnehin ist Israel in Sachen Foodtech-Startups ja ganz weit vorne): Mit dessen KI, die ebenfalls eine Big-Data-Analyse vornimmt, können nämlich noch ungeahnte Bedürfnisse zu konkreten Angeboten werden. Tastewise macht das, was wir im ganz Kleinen tun: Speisekarten auslesen und neue Food- und Produkttrends scouten, nur eben zigtausendfach. Gibt es spanende neue Ideen, die man selbst aufgreifen kann? Häufungen in meiner Region, die mir signalisieren, dass ich eventuell auch ein solches Angebot auf die Karte nehmen sollte? Industriespionage vom Feinsten, die aber gar keine ist, die Karten stehen schließlich online. Das Sahnehäubchen: Die KI liest auch „Sentimente“ aus, also Kommentare (positiv wie negativ) zu bestimmten Speisen, die Besucher*innen auf Insta. und Co. hinterlassen haben, sowie sogar Emojis. Soll man Dalgona-Kekse oder die Kaffee-Variante auf die Karte holen? Einen Hard Kombucha? Oder welches regionale Gemüse trendet gerade in meinem Umfeld? Mehr zu den genannten Beispielen und weitere gibt es hier.

Dickschiff Starbucks geht das Thema besonders offensiv an. Unter dem Namen „Deep Brew“ wurde nicht weniger als eine hauseigene KI-Strategie aufgegleist, mit maßgeschneiderten Tools. Man wolle binnen der nächsten zehn Jahre so gut im Thema KI sein wie die Tech-Giganten, sagte CEO Kevin Johnson im vergangenen Jahr. „Deep Brew“ soll dem Unternehmen dabei helfen, seinen Kund*innen persönliche Empfehlungen zu unterbreiten, aber auch mögliche neue Standorte besser zu bewerten. Wer weiß, vielleicht steht der eigene Name bald auf dem Becher, bevor man ihn den Baristas nennt? Auch andere Riesen der Branche arbeiten an solchen KI-Strategien, McDonald’s hat dafür gar ein ganzes Tech-Unternehmen übernommen und verkaufte es nach einer Umsatzverdopplung der Unit an Mastercard weiter. 

Zum Schluss zurück zu den Robotern. Dass sich diese im gastronomischen Servicebereich im größeren Stile durchsetzen werden, dazu fehlt uns aktuell die Fantasie. Doch wir werden sehen, wohin der nicht wegzuredende Mangel an Servicekräften – der Totalschaden mit Ansage – die Branche noch bringt. 

In der professionellen Küche wiederum wird Robotik/Robotertechnik vermutlich viel schneller Durchdringung finden. Erstens, weil solche obskuren Gerätschaften hier weniger die Atmosphäre stören und zweitens, weil sie tatsächlich für Entlastung sorgen und Kopf, Arme und Co. frei machen können für kreativeres Arbeiten, für Ideenentwicklung – und für das, was wir so sehr mögen, nämlich wenn Köch*innen ihr Essen auch selbst und nicht immer nur via Service an den Tisch bringen, mit uns ins Gespräch kommen. Ist es nicht ein schöner, fast etwas demütiger Moment, wenn jemand uns zu kommt und sagt: Hier, das habe ich für dich gekocht?



Ob solche Lösungen dann aussehen werden wie bei Davincikitchen aus Leipzig, wie bei Aitme aus Berlin oder wie bei Goodbytz, auch das wird man sehen. Ob sie mehr auf Ersatz oder auf Ergänzung der menschlichen Kraft hin ausgerichtet sein werden, das auch. Vielleicht werden wir komplett autarke Konzepte bekommen, in denen uns per Knopfdruck ein Roboter ein simples Gericht wie eine Bowl zubereitet – das könnte dann so aussehen. Aber vielleicht auch solche, die als „Cobots“ wirklich auf Assistenz hin ausgerichtet sind und die Finesse der Gourmet-Küche im Sinne köstlicher (oder kulinarischer, wie Dollase es nennt) Intelligenz weiter voran treiben? Und sogar inklusivere Konzepte möglich machen?  

Passender Weise wird das Automatisierungspotenzial in Restaurantküchen auf genau 50 Prozent, also fifty-fifty, prognostiziert – und zwar in der 2021 erschienenen Fraunhofer-Studie FutureHotel – Employee Profiles. Die Autor*innen schlussfolgern zudem: „Das gewünschte Verhältnis von Mensch und Maschine sollte in jedem Betrieb zuerst festgelegt und definiert werden. Hierbei spielen auch ethische Gesichtspunkte eine wichtige Rolle.“ Womöglich zeichnet dafür bald ein ganz neues Berufsbild im Gastgewerbe verantwortlich, die Studie stellt es bereits vor: Robot-Administrator*in: „Neben der Auswahl von Funktion, Design und Service, kümmert er sich um die Anpassung der Roboter an die Hotelkultur (z.B. Sprache, Verhalten, Routinen).“ 

Wie tief KI und Co. bereits heute in unsere Foodwelt eindringen, vom Acker bis zum Teller, beschreibt auf einprägsame Weise das (zu 100% analog lesbare) Buch „Food Code“ von Hendrik Haase und Olaf Deininger. Wir stellen es hier vor.

Und weil der Impact immer tiefer gehen wird, sind umso wichtiger: Information, Einordnung, Beratung, Know-how, eine branchenspezifische „Ethik“ bzw. betriebsinterne Normen für den Umgang mit KI – sowie gezielte staatliche Förderungen von Investitionen, so wie es sie im Rahmen von Überbrückungshilfe, Digitalisierungsprämie und Co. gibt.

3. #proggastro

Bars, Clubs und Restaurants als „safe space“, Achtsamkeit und Gesundheit, Antirassismus und Klimaschutz – und vieles mehr: Immer mehr Gastronomien positionieren sich progressiv und tragen damit im Kleinen zu einer großen gesellschaftlichen Transformation bei. Progressiv zu sein, bedeutet dabei auch, neue Zielgruppen anzusprechen.

Am Tag, bevor dieser Text entstand, besuchten wir ein neues Neuköllner Café-Restaurant. English Breakfast, Pancakes, dazu Drinks vom Gin & Tonic bis zum Bloody Mary – diese jedoch komplett alkoholfrei, ebenso die Biere im Angebot. Warum? Man trinke selbst keinen Alkohol und finde, in Berlin gebe es (was stimmt) wahrlich genug Orte für Drinks mit Alkohol, so die Antwort auf unsere Frage. Niemand soll hier zur Abstinenz bekehrt werden, man macht auch kein großes Bohei drumherum – hier ist es einfach „neue Normalität“. 

Progressiv, finden wir. Und nur ein kleines Beispiel für so viele vorwärts denkende Ansätze, die man zurzeit entdecken kann – nicht nur konzeptuell, um sich vom Markt abzugrenzen, sondern vielmehr dahingehend, dass sich darin gesellschaftliche Veränderungen widerspiegeln. 

Ganz anderes Beispiel: Stillen. In manchen Betrieben geduldet, in anderen zähneknirschend hingenommen, bisweilen hört man sogar von Aufforderungen, den Betrieb zu verlassen. Hausrecht hin oder her: Ein sicherer Ort für Stillende und deren Kinder ist man so natürlich nicht. Die 2021 gestartete Kampagne Breastfeeding welcome gibt Cafés, Restaurants und Co. die Möglichkeit, sich schon an der Tür als ein solcher „safe space“ zu kennzeichnen – Aufkleber weisen darauf hin, dass es hier willkommen ist. Zum Beispiel im „BRLO Brwhouse“ – siehe Foto – und um zu zeigen, dass man ein sicherer Ort für alle Gäste ist, hat das Berliner Brauhaus-Konzept, das kennt man vor allem aus dem amerikanischen Raum, zudem ein Safeword eingeführt. Wer sich nicht sicher und z.B. von einem anderen Gast bedrängt fühlt, kann dieses Wort nennen und bekommt umgehend Hilfe (u.a. wird für eine sichere Heimreise gesorgt).

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Gastronomie als „safe space“: Sicherheitswort und Stillen-ist-willkommen-Sticker

Fragen von Ethnizität und Migration, von Rassismus/Antirassismus werden in der progressiven Gastronomie zunehmend thematisiert, diskutiert und ausgehandelt. So gibt es zum Beispiel den Zusammenschluss Smells Like von Berliner Gastronom*innen, die sich als BIPOC (Black, Indigenous and People of Color) definieren. In den USA formieren sich aktuell BIPOC-Bartender*innen zum, Topname, Ideal Bartender Collective (wie eng die Genese der Barkultur mit Sklaverei und Unterdrückung zusammen hängt, erfuhren wir übrigens bei diesem beeindruckenden Talk im vergangenen Jahr, das Video dazu gibt es hier). 

Vor diesem Hintergrund wird auch die ewige Frage nach Authentizität neu gestellt oder, um es noch komplizierter zu machen, stellt sich die Frage, ob die Frage die richtige ist: Was bedeutet es, als Migrant*in eine Esskultur „mitzubringen“, eine Gastronomie zu eröffnen, Speisen auf den mitteleuropäischen Geschmack anzupassen und dann jetzt, in schon lange globalisierten Food-Zeiten, von weitgereisten Kids zu hören, das sei ja nicht authentisch wie in (Herkunftsland)? Wenn der weiße Dude aus Oldenburg, wie in diesem Podcast von der Berliner Gastronomin (und „Smells Like“-Gründerin Daeng Khamlao recht amüsant beschrieben wird, in einem entlegenen Dorf das Rezept „entdeckt“ (erobert?), nach Europa bringt und damit ein Food-Business startet?

Wem gehört die Pho? Wer schreibt die Rezepte für Kochbücher und wer nicht? Das Thema kulturelle Aneignung dringt damit mitten in die Gastronomie hinein, was ja nur logisch ist, denn Gastronomie ist ein Teil der Gesellschaft. Mit Papaya und Pommes hat der Berliner Tagesspiegel ein Format gestartet, das die kulinarische Vielfalt und Internationalität der Berliner Küche mit Themen wie Klimaschutz, Authentizität/Aneignung und Rezepten zusammen führt – auch vor diesem Kontext ein sehr spannendes Konzept.  

Progressiv und dringend geboten ist auch, Themen wie Gesundheit und Prävention in der Gastronomie in den Fokus zu rücken – zum Beispiel im Bar-Business, wo es besonders viele ungesunde Aspekte (Arbeiten in der Nacht, im Stehen, schwere körperliche Arbeit, schlechte Ergonomie, Rauch, permanente Nähe zu Alkohol) gibt. Hier will z.B. die Initiative und App Healthy Hospo für mehr Achtsamkeit und ein besseres SECS-Leben (Sleep, Eat, Connect, Sweat) sorgen. In Zusammenarbeit z.B. mit den Krankenkassen oder anderen Trägern könnten gastronomische Betriebe noch viel mehr in dieser Hinsicht tun (einige tun es bereits und bieten z.B. Fitness-Kurse bzw. die Kostenübernahme an). 

Im Bereich des Klimaschutzes – dass dieser auch in der Gastronomie ab sofort und für immer ein bestimmendes Thema sein wird, darauf wiesen wir in den Trends 2021 hin – wiederum bietet Zero Foodprint Gastronomien die Möglichkeit, zusammen mit ihren Gästen einen aktiven Beitrag zu leisten, indem ein Prozent des Umsatzes an regenerative, klimafreundliche Landwirtschaft gespendet wird (Offenlegung: Wir unterstützen das Projekt).

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Clubbetreiber Marcel Weber (Schwuz, Berlin) stellte im Sommer 2021 den „Code of Conduct“ vor. Foto: Clubtopia/Marcus Bläsing

Zu einer sehr umfassenden Transformation haben sich mehrere Berliner Clubs 2021 geradezu verpflichtet: Der Code of Conduct, den sie unterschrieben haben, sieht nicht nur Energiesparen und Ressourcenschonung vor, sondern auch „soziale Aspekte wie Reduzierung von Armut, Förderung von Barrierefreiheit, Stärkung von Diversität der Clubgästinnen und -mitarbeitenden, Gleichstellung von Geschlechtern sowie Bekämpfung von Rassismus“. Mehr zum Thema Diversity auch in unseren Trends 2020.

Einen solchen „Code of Conduct“ bzw. eine Selbstverpflichtung hat sich auch das neue Projekt gegen Ausbildungsabbrüche im Gastgewerbe I Love Gastro aus Bad Harzburg auferlegt. Wertschätzung, Honorierung und Weiterentwicklung stellen die zentralen Elemente des Konzepts dar. In der örtlichen Gastro-Szene rund um den teilnehmenden und entsendenden Betrieb verbessert sich der Ruf durch die Verwendung des Qualitätszertifikats I LOVE GASTRO, womit der erste Schritt des Betriebs im Wettbewerb um Fachkräfte getan ist“, schreiben die Initiator*innen um den Gastronomen Alexander Scharf, der in seinen eigenen Betrieben mit einem klar formulierten Playbook die internen Spielregeln des guten Miteinander schriftlich fixiert hat.

In Köln wiederum gibt es mit dem neuen Projekt Gastro 8.0 des Vereins Migrafica e.V. die Möglichkeit, Menschen mit Migrations- oder Fluchtgeschichte und ungeklärtem Aufenthaltsstatus berufliche Perspektiven in der Gastronomie zu eröffnen. Dafür werden berufsbezogene fachpraktische, fachtheoretische und sprachliche Kenntnisse und Kompetenzen vermittelt. Ein Projekt, das sich – ähnlich wie „I Love Gastro“ freilich auch als eine auf Langfristigkeit angelegte Lösung für den immer größer werdenden Mitarbeiter*innen-Mangel in der Branche verstehen lässt.

Passend dazu gibt es mittlerweile eine Vielzahl von „progressiven Produkten“ in der Hinsicht, dass ihr Konsum Gelder schafft, die Gutes tun. Beispielhaft wäre hier nuruCoffee zu nennen: 50 Prozent der Gewinne bzw. mindestens ein Euro pro Kilo verkauftem Kaffee fließen in das eigene Projekt zur Ermächtigung von Frauen in Äthiopien, die auf diese Weise ein eigenes kleines Business starten (und teils gewaltsamen patriarchalen Strukturen entfliehen) können. Quartiermeister oder Viva con Agua wären weitere Beispiele oder Tee aus Myanmar – mit etwas Recherche lässt sich heute wohl schon das halbe Sortiment progressiv umgestalten.

Gesellschaftliche Veränderungen machen vor der Gastronomie nicht halt, und manche Gastronomien setzen sich gar an die Spitze der Veränderungsbewegungen, weil ihre Betreiber*innen Teil der Lösung statt Teil des Problems sein wollen – und ihr Publikum auch. Dies muss keineswegs genuss- oder spaßbefreit sein, sondern ganz im Gegenteil: Mit Verantwortung, ohne Ausblenden gesellschaftlicher Missstände, belässt sich vielleicht sogar mehr genießen. 

4. Veganormal

Was die Spitzengastronomie und hippe urbane Konzepte vorantreiben, sickert immer mehr in den Mainstream durch. Die Gastronomie in der Breite, auch auf dem platten Land, wird schon bald deutlich pflanzenbasierter aufgestellt sein.

Bei der Deutschen Bahn gibt es seit dem 1. Januar 2022 Hafermilch an Bord. Bislang mussten Menschen, die sich pflanzenbasiert ernähren, entweder ihren Kaffee schwarz trinken, sich selbst pflanzliche Milch oder eben gleich das komplette Set mitbringen.

Wenn die Bahn reagiert (es gab einen vielfachen Wunsch danach), kann man wohl sagen:  Pflanzenbasierte, vegane Produkte sind auf dem Weg in die Mitte der Gastronomie. Tatsächlich sind sie, was den Handel betrifft, in der Mitte der Gesellschaft schon fast angekommen – jeder Supermarkt hat heuer ein mehr oder minder umfangreiches veganes Sortiment zu bieten. Vom schnöden Tofu-Schnitzel-Image sind neue Produkte wie von Planted (inklusive Tim Raues veganer Peking-Ente), Bettafish oder Eatplants, um nur einige beispielhaft zu nennen, schon ziemlich weit weg – und Bündnerfleisch aus Pflanzen oder Fleisch aus dem Drucker zeigen, wo die Reise gerade hingeht: Richtung Verfeinerung. Speziell zum Jahresbeginn, eventuell der guten Vorsätze wegen, nimmt die Präsenz veganer Produkte in der Außenwerbung wie im TV gefühlt stark zu. 

Mehr als gefühlt: Im Januar 2022 haben sich Food-Unternehmen ebenso wie Kantinen und Gastronomie-Betriebe dem Veganuary (einer Initiative, die seit 2014 im Januar dazu motiviert, sich mal einen Monat lang testweise vegan zu ernähren) angeschlossen wie noch nie zuvor. Im zweiten Lockdown nahm auch der Anteil veganer Bestellungen einer Studie von Lieferando zufolge massiv zu: „Besonders häufig bestellten Lieferando-Nutzer aus Hamburg (+166 %) vegane Gerichte, gefolgt von Frankfurt (162 %), München (+154 %) und Berlin (+149 %)“, ist dort zu lesen. Mit Good’n’Vegan ist 2021 gar ein gleich gänzlich pflanzenbasiert ausgerichteter Lieferdienst in Deutschland gestartet. 

Mögen die Zahlen der reinen Veganer*innen sich noch im niedrigen einstelligen Bereich befinden: Die richtig spannende Zielgruppe sind die vielen und immer mehr werdenden Flexitarier*innen, die insgesamt weniger tierische Produkte konsumieren möchten – einer Umfrage des BMEL (2020) zufolge bereits 55 Prozent.

In der Spitzengastronomie ist „plant-based food“ längst ein großes Thema, siehe z.B. das New Yorker Eleven Madison Park, drei Sterne, das letztes Jahr nahezu komplett auf vegan umgestellt hat (bis auf Honig und Kuhmilch für Heißgetränke) und danach noch mehr überrannt worden ist, trotz Menüs zum Prohibitivpreis. Oder auch das Drei-Sterne-Restaurant Geranium in Kopenhagen, das diesen Schritt mitging. Hierzulande wären beispielsweise gastronomische Konzepte wie das Seven Swans in Frankfurt oder das neue Oukan in Berlin zu nennen, die auf einem hohen Niveau vegan kochen. Food-Trendforscherin Hanni Rützler hat es in ihrem Report für 2022 auf den Begriff Vegourmets gebracht: Vegetarische und vegane Speisen seien künftig „fester Bestandteil eines jeden guten Restaurants, das die Wünsche seiner Gäste wertschätzt“, schreibt sie.

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Veganes Fastfood im „Unfckd“, veganes Gourmet-Food im „Oukan“. Fotos: Redaktion

oukan - trends, gastronomie, food-nomyblog 5 Gastronomie-Trends 2022Das mit der Wertschätzung von Gästewünschen trifft freilich nicht allein auf die Spitzengastronomie zu. Weil vor allem bei jüngeren Menschen der Trend eindeutig zu weniger Fleisch bzw. tierischen Produkten geht, ist zu erwarten, dass die Anzahl vegetarisch-veganer Konzepte deutlich zunehmen wird – zum Beispiel solche wie das Hamburger Bistro-Café Ivy oder das Unfckd aus Berlin, einem bunten Fastfoodkonzept mit rein pflanzenbasierten Speisen bis hin zum Döner. Doch das „veganormal“ geht weiter: Schon bald werden die meisten Restaurants, die Fleisch anbieten und dies auch weiterhin zu tun gedenken, alternative vegane Optionen auf der Speisekarte vorweisen – und zwar auf Augenhöhe mit den sonstigen Positionen. Finesse-Teller statt Fitness-Teller.

So, wie sich im Bar-Bereich abzeichnet, dass alkoholfreie Cocktail-Alternativen sich einen festen Platz auf den Karten ergattern, werden es auch pflanzenbasierte Gerichten tun – von der Kantine bis zum Wirtshaus, vom Gourmetrestaurant bis zum Imbiss. Das kann auf einer Karte dann zum Beispiel so aussehen wie im neuen Hamburger Streetfood-Konzept Dao Dao, in dem die veganen und karnivoren Positionen auf der Karte bunt durcheinander gemischt sind, oder wie im neuen Poké-Konzept Wiki Wiki aus Berlin, um nur zwei Beispiele zu nennen. Oder wie wäre es mit einer veganen Schlachtplatte? Das mag noch kurios klingen, aber Derartiges wird es bald auch in vielen Wirtshäusern geben – da wetten wir drauf. Hinweise nehmen wir gerne entgegen (und schon wurden wir auf ein Konzept hingewiesen, nämlich bodhi in München).

Die Foodservice-Industrie hat längst die Zeichen der Zeit erkannt und eigene vegane Linien an den Start gebracht, so etwa Salomon, Lieferant für viele Systemkonzepte, oder Naarmann mit We Love Plants. „Veganormal“ erreicht das Catering-Business, wie Kooperationen von Dickschiff Aramark mit dem veganen Lebensmittelhersteller Veganz zeigen oder der Charité mit Planet V, Verdopplungen der veganen Umsätze bei Konkurrent Sodexo in UK oder mit dem Launch erster rein veganer Konzepte der Gemeinschaftsverpflegung wie dem neuen Bistro Rote Bete auf dem Campus der Ruhr-Universität in Bochum

Kurz: Wir werden schon bald die Existenz veganer Produkte und Angebote in der Gastronomie nicht mehr groß hinterfragen – mit Schopenhauer gesprochen, wurde vegan zuerst verlacht, dann bekämpft („ich lasse mir mein Schnitzel …“) und wird bald schon als selbstverständlich gelten. Für die (gute) Gastronomie ist das eine gute Botschaft, denn: Mit Handwerk und Kreativität, Frische und Qualitätsbewusstsein wird sie ihren Gästen nun noch mehr pflanzenbasierte Speisen auf die Teller bringen können und sie diese die Aromenvielfalt der Natur entdecken lassen. Das althergebrachte Prinzip Fleisch-Gemüse-Sättigungsbeilage mag derzeit noch das Gros der Karten bestimmen – doch das ändert sich nun. Wer von dieser Entwicklung profitieren will, sollte sich an die Arbeit machen. 

Inspiration dazu gibt es im Manifest Plant Power von Köchin und Food-Entwicklerin Antje de Vries. Sie schreibt: „Beginnt die Idee für ein leckeres Essen mit den Pflanzen, verändert sich die Perspektive drastisch und Großartiges passiert: Aus einer vermeintlichen Reduktion entsteht ein höherwertiges Gericht und eine Potenzierung zu unzähligen neuen Möglichkeiten.“

5. Ghost Kitchen

Der Begriff geistert, haha, nun schon ein paar Jahre durch die Branche. Jetzt aber bekommt er Substanz in Form von immer mehr Konzepten – und einem gigantischen Marktpotential. 

So gänzlich neu ist das ja nicht, das Ghost-Kitchen-Prinzip. Schließlich gibt es schon seit den 1980er-Jahren (oder länger?) Pizza-Bringdienste in vielen Städten, Backstuben ohne eigenes Restaurant, ohne Tische und Stühle, höchstens mit einem Tresen für Selbstabholer*innen, ansonsten aber komplett auf Lieferung ausgelegt. Was eine genuine Ghost Kitchen davon unterscheidet, sind das Branding, die Produktspezialisierung und die Qualität. Es geht um Einzigartigkeit und Unterscheidbarkeit – um ein professionelles Gesamtkonzept.

Wie so etwas konkret aussieht, zeigt Tortas Don Jaime aus Hamburg. Die Ghost Kitchen hat sich, wie der Name schon sagt, auf Tortas spezialisiert – den „mexikanischen Döner“, einen großartigen, hierzulande noch kaum erhältlichen Snack. Alejandro Ruiz Tesche und sein Geschäftspartner Guillermo Navarrete bieten derzeit rund ein Dutzend Torta-Kreationen an, z.B. mit Schinken, Käse und Bohnenmus, mit Butternuss-Kürbis, Sellerie, eingelegten Auberginen und Guacamole sowie den Klassiker „Pastor“ mit mariniertem Schweinefleisch und Ananas. Aus der Produktionsküche in einem Hinterhof in Eimsbüttel liefern sie mit eigener Flotte (E-Bikes, Auto, Fahrrad) aus. Die fluffigen Tortas-Brote, Teleras genannt, werden nach eigenem Rezept, an dem lange gefeilt wurde, von einer örtlichen Bäckerei produziert. Gebrandete Verpackungen und hochwertiger Online-Content zahlen auf die Marke ein – und langfristig will man ein stationäres Konzept aufschalten. Zurzeit testet man erste Schritte dahingehend als „Pick-up-Pop-up“ in einem Ladengeschäft, in dem man sich die Tortas auch abholen kann.

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Vier Foodmarken, rechts Pickup, rechts Delivery-Schleuse: Parker Bowles & Friends (mittlerweile eingestellt)

Ein Ghost-Kitchen-Restaurant gab es 2021 für einige Monate am Berliner Moritzplatz in der Fläche des (ehemaligen) Restaurants „Parker Bowles“: Die große, offene Küche wurde für die Produktion von gleich vier verschiedenen Foodmarken genutzt, man konnte vor Ort bestellen und mitnehmen, vor Ort essen und zugleich schwärmten Fahrer*Innen des Lieferdiensts Wolt (der das Ganze auch orchestrierte) ein und aus, die an einer separaten Ausgabestelle die Lieferware entgegen nahmen. Mittlerweile ist Parker Bowles & Friends allerdings wieder eingestellt worden.

Im Untergrund bzw. aus einem Souterrain heraus, operiert Tiffin aus Berlin. Im Untergeschoss der Eventlocation „Fluxbau“ wurde Ende 2020 diese Ghost Kitchen eingerichtet, die sich schnell zu einem der angesagtesten Lieferdienste für indisches Essen in der Stadt entwickelt hat. Neben der hohen Speisenqualität zeichnet sich das Konzept auch durch ein eigenständiges Branding aus – statt der häufig bis zu dreistelligen Positionen auf der Karte sind es hier ebenfalls rund ein Dutzend. Als zweite Marke hat der Gründer Sachin Obaid kürzlich Gully Burger gestartet, ein Burgerkonzept mit indischem Twist, sowohl stationär im neuen Craftbier-Restaurant Bräugier als auch als Deliverymarke.

Diese Beispiele mögen verdeutlichen, wie dicht Ghost Kitchen und Gastronomie beieinander liegen: Eine reine Produktionsküche kann sich bei guter Markenführung zum Restaurant weiterentwickeln, gleichzeitig kann ein Restaurant aber auch – zum Beispiel für bessere Kapazitätsauslastung oder wenn der Gastraum pandemiebedingt leer bleibt – eine virtuelle Zweitmarke launchen und ein Spezialprodukt für das Liefer- und Abholgeschäft kreieren.

Wer sich aufs Kochen konzentrieren und keinen Service anbieten möchte (oder eventuell auch nicht kann, weil Personal bekanntlich knapp ist), für den ist ein solches Konzept ebenso interessant wie jemand, der auf bestehender Fläche, losgelöst von Restaurant-Öffnungszeiten, expandieren möchte oder vielleicht mit einer erschwinglichen und doch zentralen Hinter-Hinterhoflage, von der aus man binnen kurzer Zeit einen attraktiven Einzug (bzw. wegen der Lieferung eher Auszug) hat.

In den USA sind Ghost Kitchen längst ein Riesenmarkt. Der auch in Deutschland operierende Lieferdienst Uber Eats schätzt die Zahl der auch Dark Kitchen genannten Konzepte auf seiner Plattform auf über 10.000, und Konkurrent Grubhub gibt an, dass mehr als die Hälfte „seiner“ stationären Restaurants ein zweites, virtuelles Restaurant dazu betreibt – das ist eine Verdreifachung zu vorpandemischen Zeiten. Viele Betriebe haben gar gleich drei, vier oder noch mehr Marken auf einmal im Portfolio, sogenannte Multibrands.

Ohnehin ist der Grad der Systematisierung in Nordamerika (sowie in Asien und dem Mittleren Osten) schon ein ganz anderer, hier sind Ghost-Kitchen-Brands mit dreistelliger Standortzahl im Roll-out, national und weltweit. Beispielsweise Wow Bao, das für seine Expansion mit lokalen Restaurants kooperiert und schon über 500 Standorte hat. Oder German Doner Kebap, erhältlich u.a. in Saudi-Arabien, Irland und Kanada. Vielleicht auch bald in Dönerland Deutschland?

International operierende Unternehmen wie Reef Technology sollen bereits auf dem Sprung in hiesige Gefilde sein – wobei es sich bei diesem interessanter Weise um einen Anbieter von Parkplätzen handelt, der auf seinen Flächen auch Räume für Produktionsküchen bzw. ganze Infrastrukturen vermietet mit der Mission, Stadtteile (kulinarisch) aufzuwerten. Da sind wir dann wieder bei Trend 1 angekommen.

Kurz: Es ist an der Zeit, sich als gastronomisches Unternehmen mit dem Thema zu beschäftigen – es bietet viele neue Möglichkeiten, die bestehenden Kapazitäten besser auszulasten, mit überschaubaren Investitionen zu expandieren und im zurzeit zweistellig wachsenden Liefermarkt mitzumischen. Guten und technisch-systematischen Input dazu bietet das Unternehmen Rational mit Video-Talks, Whitepapern und mehr

 

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