Alkoholfreie Drinks jenseits der süßklebrigen „Autofahrer-Cocktails“ bahnen sich auch in Deutschland langsam ihren Weg. Immer häufiger findet man solche Drinks zunehmend, zumindest vereinzelt, auf den Barkarten.
Und jetzt widmen sich sogar gleich zwei Berliner Bars mit vollem Fokus dem Thema alkoholfreie Drinks: Zum einen das Zeroliq in Friedrichshain, das zwei Tage vor dem Corona-Shutdown eröffnete und dann im Juni richtig. Hier gibt es ein halbes Dutzend alkoholfreie Drinks, zudem rund 40 Biere ohne Prozente sowie entsprechende Weine. Mehr über das Konzept haben wir für die Webseite des BCB geschrieben.
Zum anderen ist es die mehrfach preisgekrönte Bar am Steinplatz, in der der Wandel ja fast schon zur Tradition gehört: Eine der ersten Hotelbars mit Craft-Beer-Angebot war sie, dann gab es eine Karte mit ausschließlich klaren, farblosen Drinks (geschmacklich umso intensiver), und jetzt ist man die erste deutsche Hotelbar mit einer komplett alkoholfreien Karte, bestehend aus zehn Drinks. „Wir haben festgestellt, dass immer mehr Gäste alkoholfreie oder zumindest Low-ABV-Drinks (also mit wenig Prozenten, Anm. d. Red.) trinken möchten. Insofern war es der sinnvolle Schritt für uns“, berichtet der neue Barchef Willi Bittorf, der zuvor in der Bar des „Waldorf Astoria“ in Berlin tätig war und davor einige Jahre in London – wo das Thema nichtalkoholische Cocktails schon viel weiter ist wie ungefähr jedes gastronomische Thema.
Natürlich gab es diese Drinks auch schon immer hier. Irgendwie. Sie waren bislang aber vor allem süß und saftig, ein Farbenrausch aus Sirup und Fruchtsaftkonzentrat. Genau darum geht es aber bei der neuen Generation dieser Cocktails nicht. „Wir halten uns an Cocktailkategorien, das heißt, wir reden über Fizzes, über Juleps, über Toddys, weil wir finden, dass die Nähe zu klassischen Drinks gegeben sein sollte“, führt Bittorf aus, während wir uns durch die Karte trinken, ohne dass es schwummerig wird.
Vom Apéritif-Drink „Let’s talk about Sekt Baby“, schwarzem Johannisbeer-Essig, hausgemachtem Vanillesirup mit einer Essenz von Crema Catalana sowie Verjus und alkoholfreiem Sekt (Manufaktur Strauch) über einen würzigen „Garden Smash“ mit Erbse, Kräutern und Gurke (auf Basis von Seedlip Garden 108) bis zum „Ramos 0,5% Vol.“, einer Adaption des Klassikers Ramos Fizz: Statt Gin, Sahne, Eiweiß und Zitrussäften kommen hier salziger Ayran, alkoholfreies IPA und Seedlip Grove 42 zueinander.
Gute alkoholfreie Produkte sind so teuer wie gute alkoholische
Weil jetzt schon zweimal der Name Seedlip fiel: Die Produkte sind sozusagen die alkoholfreien Pendants der Pouring-Spirituose in der „Bar am Steinplatz“ und tatsächlich sind die Briten Vorreiter in Sachen alkoholfreie Destillate. Sie arbeiten mit verschiedenen Kaltmazeraten, die destilliert und dann ihres Alkohols „beraubt“ werden. Ein aufwändiger Prozess, der Preis ist entsprechend hoch – nämlich genauso hoch wie für eine gute Spirituose. Auch die ebenfalls verwendete Range von Undone aus Hamburg sowie – sehr spannendes Produkt übrigens – Three Spirits aus London hat seinen Preis.
Was eine Herausforderung ist: Denn sind die Gäste wirklich bereit, 14, 15 Euro oder mehr für einen alkoholfreien Drink zu bezahlen? Den meisten dürften die genannten Produkte gar kein Begriff sein, weswegen man in der „Bar am Steinplatz“ hübsche, selbstgemachte Glorifier mit den in den Produkten verarbeiteten Botanicals drumherum aufgestellt hat – um sie besser erklären zu können. Und vor allem hat man den Preis für die Drinks auf elf Euro begrenzt. Da traut sich ein Gast schon mal ran. „Das ist für uns auch ganz gut kalkulierbar“, so Bittorf.
Über vier Monate haben er und sein Team – das kam von der alten Dienststelle quasi mit – an der Karte gearbeitet, bis man nach der Wiedereröffnung des Hauses mit ihr an den Start gehen konnte. Jede Menge Muster wurden bestellt, dabei habe man festgestellt, dass echt viel Unbrauchbares dabei ist.
„Die Produktion steht noch am Anfang. Aber alkoholfreie Destillate werden mehr und besser werden.“ Deswegen gibt es übrigens auch keine Markennennung auf der Karte, man behält sich vor, Produkte immer wieder auszutauschen – die Karte übrigens liegt (zumindest drinnen) nicht auf dem Tisch, sondern ist der Tisch.
Beim Probieren der Drinks merkt man aber auch: Mit guten Basisprodukten ist es nicht getan. Es braucht schon die Finesse, die es immer braucht: Süße, Säure, Bitterkeit, Umami (übrigens: auch ein Drink mit Waldpilz, Shiso und Assam wird offeriert). Basis, Geschmacksgeber, Modifier und so weiter – kurz: Mixkompetenz. Die zeigt sich bei vielen der Drinks schon ganz eindeutig, sie stehen in Sachen Komplexität und Facettenreichtum im Geschmack ihren alkoholischen Kollegen in nichts nach. Andere Mixturen schmecken, aber haben in Sachen Überraschungseffekt noch etwas Luft nach oben – wie gesagt, das ganze Thema steht ja noch an seinem Anfang, sowohl auf der Produktseite als auch im Umgang damit. Und es gibt Grenzen: „Dunkle Drinks mit Tiefe sind schwierig“, so Bittorf. Er habe noch kein alkoholfreies Destillat gefunden, das Rum oder Whisky so gut ersetzen könne, dass er es mit reinnehmen würde.
Mal schauen, ob und wann sich das ändert. Bis dahin – mindestens – gibt es in der „Bar am Steinplatz“ übrigens auch Drinks mit echtem Rum, Whisky und Co. – und allen anderen Spirituosen. Man muss einfach nur danach fragen!