Wie viel darf, sollte, muss ein alkoholfreier Aperitif kosten?

Ein Branchen-Stimmungsbild

von Nicole Klauß
Frommelt Aperitiv2 1 - spirituosen, getraenke, gastronomie, alkoholfreie-getraenke Wie viel darf, sollte, muss ein alkoholfreier Aperitif kosten?

Foto: Jule Felice Frommelt

Aperitivo, das klingt nach einem kalten Drink im lauen Wind im Schatten am Lido mit Blick auf Giudecca, nach Feierabend, vor allem nach Entspannung durch ein bisschen booze, aber nicht zu viel. Wir beschäftigen uns heute mal zur Abwechslung mit den alkoholfreien Apéritifs. Wie teuer darf so ein alkoholfreier Drink sein? Erwarten die Gäste, dass sie günstiger sind? Sind sie in der Produktion eigentlich günstiger? Wenn nicht, warum eigentlich nicht?

Wir haben fünf Profis gefragt, die es wissen müssen: Arnd Heissen, bis vor Kurzem Barchef im Frederick’s am Berliner Potsdamer Platz. Robert Schröter, Journalist, Bartender und Barfestivalorganisator (https://www.cocktailakademie.berlin) , Christina Jagla, Getränkeproduzentin (Dr. Jaglas) aus Berlin, Jonathan Schönberger, CEO der Destillerie Studer aus Escholzmatt in der Schweiz und Holger Schwarz von der Weinhandlung Viniculture, Berlin.

Ein Aperitif ist in der Regel der erste Drink des Abends – und eigentlich auch der schönste, denn er stimmt auf ein Menü oder auf einen (hoffentlich) entspannten Abend ein. Der Begriff leitet sich vom Lateinischen aperire (»öffnen«) ab. Ein Aperitif ist sozusagen der Opener für den Abend (wir haben zu diesem Thema einmal ein ganzes philosophisches Gespräch geführt).

Lange Tradition

Aperitifs haben eine lange Tradition und sind eng mit der Geschichte der Kaffeehäuser verbunden. Die ersten Kaffeehäuser eröffneten in der Mitte des 17. Jahrhunderts in Europa (Venedig, Oxford, London, Amsterdam, Den Haag und Wien). Der umtriebige Stadtbürger ging tagsüber – im Gegensatz zum nichtsnutzigen Vertreter des Adels – seinen Geschäften nach und traf sich mit seinesgleichen am frühen Abend im Kaffeehaus, um nach getaner Arbeit ein bisschen gesellig zu sein. Man trank das eine oder andere Glas. Aber auch nicht übermäßig viel, man musste ja am nächsten Tag wieder frisch sein, denn sonst litten die Geschäfte.

Im Kaffeehaus galt „sehen und gesehen werden“, der Austausch von Klatsch und möglicherweise die Anbahnung neuer Geschäfte (oder Liebschaften). Man trank appetitanregende alkoholhaltige Getränke mit Minze, Rosenblätter, Wermut, Veilchen – all diese Zutaten kannten schon die alten Römer (in Sachen Gelage den Franzosen des 18. und 19. Jahrhunderts durchaus ebenbürtig). Man nutzte diese Kräuter damals primär wegen der Wirkung: Nach endlosen Völlereien galt es, den Magen-Darm-Trakt ein wenig zu stimulieren. Der bittere Wermut (Artemisia absinthium) war das Kraut der Wahl und sollte unter anderem Magenbeschwerden lindern.

Mit der Entdeckung der Verwertbarkeit der Zuckerrübe begann die steile Karriere von Wermut. Die nun süß-bitteren Tinkturen wurden nicht länger nur in Apotheken angeboten, sondern auch in den Turiner Kaffeebars, denn es war ein Italiener, Guiseppe Benedetto Carpano, der den ersten Vermouth herstellte. Die damaligen „Maîtres Liquoristes“ mischten, heutigen Barkeepern nicht unähnlich, ständig neue Zusätze in ihre Kreationen um den stilvoll feiernden Kaffeehausbesucher mit Getränken zu versorgen. Bitteraperitifs wurden populär und sind es bis heute, mit Chinarinde, Bitterorange, Anis, Artischocke oder Enzian: die Bitterstoffe in den Getränken sollen den Appetit anregen.

Der Apéritif kommt oft sommerlich-herb daher, gerne mit Kohlensäure, wie der allgegenwärtige Aperol Spritz, Pimm’s oder der Kir Royal, aber auch ohne: Campari Orange, Pastis oder Martini. Damit der Smalltalk nicht auf dem Niveau „erster Tag in der Grundschule“ bleibt, sind die meisten Aperitifs eher nicht alkoholfrei, denn ihr Job ist ja Entspannung und easy going.

Alkoholfreie Aperitifs auf dem Vormarsch

Nun gibt es ja auch Menschen, die auch etwas trinken möchten, wenn sie mal nichts trinken möchten. Lucky you, denn die Auswahl ist groß: alkoholfreie Apéritifs finden sich inzwischen in fast jedem Supermarkt. Und: Alkoholfrei bedeutet natürlich auch günstig, oder etwa nicht?

Einer, der es wissen muss, ist Robert Schröter. Er ist Bartender, schreibt unter anderem für die Mixology und entwickelt Spirituosen. Er meint, die Wahrnehmung für gute alkoholfreie Drinks sei gewachsen. Es würden inzwischen auch hochpreisigere alkoholfreie Drinks bestellt. Doch hier werde vom Gast immer noch erwartet, dass sie günstiger sind. „Aber eben nicht mehr so günstig wie früher, man gibt dafür gerne mehr aus, auch weil die alkoholfreien Drinks heute deutlich interessanter sind…und die Leute zahlen mehr, wenn es spannend schmeckt.“

Holger Schwarz von Viniculture war nicht nur einer der ersten Weinhändler, der seinen Kunden Naturweine anbot, sondern hat auch ein großes Angebot bei „no und low“ -Getränken: Proxys, hochwertige Säfte und Verjus sowie nichtalkoholische Spirits. Seine Kundschaft ist offen für Neues, aber: „Momentan würde ich bei 30 Euro in etwa die Grenze sehen, bei Weinartigem für 0,7 l, bei alkoholfreien Spirits für 0,5 l.“

Seine Gastronomiekunden müssen die Getränken mit ihrem Gastroaufschlag verkaufen, der liegt oft bei Faktor 4  und auch private Konsumenten erleben. „Wenn Tradition und/oder Rauschoption fehlt, sind Spitzenpreise über 30 Euro schwer durchsetzbar“, sagt Holger Schwarz. Und weiter: „Das „Beste“ soll auch immer Nebenwirkungen haben.“ Robert Schröter ergänzt: „Rausch oder Tradition oder Alleinstellungsmerkmal oder Preis oder Image(gewinn) müssen ins Ziel treffen.“

Zum Thema Produktion fragten wir Jonathan Schöneberger von der Schweizer Studer Destillerie. Bei Studer werden seit 1883 Spirituosen hergestellt und seit ein paar Jahren auch alkoholfrei destillierte wie der ONI, eine Ginalternative und der SiOff, zwei verschiedene Vermouths: „Wir haben höhere Kosten in Bezug auf mikrobiologische Sicherheit. Dies betrifft die Produktion, Abfüllung und Lagerung. Alkoholische Apéros sind unbedenklich. Wir haben höhere Risiken in Bezug auf das MHD. Ein Teil der Ware muss möglicherweise abgeschrieben werden, da Händler meistens nur noch Ware mit mindestens 6 Monaten Haltbarkeit nehmen. Außerdem ist da ein höherer Wareneinsatz. Alkohol fehlt als Geschmacksträger und in Kräuteraufgüssen (Wasser) muss mehr Rohstoff angesetzt werden als in alkoholbasierten Mazeraten.

Dies seien Punkte, die alkoholfreie Produkte verteuerten. Dadurch, dass man die Branntweinsteuer einsparen kann, könne man bei hochwertig hergestellten Produkten in etwa denselben Einkaufspreis festlegen. „Wir gehen mit unseren Vermouths SI-ON (mit Alkohol) und SI-OFF (ohne) auch mit demselben Preis raus. Dies erzeugt bei Kunden oft Unverständnis, da ihrer Einschätzung nach die alkoholfreien Produkte günstiger sein müssten.“

Für Arnd Heißen, Ex-Barchef im Fredericks am Potsdamer Platz, ist es einfacher, die alkoholfreien Apéritifs im hochpreisigen Segment darzustellen. „Wir haben zum Beispiel keinen Aperol, dafür eine natürliche Alternative, die im Einkauf mehr kostet und daher auch teurer ist. Der Anspruch im hochpreisigen Segment ist da höher und die alkoholfreie Variante ist da günstiger, soweit es geht“. Heißen eröffnet im Herbst übrigens das „Birds Nest“ im Nikolaiviertel in Berlin, mit vietnamesischer Aromenküche und Parfumcocktails. Man darf sehr gespannt sein. Hohes Niveau im Glas ist damit schon mal garantiert. Wenn es nicht günstiger ginge, müsse der alkoholfreie Cocktail denselben Preis haben wie der alkoholische – aber auch nicht teurer. Denn, so der Mixologe: „Das wird der normale Gast sonst nicht verstehen. Die Diskussion und Frustration beim Gast und Mitarbeiter würde den Abend vollends vermiesen.“

Gäste-Erwartung: „ohne“ muss günstiger sein 

Okay. Maximal gleich teuer. Es scheint ähnlich wie beim Thema Fleisch zu sein: Darf ein Gericht ohne Fleisch genauso teuer sein, wie ein vegetarisches oder veganes Gericht? Das Steak aus konventioneller Aufzucht im Vergleich zum Demeterkohlrabi und Craft-Miso mit langer Fermentationszeit, der Burger mit einem Patty vom Rind mit fragwürdigster Haltungsform im Vergleich zum Tempehburger mit regionalem Gemüse und Sauerteigbun? Eigentlich nicht, aber eigentlich doch. In den Köpfen der Gäste steckt die Erwartung, dass „ohne“ immer auch günstiger sein sollte als „mit“.

Wie immer lohnt ein Blick hinter die Kulissen. Die Mixolog*innen, die ihre Produzenten kennen, können, ähnlich wie die Köch*innen, die Story dazu erzählen: die Herstellung, der Aufwand, die Qualität und Menge der Zutaten. Dann sehen die Gäste die Preise auch mit anderen Augen.

Robert Schröter meint zur Herstellung von nichtalkoholischen Apéritifs, man brauche zusätzlich Lebensmitteltechniker*innen und Laboranalysen – wegen der Haltbarkeit. Man nutze zwar die gleichen Drogen, aber brauche deutlich höhere Mengen, denn die Extraktion durch Wasser sei weniger effektiv als beim Alkohol. Allerdings entfällt die Branntweinsteuer: „13,03 Euro pro reinem Liter Alkohol, das macht bei 25% Likör oder Apéritif pro Liter über 3 Euro pro Flasche und das ist das, was dann eigentlich wegfallen sollte. Das ist ein Pfund mit dem man wuchern kann, und am Ende dann trotz des Mehraufwandes preiswerter sein sollte.“

Und wenn es zum Vergleich mit nichtalkoholischen Aperitifs der großen Player kommt: „Die schlägt man preislich kaum, da sie in großen Mengen hergestellt werden, mit chemischen Farbstoffen und künstlichen Aromen, da ist außerdem noch ein Millionenbudget für Marketing drin.

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Foto: Jule Felice Frommelt

Wie gut mag die Qualität der Zutaten sein, wenn ein Aperitif ohne weniger als ein Viertel kostet als ein anderer? Sind hier vielleicht nur Pipetten mit künstlichen Aromen im Spiel? Die berühmte Farbe des Aperol wird mit Gelborange S. (E110) und Cochenillerot A (E124) erzielt. Beide sind als bedenkliche Zusatzstoffe eingestuft, sie können allergieauslösend wirken, finden sich in vielen Lebensmitteln und dienen ausschließlich der Färbung (z.B. von Schmelzkäse, Marmeladen, Kuchen, Kekse, Süßigkeiten, Chips oder auch Chorizo). Der Herber Hibiskus von Christina Jaglas wird mit einem Konzentrat aus Apfel, Öldistel, Zitrone, Süßkartoffel und Karotte gefärbt. Das ist natürlich teurer und rechtfertigt daher einen höheren Preis.  Wissen was drin ist. Wie immer also. Oder wie Goethe sagte: „Mit dem Wissen wächst der Zweifel.“

Christina Jagla produziert mit ihrer Familie alkoholische und inzwischen auch alkoholfrei destillierte Spirituosen mit hochwertigen Zutaten, zertifiziert nach Deutscher Arzneibuch-Qualität. „ Die Befürchtung, dass Gäste für alkoholfreie Aperitifs weniger ausgeben möchten, ist in meinen Augen absolut unbegründet“, sagt sie. „Ich denke sogar, das Gegenteil ist der Fall. Gerade weil immer noch so wenige und gute alkoholfreie Drinks in Restaurants und Bars angeboten werden, sind Gäste doch sogar zur Zeit noch eher bereits sogar mehr zu zahlen.“

Aufklärung ist wichtig

Gastronom*innen und Bartender*innen müssten kalkulieren, keine Frage. In jedem Fall ist die Aufklärung über die Produktion, die Qualität der Botanicals und den Aufwand der Herstellung wichtig. Dann klappt es auch mit den hochpreisigeren alkoholfreien Alternativen.

Auf diesem Weg ist auch Christina Jagla: „Jedem ist mittlerweile bewusst, dass es bei der Entwicklung und Produktion viel anspruchsvoller ist, Tiefgang und Geschmack ohne Promille ins Glas zu bekommen als bei Spirituosen, die ja wie „Fett“ als Aromenträger dienen.  Wenn es dann funktioniert – wird auch gerne mehr dafür bezahlt.“ „Vielleicht können die Gäste für gute Qualität sensibilisiert werden“, so Robert Schröter vorsichtig optimistisch. Oder wie der griechische Philosoph und Politiker Seneca sagte: „Es ist mehr die Qualität als die Quantität, die zählt.“

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