Seit einigen Jahren rollt eine neue Frühstücks- und Brunchwelle durchs Land – mit internationalen Klassikern, Tellergerichten und hippem Design lassen Konzepte das klassische Buffet alt aussehen. Und nicht selten funktioniert das bis in den Abend hinein. Was ist das Erfolgsrezept?
Mit einem freundlichen „Guten Morgen“ wird der Gast im Berliner Restaurant Benedict begrüßt. Und das zu jedem Tages- und Nachtzeitpunkt: Der Anfang 2017 eröffnete Ableger des Kultkonzepts aus Tel Aviv hat nämlich immer geöffnet, 24 Stunden, sieben Tage in der Woche. Und stets gibt es Frühstück, von frischen, hausgebackenen Brötchen mit Nuss-Nougat-Aufstrich über „Egg Benedict“, pochierte Eier an getoastetem Brioche mit Sauce Hollandaise, ferner Pancakes und Granola bis hin zum herzhaften texanischen Texas-Breakfast, einem 200-Gramm-Entrecôte mit Zitronenbutter, Petersilie und zwei Spiegeleiern – Letzteres ist dann schon eher ein „Spätstück“.
Der Laden brummt: Morgens ist auch unter der Woche kaum ein Platz zu bekommen, Reservierungen nimmt man erst ab dem Nachmittag entgegen. Frühstücken boomt, morgendliche Brunch-Events à la Das Brunch (mittlerweile mit dem eigenen Restaurant rocket + basil sesshaft geworden), Brünch oder Sorry Mama sind in der Hauptstadt fast so beliebt wie nächtliche Partys.
Qualität vor Preis
Und längst hat das neue Brunchen auch in anderen Städten Fuß gefasst. In Stuttgart zum Beispiel: Dort eröffnete Anfang 2018 das The Gardener’s Nosh mit 30 Plätzen. „Im Ausland gibt es oft ein viel besseres Frühstücksangebot. In New York findet man auch als Veganer alles, was man will“, erklärt Madeleine Al Sahuri-Schwer, die das Konzept mit ihrem Mann Pascal und Philipp Ruof (die beiden betreiben auch das Le Pastis) aus der Taufe gehoben hat.
Mit Klassikern wie bereits genanntem Egg Benedict und weiteren Eierspeisen wie Glas-Eiern oder dem Omelette, ferner French Toast, Breakfast Bowls, Burritos und Grilled Cheese Sandwich – um nur ein paar Positionen zu nennen – gibt sich das Foodkonzept sehr mondän.
Funktioniert das im Ländle? „Man darf den Schwaben nicht unterschätzen“, sagt die Gründerin lachend, „auch der reist viel und kennt diese Speisen“. Im Gegenteil habe man seit der Eröffnung oft gehört: „Endlich gibt es so etwas auch hier!“ Ein Selbstläufer ist das Ganze dennoch nicht – sondern sehr personalintensiv. Auf insgesamt fast 30 Mitarbeiter kommt das „The Gardener’s Nosh“, in der Küche arbeiten je nach Zeitpunkt vier bis acht Mitarbeiter.
„Wir machen alles selbst, und das ist auch das Erfolgsrezept“, erklärt Madeleine Al Sahuri-Schwer. Die Sauce Hollandaise – die in vielen Restaurants fix aus der Tüte kommt – schlägt man selbst auf, alles wird frisch zubereitet, Convenienceprodukte bleiben draußen: „Deswegen sind wir auch nicht günstig, die Eggs Benedict kosten 13,90 Euro bei uns. Es geht aber auch nicht anders.“ Qualität geht vor günstigem Preis.
„Wir leben von Instagram“
Es muss nicht nur gut schmecken – 400 Reservierungen an einem gewöhnlichen Wochenende zeugen davon, dass es das den Stuttgartern tut –, es muss auch gut aussehen: „Die Optik spielt eine wichtige Rolle. Wir leben von Instagram“, erklärt die Gastronomin, die aus der Werbung kommt. Viele Gäste würden ihre Speisen zuerst fotografieren, bevor sie sich ans Essen machen – das ist bekanntermaßen kostenlose und somit beste Kommunikation für den Betrieb. So entstehen viele Bilder mit dem Hashstag #thegardenersnosh.
Ein Buffet sehe nicht mehr schön aus, sobald der erste Gast dran war – abgesehen davon, dass am Ende viel übrig bleibt und weggeworfen wird. Insofern sind Tellergerichte doppelt vorteilhaft. Mit besonderer Ausstattung wie goldenem Besteck unterstützt man die visuelle Ästhetik und nutzt Instagram auch, um mit Gästen zwecks Marktforschung in Dialog zu gehen: Was wünschen sie sich? „Dabei kam heraus, dass sie noch mehr vegane Produkte möchten“, so Madeleine Al Sahuri-Schwer.
Darauf konnte man entsprechend reagieren, und auch die neuen, glutenfreien Pancakes haben es so auf die Karte geschafft. „Man muss unbedingt eine Differenzierung und einen Wiedererkennungswert schaffen“, lautet der Tipp der Gründerin. Und man sollte sich fokussieren, fügt sie hinzu: Den Mittagstisch, den man anfangs noch anbot, hat man schnell wieder abgeschafft. Erst ab 18:30 wechselt man zu Abendkarte und parallelem Barbetrieb über.
Losgelöst von gängigen Essenszeiten
Die Optik spielt auch im Mannheimer All-Day-Breakfast-Konzept MIE HOUSE eine wichtige Rolle – man unterstützt sie sogar mit individueller Tableware. „Wir haben für fast jedes Gericht einen anderen Teller. Emaille, Steingut, Porzellan: das ist immer wieder ein Wow-Effekt für den Gast“, erklärt Martina Schwuch. Sie hat das Café-Restaurant 2018 zusammen mit Robin Holzner im Stadtteil Jungbusch eröffnet.
Das „MIE HOUSE“ hat wie „The Garderner’s Nosh“ 30 Plätze, auch sind regelmäßig komplett belegt – eine moderne Gastronomie, in der man nicht nur am Morgen frühstücken kann, hat dem szenigen und multikulturellen Quartier im J-Quadrat ganz offensichtlich noch gefehlt. „Mit offenen Armen“ sei man empfangen worden, weil hier viele Menschen nicht dem typischen Nine-to-Five-Job nachgingen – und somit auch losgelöst von gängigen Essenszeiten leben: „Bei uns können auch Langschläfer frühstücken – nicht nur am Wochenende“, bringt die Gründerin es auf den Punkt.
Man bedient somit das am Standort vorhandene Bedürfnis, nach der klassischen Lunch-Zeit zwischen 12 und 14:30 Uhr bis zum Abend – einer Zeit, die oft nur mit Kaffee- und Kuchen-Angebot überbrückt wird – etwas Herzhaftes zu bieten. Bestseller des Hauses sind die Tartines mit Avocado, Lachs und pochierten Eiern, das Progamm reicht vom Bircher-Müsli über die Burrata mit Tomatensalat und getrüffelten Pommes Frites bis zu Asiatischem wie Currys.
Hierbei verzichtet man, wie in Stuttgart, so weit es geht auf Produkte aus der Packung: „Wir machen alles frisch und hochwertig. Und wenn drei Gäste kommen, der erste bestellt Hummus, der zweite das grüne Curry und der dritte Shakshuka – dann braucht das eben eine sehr gute Vorbereitung“, so Schwuch. Viel Zeit und Personalbindung gehe daher in die Mise en Place. Frühstück den ganzen Tag verfügbar zu machen, sei definitiv arbeitsintensiv, betont sie. „Das geht nur, wenn das Team gut funktioniert.“
„Sitze sind das einzige, mit dem ich Geld verdienen kann“
Ein gutes Team ist wichtig, kann Gastronom Shaul Margulies aus Berlin nur bestätigen. Er betreibt zusammen mit seiner Frau Motoko Watanabe das japanisch-internationale Brunch-Konzept House Of Small Wonder und ebenso das Zenkichi (Portrait der beiden hier). „Wir haben 50 Plätze und aktuell sechs Leute in der Schicht – zwei Baristas und vier im Service.“ Und wenn es besonders stressig wird, holt man die Mitarbeiter aus dem Office kurzfristig dazu.
„Unsere Gäste wollen Lebensqualität, sie bezahlen dafür. Deswegen bekommen sie den besten Service, den wir ihnen geben können.“ Neben diesem sind für Margulies zwei weitere Faktoren entscheidend für den nachhaltigen Erfolg, den man seit nunmehr fünf Jahren hat. Da wäre zum einen die Atmosphäre: In vielen Berliner Cafés stehen Laptops auf den Tischen, hier nicht. „Das haben wir am dem ersten Tag unterbunden. WLAN gibt es hier auch nicht. Die Leute sollen ihre Arbeit nicht mitbringen – das zerstört das Flair für die anderen Gäste“, erklärt Margulies.
Und nicht nur das: Es würde auch das wirtschaftliche Konstrukt einbrechen lassen. Ein Gast, der stundenlang an seinem Kaffee nuckelt, während er seine Tastatur bedient, blockiert den Platz. „Sitze sind das einzige, mit dem ich Geld verdienen kann.“
400 Gäste pro Tag sind keine Seltenheit im „House Of Small Wonder“, ergo wird jeder Platz von morgens bis abends achtmal umgeschlagen, viele Gäste warten geduldig eine Stunde und mehr, bis sie Platz nehmen dürfen.
Es sei ein schmaler Grat zwischen Komfort für die Gäste und Profitabilität für den Betrieb, so Margulies – gerade auch, weil man, wie in Stuttgart, wie in Mannheim, keine Abstriche in der Food-Qualität mache, was der dritte der insgesamt drei Erfolgsfaktoren für ihn ist. Man arbeitet fast ausschließlich mit Bioprodukten und bereitet Leckereien wie „Homemade Biscuit Benedict“, die Sandwich-Menüs oder den „Okinawan Taco Rice“ frisch zu.
Billiger frühstücken könne man in Berlin an vielen Stellen, erklärt der Chef, und macht es plakativ: Der „Benedict Sundae“, den wir beim Gespräch vernaschen, kostet 5,50 Euro. Für den gleichen Kaloriengehalt bekomme man im Backshop um die Ecke schon was für einen Euro, erklärt Margulies: „Wer das möchte – bitte. Aber bei einem gesetzten Essen, mit diesem Service, in dieser Qualität, musst du dein Angebot höher ansetzen.“
Angepasste und aktualisierte Version des zuerst in FIZZZ 4/2019 erschienenen Beitrags.