Dass jemand in Neukölln eine Brauerei ins Leben ruft, um unter anderem die in Verruf geratene und dabei so spannende, wenn gut gemachte Berliner Weiße zu brauen – logisch, oder? Craft Bier ist ja voll im Trend, da muss die Weisse doch zurück kommen.
Blödsinn, überhaupt nicht logisch. Um es etwas eleganter zu formulieren: Das ist die „Illusion des retrospektiven Determinismus“, so hat es Henri Bergson für historische Zusammenhänge benannt. Das, was heute ist, musste ja so kommen? Illusion. Nein, das, was heute ist, nämlich eine fantastisch blühende Bierkultur nach einem nuklearen Bier-Winter, in dem uns Beck´s Ice in den Kühlschrank gestellt wurde, ist nicht einfach passiert. Es ist vielen ambitionierten, passionierten Menschen zu verdanken, die dafür Wagnisse finanzieller Art eingehen, sichere Jobs an den Nagel hängen, Industriekarrieren nach Absolvieren renommierter Business-Schools links liegen lassen und Orte schaffen, an denen gutes Bier produziert und goutiert wird.
Einer dieser Orte entsteht gerade in der unscheinbaren Kopfstraße in Neukölln. Das Inserat sprach von einer „Gewerbeeinheit in der Nähe von zwei Schulen, ohne jedes Foto“, berichtet Robin Weber, der hier zusammen mit Uli Erxleben und Finn Age Hänsel gerade die kleine „Berliner Berg Brauerei“ errichtet. Die drei haben sich bei einem Inkubator kennen gelernt, waren im E-Business tätig und sind vom digitalen ins reichlich analoge Startup-Business gewechselt. Wir stehen gerade in ihrem Gastraum, einer ehemaligen Altberliner Kneipe, in der man die typische „Gastro-Archäologie“ betrieben hat: Wände freilegen, Mauerwerk und alte Ornamente wieder entdecken. „Die stammen vermutlich aus den 1930ern, als hier ein Schlachter war“, erklärt Robin Weber. Davor wurde hier Schmalz hergestellt.
Eine neue Brau-Bar
An diesem Ort wird man ab Oktober rund zwei Tage pro Woche, später dann fünf Tage pro Woche hauseigene Biere ausschenken. Braumeister ist Richie Hodges, der seinen Beruf u.a. an der TU Weihenstephan und bei der Doemens-Akademie in München gelernt und in einer texanischen Hausbrauerei gearbeitet hat. Ein sympathischer Vollblut-Brauer, den ich im Rahmen eines kleinen Bierbrau-Workshops im Sommer kennen gelernt habe, gemeinsam mit ihm haben wir ein wirklich wohlschmeckendes „Pilsener Spreequell“ gebraut, das es aber nicht zu kaufen gibt. Exklusiv-Abfüllung!
Die bisherigen Biere, die man entwickelt hat, werden extern gebraut. Mit der Finanzspritze, die das Crowdfunding hoffentlich – es sieht gut aus – einbringt, wollen Hodges und die drei Brauerei-Gründer alsbald in der Remise die Kessel anwerfen und hier Berliner Weiße brauen. „Wir sind optimistisch, hier bis Ende des Jahres Bier brauen zu können“, erklärt Robin Weber. Gefliest ist dort schon alles, die Versorgung wurde soweit installiert. Fehlt noch die Brauanlage – Gärbottiche, Lagertanks, Abfüllanlage, Fassreiniger und Co., damit neben den bereits bestehenden Bieren wie „Summer Pale“, „Stadtaffe“ (Saison), „Schwarzfahrer“ (ein wahnsinnig leckeres Irish Stout) und einem Double-IPA namens „R-A-zacca“, das Hodges zusammen mit Alexander Himburg vom „Braukunstkeller“ gebraut hat, auch die Berliner Weisse in die Flaschen kommt. Dieses muss separat gebraut werden, denn zum Brauen ist der Hefepilz „Brettanomyces bruxellensis“ notwendig. Er gibt diesem Biertypus den typisch säuerlichen Geschmack, hat aber einen Nachteil: Hat man ihn einmal im Keller, wird man ihn nicht mehr los, das macht die Herstellung anderer Bierstile praktisch unmöglich. Darum braucht man eine separate Brauanlage, deswegen die Schwarmfinanzierung. Ist das Geld eingesammelt, darf die Stadt sich freuen, denn zusammen mit Brewbaker sorgt die „Berliner Berg Brauerei“ dann hoffentlich für eine kleine weiße Renaissance.
Berliner Weiße kann richtig gut schmecken
Vor einiger Zeit habe ich eine Berliner Weiße getrunken. Die hatte mit der sonst in Berlin verfügbaren Standardversion nüscht viel zu tun. Sie stammte noch aus der DDR, das Bier war also mindestens 25 Jahre alt, vermutlich aber deutlich älter – das ließ sich nicht mehr erkennen. Nein, ich musste danach nicht ins Krankenhaus. Berliner Weiße lässt sich aufgrund seiner „Zubereitung“ mit konservierenden Milchsäurebakterien nämlich praktisch ewig trinken, und schmeckt nach drei Dekaden in einem Keller nach Sherry, nach Kräutern, nach Ziegenkäse, Wahnsinn. Während sich gerade die halbe Stadt gegenseitig erklärt, was ein IPA ist, könnte mithilfe der „Berliner Berg Brauerei“ bald das große Comeback des in Berlin einst kultivierten und zuletzt mit Waldmeister-Sirup-Pads zum individuellen Verhunzen endgültig dekultivierten Bierstils eingeläutet werden.
Und wenn dann jemand sagt, war doch klar, dass die Berliner Weiße jetzt zurück kommt: Fahren Sie den Satz von Bergson auf.
Berliner Berg Brauerei
Kopfstraße 59
12053 Berlin
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