Qualität und Genuss statt Völlerei am Buffet: das neue Brunchen in Berlin

von Redaktion
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Foto: Das Brunch

Stilvoll angerichtete Teller, spezialisiertes Angebot, hausgemachte Drinks und Event-Atmosphäre statt „all you can eat“ an Buffet-Bergen: Der Wochenend-Klassiker Brunch wird in der Brunch-Hauptstadt Berlin neu definiert. 

Die Leute aßen und aßen. Ihre Augen glänzten vor Appetit. Ab Mittag wurde das Angebot um Quiches, Croques, Suppen, Salate und ein vegetarisches Pastagericht ergänzt. Brunch as brunch can.

Heinz Strunk hat in den ersten Zeilen seines Romans „Die Zunge Europas“ der wochenendlichen Völlerei ein kleines Denkmal gesetzt. Brunch ist in den allermeisten Fällen auf Quantität ausgelegt, vom kleinen Innenstadt-Café-Restaurant bis zur Autobahnraststätte, die mit großen Bannern auf ihr Discount-Angebot hinweist. Brunch, das ein großes Buffet, das ständig aufgefüllt wird. Brunch, das sind Schlangen, Tellerstapel und Essen vom späten Vormittag bis zum Nachmittag (und manchmal länger). Aus Gastronomensicht ist es immer ein kalkulatorisches Risiko: Buffet-Speisen müssen großenteils vorbereitet werden, auch späte Gäste erwarten ein noch reichhaltiges Angebot, der Gewinn muss noch mehr über die Getränke gemacht werden als sonst schon.

Das neue Brunchen in Berlin: Klasse statt Masse

In Berlin gibt es seit einiger Zeit eine kleine Gegenbewegung im Brunch-Business: Klasse statt Masse, individuelle Teller und Service statt SB-Buffet, dazu frische Drinks mit und ohne Alkohol lautet die Formel. Wie das tatsächlich aussieht, kann man sich im „Geist im Glas“ in Neukölln anschauen: In erster Linie als Cocktailbar bekannt, in der viele Drinks mit eigenen Infusionen ausgeschenkt, gibt es hier am Samstag und Sonntag einen Brunch mit (süd)amerikanischem Einschlag: Betreiberin Aishah Bennett serviert u.a. das überall in Lateinamerika geliebte Eiergericht „Huevos Rancheros“ mit Guacamole, Limetten-Sour-Cream, eingelegten roten Zwiebeln und Tortilla Chips, den US-Klassiker „Biscuits & Gravy“ mit Cheddar, Jalapeño, Buttermilchkeksen mit Wurst oder Pilzen und Bratensauce mit Salbei. In Kürze wird es süße Waffeln mit herzhaften Belägen wie Speck, Tomate und Salat geben, ein Frühstücks-Snack aus Argentinien.

In der Regel bestellen die Gäste immer zwei Gerichte pro Person oder drei zu zweit, halbe Portionen bietet man auch an. „Zum Schluss bestellen immer alle die Pancakes“, erzählt sie lächelnd. Die kommen mit gesalzenem Dulce de leche und Ahornsirup daher, der zuvor einen Schuss Maker´s Mark Bourbon-Whiskey abgekriegt hat. Dazu „Brunch Cocktails“ wie einen „Marigold“ mit Gin, Cointreau, Ananassaft, Limette und Gurke, oder die „Bloody Mamcita“ mit Chili-Tequila, Tomatensaft und Orange. „Hangover-Cocktails“, sagt die Engländerin.

+++ Hinweis: Das „Geist im Glas“ steht nach einem Brand kurz nach Erstveröffentlichung dieses Beitrags nun kurz vor der Wiedereröffnung und somit auch das Brunch-Comeback. +++

Die Idee, den Brunch – aus deutscher Sicht – umzukrempeln, entstand aus der persönlichen Sehnsucht nach einem warmen, herzhaften Frühstück heraus: „Das gab es nicht, als ich hierher kam“, sagt sie. Ihre Bar hatte sich schon einen Namen gemacht, als sie mit dem Bruch startete, sodass sich schnell eine „Fangemeinde“ einfand – und dem in Neukölln sehr internationalen Publikum musste sie nicht erst erklären, dass es bei ihr kein Buffet gibt.

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Brunch-Karte von „Bone“ in der „Markthalle 9“ Berlin

Nichtsdestoweniger sorgen auch hier, wie beim Standard-Flatrate-Brunch, die Getränke dafür, dass Kasse und Durchschnittsbon (15 bis 20 Euro bei rund 220 geschickten Tellern pro Wochenende) stimmen. Obschon moderat getrunken wird und maximal ein oder zwei Drinks pro Person bestellt werden. Alkoholische zumindest. „In England würden sich die Leute viel mehr Cocktails zum Brunch reinziehen“, lacht Aishah Bennett. Craft-Biere gehen abends wie zum Brunch auch über den Tresen, und wer es lieber „ohne“ möchte: Frische Säfte und hausgemachte Limonaden bietet „Geist im Glas“ auch an. Kaffee kommt für drei Euro „bottomless“ aus der SB-Thermoskanne – das ist aber auch das einzige Flatrate-Angebot.

Street-Food-Markt, Brunch-Ausgabe

Neu gebruncht wird auch beim monatlichen „The Breakfast Market“ in der Kreuzberger „Markthalle IX“ an, einer frühen Variante des legendären „Street Food Thursday“. Tausende von Gästen strömen ab dem späten Vormittag herbei, um an den Food-Ständen süße und herzhafte Happen auf die Hand zu bestellen. Zum Beispiel die über-herzhaften „Breakfast Sandwiches“ von „Big Stuff Smoked BBQ“ mit in Buttermilch eingelegtem Pulled Pork, Speck, pochiertem Ei und Sellerie. Oder „Eggs Benedict“ von „3 Minutes“, oder, für Asia-Foodfans, eine koreanische Congee-Variante bei „Mr. Susan“. Wer es vegetarisch bevorzugt: Am Stand von „The Future Breakfast“ gibt es Avocado-Ziegenkäse-Toast oder einen Teller mit Eiern, Linsen, Spinat und gerösteten Fenchel.

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Menü des Brunch-Caterers „Little Joy“ in der neuen Kaffeebar „19grams“

Dazu trinkt man Weizengras-Smoothies, Specialty Coffee oder frisch gemixte Bloody Marys, die den Kater verscheuchen. Das Publikum ist bunt gemischt: übermüdete Partygänger, junge Eltern, die ihre Kinder hier toben lassen und sich trotzdem an einem „dritten Ort“ mit Freunden treffen können, Nachbarn, Foodies und Touristen mischen sich hier, kommen an den Tischreihen oder im Stehen miteinander ins Gespräch. Wie beim „Street Food Thursday“. Brunchen mit Eventcharakter.

Brunchen in der Bibliothek: Das Brunch 

Einen Event-Ansatz verfolgt auch Sophie von Oswald mit ihrem Format „Das Brunch“. Sie ist in Sydney aufgewachsen und dort ist das (späte, herzhafte) Frühstück ein soziales Wochenend-Event. Sie hat die Idee die Spree importiert: Nicht in einer eigenen Gastronomie, sondern in wechselnden Locations, auch nicht-gastronomischen, findet „Das Brunch“ statt. Nummer eins richtete sie mit ihrer Partnerin Julia Ward im Sommer 2014 im „Infarm“ in Kreuzberg aus. Das ist ein imposantes Labor mit angeschlossener Gastro-Küche, deren Betreiber neue Wege im Bereich Indoor-City-Farming ausloten.

Für ein anderes Brunch-Event „kaperte“ man die alteingesessene Karl-Marx-Buchhandlung in der sozialistischen Monumentalarchitektur Friedrichshains, gebruncht wurde zwischen Buchregalen und schweren Holzwänden. Dorthin musste man – im Gegensatz beispielsweise zur voll ausgestatteten Gastronomie-Location „Prachtwerk“ in Neukölln – von der Küche bis zum Teelöffel alles selbst mitbringen. Die Mühe lohnt sich, findet Sophie von Oswald: „Unsere Events haben eine ganz eigene Atmosphäre. Es ist mehr als nur Brunch, es ist ein Tag mit Essen und Musik an einem besonderen Ort“, erklärt sie, es gibt nämlich auch Live-Musik und DJs auf den Events.

Zuvor arbeitete sie für einen Lebensmittel-Lieferdienst, richtete auch das hippe Dessert-Event „Ice Cream Market“ in Berlin und Hamburg mit aus und ist im Hauptberuf als selbständige Rezeptentwicklerin tätig. Die Gerichte kochen sie und Julia Ward selbst, wie bei „Geist im Glas“ baut man kein Buffet auf, sondern richtet auf Tellern an (siehe Foto). Drei Speisen gibt es in der Regel: eine mit Fleisch, eine vegetarisch, eine vegan – und alles wird nach Möglichkeit mit regional-saisonalen Zutaten zubereitet, Grünkohl, Spargel und Bärlauch oder Kürbis sind dann die „Stars“ in allen drei Gerichten.

„Frisch, knackig, gesund und ausgefallen“ soll es sein, sagt Sophie von Oswald. Stadtbekannte Street-Food-Händler haben bei „Das Brunch“ Gastauftritte, beispielsweise von César Cotta und Cieran Rockwell aka „Zwei Dicke Bären“ mit ihren kalorienreichen Eiskrem-Sandwiches. Auch verwendet man die ausgefallenen Wurst-Kreationen des neuseeländischen Metzgers Simon Ellery, der als „The Sausage Man Never Sleeps“ oft auf Street-Food-Events in Berlin zu Gast ist.

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Huevos Rancheros im „California Breakfast Slam“

Und wo wir gerade beim Thema Street Food sind: Die Parallelen sind nicht von der Hand zu weisen. Auch hier sind es vorwiegend „Expats“ aus allen Teilen der Welt, die mit Startup-Mentalität und Leidenschaft, mitgebrachten – und teils adaptierten – Rezepturen, präsentiert mit kreativen, individuellen Konzepten ein neues Angebot für den Gast schaffen. Berlin-Bubble? Anderswo nicht umsetzbar? Bedenkt man, wie rasant sich Street Food von Berlin aus landesweit ausgebreitet hat, dann stehen die Chancen nicht schlecht, dass diese andersartigen Brunch-Konzepte auch außerhalb der Hauptstadt Anklang finden.

Besser brunchen in Berlin: 7 Location-Tipps

1. Geist im Glas (soon to come back)
Südamerikanischer Brunch mit speziellen Cocktails, samstags und sonntags 10 bis 16 Uhr
Lenaustraße 27, www.facebook.com/geistimglas

2. The Breakfast Market / Bone
Streetfood-Markt mit süßem und herzhaftem Angebot. Jeden dritten Sonntag im Monat ab 10 Uhr
Der aktuelle Betreiber der „Kantine 9“, „Bone“, bietet Montag bis Samstag Brunch (s. Bild oben) an
Eisenbahnstraße 42/43, www.markthalleneun.de/breakfast-market

3. Das Brunch
Brunch-Event mit Musik und Gastköchen, ca. alle zwei Monate in wechselnden Locations
www.facebook.com/dasbrunch

4. California Breakfast Slam (Cabslam)
Ausgewiesenes Brunch-Restaurant mit „Breakfast Burritos“, „Biscuits and Gravy“ oder „Chorizo and Eggs“. Innstraße 47, www.cabslam.com

5. House of Small Wonder
Asiatisch-amerikanischer „All-Day-Brunch“ mit pochierten Eiern in Wasabi-Hollandaise, Ingwer-Sesam-Pancakes oder Shiso-Speck-Waffeln, täglich 9-17 Uhr (Samstag und Sonntag 10-17 Uhr).
Johannisstraße 20, www.houseofsmallwonder.de

6. Little Joy
Brunch-Caterer, der u.a. die Cafés „19grams“ und „Bitte“ mit Leckereien à la carte beliefert. www.facebook.com/littlejoyberlin

7. Sorry Mama
Wo sich Brunchen und Feiern die Klinke in die Hand geben: Die Crew von „Sorry Mama“ sorgt für DJ-Sounds und herzhafte Hangoverheilung bzw. für Energienachschub für alle, die schon seit der Nacht davor unterwegs sind. Unregelmäßig in verschiedenen Locations. www.facebook.com/sorrymama

Editierte Version des zuerst in FIZZZ 3/2016 erschienenen Beitrags. Einen weiteren Beitrag zum Thema gibt es auf der Webseite der Süddeutschen Zeitung.

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