Probiert: Das Degustationsmenü im Chicha Berlin

Das Neuköllner Restaurant inszeniert peruanische Küche zwischen Streetfood und Fine Dining

von Jan-Peter Wulf
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Alle Fotos: Redaktion

 Kinder, wie die Zeit vergeht. Rund neun Jahre gibt es das peruanische Restaurant „Chicha“ in der Friedelstraße nun schon. Und endlich, endlich haben wir es geschafft, es einmal wieder zu besuchen.

Auf den ersten Blick erscheint im Chicha alles recht vertraut, dieser Mix aus bunten, fröhlichen Farben und Neuköllner Nonchalance. Doch ein bisschen was verändert habe man schon am Konzept, schildert uns Betreiber und Gastgeber Robert Peveling-Oberhag. So gab es bis zum ersten Lockdown noch rund 20 Positionen auf der Karte, nun sind es acht. Man wolle lieber weniger Gerichte exzellent machen als viele gut, wird die Umstellung begründet.

Das Nationalgericht Ceviche darf natürlich auch nach dieser nicht fehlen. Sie gibt es in zwei Varianten, einmal klassisch, einmal vegetarisch, hinzu kommt ein halbes Dutzend weiterer, mitunter wechselnder Gerichte (die aktuelle Karte gibt es hier). Ebenso gibt es ein aus fünf Gängen (plus Küchengruß, plus Petit Fours) bestehendes Degustationsmenü, das wir heute probieren. Es besteht aus leicht abgewandelten Gerichten der Karte sowie exklusiven Kreationen und komme besonders an etwas ruhigeren Tagen zum Tragen, erfahren wir. Für große Gruppen gehe man eher auf die Einzelgerichte, es werden zwei pro Person empfohlen, Zweier- oder Vierertische hingegen weise man auf das Menü hin, das auf der Karte ganz unten fast ein bisschen versteckt platziert wurde.

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Dabei muss sich das Degustationsmenü wahrlich nicht verstecken. Wir genießen eine perfekte Ceviche mit dicken Maiskörnern. Eine argentinische Rotgarnele, gegrillt bzw. frittiert, mit dehydrierter Olive und gegrilltem Radicchio. Ein Gericht, das einen Klassiker der Chifa-Küche (neben der Nikkei-Küche der japanischen Einwanderer ist sie die zweite Fusionsküche Perus, die chinesische Einwanderer kultivierten) mit gebackenem Adlerfisch statt Rindfleisch abwandelt, dazu Kartoffelpüree mit brauner Butter, Korianderpuder, roten Zwiebeln und Tomaten, im Wok flambiert mit Pisco, dazu getrocknete Kartoffeln und ein Hummerfond. Es folgt ein natives Gericht aus den Anden: Stubenküken gegrillt mit Kartoffeln, cremiger Huancaina-Sauce, dazu Salsa mit Minze und Erdnüssen. Vermutlich kann man nirgends sonst auf dieser gastronomisch so gut bestückten Friedelstraße so fine essen (vom Zweisterner Coda einmal abgesehen), und das preislich wie atmosphärisch sehr relaxt.

Der erste Gast ist heute Küchenchef

Küchenchef ist Simón Amaru Castro Mendoza. Er hat heute frei, aber erst trotzdem da – denn er hat Geburtstag und hat Freunde ins „Chicha“ eingeladen. Ein gutes Zeichen, wenn man quasi privat ins eigene Restaurant lädt. Er ist im Ruhrgebiet aufgewachsen, seine Eltern stammen aus Peru. „Ich habe eigentlich als Schauspieler im Theater in Essen gearbeitet, bin dann mit 20 Jahren nach Lateinamerika und war auch das erste Mal alleine und längere Zeit in Peru“, berichtet er uns.

Es war die Zeit, in der die peruanische Küche ihren großen Boom erlebte. Er habe seinerzeit zum ersten Mal in dieser Form den Stolz und die Begeisterung für die eigene Kultur in den Augen der Peruaner*innen gesehen: „Das wollte ich unterstützen und Teil davon sein.“ So wurde er Koch. Und: Er war vor neun Jahren tatsächlich der allererste Gast hier. Am ersten Abend des Softopenings klopfte er an die noch geschlossene Tür, erinnert sich sein Chef. Simón ist nun seit achteinhalb Jahren Teil des Teams und seit acht Jahren Küchenchef.

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Ohne Ceviche wäre das Chicha undenkbar, hier mit Adlerfisch

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Argentinische Rotgarnele

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Stubenküken nach Anden-Art

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Mango-Maracuja-Parfait mit weißer Schokolade

 

Not only Pisco Sour

Neben einer schönen Auswahl an Naturweinen gibt’s hier auch Stauder (aus Essen, sehr gutes Bier) und Cocktails. Es überrascht sicher nicht, dass das peruanische Traubenmost-Destillat Pisco hierbei im Zentrum steht, zum Beispiel beim feinbitteren „El Coronel“ mit Wermut, Amaro Montenegro und Angosturabitters, einer El-Presidente-Abwandlung. Und freilich serviert das Chicha Pisco Sours. Jede Menge davon. Das benötigte Eiweiß wird daher allabendlich vorbereitet. Wäre das vegane Aquafaba bei den Mengen nicht eine Alternative? Peveling-Oberhag winkt ab: Der Drink bleibt klassisch, da wird nicht experimentiert.

Wohingegen man bei den à-la-Speisen immer mehr vegetarisch-vegane Optionen anbietet, weil die Nachfrage entsprechend groß ist – und Küchenchef Simón kocht am liebsten und lebt mittlerweile selbst vegan. „Darin sehe ich langfristig die Zukunft“, erklärt er. Wenn man bedenkt, welche Kartoffelvielfalt Peru alleine hat, und dann noch bedenkt, dass der Pflanzenreichtum des Landes von der Küste über das Hochgebirge bis in den tropischen Regenwald hinein enorm hoch ist, muss man sich keine Sorgen machen, dass die Zutaten und Ideen für neue Gerichte irgendwann ausgehen könnten.

Peruanische Gastronomie: eine kleine, feine Nische

Als das „Chicha“ startete, zunächst als Marktstand, war peruanisch gerade ganz neu und Streetfood ebenso. Heute gibt es in Berlin einige Restaurants, die sich dieser Küche widmen – u.a. der Klassiker „Serrano“, die „Cevicheria“ in Kreuzberg, das Nauta, das Tupac oder das „Naninka“ in der Arminius-Markthalle.

So groß wie der dauerboomende Levante-Trend ist peruanische Küche hierzulande zwar nie geworden, aber sie bereichert und inspiriert die gastronomische Landschaft zweifellos. „Die Küche ist ja auch ein super Beispiel dafür, wie aus vielen Kulturen eine neue pluralistische entstehen kann“, findet Simón. Die auch außerhalb fokussierter Konzepte Anklang findet. Aktuell etwa bietet die „Villa Kellermann“ in Potsdam ein peruanisches Fine-Dining-Menü an, und Ceviche findet man in vielen Konzepten, die sich eklektizistisch der Küchen verschiedener Länder bedienen.

Dass Peru hierzulande auf der Gastro-Landkarte erschienen und immer noch zu finden ist, dazu haben Restaurants wie das „Chicha“ und die Menschen dahinter einen gar nicht so kleinen Beitrag geleistet.

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„El Coronel“

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