Die Konzepte von Shabnam Syed und Ash Lee weisen, auch wenn sie ganz unterschiedliche Sachen kochen, doch einige Parallelen auf – beide Gastro-Gründerinnen haben mit Streetfood und Pop-ups angefangen, beide haben kürzlich auf der Reichenberger Straße in Berlin-Kreuzberg ihre Restaurants eröffnet – zum einen das pakistanische Mama Shabz und zum anderen, nur ein paar Minuten die Straße hoch Richtung Kotti, das ChungKing Noodles mit traditionell-scharfen Nudeln aus Chongqing im Südwesten Chinas.
Wir wollten wissen: Wie kam es zu der Entscheidung „to go brick and mortar“, wie es neudeutsch heißt, und wie kamen die beiden überhaupt in die Food-Branche? Und wie ist es um die Berliner Esskultur anno 2019 bestellt? Stefanie Rothenhöfer hat die beiden zum Interview getroffen.
Shabnam, Ash, wie würdet ihr euer Konzept Leuten erklären, die bisher noch nicht bei euch zu Gast waren?
Shabnam: Essen, das ich liebe und das meine Mutter mir kocht. Typische pakistanische Gerichte, die du in Restaurants hier normalerweise nicht bekommst. Mit mehr Geschmack, mehr Gewürz. Diese Woche zum Beispiel Alu Gobhi mit Kartoffeln, Blumenkohl mit einem Curry unter anderem aus Senfsamen, Kreuzkümmel und Chili, dazu Roti. So was habe ich gegessen, als ich klein war. Also im Grunde habe ich Heimweh (lacht) und das gibt mir die Begründung, diese Sachen zu kochen. Und sie andere Leute genießen zu lassen.
Ist es schwer, die richtigen Gewürze zu finden?
Am Anfang total, ich habe alle möglichen indischen Shops abgeklappert, aber sie sind in den Gewürzen doch sehr limitiert. Ich habe zum Teil Sachen aus meiner Heimat London mitgebracht, dort kriegt man das alles in normalen Supermärkten. Irgendwann habe ich einen guten Shop in Moabit gefunden – ich nenne die Jungs meine pakistanischen Onkel (lacht).
Wie war es bei dir, Ash?
Ash: In den ersten paar Wochen kamen ständig Leute rein: Was für ein Restaurant ist das hier? Ein chinesisches Nudelrestaurant, habe ich dann gesagt. Oh, also Chinabox? Oder China-Nudelpfanne? Das verbinden hier eben immer noch viele Menschen mit chinesischem Essen. Ich habe dann erklärt: Wir machen unsere Nudeln selbst, wir machen damit ein spezielles Gericht, das kommt aus dieser Stadt in China und so weiter. Manche sind dann auch wirklich wieder gekommen, um das Essen zu probieren. Zum Beispiel ein älteres Ehepaar, von dem ich das nicht gedacht hätte. Sie fanden es so gut, dass sie erst eine Geburtstagsparty bei uns machen wollten – was aktuell aber nicht geht, wir sind einfach zu busy. Aber das war natürlich wundervoll. Die Leute sind doch recht offen hier, sie hören sich deine Geschichte an und wollen verstehen, was du machst.
Wer sind eure Gäste?
Ash: Wir haben auf jeden Fall viele internationale, viele Expats. Was daran liegt, dass es im UK und in Nordamerika viel facettenreichere asiatische Küchen gibt, hier gibt es einfach nicht so viele asiatische Einwanderer. Aber es kommen auch viele Deutsche. Und viele Gäste kommen mehrmals pro Woche.
Shabnam: Ist ähnlich bei uns, viele Expats, viele Deutsche. Und zu uns kommen auch viele Inder und Pakistanis und finden es super bei uns. Ich wusste nicht, dass es hier eine so große Community gibt.
Ihr habt beide keinen Food- und Gastro-Hintergrund. Wie seid ihr in die Branche gekommen?
Shabnam: Ich wollte schon mit meiner Mutter in London was aufmachen. Sie hat aber nein gesagt, zu viel Arbeit …
Ash: … womit sie recht hat (lacht)!
Shabnam: Oh ja, jetzt weiß ich, was sie meint! Als ich nach Berlin kam, bin ich zu einem Inder in der Weserstraße gegangen, den es nicht mehr gibt. Statt Roti bekam ich dort eine Tortilla serviert. Es war so beschämend! Und es gibt so viele Läden hier, die versuchen, die Leute reinzulegen. Wie kann man nicht ehrlich mit seiner Esskultur sein? Roti zu machen ist nicht so schwer, das Mehl kriegt man hier auch, ich verstehe die Entschuldigung nicht. Egal: Ich habe jedenfalls 2015 dann meine eigenen pakistanischen Pop-ups gemacht, das war ein Erfolg, und so habe ich einfach weitergemacht. Als Basis dienen die Rezepte meiner Mutter, was allerdings nicht so leicht ist – sie mißt und wiegt einfach nichts ab. Ein bisschen hiervon, ein bisschen davon. Bevor ich das Restaurant eröffnet habe, habe ich ich ihr einen 15-Gramm-Esslöffel oder einen Fünf-Gramm-Teelöffel in die Hand gedrückt, damit ich das aufschreiben konnte. Ich hoffe, dass ich ihre Rezepte einigermaßen richtig mache jetzt.
Ash: In der chinesischen Küche wird auch nichts gemessen. Wenn ich meine Mutter frage, dann sagt sie: Ein Spritzer Sojasauce, bisschen Zucker, ein wenig Essig – ja, Mom, aber wie viel? (lacht). Vor ein paar Jahren habe ich an einem Kochbuch mitgeschrieben und der Verlag fragte bei meinem Rezept: Schön, aber welche Mengen? Tja, gute Frage (lacht). Ich habe es dann notiert, aber auch dran schreiben lassen, dass es in China nicht üblich ist, es zu messen.
Und wie bist du ins Food-Business gekommen, Ash?
Ash: In Shanghai habe ich im Immobilienbusiness gearbeitet. Ich kam hierher wegen meines Ehemanns. Die ersten drei Jahre hatte ich nur eine Aufenthaltsgenehmigung, keine Arbeitserlaubnis. Erst war das ganz nett nach der stressigen Arbeit in Shanghai, doch dann wurde es langweilig. Ich traf dann Kavita (Meelu, Gründerin „Street Food Thursday“, „Burgers & Hiphop“ uvm., Anm. d. Red). Sie hat damals den „mother’s mother“ Supperclub gemacht (bei dem die Köch*innen Speisen der Großmutter servierten, Anm. d. Red.). Danach habe ich mit „Chī Fàn“ meinen eigenen Supperclub in meinem Apartment gemacht. Und dann wollte ich ein eigenes richtiges Restaurant eröffnen – nur mit welchem Konzept? Mit einem Zehn-Gänge-Menü wie beim Suppercub oder lieber mit etwas Einfacherem? So, wie ich selbst gerne esse? So kam es zu der Idee von Chunking Noodles. Was tatsächlich ein Frühstücksgericht ist. Viele Nudelrestaurants in Chongqing sind von sechs Uhr morgens bis zum Mittag geöffnet.
Ihr seid beide schon einige Jahre in der Stadt. Stellt ihr eine Veränderung fest, was die Foodqualität angeht?
Shabnam: Von wo ich beim Street Food Thursday angefangen habe bis heute ist es auf jeden Fall eine Riesenveränderung. Am Anfang war es sehr casual, jetzt gibt es mittlerweile Stände wie die Schneiderei – das ist „Michelin Street Food“ (lacht). Indisch-pakistanisches Essen hat aber noch einen langen Weg vor sich.
Ash: Chinesisches Essen auch. Aber es entwickelt sich. Es ist auch so ein Riesenland. Was ist chinesisches Essen? Sag es mir. Ich bin aus Shanghai, das Essen ist dort völlig anders als das in Chongqing, oder das kantonesische Essen, das Mongolische … es gibt zwar Überschneidungen, aber es ist und bleibt eine Riesenwelt. Deswegen: ChungKing Noodles, fangt damit erstmal an (lacht). Die Sichuan-KÜche hat auch nicht nur scharfe Sachen, man kann nicht immer scharf essen, sie hat auch eine sehr süßsaure Seite. Delikat! Für mich ist das Restaurantprojekt auch ein Lernprojekt, ich entdecke Rezepte, spreche mit den Leuten vor Ort, das macht Spaß. Ich bin glücklich, eine Brücke zwischen Chongqing und hier bauen zu können.
Wann war für euch klar, den Schritt vom Pop-up zum festen Restaurant zu machen?
Shabnam: Das war eigentlich erst für 2020 geplant gewesen. 2019 wollte ich vor allem Festivals machen, ich war zum Beispiel auf der Fusion. Diesen Ort hier in der Reichenberger Straße hatte ich aber schon Anfang 2018 bemerkt, er war damals schon zu haben. Dann war ich drei Monate weg, und danach poppte der Ort wieder bei mir auf. Ich wusste, den will ich haben. Und so kam es dann dazu. Ob das nun der richtige Zeitpunkt war oder ist, weiß ich immer noch nicht, ehrlich gesagt. Aber jetzt mache ich es einfach. Und das Selbstvertrauen wächst. Ich lerne viel von den Leuten, die mit mir arbeiten, sie kennen sich schon mit Gastronomie aus – allein die Buchhaltung, völlig neu für mich.
Ash: Ich musste bei meinen Pop-ups immer wieder Leute enttäuschen: Sorry, wir sind ausverkauft. Da sind viele extra angereist, haben nichts mehr bekommen und waren zurecht verärgert. Ich wollte einfach mehr Leuten die Möglichkeit geben, unsere Nudeln zu genießen. Nicht nur an einem oder zwei Pop-up-Tagen, sondern immer fünf Tage die Woche. Und ich fühle mich genauso gesegnet wie du, Leute zu haben, die das mit mir hier machen. Ich fühle mich auch nicht wie ein Boss, sondern wie jemand, der in einem Team arbeitet.
Wo wir beim Thema Mitarbeiter*innen sind: Wie seid ihr da aufgestellt?
Shabnam: Vorher habe ich fast alles alleine gemacht. Ganz am Anfang hatte ich jemanden, ungefähr zwei Jahre lang, mein Freund hat mir auch eine Weile geholfen. Hier habe ich zum ersten Mal ein großes Team – alles Leute aus dem Freundeskreis. Was gut, aber natürlich manchmal auch eine Herausforderung ist. Und fast alle arbeiten auch noch an anderen Sachen, ich habe nur einen Vollzeitmitarbeiter und zwei Minijobber, der Rest arbeitet stundenweise freiberuflich. Das ist auf Dauer nichts, aber es ist eben ein Kampf, gute Leute zu finden. Die ich fürs Catering und das Restaurant langfristig sicher brauchen werde.
Ash: Ich habe einen festen Mitarbeiter, mit dem ich zusammen die Küche mache. Ein guter Freund. Den Rest des Teams – ein Minijobber, der Rest auch Freelancer – habe ich über die Facebook-Gruppe „berlin hospitality staff“ gefunden.
Gibt’s Investoren?
Ash: Ja, einen, auch einer meiner besten Freunde.
Shabnam: Nein.
Wie wichtig ist eure Lage? Hättet ihr auch woanders eröffnet?
Shabnam: Also ich wusste, dass ich hier in der Ecke was aufmachen will – Kreuzberg, Neukölln oder vielleicht Treptow – ich hatte mir auch etwas in der Bouchéstraße angeschaut. Einfach, weil alle meine Pop-ups in den letzten Jahren in dieser Gegend stattgefunden haben. Die Leute kennen mich hier, hier fühle ich mich wohl. In Mitte oder Prenzlauer Berg hätte ich das nicht getan, da bin ich einfach nie (lacht).
Ash: Ich lebe in Prenzlauer Berg und das auch gerne, aber ich würde mein Restaurant nicht dort haben wollen. Es ist ein ganz anderes Publikum. Ein „fun noodle place“ wie unserer passt hier einfach am besten hin.
Wie wichtig ist denn der Communityfaktor? Habt ihr euch da durch die Pop-ups schon eine aufbauen können?
Shabnam: Je länger man in der Branche arbeitet, desto mehr wächst sie. Am Anfang waren es erst einmal nur meine Freunde und dann wurden es immer mehr Leute.
Ash: Ich finde, ich habe nicht wirklich eine Community aufgebaut. Mein Job ist: gute hausgemachte Nudeln machen. Mit gutem Mehl, gutem Chiliöl. Wenn du gute Sachen machst und hart arbeitest, dann werden die Leute auf dich aufmerksam, wertschätzen dich und deine Arbeit und unterstützen dich.
Shabnam: Total.
Und wie ist es für euch selbst, von Streetfood-Geschäft in ein reguläres Gastro-Business gegangen zu sein?
Ash: Bisher genieße ich es, aber es ist eine Menge Arbeit: Momentan mache ich 13- bis 14-Stunden-Tage. Nach der Küche kommt noch das Büro – Rechnungen bezahlen, Bestellungen und so weiter. Sich dabei nicht auszubrennen, ist wichtig. Wenn du deinen freien Tag hast, dann bleib auch zu Hause, bleib‘ im Bett, geh‘ einen trinken oder mach was anderes. Ist nicht einfach! Natürlich denke ich die ganze Zeit: Ob wohl alles okay ist im Laden?
Shabnam: Kenne ich … es fällt mir auch total schwer. Selbst wenn ich die späte Schicht habe, komme ich früh rein.
Habt ihr dennoch schon Expansionspläne?
Ash: Darüber denke ich aktuell nicht nach.
Shabnam: Ich auch nicht, aber unser Keller wurde gerade neu gemacht – vielleicht können wir da irgendwann eine Produktionsküche für das Catering reinmachen. Muss man sehen, was das kosten soll.
Letzte Frage: Eure Empfehlungen für andere Food-Gründer*innen?
Shabnam: Habt ein dickes Fell. Bereitet euch auf das Beste und das Schlechteste vor – es passiert dir alles.
Ash: Und habt Selbstvertrauen. Nicht jeder wird dein Essen mögen. Das darfst du nicht zu sehr an dich ranlassen.
Shabnam: Oh ja! Manche Leute sagen, ich koche zu würzig. Andere sagen, ich würze zu wenig. Was soll man da machen?
Ash: Eben!
Shabnam: Das Beste ist, wenn Leute sagen: Es schmeckt wie zu Hause. Einmal bei einem Pop-up war eine Frau zu Gast. Sie hat bis zum Ende gewartet, bis ich endlich Zeit hatte – um mich zu umarmen, weil das Essen sie an das ihrer Mutter erinnerte.