Cynthia Barcomi: „My way or the highway!“ – 25 Jahre Barcomi’s, Berlin

von Jan-Peter Wulf
cynthia barcomi 690x460 - interviews-portraits, management, konzepte, kaffee-und-tee, gruendung, gastronomie, food-nomyblog Cynthia Barcomi: „My way or the highway!“ – 25 Jahre Barcomi's, Berlin

Cynthia Barcomi. Foto: Nicky Walsh

1994 eröffnete die US-Amerikanerin Cynthia Barcomi ihr erstes Café im Bergmannkiez in Kreuzberg mit der Mission, besseren Kaffee und hausgemachtes Gebäck in die Hauptstadt zu bringen. Eine Mission, auf der sie heute, mit zwei Gastronomien, vielen TV-Auftritten, Nachwuchs-Mentoring und dem achten Buch in Arbeit, immer noch unterwegs ist.

Beim Treffen im „Barcomi’s Deli“ haben wir uns ihre Statements, Beobachtungen und Werte notiert. Ein thematisch gegliedertes Protokoll. 

Cynthia Barcomi über …

… Berlin 1994 und 2019

„Berlin 1994? Eine Wüste! In der Bergmannstraße gab es nur das Café Atlantic. Niemand hat selbst gebacken, jeder hat eingekauft, überall gab es denselben TK-Apfelkuchen. Für mich – ich wollte eine individuelle Alternative zu industriell hergestelltem Gebäck und Kaffee bieten – war das ein Problem: Weil der Konsument keine Alternativen hatte und es überall den selben schlechten Kaffee gab, konnte er nicht wahrnehmen, dass es nicht gut schmeckt – weil er kein Beispiel dafür hatte, wie etwas gut schmeckt.“

„Ich finde toll, dass die Gastronomie nicht mehr als Alternative zur Arbeitslosigkeit – wer nichts wird, wird Wirt – angesehen wird. Ich sehe in Berlin viele gute Ideen. Manches funktioniert, manches nicht. Es gibt immer noch schlechte Qualität zu einem hohem Preis, aber auch viele Leute, die gute Arbeit machen.“

… ihren Quereinstieg

„Ich wollte vor allem guten Kaffee rösten. Ich bin immer in die Staatsbibliothek gegangen – Internet gab es ja noch nicht – und habe viele Bücher über Kaffeeanbau, Ernte und Rösten gelesen. Irgendwann bin ich nach Hamburg gefahren und habe mich mit einem Kaffeehändler getroffen. Der sagte mir: ‚Ich bin seit 35 Jahren im Geschäft, ich würde das niemals machen, was Sie machen wollen.‘ Da war ich noch nicht mal 35 Jahre alt! Ich habe es trotzdem gemacht. Man darf sich nicht einschüchtern lassen. Und dass ich eine Frau bin – das war 1994 egal. Ich war sowieso ein Underdog – sink or swim! Durchsetzen muss man sich so oder so. Und kaputt machen kann man sich eigentlich nur selbst.“

… das Abholen und Mitnehmen der Gäste

„Als Gastronom hast du eine Idee, ein Vorhaben – alles Theorie. Wenn du aufmachst, musst du sofort einen Dialog mit deinen Gästen anstreben, sie dort abholen, wo sie gerade sind. Ich wollte eigentlich vor allem rösten und dazu ein bisschen backen, um zu zeigen: Auch die Amis haben eine Backkultur. Doch alle haben sich total aufs Gebäck gestürzt. Okay, dachte ich mir, der Weg zum Kaffee geht über das Gebäck. Und der Weg zum Gebäck über unsere gemeinsame Esskultur – Kaffee und Kuchen am Sonntag. Du musst einerseits den Dialog finden mit den Gästen und sie andererseits dazu bringen, das zu wollen, was du anbieten willst. ‚Du musst Käse und Wurst anbieten‘, hat man mir gesagt. Nein, muss ich nicht! Das kann man überall um die Ecke kriegen. Mach‘ eine Sache und die wirklich gut.“

… Qualität und Führung

„Ich bekomme von meinen Mitarbeitern jeden Tag Fotos vom gesamten Gebäcksortiment, das rausgeht. Wir hatten Qualitätsschwankungen beim Roggenbrot: Darum stellen sie jetzt einen Zollstock daneben, damit ich sehen kann, dass es 12 Zentimeter hoch ist. Du musst so streng sein. Erst gestern habe ich in der Bergmannstraße die Brownie-Marmor-Cheesecakes zurückgeschickt – unverkäuflich. Ich sage meinen Leuten: Alles was wir haben, ist Qualität. Wenn wir die nicht haben, haben wir gar nichts. Dann habt ihr keine Arbeit und dann habe ich keine Arbeit. Was nicht leicht ist, weil wir immer mehr produzieren.“

„Wie führe ich Leute, die mehr Erfahrung haben als ich? Das war am Anfang richtig schmerzhaft für mich: Ich musste lernen, was es heißt, Arbeitgeber zu sein. Aber ich wusste: Es ist mein Geschäft, mein Name, ich muss das einfach machen. Ist es wichtig, dass Mitarbeiter mich mögen, oder wichtig, dass sie mich respektieren? Wenn jemand eine Frage hat, musst du eine Antwort haben: ‚Mach wie du denkst‘ ist keine Antwort.“

… Weiter- und Produktentwicklung

„Gastronomie ist ein Dialog. Wir dürfen nicht statisch sein. Wir haben heute auch ein veganes und glutenfreies Angebot, weil wir relevant sind und relevant bleiben wollen. Wir müssen uns immer wieder auf Gäste einstellen, ohne uns zu verlieren – Burger werden wir nie machen. Und manche Dinge sind gut genau so, wie sie sind – zum Beispiel der New York Cheesecake, den habe ich so vor 25 Jahren entwickelt.“

„Ich entwickle die Rezepte. Das soll nicht jemand anderes für Barcomi’s machen. In der Küche in der Bergmannstraße koche ich, entwickle neue Salate, neue Suppen. Neue Backrezepte mache ich immer zu Hause. Da habe ich absolute Ruhe, alles ist an einem Platz und gut steuerbar.“

… Personalkosten vs. Wareneinsatz, Service und Ambiente

„Bei uns sind die Personalkosten sehr hoch, um die 40 Prozent. Wir brauchen viele Leute, um unser Konzept umsetzen zu können, in der Küche und im Service. Dafür hält sich der Wareneinsatz sehr im Rahmen, weil wir so viel selbst machen. Der Servicebereich war nie meine Stärke. Ich habe zum Glück gute Mitarbeiter, die diesen Bereich betreuen. Einmal hat das japanische TV bei uns gedreht. Sie wollten, dass ich mit zwei Tabletts an den Tisch gehe. ‚No, no, das bin ich nicht‘ (lacht).“

„Ein Café ist wie eine Bühne: So viele Dinge kommen zusammen. Einige kannst du steuern – die Qualität, mit wem du zusammenarbeitest. Andere nicht, zum Beispiel, wer zu dir kommt. Eine Zeitlang hatten wir die Befürchtung, dass uns mehr Touristen als Berliner besuchen. Wir brauchen Touristen, sie sind herzlich willkommen, aber wir wollen kein Touristenort sein. Es ist jetzt in einer guten Balance.“

… gutes Essen und Genuss

„Gutes Essen hat eine Selbstverständlichkeit. Man nimmt die Zutaten und unterstreicht sie, um sie noch besser wahrnehmen zu können: die Cremigkeit von Frischkläse, die Erdigkeit von Zartbitterschokolade, die wunderbare Textur von Quinoa. Oft nehmen die Leute zu viel Sahne, zu viel Fett, zu viel Zucker, zu viel Salz. Die Herausforderung ist, zurückhaltend zu sein, um Textur und Geschmack zu bewahren. Im Deli hatten wir mal einen Koch, der sich geweigert hat, das zu beachten. Immer zu viel Vinaigrette auf dem Salat. ‚Bitte weniger‘, habe ich wieder und wieder gesagt. ‚Wie du es zu Hause machst, ist mir egal. Aber hier: My way or the highway.’“

„Beim Essengehen mag ich Sachen, die ich selbst nicht umsetzen kann: Japanisch oder Chinesisch zum Beispiel. In Berlin mag ich mag den Pauly Saal und den Grill Royal sehr gerne, die haben konstante, gute Qualität. Wenn man im Restaurant allerdings den Fehler macht, mir eine englische Speisekarte zu geben, dann geht es los, dann frage ich immer nach einem Stift … so kann man das doch nicht schreiben (lacht). Aber ich muss sagen: Rezepte entwickeln, Kochen, Backen, das ist auch Genuss für mich.“

… und das zu-Ende-Schreiben von Büchern

„Man muss ähnlich konsequent wie mit einem Gastrokonzept sein: Du brauchst eine Struktur und arbeitest von Makro nach Mikro. Es fängt mit einem Skelett an (zeigt uns die Themenübersicht ihres nächsten, achten, Buchs). Und du brauchst Zeit und Flexibilität dafür, du musst es trotz deines Geschäfts und deines Privatlebens machen können. Dann setzt du dich ran, ich tue das ohne Pause. Je intensiver ich an einem Buch arbeite, desto klarer wird es.“

Das würde Cynthia Barcomi 2019 zu Cynthia Barcomi 1994 sagen:

„Du machst das alles richtig, du kriegst das hin. Bleib bei dir, bleib dir selbst treu. Mach es ganz langsam, learning by doing, aber gib‘ Leistung.“

Das würde Cynthia Barcomi 1994 zu Cynthia Barcomi 2019 sagen:

„Setz‘ dir keine Grenzen!“

 

Zur Person

cynthia barcomi torte - interviews-portraits, management, konzepte, kaffee-und-tee, gruendung, gastronomie, food-nomyblog Cynthia Barcomi: „My way or the highway!“ – 25 Jahre Barcomi's, Berlin

Foto: Nicky Walsh

Cynthia Barcomi Friedman wurde 1963 in Seattle, Washington (USA) geboren. Nach ihrem Studium (Philosophie, Theaterwissenschaft) kam sie 1985 nach West-Berlin und arbeitete als professionelle Tänzerin. Im Herbst 1994 eröffnete sie mit 15.000 Euro Eigenkapital und einer Finanzierung der Bürgschaftsbank (mitgebrachtes Gebäck leistete Überzeugungsarbeit) ihr erstes Café mit Kaffeerösterei in der Bergmannstraße 21 in Berlin-Kreuzberg. 1997 kam das zweite Objekt („Barcomi’s Deli“) in der Sophienstraße 21 in Berlin-Mitte dazu. 1998 bis 2000 leitete sie das Café im „KW – Centre For Contemporary Art“.

Seit 2009 vertreibt sie unter ihrem Namen Back- und Küchenutensilien. Sie hat bislang sieben Back- und Kochbücher verfasst, das achte Buch ist in Arbeit. Cynthia Barcomi ist häufig im TV zu Gast (u.a. „Volle Kanne“, ZDF) und gibt ihr Wissen und ihre Erfahrung an den Nachwuchs weiter – zum Beispiel in der Jury des „Deutschen Gastro-Gründerpreises“ und neuerdings auch als Mentorin von Shani Leiderman, der Gründerin der globaljüdischen Gastronomie Beba im Gropius Bau. Cynthia Barcomi Friedman ist verheiratet und hat vier Kinder.

Mehr Infos: www.cynthiabarcomi.com

Dieser Beitrag erschien zuerst in FIZZZ 1/2019

Weiterlesen:

10 Tipps für Gastro-Gründer von Cynthia Barcomi und Ralf Steinacker

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1 Kommentar

Michael 3. Juni 2022 - 14:09

„My way or the highway!“, Fotos vom Brot mit Meterstab…moderne Unternehmenskultur ist das aber nicht.

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