Was Geschlechterverhältnisse angeht, ist die Food- und Gastronomiebranche nicht gerade progressiv.
Da finden große Kochwettbewerbe statt, die nur Männer featuren und feiern. Und Podiumsdiskussionen, in denen nur Anzugträger (plus der tätowierte Enfant-Terrible-Koch) diskutieren. Da kommen Messen auf die Schnapsidee, dass das Küren einer „Gastrokönigin“ eine zeitgemäße Aktion ist. Zeitschriften inszenieren das Thema Kochen, als ginge es darum, dem Leser gleich schön die Fresse zu polieren. Und in den Führungsriegen der Branche? Regieren vorwiegend Männer, während andere Branchen da schon viel weiter und progressiver sind. Notabene: Sogar das neue Regierungskabinett hat immerhin sechs Frauen, plus Kanzlerin, bei insgesamt 15 Ministerposten. Immerhin.
Dabei bringt mehr Vielfalt viel. Weiß man besonders im Frauennetzwerk-FOODSERVICE: Es arbeitet, unermüdlich, für eine Veränderung in der Branche. Und veranstaltet unter anderem jährlich ein Forum, das nächste Mal am 26. April 2018. Dort referiert Anna Engers, die sich als Beraterin mit ihrem Unternehmen diventure auf die Themen Organisationsentwicklung und Diversity spezialisiert hat. Speziell zu Letzterem wollten wir mehr von ihr wissen, denn so elegant der Begriff klingt – so richtig greifbar ist er nicht. Bis jetzt jedenfalls. Lesen Sie selbst.
Frau Engers, was versteht man eigentlich unter dem Begriff „Diversity“ – und was nicht?
Diversity heißt wörtlich übersetzt Vielfalt. Dahinter stehen Ansätze, die die menschliche Vielfalt als gesellschaftliches Potenzial wertschätzen und bewusst fördern. Dabei soll gerade nicht die Minderheit im Fokus stehen, sondern die Gesamtheit der Menschen in ihren Unterschieden und Gemeinsamkeiten. Häufig werden in Anlehnung an das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) die folgenden Dimensionen von Vielfalt unterschieden: Geschlecht, ethnische Herkunft und Hautfarbe, Alter, Behinderung, Religion/Weltanschauung und sexuelle Identität. Ich persönlich sehe den Diversity Begriff noch viel weiter.
Nämlich wie?
In Unternehmen geht es darum, eine Arbeitsatmosphäre zu schaffen, in der sich jeder Mitarbeiter so entfalten kann, dass er sein volles Potenzial ausschöpft. Das ist in jedem Unternehmen unterschiedlich. Die einen setzen den Fokus mehr auf Gender Diversity, andere wiederum fördern die Zusammenarbeit zwischen Alt und Jung und wieder andere nutzen die kulturelle Vielfalt, die sie in ihren Teams haben. Für mich steht die Förderung von Vielfalt über allem und ist gleichzeitig eine Methode, um zu einem wirtschaftlich erfolgreichen Unternehmen zu werden: Zufriedene Mitarbeiter, weniger Konflikte, Unterschiedlichkeit im Team und Identifikation mit der Firma fördert die Kreativität und Innovation eines jeden Unternehmens. Das zahlt sich aus.
Wie steige ich als Unternehmen in das Thema ein? Gibt es Vorbilder oder Standards, an denen ich mich orientieren kann?
Am Anfang steht immer die Aufnahme der Ist-Situation. Was gibt es schon in der Firma, was läuft gut, was läuft schlecht? Dann sollte sich jedes Unternehmen die einfache Frage stellen: Warum wollen wir uns überhaupt für mehr Diversity engagieren? Was ist ganz konkret der Nutzen speziell für unsere Firma? Dieser Frage sollte viel Zeit gewidmet und ernst genommen werden, damit die Maßnahmen auch zur individuellen Firma passen und nachher nicht nur Lippenbekenntnisse auf der Website stehen. Das merken die Mitarbeiter und Kunden sofort. Eine schöne Orientierungshilfe bietet die Charta der Vielfalt, ein Verein, der sich seit über zehn Jahren für Diversity in der Arbeitswelt einsetzt.
Sollte es einen speziellen Beauftragten für das Thema geben, ist es Chefsache oder entscheiden möglichst alle mit?
Das kommt auf das Unternehmen und auch auf deren Größe an. Wenn es nach mir persönlich geht, kann Diversity nicht hoch genug aufgehängt werden. Die obere Managementriege oder Vorstand müssen unbedingt eingebunden werden, denn ihnen kommt auch eine Vorbildrolle zu. Meiner Meinung nach hat das Management in deutschen Unternehmen noch nicht verstanden, welche Kraft ein gutes Diversity Management entwickeln kann. Zufriedene Mitarbeiter sind ein so wertvolles wirtschaftliches Gut, das leider immer noch unterschätzt wird. Zufriedene Mitarbeiter sind gesund, motiviert und bleiben dem Unternehmen erhalten. Das alles spart viel Geld. Klingt vielleicht ein wenig banal, aber so ist es.
Wie implementiere ich „diversity management“ in meinem Unternehmen, sagen wir einem kleinen Betrieb mit rund 20 Mitarbeitern?
Oft braucht es gar nicht viel. Keiner sagt, dass man gleich ein komplettes Diversity-Management aufbauen muss. Warum fragt man nicht einfach zuerst einmal die Mitarbeiter, was sie sich wünschen, um sich am Arbeitsplatz wohl zu fühlen und voll entfalten zu können? Da kommen oft ganz erstaunliche Dinge heraus, wenn sich die Mitarbeiter ernst genommen fühlen. Ich halte nichts davon, mit dem Gießkannenprinzip Maßnahmen in der Firma auszuschütten, die nicht wirklich was nützen, weil sie aufgrund der Individualität jedes Unternehmens nicht richtig greifen können. Manche Firmen brauchen schlicht keinen Gebetsraum.
Was raten Sie Gastronomen, die sich mit dem Thema beschäftigen und es einführen wollen?
Zunächst müssen sie es ernst meinen. Auch hier darf Diversity nicht dazu ausgenutzt werden, werbewirksam auf sich aufmerksam zu machen. Das kommt nicht gut an. Auch die Gastronomen müssen sich fragen: Warum will ich das und was soll später anders und besser sein? Danach sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Man kann im ganz Kleinen anfangen, aber man muss einmal starten. Diversity in ein Unternehmen einzuführen, ist ein Prozess. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber aus kleinen Erfolgen werden große.
Was können Männer – würde ich als Mann gerne wissen – dazu beitragen?
Offen für das Thema Diversity sein. Ich merke in meiner täglichen Arbeit – gerade in einer sehr männerdominierten Welt –, dass viele noch glauben, Diversity sei ein Modethema, das man vielleicht aussitzen kann. Die Männer, die so denken, haben schlicht Angst um ihre Position und sehen nicht die Chancen, die darin stecken. Wir sehen doch, dass auch aufgrund der eingeführten Frauenquote die Führung in deutschen Unternehmen nicht auf einmal komplett weiblich ist. Ja, Veränderung ist manchmal ein bisschen unbequem, aber birgt immer auch viele Chancen. Das müssen wir hervorheben. Und ich weiß nicht, wie oft ich noch die zahlreichen Studien zitieren muss, dass gemischte Teams – auch über Gender hinaus – kreativer, erfolgreicher und innovativer sind. Wir brauchen die Männer. Die Frauen wollen nur endlich gleichberechtigt mit im Boot sitzen, mehr nicht.
Gibt es dahingehend deutsche Vorzeigebetriebe?
Immer wieder fallen großen Konzerne mit einzelnen Maßnahmen, auch werbemäßig, auf. Da wird oft viel Geld in die Hand genommen und es werden tolle Initiativen gestartet. So hatte Daimler 2016 eine sehr erfolgreiche Ausstellung zum Thema „Alter und Demografie in der Arbeitswelt“ in Bremen präsentiert. Diese Ausstellung unter dem Titel „Ey Alter“ ist übrigens wieder ab 17. Mai in Berlin zu sehen. Bosch hat mit einem breiten und sehr transparenten Spektrum von Teilzeitmodellen auf sich aufmerksam gemacht. In der Gastronomie zählen schon einige namhafte Hotels zu den Unterzeichnern der Charta der Vielfalt, was sie zu einem Engagement zum Thema Diversity bei sich intern im Betrieb verpflichtet. Sehr früh haben auch drei populäre Fastfoodketten die Charta unterzeichnet. Ein sehr vorbildliches Beispiel findet man auf Sylt: Dort bildet ein Hoteldirektor gezielt geflüchtete Menschen in der Gastronomie bei sich aus.
Vielen Dank, Frau Engers.
Anna Engers spricht auf dem 5. Frauenforum-FOODSERVICE, das am 26. April 2018 in Frankfurt stattfindet, über das spannende Thema Verhandeln. Das Event ist exklusiv für Frauen aus der Foodbranche. Mehr Informationen zur Veranstaltung gibt es hier.