Kochen über offenem Feuer: Eine der ältesten Garmethoden der Menschheit erlebt gerade ihre gastronomische Renaissance. „Open Fire Cooking“ zieht die Gäste in neue Konzepte – wir haben sie uns angeschaut.
Die mitunter ziemlich verwöhnte Berliner Foodie-Szene mit einem innovativen kulinarischen Eventformat zu beeindrucken – gar nicht so einfach. Tobias Beck und sein Team haben dies mit Ember OFC geschafft: Seit 2021 finden die so exklusiven wie beliebten Dinner in besonderen Locations in der Stadt oder deren Rande statt, vom historischen Funkhaus in der Nalepastraße bis zu einem Archivgebäude in Marzahn.
Nun ist „Ember“ in einer festen Location sesshaft geworden (wenngleich man auch weiter externe Events macht): Auf dem Dach eines Hinterhofgebäudes am Görlitzer Park ist man nun mit dem „Ember Rooftop“ ein Hybrid aus Restaurant mit Viergang-Menü und Eventlocation – und das für mindestens fünf Jahre.
Der vom Berliner Kultarchitekten Hinrich Baller gestaltete Ort, der zuvor ein Büro war, bietet den Gästen nicht nur einen schönen Ausblick. Er ist auch ideal für die Anforderungen des Konzepst: Denn bei „Ember“ (das ist der englische Begriff für Glut bzw. glühende Kohle) werden die Speisen ausschließlich über Feuer gegart, das OFC im Namen steht für „Open Fire Cooking“. Auf einer großen Terrasse neben dem verglasten Gastraum wird gegrillt und geräuchert – und die Nachbarschaft bekommt, weil man so hoch gelegen ist, keine Schwaden ab.
Ein stabiles, eigens für „Ember“ gebautes und mobil einsetzbares Grillgestell steht hier ebenso wie kleine japanische Konro-Grills zum Einsatz kommen, die eine sehr hohe Temperatur auf kleinem Raum hervorbringen. Auch einen Pizzaofen hat man sich angeschafft. Beck hat im Berliner Szene-Gourmetrestaurant „Ernst“ gearbeitet, eine Zeitlang im „Noma“ in Kopenhagen und beim legendären argentinischen Koch Francis Mallmann. Der wurde mit seinen Open-Fire-Cooking-Spektakeln in der Netflix-Serie „Chefs Table“ weltberühmt. „Dort ist mir klargeworden: Feuer ist mein Medium“, so Beck. Und das längst nicht nur, um Fleisch oder Fisch zu grillen und möglichst intensive Aromen zu kreieren. „Man kann auch sehr elegant mit Feuer kochen“, so Beck, „und es soll ja nicht alles nur nach Rauch schmecken“, fügt er lachend hinzu.
Als Beispiel nennt er die nur ganz leicht geräucherte Feigenblatt-Sahne im Spaghetti-Eis, die dem Signature-Dessert eine feine Kokosnote verleiht. Salat- oder Spinatblätter werden kurz angeröstet, Meeresfrüchte kurz über die Glut geschoben. Die Basis für die Speisen wie gerösteten Lammsbries mit grünen Zwiebeln oder Spinat mit gerösteten Pistazien ist frisches Buchenholz aus Sachsen. Der Lieferant „Kaminholz Breuer“ pflanzt für jeden gefällten Baum einen neuen. „Wir haben bei unseren Zulieferern für die Speisen hohe Ansprüche und gilt ist auch beim Holz“, erklärt Beck.
Für besondere Aromen und Noten verwendet man zum Beispiel das Holz der Kirsche, welches für eine Bittermandelnote in der Sahne sorgt oder dem hausgemachten Eistee einen markanten Geschmack gibt. Es ist ein Spiel mit Innovation und Archaischem, welches dem Konzept seinen Reiz verleiht. Beck: „Das Feuer, das Licht und die Wärme bringen uralte Gefühle in uns hervor. Die Gäste stehen oft draußen und schauen uns zu.“ Und mehr noch: Es ist auch eine transparente, nachvollziehbare Art des Kochens. „Die Leute wollen wieder einfacher essen“, hat der Gastgeber beobachtet. Hinter dieser Simplizität steckt freilich ein deutlich größerer Aufwand, als das Kochfeld eines modernen Induktionsherds anzutippen. Er habe viele Bücher zum Thema gewälzt, von Perfektionisten wie Mallmann gelernt, sich in der traditionellen Barbecue-Kultur der US-Südstaaten umgeschaut und habe sich viele Male nicht nur sprichwörtlich die Finger verbrannt, berichtet Tobias Beck. Übrigens hat sich das ganze Küchenteam in Sachen Brandschutzhilfe ausbilden lassen. Sicher ist sicher.
Feuern, heizen, töpfern
In der nur ein paar Minuten zu Fuß entfernten Neuköllner Pannierstraße setzt das Kramer ebenfalls auf Feuer. Hier jedoch wird es allabendlich drinnen entfacht. Betreiber Fabian Kramer arbeitete u.a. in offenen Restaurants an Stränden auf den Philippinen, die mit Flammen und Glut garen, und setzt das Prinzip seit Anfang 2023 (wir berichteten kurz nach dem Start) im eigenen Betrieb um. Er klingt hochzufrieden: „Es lief von Anfang an hervorragend.“ Auch im Sommer, dank großer Bänke vor den Fensterfronten. Sein Team hat er auf neun Vollzeit-Mitarbeitende und drei Aushilfen vergrößert.
Wenn es abends dunkel wird und das natürliche Licht zu flackern beginnt, die üppigen Wasserpflanzen leuchten und der würzige Duft der rauchenden Zimtstangen durch die Location zieht, die man ritualartig durch diesen trägt, stellt sich eine überaus romantische Stimmung ein. Die Tresenplätze sind sehr beliebt, lässt sich das Feuerspiel am Grill in der großen, offenen Küche hier doch besonders gut verfolgen. Das Grillgut heizen glühende Kohlen an. Dazugelegte Holzscheite oder kleine Äste geben den Speisen vom geräucherten Canellini-Bohnensalat über Adlerfisch in Sansho-Yuan-Marinade bis zu Tamales mit Gemüsefüllung ihr Geschmacksprofil.
Gästeliebling und wohl für immer auf der Karte: die gegrillte Ananas-Ceviche. Im Rohzustand nicht gerade everybody’s darling, kriegt diese Ananas nur Lob. Kramer: „Wer die probiert, ist immer begeistert.“ Was neben der Rauch- und Grillnote auch an ihrer gereiften Leche de Tigre unter anderem aus Limettensaft, Ingwer und Korianderwurzel liegen dürfte. Neben Buche (rund 80%) kommen Birke oder Esche zum Einsatz, auch Holz von Apfelbäumen oder solchen, die Zitrusfrüchte tragen. Neuerdings auch Eiche, die zum Beispiel dem Kürbis ein Extra-Aroma verleiht – wobei man hier vorsichtig sein müsse, damit es nicht zu sehr vorschmeckt, so Kramer.
Man muss kein Küchenplaner sein, um zu sehen, dass der technische Aufwand, den man im „Kramer“ für das Zubereiten mit dem Element betreibt, ein enormer ist. Die Lüftungsanlage ist eine große Investition, die jedoch nicht nur obligat war, um drinnen feuern zu können, sondern sich auf Dauer auch rentieren dürfte. Denn die warme Abluft wird für die Wohnungen im Haus genutzt. Für warmes Wasser zum Duschen oder Heizen sorgt bei einem Wirkungsgrad von fast 90% die Grill-Abwärme, das „Kramer“ bekommt dafür eine Rückvergütung. „Und hier drinnen hatten wir noch nie die Heizung an“, erklärt der Betreiber. Bald wird er die Hitze auch nutzen, um im Restaurant seinem Töpfer-Hobby nachgehen zu können: An einem mobilen Brennofen will er aus einem Mix aus der Asche und Glaspulver Keramikgefäße herstellen, die dann wieder fürs Restaurant genutzt werden können. Wollen wir natürlich sehen. Wir kommen wieder.
Der sechste Geschmack
Mit dem Ita Wood Fire Bistro hat kürzlich in Berlin ein weiteres Restaurant eröffnet, das mit Feuerholz arbeitet, und mit dem Stoke kündigt sich ein japanisches Open-Fire-Konzept an. Zudem gibt es mit „Woodcuisine“ ein weiteres flammendes Outdoor-Dinnerformat. Und auch außerhalb der Foodmetropole lodert es: Zum Beispiel im Pankratz in Mainz oder auch im kleinen Wachenheim an der Weinstraße.
Dort eröffnete Ende 2022 das Intense in 2.0-Version, ein altes Pfarrhaus und ein ehemaligen Getränkemarkt wurden für den neuen Standort des Restaurants spektakulär vereint. Küchenchef und Mitinhaber Benjamin Peifer setzt nun konsequent auf Feuer und Rauch. „Wir machen praktisch alles damit“, erklärt er. Nur zwei Induktionsfelder für Saucen gibt es noch.
Der „Intense“-Grill ist eine Spezialanfertigung mit großer Feuerstelle, verschiebbarer Glut und Schamottsteinen für gleichmäßige Hitzeabgabe. Verschiedene Ebenen und Temperaturzonen gewährleisten, dass man alles auf den Punkt bekomme, erklärt Peifer: „Sellerie schmeckt ja schon roh sehr lecker, gegrillt wird er magisch. Feuer und Rauch – das ist nicht nur umami. Es ist der sechste Geschmack.“
Ein Geschmack, der wie alle anderen mit viel Gefühl eingesetzt werden will. Frisch Geräuchertes zum Beispiel habe oft etwas Dumpfes und spitz Saures, erklärt der Profi. Darum lasse man Rauchgut meist eine Zeitlang – oft mehrere Wochen – ruhen, um es zu harmonisieren. Rote Bete hängen so über dem Grill, dass sie kaum Hitze und nur wenig Rauch abbekommen und auf diese Weise über Tage hinweg trocknen und „slow-smoken“.
„Man muss sich für diese Art der Küche wirklich entscheiden“, so Peifer. Und Anstrengung einplanen: An einem Grill zu stehen, der den Raum direkt davor auf 50 Grad erhitzt – auch damit muss man klarkommen. „Aber wenn man einmal angefangen hat, kommt man schwer wieder davon weg. Und unsere Gäste gehen alle happy nach Hause.“
Buchtipp zum Thema:
Cooking on Fire von Eva Helbæk Tram und Nicolai Tram
272 Seiten, 39,90 Euro, erschienen 2023 im gestalten Verlag
Mit Rezepten von einfach bis aufwändig und vielen praktischen Tipps vom professionellen Feuermachen bis zum Kochen mit dem richtigen Equipment oder auch ganz ohne.