Mit welchen Themen wird sich die Gastronomie in diesem Jahr beschäftigen? Welche Gastro-Trends aus den Vorjahren entwickeln sich 2019 weiter und wie? Wie in jedem Januar sind hier unsere Beobachtungen, Prognosen und Beispiele.
1. Generation Z
Eine Generation als Gastronomie-Trend? Ja, denn sie ist auf dem Vormarsch, die Generation Z, kurz „Gen Z“ genannt. Doch im Gegensatz zur Generation davor, den vielzitierten Millennials, liest man über die Z’ler, zumindest was den Bereich Gastronomie und Hotellerie angeht, noch recht wenig.
Als Generation Z fasst man die zwischen 1995 und 2010 Geborenen zusammen, die Ältesten sind somit schon Mittzwanziger und somit im Studium oder im Beruf, die Jüngsten überlegen sich derzeit vielleicht, was sie bald einmal werden wollen. Dass die Gastronomie für viele junge Menschen kein Traumberuf ist, ist leider ein Dauerproblem. Dass die Branche sich des Themas „New Work“ annehmen muss, haben wir schon letztes Jahr geschrieben. Bei der „Generation Z“ kommt erschwerend hinzu: Sie ist klein. Wurden 1965 in Deutschland rund 1,3 Millionen Menschen geboren, ist es 2005 gerade mal die Hälfte. Zusätzlich zu diesem demografischen Faktum wirkt auch ein entspannter Arbeitsmarkt sich auf die Hoga-Branche aus: Die ins Berufsleben Startenden können sich ihren Job aussuchen, Unternehmen müssen sich bei ihnen bewerben.
Das hat Auswirkungen für die Branche: Employer Branding, Employer Engagement lautet das Stichwort der Stunde – jetzt oder nie kommt es darauf an, sich auf Wünsche und Bedürfnisse der jungen Generation einzustellen, um sie einzustellen. Was sind ihre Werte, ihre Befindlichkeiten? Laut Shell-Studie 2015 geht es den Z’lern, grob verkürzt, um Harmonie, gutes Familienleben, Sicherheit und, aufgepasst, klar geregelte Arbeitszeiten. Die Flexibilität vieler Millennials, denen man oft ein Patchwork und Vermischen aus Arbeit und Freizeit zuspricht, ist – so hat die Wissenschaft festgestellt – den Z’lern zuwider. Ebenso das Karrierestreben: Gute Aufstiegsmöglichkeiten sind für nur 37 Prozent der in der Shell-Studie Befragten ein wichtiges Thema.
Die jungen Leute wollen keine Work-Life-Balance, sondern eine Life-Life-Work-Balance. Das persönliche Leben steht im Vordergrund.
Christian Rach, Interview zum Thema hier
Struktur, Sicherheit, Wohlfühlen – das sind die drei Begriffe, mit denen Prof. Christian Scholz aus Saarbrücken im Interview, das wir für FIZZZ mit ihm führten, die Generation beschreibt.
Die US-Psychologin Jean Twenge hat bei der Generation Z noch mal ganz anders hingeschaut: Es geht um Smartphone-Konsum, um Ängste und Depressionen. Nicht schön, aber sehenswert: Generation Z als verlorene Generation?
Zurück zum Gastro-Business: Z’ler suchen in der Arbeit eher keine Ersatzfamilie, sondern sehen berufliche Tätigkeit als Broterwerb an. „Erst das Vergnügen, dann die Arbeit“, betitelt das Wirtschaftsmagazin Brand Eins einen Generation-Z-Beitrag:
Sie können mehr, als ihr Essen zu fotografieren. Und sie wollen weniger Stress und mehr Leben.
Sophie Burfeind, Brand Eins
Ein Wahrnehmungswandel, der für kleine Betriebe wie Gastronomien sogar ein Vorteil sein kann, so Prof. Scholz:
Von Kleinunternehmen höre ich oft: ‚Ich kann als Arbeitgeber so tolle Sachen wie die Großen gar nicht bieten.‚ Musst du auch nicht! Klein ist fein und berechenbar, strukturiert und durchschaubar. Genau darauf müssen diese Unternehmen abstellen. Und genau das müssen sie als ihre Stärke verkaufen.
Dennoch: Es wird hart für die Gastronomie-Branche, richtig hart. Numerisch weniger Menschen, die – so deuten wir es – weniger bereit als vorherige Generationen sind, Überstunden zu schieben, Nacht- und Wochenenddienste zu verrichten. Aktuelle Branchenreizthemen wie die Arbeitszeitflexibilisierung/Wochenarbeitszeit kann möglicherweise zu einer Rechnung des Wirts ohne den (potenziellen) Mitarbeiter werden – hier ist Vorsicht geboten.
An dieser Stelle würden wir gerne gute Ratschläge geben, das fällt nicht leicht. Vielleicht diesen: In aktiven Dialog mit der jungen Zielgruppe treten. Sie verstehen lernen. Und dann, Schritt für Schritt, Handlungsableitungen für das Konzept daraus entwickeln (man bedenke: Es sind ja nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die Gäste der nahen Zukunft oder schon jetzt). Warum zum Beispiel gibt es so wenige Gastronomie-Webseiten, auf denen eine Unterseite beschreibt, wie diese Gastronomie als Arbeitgeber aufgestellt ist? Welche Möglichkeiten und Konditionen sie bietet? Warum nicht mal ein kleines Video drehen, das den beruflichen Alltag im Betrieb zeigt? Das gibt es in vielen Unternehmen anderer Branchen.
Ein Satz noch zum Thema: Eine ganze Generation und wie sie tickt einordnen zu wollen, inkludiert immer auch ein gewisses Scheitern. Zu individuell ist jedes einzelne Mitglied dieser „Alterskohorte“. Und das ist gut so.
2. Foodisierung
Was ist mit diesem zugegebenermaßen etwas seltsam klingenden Neologismus gemeint? Nun, ganz einfach: Food verändert heute ganze Umgebungen im Sinne einer Aufwertung, Ausschmückung und Besonderung. Beispiel Foodcourt im Einkaufszentrum: Das 2018 in Berlin gestartete Kantini ist ein vom Streetfood inspiriertes und in seiner Produktqualität höher als der klassische Foodcourt angesiedeltes Konzept. Und ein Beispiel, wie Food bzw. Gastronomie dem stationären Handel (der, wie wir wissen, mit dem Onlinegeschäft zu kämpfen hat) unter die Arme greift oder – das wird die Zeit zeigen – sogar ein eigener Pull-Faktor für den Besuch einer Mall wird.
In Frankfurt wird im Shoppingcenter „MyZeil“ im Frühjahr das Foodtopia mit 15 Gastronomien eröffnen, in Hamburg eröffnete 2018 das an Markthallen angelehnte Konzept Hobenköök. Markthallen nimmt man sich auch bei den Potsdamer Platz Arkaden in Berlin zum Vorbild: Das Center, das auch durch die fast angrenzende „Mall of Berlin“ (mit dem größten Foodcourt Deutschlands) ins Hintertreffen geriet, wird derzeit umgebaut – im Zentrum soll bei Wiederöffnung eine 5.500 Quadratmeter große Markthalle „gern regionale Lebensmittel“ anbieten, zudem soll es Restaurants mit internationaler und lokaler Ausrichtung geben. Das altehrwürdige „KaDeWe“ wiederum modernisiert seine berühmte sechste Etage Stück für Stück (geplant ist jeweils ein Viertel der insgesamt 8.000 Quadratmeter pro Jahr, Quadrant eins wurde im Dezember 2018 fertig) und tut sich dabei auch mit lokalen Hip-Gastronomien wie dem „BRLO Chicken & Beer“, dem Frischekonzept „Daluma“ und dem israelisch-palästinensischen „Kanaan“ zusammen.
Weniger Retail, mehr Food, scheint die Maxime der Center-Betreiber zu sein. Beziehungsweise: Der Retail mischt selbst mit, aus Kunden werden Gäste – durch gastronomisches Zusatzangebot kann auch der klassische Händler die Aufenthaltsqualität erhöhen oder gar überhaupt dafür sorgen, dass Menschen zum Einkaufen zu ihm kommen, statt online zu bestellen. Essen gehen kann man ja nicht online bestellen. Auf immerhin 9 Mrd. Euro Umsatz kommt der Bereich der Handelsgastronomie derzeit und es wird kräftig investiert, stellt das EHI Retail Institute fest.
Der Branchentreff „Gastro Vision“ in Hamburg widmet dem Trend dieses Jahr einen eigenen Themenbereich mit dem „Deli“: Auf der Ausstellungsfläche präsentieren sich „innovative Lösungen für Hotels und Retailer, die bislang noch auf eine Gastronomie verzichtet haben. Die Besucher können sich bei den Ausstellern informieren und jede Menge Inspiration mitnehmen, wie man Gästen und Kunden bereits mit wenig Aufwand und ohne klassische Küche eine gastronomische Leistung anbieten kann.“
Foodisierung auch im Bereich des Mineralölhandels: Ist das Concessiongeschäft schon lange der Umsatzbringer für die Tankstellen und nicht der Kraftstoff, geht es auch hier hinauf und weg von Würstchen im Brot und Becherkaffee – in der Autostadt Gelsenkirchen eröffnete beispielsweise das Zum Glück, ein Foodkonzept der Westfalen Gruppe aus vier Modulen (Pasta, Kebap, Café, Eisdiele). Mitbewerber Aral wertet sich an vielen Standorten mit „Rewe To Go“ auf, einem Mischkonzept aus Mini-Supermarkt und vor-Ort-Verzehrangebot.
Wer lieber mit der Bahn reist: Die gastronomische Aufwertung des Berliner Hauptbahnhofs – nach einem kleinen Pilotprojekt in Karlsruhe – unter dem Namen Station Food ist vermutlich nur der Anfang einer sukzessiven Foodisierung der Eisenbahnhöfe.
Dass sich sogar Food und Fitness, Kalorienaufnahme und -verbrennung, unter einem Dach verbinden lassen, will das The Reed am Berliner Alexanderplatz unter Beweis stellen: Hier vereint die hippe Fitness-Marke von den „McFit“-Machern das Trainieren in clubbiger Atmosphäre mit einem Freeflow-SB-Restaurant plus großem, farbenfrohem Gastraum, in dem DJs auflegen und manchmal Food-Partys stattfinden. „Von Gewichten zu Gerichten“: Bei unseren Besuchen war im Restaurant übrigens immer deutlicher mehr los als in der Muckibude …
3. Digitale Cockpits
Digitalisierung ist ein Megatrend, der – siehe unsere Gastro-Trends 2018 – auch in der Gastronomie Einzug hält, wie in jeder anderen Branche. Ein aktuelles Unterthema ist die Zusammenführung von digitalen Steuerungstools für die (gastronomische) Unternehmensführung: Hierbei handelt es sich um so genannte Cockpits, Software-Komplettlösungen, die helfen, ein Problem zu lösen, das mit der Vielzahl an Tools einher geht – ihre Vielzahl. Statt sich überall einloggen, verschiedene Apps oder Screens verwenden zu müssen, führen so genannte Dashboards, (der schöne deutsche Begriff: Instrumententafel) bestenfalls alles zusammen.
Zum Beispiel die Übersicht über Reservierungen, Warenbestand/Warenbestellung, Webseiten-Zugriffszahlen, HACCP-Management, den Dienstplan, Wetterdaten, Eventterminen im Haus und in der Region, Umsatzzahlen aus den Vorjahren, Prognosen und und und.
Ach ja: Das Kassensystem ist natürlich auch dabei und eventuell sogar das Herzstück, im Idealfall, Stichwort Kassen-Nachschau, sogar schon mit einem Zeitstempel für das digital erstellbare Kassenbuch versehen. Wir haben uns auf Messen die ersten Lösungen verschiedener Anbieter solcher Cockpits angeschaut, es gibt sie unter anderem von Gastronovi, von My Smart Gastro, von Hospitality.Digital (Metro), von der Telekom (Magenta Business), ja sogar als Joint-Venture zweier Systemgastronomien, nämlich Cafe & Bar Celona und Café Extrablatt, Butter Place genannt – unsere Freunde vom Podcast „Gastro Rockstar“ haben mit den Machern das Programm Schritt für Schritt durchgesprochen.
Weg von Insellösungen, hin zu integrierten, modular erweiterbaren und individuell anpassbaren 360-Grad-Lösungen, lautet die Devise. Der Begriff „Cockpit“ passt: Wie in einer mit Instrumenten gefüllten Flugzeugspitze kann der Gastro-Unternehmer nun Kennzahlen aufrufen und auswerten. Er fliegt datengestützt statt auf Sicht, um im Bild zu bleiben. Kosten und Erlöse, tägliche Break-even-Analyse, Informationen, welche Produktgruppe sich durch Upselling (vielleicht mit Incentivierungen fürs Team verbunden) pushen lassen: Diese Infos sollten gute Cockpits transparent machen, indem sie erstens für den technischen Laien übersichtlich und die Daten zweitens von Geschäftsbereich zu Geschäftsbereich miteinander verbunden sind. Manche Anbieter behaupten, mit einer Wahrscheinlichkeit von über 90 Prozent sagen zu können, welche Umsätze der Betrieb in den kommenden Öffnungstagen erzielen wird.
Ob es stimmt? Wir empfehlen: Ausprobieren, Systeme auf Herz und Nieren testen und sicherstellen, dass der Anbieter des Systems der Wahl auch einen guten Kundendienst hat – und den Gastro-Unternehmer ermächtigt, mit dem Cockpit auch abheben und sicher fliegen zu können.
4. Politische Gastronomie
Gastronomie ist ein Spiegel der Gesellschaft. In manchen Belangen scheint Gastronomie sogar weiter bzw. progressiver als die Gesellschaft zu sein, was die Themen Integration, Multikulturalismus, Globalität und Co. betrifft. Numerisch ist die ethnische Vielfalt, vorangetrieben auch durch die Vielfalt der Küchen, höher als in vielen anderen Branchen. Gastronomien sind die „dritten Orte“, an denen Menschen aus allen Himmelsrichtungen zusammen kommen. Gastronomien bieten vielen aus dem Ausland Hinzugezogenen, ob aus eigenem Wunsch gekommen oder geflüchtet, berufliche Perspektiven – die Einstiegsbarrieren sind relativ niedrig. Gastronomien sind demzufolge auch politische Orte, wobei sie – und das ist gut so – ebenso Orte des Eskapismus sind, die ihre Gäste einladen, den Alltag vor der Tür zu lassen, unzählige Konzepte leben schließlich von dem Versprechen, einen kleinen Urlaub zu bieten.
Doch wir leben nun mal in Zeiten eines wachsenden globalen Rechtspopulismus. In vielen Ländern – Polen, Brasilien, Ungarn, USA, you name it – ist die Demokratie durch diese in Mitleidenschaft gezogen oder gar in Gefahr. In Deutschland hat mit der AfD eine als „Euro-Skeptiker“ gestartete Partei einen strammen Rechtskurs eingeschlagen, sitzt im Bundestag und, da stimmen wir unserem Lieblings-Podcast zu, zieht eine neue Generation von Nazis heran.
Dass sich immer mehr moderne, weltoffene Gastronomien dazu verhalten und Position beziehen, ist zu begrüßen. Keine Waffen, keine Handys, keine Fotos, keine AfD – diese Verbotsschilder hat sich das Berliner Restaurant „Nobelhart und Schmutzig“ schon 2016 an die Tür geklebt, nach Aussage des Betreibers Billy Wagner ist man gar das politischste Restaurant des Landes.
Keine AfD: Dieses Motto gilt auch im Kölner Restaurant Pottkind und in vielen weiteren Betrieben: Wer versucht, die Demokratie auszuhebeln, muss leider draußen bleiben.
Worten folgen Taten: In München beispielsweise wurde im Herbst 2018 die AfD-Fraktionsvorsitzende im Bayerischen Landtag vor die Tür der „Goldenen Bar“ gesetzt – das Hausrecht wurde angewendet, um das internationale Personal vor Gästen zu schützen, die sich mit ihren politischen Forderungen gegen deren Grundrechte stellen. Mit den zu erwartenden Reaktionen aus rechten Kreisen – inklusive Negativ-Bewertungen für die Bar auf „TripAdvisor“. Das Portal analysierte, dass eine Vielzahl der Bewertungen von Personen kamen, die ganz offensichtlich nie in der Bar zu Gast gewesen sind – und sperrte die Bewertungsfunktion vorübergehend. „TripAdvisor sah den Missbrauch und hat ihn eingedämmt, quasi ein kleines Fünkchen Anstand verordnet. Und das ist in einer Zeit, in der Traffic alles ist, eine Wohltat“, kommentiert Mixology-Chefredakteur Nils Wrage. Nicht nur Personen, auch Produkte fliegen raus: Der Club „Zukunft“ in Zürich schmiss kürzlich sämtliche Raverbrausen einer bekannten Marke aus dem Sortiment, weil deren Geschäftsführer sich zu „fremdenfeindlichen Äußerungen“ habe hinreißen lassen, ebenso der Jenaer Club „Kasablanca“.
Und dann ist da noch eine ganz andere Ebene. Die eingangs beschriebene, scheinbar progressive Diversität in der Gastronomie entlarvt Kavita Meelu, Gründerin u.a. des berühmten „Street Food Thursday“ und Food-Vordenkerin in einer Ausgabe des Podcasts Food On Point als tief in den Küchen verankerten Rassismus. Oft sei die einzige in einem (deutschen) Restaurant beschäftigte „person of colour“ der dunkelhäutige Tellerwäscher, der mitunter nicht mal als Teil des Teams (re)präsentiert werde. Entlang der Hierarchien – vom weißen-männlichen Chef bis zu den Küchenhilfen nehme nicht nur die Diversität zu, sondern auch die damit einhergehenden strukturellen Probleme – bis hin zu Rassismus. Meelu konstatiert:
When we talk about diversity, we talk about racism.
Wer wirklich Diversity in seinem Betrieb haben wolle, müsse sich auf schwierige, harte Konversationen und Prozesse einstellen, erklärt sie. Themen wie diese werden in ihrem neuen Projekt Smells Like Curry sicherlich auch diskutiert.
Spannend: Über das Food, über Genussmomente, eröffnen sich ihrer Meinung nach indes durchaus Situationen, über die tieferliegenden Strukturen unter Einbezug derjenigen, die das Thema Marginalisierung tatsächlich betrifft, zu reflektieren und zu sprechen. Ein Ansatzpunkt für Food-Events, Dinner und ganz normale gastronomische Situationen: Über das Essen Dialoge und eine Kommunikationsebene herstellen, die über Food-Folklorismus à la alles so schön lecker hier hinaus geht. Wir werden die Augen für positive Beispiele offen halten – eines war zweifellos der Klub Kabul 2018.
Branchen-Initiativen wie Gastronomie gegen Rassismus zeigen Flagge. Doch weit darüber hinaus wird notwendig, sich nicht nur zu positionieren, sondern auch zu handeln – sei es durch betriebsinterne Diversity-Strategien sowie auch durch einen klaren Verhaltenskodex für Gäste und Mitarbeiter (zumal die Hoffnung zuletzt stirbt, dass das geplante Fachkräftezuwanderungsgesetz auch die Gastronomie als Mangelberuf, der sie ist, anerkennt – was den Ausländer-Anteil noch einmal markant erhöhen würde).
Jetzt, wo einzelne Bundesländer wie das an Nachwuchs-Notstand leidende Thüringen verstärkt dazu übergehen, Azubis aus dem Ausland in die Branche zu bringen, braucht es interne Standards und Abläufe, die dafür sorgen dass der Arbeitsplatz für alle Mitarbeiter ein „safe space“ und ein guter Ort zum Arbeiten ist – und für alle Gäste ein guter Ort des Aufenthalts. Mehr noch: Was tut das Team in Notfällen? Was, wenn gar jemand belästigt oder verfolgt wird? „Ist Luisa da?“ oder die Aktion Noteingang liefern Handlungsbeispiele. Und nicht zuletzt sind Branchenverbände, Gewerkschaften und auch die Branchenmedien aufgefordert, sich stärker einzubringen.
5. Ticketing, No-Show- und Verweildauer-Management
Um die Planungssicherheit in punkto Auslastung und Umsatz zu erhöhen, gehen derzeit einige Betriebe neue Wege: Zum Beispiel mit dem aus dem Eventbereich schon immer bekannten Vorverkauf. Statt am Abend im Restaurant zu bezahlen, wird dieses vorab erledigt. Für den Gastgeber hat dies unter anderem die Vorteile, dass er beim Einkauf und vielen weiteren variablen Kosten nicht mehr in Vorleistung gehen muss und sich die Kalkulation exakt auf die Anzahl der Buchungen hin ausrichten lässt. Was bei einem Betrieb mit vielen Walk-Ins schwierig werden dürfte, lässt sich bei einer Destinations-Location gut umsetzen – zeigen unter anderem die neuen Restaurants 100/200 in Hamburg und das Ernst in Berlin, die sich mit einem US-Ticketing-Dienstleister zusammengetan haben. Die Hamburger schreiben auf ihrer Webseite:
Der Verkauf von Tickets beschert Ihnen die Vorfreude auf einen grandiosen Abend und ermöglicht es uns, Genusskultur und Gastfreundschaft vollumfänglich zu leben.
Dylan Watson-Brawn, kreativer Kopf des „Ernst“, erklärte in der Zeitschrift „Effilee“:
Man bezahlt bei uns schon vor der Reservierung für das Menü und wenn man will auch für die Weinbegleitung. Das hat uns viel Zeit gespart, die wir nun für die Küche haben. Wir müssen in der Buchhaltung ja nur noch die Ausgaben erfassen, die Einnahmen sind sehr einfach: Tock-Tickets plus Getränke über Orderbird.
Die verbindliche Buchung vorab senkt auch die Quote der in der Gastronomie berüchtigten No-Shows. Die neben Umsatzeinbußen – wenn ein reservierter Tisch nicht mehr neu vergeben werden kann – auch dazu führen können, das Ware nicht verbraucht werden kann, die Folge ist neben der ökonomischen auch eine ökologische Ineffizienz. Trinkgeldverlust extra. 70.000 Euro netto habe das „Esszimmer“ in München durch Nichterscheinen von Gästen im vergangenen Jahr verloren, so Chefkoch Bobby Bräuer in der SZ. Dort wird nun eine Gebühr von 100 Euro verlangt.
Billy Wagner vom „Nobelhart & Schmutzig“ hat dem neuen Food-Magazin B-Eat vorgerechnet, dass ihm bei einer (nicht unrealistischen) No-Show-Quote von zwei Sitzplätzen an fünf Tagen pro Woche monatlich ein Umsatzverlust von 6.000 Euro entsteht. Deswegen werden in seinem Restaurant bei einer Stornierung weniger als 48 Stunden vor dem geplanten Besuch (das Haus ist auf Wochen im Voraus ausgebucht) pro Sitzplatz 95 Euro, am Wochenende gar 120 Euro fällig – das sind 100 Prozent des Menüpreises, der am Wochenende höher ist als unter der Woche –, was die No-Show-Rate nach seinem Bekunden deutlich gesenkt hat. Die Belastung der Kreditkarte mit einer solchen Gebühr, die die Hotellerie schon lange kennt, findet peu à peu auch in Deutschland häufiger Einsatz.
Viele sind aber noch nicht genug auf die Schnauze gefallen, um zu verstehen, dass man ein System gegen No-Shows etablieren muss.
Billy Wagner
Hilfreich ist es, zwei bis drei Tage vor dem Besuchstermin abzufragen, ob es auch bei der angegebenen Uhrzeit und Personenzahl bleibe. Dadurch lassen sich möglicherweise die sonst fälligen Gebühren verhindern – denn wer für sein Nichterscheinen und Nichtessen trotzdem zahlen muss, wird eventuell kein Stammgast, nicht? Und mit einer Warteliste für Kurzentschlossene – in großen Städten lauern genug Foodies auf ein spontanes Seating – füllt Lücken wieder auf.
Stichwort Seating: Auch die befristete Platzierung – in vielen großen Städten der Welt schon lange Usus – ist eine Maßnahme, um den Umsatz, nämlich durch höheren Sitzplatzumschlag, zu erhöhen. Zwei Stunden für einen Tisch sind ein häufiges Zeitfenster. Mit Vor- und Nachteilen: Es verhindert, dass Gäste nach dem Essen lange an ihrem Platz „kleben“, aber verringert eventuell auch die Aufenthaltsqualität, wenn im Innern des Gastes eine Uhr tickt. Die Zeit zu vergessen, ist schließlich Teil des gastronomischen Erlebnisses. Und ihm innerhalb von zwei Stunden eine zweite Flasche Wein zu verkaufen, ist ein sportliches Vorhaben. Deswegen ist diese Maßnahme mit Bedacht und Vorsicht anzuwenden.
Übrigens: Essen gehende Familien mit kleinen Kindern sitzen oft recht alleine in Restaurants mit Tischen ringsum, auf denen Reservierungen für 20 Uhr oder später vermerkt sind. Besonders Restaurants, die sich primär vielleicht nicht an Familien richten, unterschätzen dieses Potential. Damit lassen sich sogar Marketing-Ideen entwickeln.
6. Foodworking Spaces
Mit dem wachsenden Interesse am Thema (gutes) Essen und Trinken geht auch eine Zunahme an Angeboten einher. Rund 400 Food-Startups soll es derzeit in Deutschland geben, hat „Brand Eins“ recherchiert, mit steigender Tendenz. Vom traditionell arbeitenden Genusshandwerker bis zum Algen-Startup, das seine futuristischen Anlagen wie Solarzellen auf Dächer packt, hat sich in den vergangenen Jahren eine richtige Szene entwickelt. So, wie man es zum Beispiel aus der IT-Branche kennt. Mit ähnlichen Formen der Organisation: Es gibt Food-Meetups, bei denen sich die Akteure austauschen, es gibt mit der crowdfoods Food Entrepreneur & Startup Association, langer Name, einen länderübergreifenden Verband, gegründet 2018 für die DACH-Region und Liechtenstein (hier geht man von gar 3.000 Neugründungen im Bereich Food, Agrar und Agrartechnik aus).
Und, auch dieses kennt man aus anderen Branchen, vor allem den digitalen: Es entstehen Coworking-Orte für Food-Startups. Als Teil des „neuen Arbeitens“, das wir schon in den Trends 2018 beschrieben, ermöglichen solche Orte, ein Büro und einen Arbeitsplatz zu bekommen (für Startups in vielerlei Hinsicht, u.a. wegen oft langer Verträge und hohen Mieten, nicht gerade einfach), sich untereinander auszutauschen und Kosten z.B. durch gemeinsame Nutzung bestimmter Räumlichkeiten oder Technik zu teilen. Wer ein Food-Startup hat, benötigt möglicherweise eine professionelle Küche und Küchentechnik, aber auch die Möglichkeit, Fotos und Videos zu produzieren, Kunden und Geschäftspartner zu empfangen, Meetings abzuhalten und so weiter und so fort.
Und genau hier setzen „Foodworking Spaces“ an, zum Beispiel der neue Food Tech Campus von Edeka in Berlin-Moabit: Ab 50 Euro für einen einzelnen Platz bis zum Teamoffice werden hier Büroplätze an Gründer aus dem Bereich Food (Lebensmittelproduktion, Technik, Distribution, Dienstleistung und Kommunikation, z.B. Foodblogger) vermietet, Meetingräume und eine „Media Kitchen“ für Shootings und Drehs gehören dazu. Der direkt angrenzende Supermarkt steht für Testlistungen zur Verfügung. Warum macht Edeka das? Auch, um seiner Genossenschaft, die derzeit aus 3.500 Unternehmen besteht, Zugang zu Innovationen zu verschaffen (die Kleingewächshäuser von „Infarm“ stehen bereits in verschiedenen Märkten) und den Food-Unternehmern die eigene Expertise – zum Beispiel Warenpräsentation – an die Hand zu geben.
In Kürze startet mit Kitchentown ein weiterer Space für Foodgründer in Berlin. Im „Kitchentown“ in San Francisco arbeiten rund 35 Startups an ihren Produkten, in Berlin peilt man ungefähr die gleiche Anzahl an, wobei in der Fläche bis zu zehn von ihnen zeitgleich (innerhalb eines Tages) an ihren Produkten arbeiten können – hier wird ein größerer Fokus auf die tatsächliche Foodproduktion gelegt.
Orte, an denen Food-Gründer tatsächlich kochen, backen, zubereiten können, werden händeringend gesucht – das von uns kürzlich vorgestellte Herd aus Wien ist eine seltene Ausnahme. Hinter dem „Kitchentown“ steht ebenfalls ein großes Unternehmen: Bahlsen betreibt in der Berliner Torstraße mit dem „Hermann’s“ bereits ein Café-Restaurant, das mit Events und Workshops auch zu einem Treffpunkt der Food(ie)szene geworden ist.
Und der Gastronomie sowie Genießern präsentieren sich Food-Startups vermehrt auf eigenen Events wie dem im Mai 2019 schon zum dritten Mal stattfindenden Food Innovation Camp in Hamburg oder kleineren Veranstaltungen wie dem Future Food Fair oder der nach Vereinbarung öffnende Store für Food-Startup-Produkte Foodbuzz. Strukturelle „Enabler“ sind NX Food, EIT Food und, besonders interessant für den Brückenbau hin zur Gastronomie, das neue Hospitality Startup der Hotrec:
With this project HOTREC, the European umbrella association of hotels, restaurants and cafés, offers an integrated European platform to help hospitality related startups to present their products to the European hospitality industry. At the same time, the platform offers all hotels, restaurants, pubs, cafes and nightclubs the opportunity to find out about new innovative companies, products and solutions for their companies.
7. Indische Küche 2.0
Mexikanisch, vietnamesisch, bisweilen sogar chinesisch: Die ethnischen Küchen in Deutschland modernisieren sich, Konzepte warten mit „authentischen“ Speisen auf – nicht selten getrieben durch den andauernden Streetfood-Trend. Besonders trifft dieses aktuell für die indische Küche zu. Sagt man vielen indischen Restaurants hierzulande doch oft nach, dass sie ein geschmackliches Einerlei und bei vielen, vielen Positionen auf der Karte nur einen leicht variierten Mix aus Fleisch, Gemüse und Sättigungsbeilage auf die Teller bringen (was übrigens ein klassisch-deutscher Speisenaufbau wäre). Und hieß es bislang, wer gut indisch essen gehen wolle, der müsse nach London fahren, so kommt nun Bewegung ins Business. So zeigen Berliner Restaurants wie das Bahadur oder der India Club, beide mit nordindischem Fokus, sowie das kürzlich eröffnete Bombay Café Bunty’s, wie vielfältig und facettenreich die Küche des großen Subkontinents ist. Im Chutnify wiederum, zwei Restaurants, steht Streetfood im Speisenfokus: Hier konzentriert man sich vorwiegend auf die südindischen Dosas, Pfannkuchen, die an Crêpes oder vielmehr an Galettes erinnern – herzhaft gefüllt.
Eine schöne Wesensart dieser neuen Konzepte ist auch eine neue Art der „Domestizierung“ – damit ist nicht weniger scharf und würzig gemeint, sondern die Integration lokaler Zutaten und Speisen. So bietet zum Beispiel das Electric Elephant aus München neben Malai Kofta und Butter Chicken auch Weißwürste an, und das Berliner Kreuz + Kümmel zeigt, wie dicht die deutsche und die indische Küche manchmal beieinander liegen: Currywurst und Linsensuppe beispielsweise bietet man hier an, oder „Schweinebauch Vindaloo“ vom Thüringer Duroc. Im „Bombay Café Bunty’s“, gibt es ein „Tempura Chaat“ mit knackigem Grünkohl, das Fleisch im „India Club“ kommt von Brandenburger Biohöfen – diese Einbindung lokaler Ingredienzien findet sich auch in anderen Berliner Restaurants wie dem Thai-Konzept „Kin Dee“ (zum Beispiel Rosenkohl zum geschmorten Wildschwein) oder dem „Shishi“, das mit regionalen Zutaten israelisch kocht.
Es gibt sogar einen ersten, modernen indischen Systemer auf dem hiesigen Gastro-Parkett: Eatdoori aus Bad Vilbel bei Frankfurt, Gewinner des „Leaders Club Award 2017“, hat schon zwei Betriebe in Mainhattan, einen in Mainz und einen in Köln.
Einen schönen Radiobeitrag zum Thema Indien 2.0 (nur temporär verfügbar leider) gibt es hier.
Was ist aus den Trends der Vorjahre geworden?
Das Thema Nachhaltigstkeit ist gekommen, um zu bleiben. Viel hat sich hier getan: Überall fliegen Plastik-Trinkhalme aus dem Sortiment, viele Städte und Betriebe führen Kaffee-Mehrwegbecher ein, und es werden Bemühungen unternommen, Zutaten möglichst effektiv und mehrfach zu verwenden. Das Kreislaufwirtschafts-Café „Isla“ hat den Deutschen Gastro-Gründerpreis gewonnen und soeben ein zweites Outlet eröffnet. Viele Neueröffnungen denken Nachhaltigkeit heute im Konzept gleich mit. Mit der neuen Klimateller-App können Restaurants jetzt recht einfach prüfen, welchen CO2-Fußabdruck ihre Zutaten und Speisen verursachen, Gastro-Ideen zum Thema gibt’s hier und Speisen- und Warenkunde-Tipps zum Thema hat Sophia Hoffmann mit ihrem neuen Kochbuch. Ständig neue Tipps gibt es bei den Kollegen von Greentable.
New Work: Den Begriff liest man im Zusammenhang mit der Branche ab und an in Fachmedien, doch richtige Positiv- und Pionierbeispiele sind immer noch rar. Initiativen wie Wir Gastfreunde oder die Hashtag-Kampagne #hierwillicharbeiten sind gut, die Food Service widmet sich in einer spannenden Sonderpublikation diesem Thema, aber es tut sich noch viel zu wenig. Die Hotellerie ist beim Thema Employer Branding schon ein gutes Stück weiter. Wer Cases kennt: Immer her damit.
Gastro FM: Neue Podcasts mit Branchenfokus sind dazu gekommen, zum Beispiel von den Gastro Piraten und von Thekentalk – und ganz neu vom Feinschmecker.
Gemüseküche: Das Thema findet viel Anklang. Wir empfehlen dazu diesen Beitrag und das Kapitel zu „Plant Based Food“ in Hanni Rützlers aktuellem Foodreport, einen kurzen Abriss gibt es hier.
Digitalisierung: Auch dieses Buzzword hört und liest man oft, wenn es um aktuelle Themen und Aufgaben der Gastronomie geht. Hier ist – stellt u.a. der Digitalisierungsindex 2018 fest – noch viel zu tun. Aber das gilt fürs ganze Land, das vor allem beim mobilen Internet Europa-Schlusslicht ist. Die oben vorgestellten Cockpit-Lösungen werden aus unserer Sicht ein zentrales Steuerungstool der betriebsinternen Digitalisierungsstrategie.
Alkoholfreie Getränke: Auf dem Bar Convent Berlin 2018 eines der großen Trendthemen. Ein Produkt-Innovations-Beispiel: Mit Wonderleaf gibt es seit letztem Jahr ein „deutsches Seedlip“, das mit der Ex-Bartenderin Tatjana Friedrich sogar eine Markenbotschafterin an die Seite gestellt bekommt. Und viele Restaurants haben im Zuge der „Ohne ist das neue Mit“-Welle alkoholfreie Getränkebegleitungen entwickelt, zum Beispiel die Weinbasis in Hannover, um nur ein Beispiel zu nennen.
Aus 2017 weiterentwickelt haben sich besonders das Thema Gastronomien von Geflüchteten, es gibt viele neue Betriebe und social businesses, u.a. den Kreuzberger Himmel, das Tellerrand Café oder – schöner Podcast – die Bäckerei Damaskus. Restaurants mit eigener Bar werden fast schon zum Standard, die Südamerika-Küche floriert. Beim „female shift“ lässt sich zumindest eine Sensibilisierung feststellen, da ist aber noch viel Luft nach oben. Immer noch gibt es zu wenig Repräsentation auf Fachevents und wenige Führungskräfte. „Das Patriarchat schafft man nicht in zwei Jahren ab“, bringt Mary Scherpe („Feminist Food Club“) es auf den Punkt.
Und zum Thema Flights: Trays findet man in vielen Locations, und es gibt jetzt immerhin eine uns bekannte Bar, die Spirituosen-Flights anbietet (Trend 2017): das Beavis in Berlin.
Gastrotrends live: Wir stellen diese und andere Trend- und Branchenthemen auch in Form von Fachvorträgen, Präsentationen und Diskussionsrunden vor. Mehr dazu hier.