In fast allen Städten dasselbe Bild: Der Handel findet immer mehr online statt, Innenstädte verwaisen und die Gastronomie befindet sich in der Zwickmühle – sie soll Lücken füllen und ist zugleich darauf angewiesen, dass Orte lebendig sind. Wie werden Citys wieder sexy? Wir sprachen mit zwei Gastro-Praktikern und einem Wirtschaftsgeografen.
James Ardinast ist nicht nur einer der bekanntesten Gastronomen des Landes, der zusammen mit seinem Bruder David für Konzepte wie die „Ima Multibar“ oder die „Bar Shuka“ verantwortlich zeichnet. Er und sein Bruder engagieren sich auch im Bereich der Stadtentwicklung und haben ein eigenes Festival- und Konferenzformat aus der Taufe gehoben, das den Dialog zwischen den urbanen Akteuren fördern will: S.O.U.P., das steht für „Shaping Our Urban Future“. Die nächste Ausgabe des Events findet vom 11. bis 13. Mai 2023 in Frankfurt statt.
Worum geht’s? „Wir sind überzeugt, dass viele Antworten auf die Fragen der Gegenwart im urbanen Raum liegen“, so Ardinast. Müssen, könnte man hinzu fügen, denn weltweit wohnen seit 2008 mehr Menschen in der Stadt als auf dem Land, Tendenz steigend, wenngleich – Gegentrend zum Trend – es zumal in Mitteleuropa eine große Sehnsucht nach dem Leben auf dem Land gibt. Auch die Gastronomie ist ein Teil dieser Antwort. Als Begegnungs- und Genussort spielt sie in diesem Gesamtgefüge eine essentielle Rolle, so Ardinast, und erfahre „dank“ Corona eine neue Wertschätzung: „Die Menschen sehen, dass es nicht ohne Gastronomie geht, sie ist ein wichtiger Teil der Stadtgestaltung geworden.“ So wichtig, dass man auch in den kommunalen Führungsetagen auf offenere Ohren stoße als zu vorpandemischen Zeiten. „Es wird erkannt, dass etwas passieren muss“, so Ardinast.
Konzepte fehlen
Die negativen Veränderungen sind nicht zu übersehen, besonders im Bahnhofsviertel, aus dem sich die Ardinast-Brüder im vergangenen Jahr mit der Beendigung des Restaurantbetriebs im „Stanley Diamond“ zurück gezogen haben, nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Verelendung. Bis vor drei, vier Jahren habe sich das Viertel durchaus positiv entwickelt, berichtet der Gastronom. Nun werde es fünf, vielleicht sogar zehn Jahre dauern, bis man dahin zurück kommt. Wenn überhaupt, denn dafür sei erst einmal ein Konzept notwendig.
Das aber fehle am Bahnhof ebenso wie in der Einkaufsmeile Zeil. Die Besuchsfrequenzen sind dort deutlich zurückgegangen, ein Gutteil des Einzelhandelsvolumens ist ins Onlinegeschäft abgewandert, viele Läden schlossen. Worunter auch die ortsansässige Gastronomie leidet. Ardinast: „Wir müssen weg vom rein auf Konsum aufgebauten Innenstädten.“ Hin zu lebendigen Orten mit bezahlbarem Wohnraum auch in der City, gesteigerter Aufenthaltsqualität durch attraktiven nichtkommerzielle Angebote, durch Schaffung einer „lokalen DNA“ statt Monokultur durch Ansammlung immergleicher Einzelhandelsketten. „Immobilienentwickler planen Projekte immer noch so, dass sie nur für große Ketten funktionieren, wollen aber den Individualgastronomen haben. Das passt nicht zusammen“, so Ardinasts Kritik.
Raus aus der Schmuddelecke, rein in den Beirat
Er spart aber auch nicht an Tadel gegenüber seiner eigenen Zunft: „Wenn die Gastronomie raus aus der Schmuddelecke will, muss sie sich ihrer Verantwortung bewusst werden.“ Schwarze Kassen und Co. seien nicht förderlich, wolle die Branche als Gesprächspartner akzeptiert werden. Auch sich zusammenzuschließen, mit einer statt mit vielen Stimmen zu sprechen, muss vorangetrieben werden.
Die „Initiative Gastronomie Frankfurt e.V.“, deren stellvertretender Vorsitzender James Ardinast ist, tut diese ebenso die „IG Gastro Köln“. Die hat es immerhin geschafft, dass die Verwaltung in der Domstadt eine Zentrale Anlaufstelle Gastronomie für die Bedürfnisse der örtlichen Betriebe eingerichtet hat, mit drei Mitarbeitenden. „Eigentlich brauchen wir einen Beirat für die Stadt, in der Vertreter aus Kunst, Kultur, Immobilienwirtschaft, Gastronomie und anderen Bereichen zusammen kommen“, findet James Ardinast.
Wie eine Stadtverwaltung selbst ihr Stadtbild mitgestalten könne, zeige Frankfurts Nachbar: Seit 2020 nutzt Hanau sein Vorkaufsrecht, um Spekulationen und Fehlentwicklungen entgegen zu wirken sowie Handel und Gastronomie anzusiedeln bzw. zu sichern, die einem positiven Stadtbild zuträglich sind. Sprich: Café oder Unverpackt-Laden statt Wettbüro und Nagelstudio. Mehr dazu hier.
„Es ist im Interesse der Kommunen, gute Orte zu schaffen“
Auch James Ardinasts Kollege Tim Plasse – ebenfalls in Frankfurt ansässig – führt Hanau als Positivbeispiel auf: „Das Veto- und Vorkaufsrecht der Stadt ist ein wirksames Tool, um eine Entwicklung aktiv mitzugestalten.“ Eine solche Maßnahme könne im ersten Schritt die in vielen Städten zu beobachtende Abwärtsspirale aufhalten. Plasse: „Es ist doch im Interesse der Kommunen, gute Orte zu schaffen.“ Sie sollten daher, so der Gastronom, der mit den F&B Heroes viele Projektentwicklungen betreut, nach Hanauer Vorbild Flächen anmieten und später übergeben, wenn die Konzepte sich behauptet haben. „Die Städte müssen sich endlich trauen, mitzugestalten. Meiner Meinung nach gehört dazu, selbst zu investieren. Das ist echtes Stadtmarketing.“
Die Verantwortung bzw. Bereitschaft des Mitgestaltens sieht er aber auch auf Seiten der Immobilieneigentümer: „Eine Fläche nur zu vermieten funktioniert nicht mehr. Eine Fläche muss heute gemanagt werden.“
Heißt: Die Vermieter müssen dafür sorgen, dass ein attraktiver Angebotsmix entsteht. Sie müssen ein Erlebnis im Ganzen schaffen – nicht allein auf Einkauf bzw. Konsum abgestellt, sondern Faktoren wie Freizeit, Aufenthalt, Begegnung inkludierend. Plasse nennt Troisdorf bei Köln als Beispiel: Aus einem ewig brach liegenden Ex-Konsumtempel, einst ein „Hertie“-Kaufhaus, wird im Sommer 2023 das Happy Franky – eine Erlebniswelt mit Lasertag-Arena, Ninja-Parcours, Containerhotel, Gastronomien, Einkaufsmöglichkeiten, Verweil- und Begegnungsorten, Veranstaltungsmöglichkeiten und mehr. Ein Vorbild für die vielen Einkaufszentren, denen die Kunden zusehends abhanden kommen?
Genossenschaftliche Mise-en-place-Küche im Stadtkern
Plasses Vision für die Innenstädte wiederum hat etwas charmant Nostalgisches: Wurde einst rund um den Marktplatz bekanntlich viel Handwerk betrieben, möge dies, ginge es nach ihm, zukünftig auch wieder so sein – im neuen Gewand: Plasse schweben „cityverträgliche“ Manufakturen, die keine unangenehmen Gerüche oder Geräusche verursachen vor. Inklusive dem Genusshandwerk (wo es gar besonders gut riecht). „Ich stelle mir eine zentrale Mise-en-place-Küche für die örtlichen Gastronomien vor. Für alle Betriebe, genossenschaftlich organisiert, erlebbar für die Öffentlichkeit“, schwärmt er.
Beschaffung, Anlieferung, Vorbereitung und Vorproduktion zusammen zu legen, spare nicht nur Geld (und könne zudem kommunal unterstützt werden), sondern schaffe auch Transparenz und Verständnis für die Prozesse der Lebensmittelzubereitung in der Bevölkerung, könne gar ein touristischer Pull-Faktor sein. Die Grundlage dafür – und da ist Plasse ganz bei Ardinast – sei aber auch eine Zuverlässigkeit der Branche selbst: „Will die Gastronomie mitgestalten will, muss sie transparenter werden. Nur dann können Eigentümer den Mehrwert verstehen, den sie wirklich bietet. Ergebnis ist bessere Planbarkeit, mehr Sicherheit und ein echtes Miteinander.“
Placemaking
„Letztlich ist es eine Frage des politischen Willens. Wenn man Städte umgestalten will, kann man auch kurzfristig relativ schnell etwas erreichen. Doch dafür braucht man Mut und politische Mehrheiten“, so Martin Franz. Er ist Professor für Humangeographie an der Universität Osnabrück und beschäftigt sich dort schon seit Längerem mit der Entwicklung der Gastronomie im städtischen wie ländlichen Raum. Es gebe Kommunen, die an alten Strukturen festzuhalten versuchten und sogar den Leerstand aussitzen würden. Und solche, die die Zeichen der Zeit verstanden haben.
Beispielsweise Essen/Ruhr: Die Stadtvermarktung „Essen Marketing“ hat den Projektentwickler „Progacon“ beauftragt, ein Konzept für die City zu entwickeln, die nicht nur unter rückläufigen Frequenzen und Schließung von Ladengeschäften, sondern auch einer Abwanderung der Gastronomie u.a. in den Stadtteil Rüttenscheid zu leiden hat. „Placemaking“ ist das Stichwort: Die Plätze der City sollen mit Pflanzen, Holzbauten und Aufenthaltsorten wieder attraktiv werden, ein für alle Einkommensschichten attraktiver Gastromix soll angesiedelt werden, Streetfood-Stände, Pop-ups, bunte Märkte, Einbezug der nahen Uni und viele weitere Pull-Faktoren sollen an jenen Orten wirkmächtig werden, die viele Essener zurzeit besonders am Abend meiden – aus mangelndem Sicherheitsgefühl, wie man der regionalen Presse entnimmt. Es ist wohl ein weiter Weg.
Eigelb statt Rührei
Doch ein für den Akademiker so alternativloser Weg wie für die vorgenannten Gastro-Praktiker: Überkommene Monostrukturen gehören aufgebrochen. Andere Faktoren wie Freizeit, Sport, Wohnen, aber auch Pflege (die Gesellschaft wird bekanntlich immer älter) müssen in den Vordergrund gerückt werden, um aus verwaisten Innenstädten wieder gelebte Orte zu machen. Ein klarer Fokus auf das Zentrum sei zu setzen, weg vom Rührei, zurück zum Eigelb, macht es Franz plakativ. Der Gastronomie komme zwar zugute, dass die Mieten (auch pandemiebedingt) in den 1A-Lagen zurückgingen und somit auch für Individualisten langsam wieder bezahlbarer werden.
Doch allein auf Gastronomie zu setzen (nach dem Motto „Essen ist das neue Einkaufen“) und sie sich ihrer selbst zu überlassen könne nicht die Lösung sein. Die Gastronomie ist schließlich selbst auf gute Orte angewiesen. Attraktive Spielplätze sollte es daher nicht nur in Wohngegenden geben, sondern gerne mitten in der Stadt. Verkehrsberuhigung wie derzeit gar in der Metropole Paris umgesetzt. Und eine Renaturierung: „Wenn in der Stadt wieder mehr Bäume stehen, dann erhöht das auch die Attraktivität der Gastronomie“, so Franz.
In einem auf drei Jahre angelegten Forschungsprojekt mit Interviews und Erhebungen wollen er und sein Team nun herausfinden, wie gut sich gastronomische Betriebe an Krisen anpassen können – von Corona über die aktuelle Energiekrise bis zur sich verändernden Demografie. „Wir wollen herausfinden, was man generell daraus lernen und wie man der Branche besser helfen kann – zum Beispiel als staatliche Institution.“
Dieser Beitrag erschien zuerst in fizzz 3/2023 und wurde leicht adaptiert.