Die Berliner Agenturbetreiberin Eva-Miriam Gerstner teilt ihre Gedanken mit euch: über die Hospitality- und Dienstleistungsbranche, über Trends, Innovationen und generell über die Lage der Welt – und wie man in diesem „neuen Normal“ am besten klar kommt. Sie spricht immer Klartext.
Dieses Mal über das Thema, wie man aus dem Gefühl, eh nichts tun und verändern zu können, ins Tun und Verändern kommt – Schritt für Schritt.
Alles wird teurer. Über die Gründe wird überall viel berichtet und spekuliert: die Pandemie im Allgemeinen, Rohstoff-Knappheit, der Krieg in der Ukraine, Fachkräfte- und Personalmangel, höhere Lohnsysteme …
Was nun insgesamt die genauen Preistreiber sind und uns effektiv berechnet wird, weiß niemand so ganz genau. Klar kann für alles die gesamtwirtschaftliche Lage und die weltpolitische Situation herhalten, aber ja, sei’s drum. Vielleicht stehen wir alle aber auch schlicht vor den Scherben unseres vergangenen Misswirtschaftens, die jetzt unter dem vielbeschworenen „Brennglas der Pandemie“ zu Tage gekommen sind. Kann man ja mal drüber nachdenken. Ändern kann man daran an sich so und so nicht sehr viel.
Ich lese gerade das Buch „Die Kunst, ein kreatives Leben zu führen“ von Frank Berzenbach, den ich aufgrund seiner klaren und unaufgeregten Darstellung verschiedenster Sachverhalte sehr wertschätze. In einem Kapitel geht es darum, Dinge akzeptieren zu lernen. Ich interpretiere nun einmal frei daraus: Wenn ich Dinge, die ich im Großen nicht ändern kann, mit aller Macht zu ändern versuche, dann gebe ich irgendwann frustriert und hilflos auf, weil das große Ganze viel zu groß ist für eine kleine Menschenperson wie mich. Das große Ganze ist in seiner Gesamtheit viel zu überwältigend und viel zu weit weg.
Wenn ich aber aus dem großen Ganzen kleine Teilschritte herausbreche, und diese für mich und für mein Umfeld verändere, dann habe ich nicht nur schneller Erfolg, sondern ziehe auch Kraft aus der Tatsache, dass ich etwas Tolles geleistet habe und gehe dann vermutlich auch den nächsten Schritt an. So reiht sich Schritt an Schritt und ehe ich mich versehe, habe ich aus der vermeintlich unabänderlichen Situation etwas für mich geändert, und dadurch im weitesten Sinne den Ursprung akzeptiert.
Zusätzlich kann es auch sein, dass ich mein Umfeld motiviere, es mir nachzutun und auch einen kleinen Schritt zu gehen – und wenn das dann ganz viele plötzlich machen, dann haben wir alle zusammen ganz viel erreicht. Eigentlich logisch, oder?
Sehr gerne verstecken wir uns hinter Aussagen wie „Ich kann ja eh nichts daran ändern“, verfallen in lauten Rufen nach der Politik, sind gefangen in einer Art Schockstarre, weil es das Leben so hart mit uns meint. Kenne ich selbst von mir so, wie sicherlich jeder andere da draußen von sich auch. Man beschwert sich halt lieber, als ins sogenannte „Doing“ zu kommen, das ist irgendwie auch menschlich.
Und doch kann ich, wie oben beschrieben, etwas bewirken, in dem ich die Haltung der Veränderung gegenüber ändere und kleine Teilschritte nacheinander angehe. Ui, heute bin ich aber philosophisch unterwegs …
Okay, kommen wir zurück zu den Preiserhöhungen, da trifft es uns im Bereich F&B und Personal am härtesten. Einerseits finde ich persönlich die höheren F&B-Kosten ganz gut, in Deutschland sind die Lebensmittelpreise niedriger wie in vielen anderen europäischen Ländern – und im Vergleich zum Einkommen geben die Deutschen auch im Schnitt sehr viel weniger für Lebensmittel aus als unsere EU-Nachbar*innen. Auch im Getränkebereich sind wir preiswerter unterwegs als viele andere europäischen Kolleg*innen.
Mehr Geld für qualitativ hochwertige Produkte auszugeben und diese auch wertzuschätzen, ist meiner Meinung nach schon lange überfällig. Ob die Erhöhung der Einkaufspreise allerdings bei den richtigen Empfängern ankommt, wage ich zu bezweifeln: Großkonzerne und Billig-Discounter werden wohl den größten Teil mitschneiden und zu den Gewinnern der Preiserhöhungen zählen.
Es werden wohl kaum mehr Gelder ausgegeben werden für den besseren Umgang mit den Ackerböden, Artenerhalt, für die Tierhaltung, zur Abschaffung der Massentierhaltung, zur Verbesserung der Schlachtbedingungen, für weniger Genmanipulation, für Erntehelfer*innen und sonstige Billiglöhner*innen, für kürzere Transportwege und und und.
Ich wage die These, dass die, die am Ende der Kette stehen (oder an deren Anfang) noch weiter nach unten gedrückt werden, und dass bei denen kein Cent ankommt. Ebenso verhält es sich mit den Dumping-Löhnen in unserer Branche. Service kostet und muss endlich mehr wertgeschätzt werden. Dass es mittlerweile so viele Kolleg*innen aus der Branche vertrieben hat, ist sicherlich auch nur teilweise der Pandemie und deren Folgen zuzuordnen, auch hier war „das große Ganze“ schon lange keine heile Welt mehr.
Als einzelne*r Gastgeber*in in der Hospitality nun dagegen etwas zu tun, gegen das große Ganze, ist wirklich im Prinzip unmöglich. Zu ändern ist das alles nicht mehr. Zumindest nicht für den Augenblick. Wenn wir nun aber meinem Gedankenansatz der kleinen Schritte folgen, was können wir in der Gesamtsituation konkret tun?
Nummer 1: Kosten für die Mitarbeitenden
Personalkosten sind mit der größte Kostenblock. Aber um unseren Betrieb am Laufen zu halten, brauchen wir nun mal Mitarbeitende. Der Markt regelt die Preise bzw. die Kosten – und viel Nachfrage, bei wenig Angebot treibt die Preise (Kosten) nach oben.
Da unsere Branche nun aber ja so und so nicht für überbordende Löhne bekannt ist, der Mindestlohn steigen wird und das so und so mehr als fair, aber oftmals als Arbeitgeber auch nicht so einfach zu bewerkstelligen ist, lohnt es sich, sich schnell und kreativ damit auseinander zu setzen.
Welche Anreize können wir, neben den Lohnsystemen, bieten?
Können sich mehrere Personen eine Stelle teilen, und können die Aufgaben aufgeteilt werden?
Kann man über flexible und frei einteilbare Arbeitszeiten nachdenken?
Gibt es Anreise für Weiterbildungen, Bildungsreisen, Modelle, die den Freizeitwert erhöhen?
Gibt es Teilzeitstellen mit längeren freien Blöcken, und Blöcken mit intensiveren Arbeitsstunden?
Welche Motivationsstufen kann man einbauen, um die Mitarbeiter an den Betrieb zu binden und gemeinsam die gesteckten Ziele zu erreichen?
Erfordert mit Sicherheit Kreativität, auch in der Kommunikation, ist aber mit Sicherheit ein guter Ansatz raus aus der Abwärtsspirale.
Nummer 2: Offener Dialog mit den Kund*innen
Die Zufriedenheit der Gäste/Kunden steht in unserer Branche an erster Stelle. Auch König*innen muss man ab und an die Realität vor Augen führen. Daher: Kommuniziert mit den Gästen!
Erklärt, warum alles teurer werden muss, was dahinter steht, integriert die Erläuterungen als Textbaustein in eure Speisenkarten, baut diese auf der Webseite mit ein, geht in den offenen Dialog als Chef*in.
Ganz wichtig dabei: Seid ehrlich! Und wenn es so ist, dass die gesamte Arbeit über die zwei Coronajahre anstrengender und zäher geworden ist, und daher bestehende Löhne (auch die eigenen) angepasst werden müssen, schämt euch nicht, steht dazu und sagt es frei heraus. Ein ehrliches Wort kann zwar immer auch Angriffsfläche bieten, aber so lange ihr euch selbst treu bleibt, wird alles gut werden.
Was ihr auch noch tun könnt:
Startet Umfragen, und findet dabei heraus, worauf der Gast tatsächlich wert legt und legt den Fokus darauf. Alles Unnötige wird abgeschafft! Vielleicht haben wir in den Jahren zuvor viel zu viel hinein interpretiert, was der Gast haben möchte und braucht, und haben den Apparat viel zu weit aufgeblasen. Daher sollten wir jetzt die Zeit nutzen, wieder Klarheit zu generieren und den Fokus zu schärfen. Lieber das konkret gewünschte in bester Qualität anbieten, als viel Schischi und nichts so richtig. Ist schließlich überall so und gilt für so ziemlich alles.
Nummer 3: Kauft so direkt wie möglich
Klar ist es einfacher, ein Fax an den Großhändler zu senden, oder einmal in der Woche durch den Großmarkt zu laufen und auf einen Schlag alles von der Liste zu streichen, was man benötigt. Aber dann passiert genau das, was ich oben beschrieben habe: Die Großen werden die Profite einfahren.
Macht euch die Mühe, kauft so direkt wie möglich, sei es bei den Winzern an sich, bei den Bauern im Umland oder beim Trüffelhändler in Italien. Es ist zwar im ersten Moment ein gefühlt größerer Aufwand, aber auch hier kann man ein Bestell- und Einkaufsverfahren entwickeln, was letztlich sehr einfach umzusetzen ist.
Es sollte im Interesse von uns allen liegen, dass die kleinen Betriebe, die sehr viel richtig machen, im Bezug auf Anbau, Ernte oder Tierwohl belohnt und unterstützt werden. Und auch das kann der Gast letztlich sicherlich am Besten nachvollziehen, da es ja auch in seinem Interesse liegen muss. Das Thema geht schließlich uns alle an!
Dass dies in der Praxis leider heute immer noch anders ist, ist mir absolut bewusst. Aber hey, genau das ist der erste kleine Schritt, den wir alle zum Wohle aller gemeinsam tun sollten!
Vielleicht nicht alles von heute auf morgen, aber in kleinen Schritten!
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