Exklusive Leseprobe aus „Gipfelgenuss“ von Simon Schlachter

Einblicke in das am höchsten gelegene Gourmetrestaurant Deutschlands

von Antje Urban

PXL 20230113 101936905 1 1 - medien-tools, konzepte, gastronomie Exklusive Leseprobe aus „Gipfelgenuss“ von Simon Schlachter

Höhenflug und Bodenständigkeit – wie dies kulinarisch und gastronomisch zusammen geht, zeigt der junge Koch und Gastronom Simon Schlachter: Im seit über 100 Jahren von seiner Familie betriebenen Burghotel Falkenstein in Pfronten, imposant auf den voralpinen Hügeln des Allgäu gelegen, vereint er Heimat- und Gourmetküche.

Schlachter spannt diesen Bogen nun mit seinem Kochbuch Gipfelgenuss: Meine Allgäuer Küche auch zum Nachkochen: In den insgesamt 80 Rezepten finden sich Familienrezepte wie geschmorte Aubergine, Maronencremesuppe oder ein traditioneller Kaiserschmarren, seine Lieblingsrezepte à la gebeizte Forelle, Tortelli Carbonara-Style oder Topfenknödel und Sternerezepte: Ceviche vom Wolfsbarsch, Thunfisch-Sashimi, Gin-Tonic-Sorbet. Dazu Grundrezepte für Fonds, Jus, Süßes und Salziges.

Eingebunden bzw. umrahmt werden die Rezepte von Texten über Schlachters kulinarische Ausbildung (u.a. im „Königshof“ in München, bei Ali Güngörmüs im „Le Canard Nouveau“ in Hamburg um im Züricher „Dolder Grand“) sowie seiner Rückkehr in die Heimat: 2019 eröffnete er das Gourmetrestaurant „Pavo“, das 2020 erstmals mit einem Michelinstern ausgezeichnet und damit zum höchstgelegenen Sternerestaurant Deutschlands wurde.

Die Texte entstanden in Zusammenarbeit mit der Journalistin und nomyblog-Autorin Antje Urban – und wir präsentieren euch exklusiv einen längeren Auszug aus dem Buch.

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EINE NEUE ÄRA AUF DEM BERG

Zurück auf dem Berg hatte ich den Kopf voller Flausen und Plänen und natürlich den Wunsch, weiter auf Gourmetniveau zu kochen. Schließlich hatte ich zehn Jahre von den Besten der Besten gelernt und wollte nicht zurück zu Wurstsalat und Eierspeisen. Aber ich wollte auch eigene Wege gehen und ein neues Konzept wagen. Meine Eltern gaben mir einen gewaltigen Vertrauensvorschuss, als ich 2017 die kulinarische Leitung vom Burghotel Falkenstein übernahm und kurz darauf einen großen Komplettumbau einläutete.

Das Hotel und die Restaurants sollten meine Handschrift bekommen: Mit Fingerspitzengefühl wollte ich eine modernere, offenere, aber immer noch warme Atmosphäre schaffen. Die Vorarlberger Designerin Sibylle Schaschl hat sofort wunderbar verstanden, was nötig war. Und mit der Unterstützung von meinem Bruder Toni, der von Natur aus äußerst kreativ ist und ein Gespür für schönes Interior Design und Dekoration hat, wurden 2019 die Rezeption, der Empfangsraum, die Bar und insgesamt sieben der 17 Zimmer »in die Neuzeit« gebracht. Wir legten dabei großen Wert auf natürliche Materialien. Fast überall findet sich das regionale Fichtenholz.

In einigen Räumen ließen wir zudem Ulme und Kirschholz verarbeiten, aber auch Steine, und in allen Bädern exklusive Fliesen. Bei den Stoffen fanden wir in dezenten Farben, hochwertigen Dessins und viel Samt den edlen Kontrast. Mittlerweile sind alle Zimmer modernisiert, und jedes für sich ist ein Unikat. Manche Zimmer strahlen puristische Schlichtheit aus, andere zeigen ein verspielteres Design. Viele Zimmer bieten eine Terrasse mit Alpenausblick, einige eine freistehende Badewanne im Raum. Die Wärme, Herzlichkeit und der besondere Charakter des Hauses sollten bleiben, aber mit dem neuen Interieur wurde deutlich, in welcher Liga unser Haus von nun an spielen würde.

Die für mich wichtigste Veränderung war der Umbau der Küchenräume und der Restaurants. Es entstanden die Herzblutstube, die Stube Bienenstock, die Stube Wolke und mit nur drei Tischen das Pavo, mein eigenes Gourmetrestaurant. Das erste Gourmetrestaurant auf einem Berg und das am höchsten gelegene in Deutschland.

ZU TISCH MIT DEM PFAU

Meiner Meinung nach befindet sich die Spitzengastronomie im Wandel. Immer mehr kreative Chefköche mit starker Persönlichkeit, sehr eigenen Vorstellungen und viel Energie übernehmen deutschlandweit die Führung. Ich wollte einer von ihnen sein. Mir ist bewusst: Pfronten ist nicht Hamburg, Berlin oder Tokio, und unsere Lage im spitzenkulinarisch eher unbeachteten Allgäu ist eine Herausforderung. Aber ich konnte mir keinen schöneren Ort vorstellen, um mein Projekt zu wagen.

Im Zuge unserer großen Renovierung entstand das Restaurant Pavo – »Pavo« ist der lateinische Name des Asiatischen Pfaus. Der Blaue Pfau war das Lieblingstier von König Ludwig II., und somit war »Pavo« der perfekte Name für den royalen Genuss, der mir vorschwebte. Ich wollte etwas Kleines, Feines. Mit dem Pavo sollte die Gastronomie im Allgäu im Jetzt ankommen. Eineinhalb Jahre lang plante ich und entwarf mein Konzept. Inszenierung, Menükarten, Geschirr, Rezepte: Alles sollte sich von einem normalen Restaurant abheben.

Ich bin der Überzeugung, dass heutzutage Essen gehen immer mehr zum Erlebnis werden muss. Die Gäste erwarten Qualität und im besten Falle Nachhaltigkeit verbunden mit einem besonderen Erlebnis. Bei uns auf dem Berg wäre ein klassisches Gourmetrestaurant nicht angebracht gewesen und auch nicht mein Stil. Ich bin mehr für das Ungezwungene. Unser Haus lebt von Herzlichkeit, Gastfreundschaft und familiärer Atmosphäre – das sollten die Gäste auch im Pavo erleben.

Ein großer Wunsch von mir ist es zudem, auch jüngere Leute fürs Fine Dining zu begeistern. Wir hatten einen kleinen Raum nahe der Bar für das Pavo vorgesehen. Nur maximal neun Plätze sollten es sein, mit denen wir den Testballon starten wollten. Irgendwie planten wir und perfektionierten alles, bis dann plötzlich Reservierungen für das Pavo eingingen. Und ich dachte: »Hey, Simon, der Moment ist gekommen! Jetzt musst du dann auch endlich mal loslegen.«

TEILEN MACHT NOCH MEHR FREUDE!

Sabrina und mir gefiel die Idee des Teilens der Speisen aus den asiatischen Ländern, die wir bereist hatten, so gut, deshalb entschied ich mich für das Sharing-Konzept im Pavo. Das Prinzip ist: Man stellt Speisen in die Mitte des Tisches, damit jeder probieren und nach Belieben mit den anderen tauschen kann. Ich mag diese Art von »Family Style«, bei dem man ohne schlechtes Gewissen auch mal mit den Fingern isst. Gemäß dem Motto »Teilen macht noch mehr Freude« wollten wir ein lockeres, unkompliziertes und geselliges Genießen der Menügänge ermöglichen.

Es gibt ein fixes Menü mit insgesamt 14 bis 18 Kleinigkeiten und einer aufeinander abgestimmten Reihenfolge. Das sind in der Regel fünf Vorspeisen, vier bis fünf Hauptgang-Elemente und fünf Desserts. Die Gerichte bauen geschmacklich aufeinander auf oder führen in den nächsten Gang ein.

Los gehts mit kleinen Snacks zum Aperitif – im Sommer natürlich auf unserer Terrasse mit atemberaubendem Blick in die Berge. Dann folgen immer aufs Neue verschiedene Schalen mit eigenen Gerichten für jeden Gast und welchen, die probiert oder geteilt werden können. Man muss aber auch auf der Hut sein, denn der eine ist vielleicht zu schnell und hat Schwupps, weil’s so lecker ist, einfach alles allein aufgegessen. Die Saucen werden von Sabrina ebenfalls am Tisch auf die Teller gegeben, und als Sommelière empfiehlt sie die korrespondierenden Weine.

Das Sharing fasziniert mich jeden Tag aufs Neue, weil es einfach so viel Gutes mit sich bringt. Es entfällt das große Tellergericht, stattdessen gibt es kleinere Portionen. Gleichzeitig bringt das Teilen eine größere Auswahl. Und zu guter Letzt das Schönste an allem: Auf diese Weise kommen meine Gäste wunderbar ins Gespräch miteinander, manchmal auch mit anderen Gästen. Seien wir doch mal ehrlich: Das ein oder andere Paar ist da bestimmt ganz froh drüber.

HÖHENFLUG MIT BODENHAFTUNG

Der Pfau kam gar nicht mehr zum Landen. So lässt sich der Erfolg am besten ausdrücken. Die drei bis vier Tische waren jeden Abend besetzt. Wir waren überwältigt. Relativ schnell entwickelte mein Team ein Gespür dafür, was sich unsere Gäste wünschten. Die Neuinterpretationen von Klassikern kamen genauso gut an wie die schrägen Geschichten. Auch den Michelin-Testern schien zu gefallen, was sie erlebten. Nur gerade mal acht Monaten nach unserer Eröffnung wurden wir mit einem Stern ausgezeichnet.

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PXL 20230113 102440538 1 - medien-tools, konzepte, gastronomie Exklusive Leseprobe aus „Gipfelgenuss“ von Simon SchlachterWir hatten zwar große Pläne, aber das war ein Erfolg, den wir nicht erwartet hatten, und vor allem nicht so schnell! Wir waren nun mit dem Pavo das höchst gelegene Sternerestaurant Deutschlands. Wenig später zog das Pavo um in die Stube Wolke mit insgesamt fünf Tischen und Platz für maximal 19 Personen. Bei aller Freude über den Erfolg: Wir wollen trotzdem einfach weiterhin authentisch und wir selbst sein. Wenn mir meine Eltern etwas mitgegeben haben, dann ist es, niemals die Bodenhaftung zu verlieren. Schließlich kann der nächste Abgrund immer nah sein – nicht nur auf dem Berg, sondern auch im Leben.

Ich habe ein super Team, mit Kollegen, die teilweise schon mehrere Jahre mit mir kochen. Wir haben alle so viel Lust, Neues zu testen, zu probieren und uns weiterzuentwickeln. Diese Leidenschaft verbindet uns und sorgt dafür, dass wir gemeinsam noch ein Stück besser sind. Daher bin ich auch stolz, Teil der Jeunes Restaurateurs (JRE) zu sein. Ich bin nicht der klassische Patron, der mit dem Löffel rumstolziert. Ich bin der Simon, der überall mit anpackt. Das ist auch das Credo in meiner Küche: Keiner hält sich an seinem Posten fest, sondern es wird geholfen, wo Hilfe nötig ist.

Ich bin zum Beispiel überglücklich, wenn ich neuerdings den Spüler beim Fische putzen beobachten darf. Er hat mir sehr häufig beim Fischsezieren zugeschaut. Irgendwann fragte er mich, ob er neben dem Geschirrspülen auch das machen dürfe. Er hatte voll Lust drauf, und hey, warum nicht? Er zieht seitdem professionell die Gräten und bereitet die Fische vor.

Gipfelgenuss: Meine Allgäuer Küche von Simon Schlachter hat 256 Seiten, ca. 120 Farbfotos und kostet 36 Euro. Erschienen im Südwest Verlag.

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