
Das Trio aus kleinen Tequila-Drinks: der „Chug Flight“ aus dem Hamburger The Chug Club. Foto: Swetlana Holz
Früher galt Tequila als Kopfschmerzgarant. Heute wissen ihn viele Konsument*innen zu schätzen. Qualität und Geschmacksvielfalt haben der Kategorie den Weg geebnet.
Filmstar George Clooney hat einen. Sein Kollege Dwayne „The Rock“ Johnson auch. Ebenso der Ex-Basketballprofi Michael Jordan sowie sein noch aktiver Kollege LeBron James. Auch Kendall Jenner, Mark Wahlberg und Carlos Santana eint eines: Sie alle besitzen eine eigene Tequilamarke oder sind an einer solchen beteiligt. In den USA ist Tequila das große Ding und ein absolutes In-Getränk. Der Absatz hat sich binnen 20 Jahren nahezu vervierfacht, auf zuletzt rund 280 Millionen Liter, die Spirituose liegt in Kategorie-Absätzen auf Platz zwei.
Und bei uns? Befindet sich Tequila bildlich gesprochen auf der Schwelle: Er verlässt den Raum, in dem ihm ein schlechtes Image anhaftet. Eines, das behauptet, dass man ihn nur mit Salz und Zitrone runterkriegt, eigentlich ein Wurm in die Flasche gehört, er aus Kakteen hergestellt wird und am nächsten Morgen für einen schweren Kopf sorgt. Was mit schlechter Information und qualitativ minderwertigen Mixtos, denen billiger Alkohol beigemischt wird, ebenso zu tun haben dürfte wie mit obskuren Ritualen des Wirkungstrinkens.
Doch nun betritt Tequila hierzulande, mit langsamen, vorsichtigen Schritten, einen schöneren, seiner Würde angemessenen Raum. Einen, in dem er seine wahre Qualität und seine enorme geschmackliche Vielfalt präsentieren darf: die Bar. Denn immer mehr Locations des Landes demonstrieren ihren Gästen, dass man weder Salz und Zitrone noch Zimt und Orange braucht, sondern den Facettenreichtum der Aromen ganz pur – oder zum edlen Cocktail gemixt – goutieren kann.
„Tequila hat sich enorm entwickelt“
Bettina Kupsa tut dies in Perfektion. Die sympathische Exil-Österreicherin setzt Tequila und den artverwandten Mezcal bereits im neunten Jahr in ihrem The Chug Club in Hamburg St. Pauli in Szene. Und mit Spirituosen aus Mexiko beschäftige sie sich intensiv schon seit 15 Jahren, erklärt sie uns. In ihrer Bar – u.a. ausgezeichnet als „Bar des Jahres 2018“ bei den „Mixology Bar Awards“ steht Flüssiges aus Mexiko zweifellos im Zentrum. Neue Produkte scoutet sie unter anderem auf regelmäßigen Reisen in die mexikanischen Herkunftsregionen. Zweimal im Jahr wechselt sie die Karte, dazu gibt es monatliche Drinkspecials.
Die Wahrnehmung von und die Wertschätzung für Tequila habe sich enorm entwickelt, berichtet Kupsa. Was sie auf das wachsende Interesse für Lateinamerika und seine Produktvielfalt im Food- wie Beveragebereich zurückführt. Aufklärungsarbeit wie in der Anfangszeit ihrer Bar müsse sie heute nicht mehr leisten, und ohnehin mag sie niemanden überzeugen. Wer lieber einen Drink mit einer anderen Spirituose haben möchte, der bekommt ihn. Gerne. Wer indes Interesse zeige, in die Welt der Agavendrinks einzutauchen, nehmen Kupsa und Team gerne auf eine kleine Reise mit. Genauer: auf einen Flight. So nennen sich die drei Drinks im Miniaturformat („Chugs“) sowie die Trios aus verschiedenen puren Tequilas oder Mezcales, die man hier anbietet. Sie erfreuen sich großer Beliebtheit unter den Gästen. Der „Chug Flight“, bestehend aus drei Überraschungs-Miniaturdrinks, ist der Topseller der Bar – was die Probierbereitschaft und Experimentierfreude der Gäste unterstreicht. Auch Flights mit eichenfassgelagerten Reposados, Cristalinos (fassgelagert und anschließend filtriert) oder Overproof-Varianten werden offeriert. Mit Erfolg: Der Verkauf purer Spirituosen habe sich über die Jahre verzehnfacht, berichtet Kupsa.
Bildungsarbeit für Agaven-Spirits
Sie ist Mit-Initiatorin von Club Cantina, einer 2019 gegründeten Bildungsplattform, die u.a. mit eigenen EventsKonsumenten und Gastronomie über hochwertige mexikanische Spirituosen informiert. Und auch über die enorme, oft noch handwerkliche Arbeit, die in ihnen steckt. Vom Pflanzen der Agaven über ihr Wachstum bis zur Ernte, weiter von der aufwändigen Garung der Herzen bzw. Piñas, der Destillation, Lagerung, Abfüllung, dem Export bis zum Abgießen ins Glas kann gut und gerne ein Jahrzehnt vergehen.
In der „Agave Embassy“, welche die „Club Catina“ zusammen mit der Athener Tequila-Bar „Barro Negro“ auf dem „Bar Convent Berlin“ 2023 ausrichtete, wurde dem Fachpublikum in Vorträgen und Tastings dargelegt, wie agrikulturell die Herstellungsprozesse – insbesondere der kleinen Craft Spirits – auch heute oft noch sind. Denn neben Dickschiffen wie „Patrón“, „Olmeca Altos“, „El Jimador“ oder „Don Julio“, die im Besitz der Großkonzerne sind, gibt es nach wie vor familiengeführte Kleinstbetriebe, die es auf wenige Tausend oder gar nur Hundert Flaschen pro Jahr bringen. Esteban Morales Garibi importiert solche Fast-Raritäten mit seiner „Casa Endemica“ auch nach Europa. In seiner bildreichen Präsentation in der „Agave Embassy“ sahen die Fachgäste Nutztiere, die Steinräder antreiben, handgeschmierte, archaisch anmutende Lehmöfen, im Erdreich fermentierende Agavenherzen und abenteuerlich anmutende Brennanlagen. „Eating is an agricultural act“, lautet der bekannte Satz des US-Romanciers und Food-Aktivisten Wendell Berry. „Drinking Mezcal too“, könnte man mit Blick auf diese Arbeitsbilder antworten.
Geschmacksvielfalt
Doch nicht nur die Aufklärung über die aufwändige Erzeugungsweise ist wichtig, wenn Tequila und Mezcal hierzulande gefördert werden sollen. Es geht natürlich auch, und ganz besonders, um den Geschmack. Und der ist, je nach dem Terroir, auf dem die Pflanzen wachsen, je nach Aufbereitungsverfahren und je nach Lagerung, enorm unterschiedlich, von lieblich-floral-fruchtig bis zu kantig-tiefrauchig. Gina Barbachano, Bartenderin im „Hanky Panky“ in Mexico-City, trafen wir beim Bar Convent Berlin. Auch im Tequila-Heimatland gebe es Gäste, die ihren Zugang zu Agavenspirits noch nicht gefunden haben, erklärt sie uns. Sie empfiehlt zum Einstieg zugängliche Drinks wie den „Naked & Famous“, der Mezcal mit gelber Chartreuse, Aperol und frischem Limettensaft kombiniert. Klingt sexy und schmeckt auch so!
Flüssiger Brückenbauer
„Ich finde, dass der Charakter eines Abends viel von der Spirituose abhängt, die man an diesem Abend trinkt“, erklärt uns der vielfach ausgezeichnete Bartender und Gastgeber Arnd Henning Heissen. „Und Tequila zu trinken bedeutet für mich immer: gute Laune.“ Der gebürtige Frankfurter ist ebenso lange schon Asienfan wie er Lateinamerika-Fan ist. Eigentlich Weltfan, denn die Zutaten, die er in seinen Cocktails verarbeitet, trägt er von überall aus zusammen.
Jetzt auch für sein eigenes Produkt: Zusammen mit Julius Bucher hat Heissen Luneoir lanciert, einen „Botanical Tequila“ besonderer Herstellungsart: Die Agaven aus dem mexikanischen Tequila-Bundesstaat Jalisco werden mit Champagnerhefe fermentiert und zweifach destilliert. Anschließend werden sie mit Destillaten aus den Botanicals Yuzu, Mandarine, Bergamotte, Zitronengras, Vanille, Ingwer und Pfeffer vermählt – ein Blend, der eine Brücke zwischen Tequila und Gin baut. Eine sehr clevere und hocharomatische Brücke, über die sich so mancher Gast – nicht nur in Heissens eigener Bar, auch in anderen – vom trendigen Gin zum Immer-noch-Geheimtipp Tequila hinüber traut.
Deutschland: größter Tequilamarkt Europas
Tequila werde wohl nie ein Massenthema werden, aber die Beliebtheit nehme spürbar zu, so Heissen: „Es gibt heute sehr gute Produkte auf dem Markt. Und die jüngeren Gäste, das merke ich auch, haben die schlechten Erfahrungen mit billigen Produkten gar nicht mehr gemacht.“ Weshalb sie unvoreingenommener und offener sind. Das klingt nach guten Zeiten für die Kategorie. Immerhin: Deutschland ist der größte Markt für Tequila in Europa – und nach den USA sogar der weltweit zweitgrößte. Vielleicht sehen wir ja schon bald den einen oder anderen deutschen Filmstar, Sänger, Sportler oder Influencer seine eigene Flasche hochhalten.