27 Standorte, davon 9 Eigenbetriebe und 18 im Franchise, 120 eigene Mitarbeitende und insgesamt ca. 270 Beschäftigte, ein Umsatz von 11,3 Millionen und eine Prognose von 17 Millionen für 2025: Bei Haferkater aus Berlin, das gerade seinen zehnten Geburtstag feiert, stehen die Zeichen auf Wachstum. Und was machen die Gründer Anna Schubert, Leandro Burguete und Levin Siert? Kaufen den Investoren die Anteile wieder ab und übertragen ihr Unternehmen ins Verantwortungseigentum, was einen zukünftigen Firmenverkauf unmöglich macht.
Haferkater gehört sich fortan quasi selbst. Warum geht man diesen – in der deutschen Gastronomie beispiellosen – Weg? Wir sprachen mit Gründerin und Geschäftsführerin Anna Schubert.
Anna, wie kam es dazu, dass ihr euch für das Verantwortungseigentum entschieden habt?
Anna Schubert: Es ist gelebte Konsequenz. Mit Haferkater wollen wir ein Unternehmen aufbauen, das Gastronomie anders denkt und nachhaltiger arbeitet. Mit der Zeit wurde uns bewusst, dass dieses Ziel ehrlicherweise nicht vereinbar ist mit einem Verkauf des Unternehmens. Auch wäre ein Verkauf nicht passend zur Unternehmenskultur, die wir aufgebaut haben: Wir können nicht den Eindruck vermitteln, dass wir alle zusammen an einem Strang ziehen und gleichzeitig aus persönlichen finanziellen Interessen die Firma und die Menschen, die darin arbeiten, an Dritte veräußern. Verantwortungseigentum ermöglicht uns also einerseits die Werte von Haferkater langfristig zu sichern, indem das Unternehmen unverkäuflich wird, und andererseits bleibt dadurch das Unternehmen bei den Menschen, die es aufgebaut haben. Im Verantwortungseigentum kann die Mehrheit der Stimmrechte nur von Menschen gehalten werden, die im Unternehmen arbeiten.
Es gäbe ja auch andere Formen, zum Beispiel Beteiligungsmodelle.
Unsere primäre Motivation war nicht eine Beteiligung, sondern langfristig zu klären, wie es mit Haferkater weitergeht – auch wenn wir als Gründer:innen eines Tages nicht mehr dabei sind. Die Frage des Exits stellt sich jedem, der ein Unternehmen aufbaut, und auch wir wollten unter anderem für uns einen Weg finden, auch mal vier oder sechs Wochen weg sein zu können …
… ohne gleich zu verkaufen. Aber warum eigentlich nicht? Das wäre doch einfacher gewesen und hätte euch als Gründern vermutlich viel Geld gebracht.
Unsere Priorität war es nie, möglichst viel Geld aus Haferkater rauszuholen, sonst hätten wir das schon längst getan. Schon in unserem ersten GmbH-Vertrag stand außerdem die Klausel, dass unsere Anteile nicht vererbbar sind. Es entspricht nicht unserer Vorstellung von Verantwortung und Eigentum. Ich mag die Idee, dass Kapitalismus anders gedacht werden kann. Dass ein bestehendes System sich so anpassen lässt, dass es weniger Schaden anrichtet als aktuell. Und dafür ist Verantwortungseigentum super. Als wir von diesem Modell erfahren und Workshops mit der Stiftung Verantwortungseigentum gemacht haben, haben wir schnell gemerkt: Das passt gut zu dem, was wir wollen.
Ich stelle mir das im wahrsten Sinne des Wortes spannend vor: Da hat man zwei Investoren im Boot, die zusammen immerhin mit einem knappen Drittel beteiligt sind bzw. waren, Katjes Greenfood mit 25%, Zentis Ventures mit 6%, und denen sagt ihr dann: Wir wollen, dass ihr raus geht.
Es war ja kein Geschenk. Sie haben mit uns gutes Geld verdient. Katjes etwa ist schon zu einer sehr frühen Phase eingestiegen, seitdem hat sich Haferkater sehr entwickelt. Wir sind in regelmäßigem Austausch, sie waren bei uns im Beirat, es war wahrscheinlich keine große Überraschung für sie, dass wir unsere Werte sichern wollen. Schließlich ist das Prinzip der Nachhaltigkeit schon immer einer unserer Grundpfeiler gewesen. Aber je größer die Firma und je besser die Bewertung wird, desto schwieriger wird es, Investoren auszulösen. Deswegen war es für uns nun der richtige Zeitpunkt, sodass es noch bezahlbar ist.
Ihr kauft eure Investoren mit 3,5 Millionen Euro raus. Und veranschlagt 1,5 Millionen für Wachstum und kommende Standorte. Das Geld dafür kommt zum einen aus der Crowd, jeder konnte in Haferkater investieren – das Funding ist mittlerweile erfolgreich abgeschlossen – und erhält, wenn alles gut läuft, nach sieben Jahren Laufzeit 8,5% Zinsen. Damit habt ihr 3,5 Millionen Euro eingesammelt. 1,5 weitere Millionen kommen von Investoren aus der Gruppe „Purpose Ventures“. Wer sind sie und was unterscheidet sie von herkömmlichen Investoren?
Es sind Einzelpersonen oder kleinere Firmen, die Unternehmen stärken wollen, die ins Verantwortungseigentums gehen. Was sie aus dem Unternehmen rausholen können, ist gedeckelt, und es darf auch nur Geld aus dem Gewinn ausgelöst werden.
Und was bekommt ihr als Gründer?
Eine Gründerkompensation, die allerdings ebenfalls gedeckelt ist und auch erst nach den Purpose-Investoren ausgezahlt wird. Es kann also sein, dass wir in einigen Jahren etwas bekommen, vielleicht aber auch nicht.
Ihr seid ja ein systemgastronomischer Franchisebetrieb. Wie geht das denn mit dem neuen Modell zusammen?
Das Verantwortungseigentum betrifft nur die Haferkater GmbH. Die Franchisebetriebe haben ihre eigenen Firmenstatuten. Das ist kartellrechtlich geregelt, wir können uns da gar nicht einmischen. Allerdings haben wir den Franchisepartner:innen unser komplexes Finanzierungsvorhaben nahe gebracht und erklärt, warum wir das alles machen. Und sie finden es toll! Die Crowdfunding-Kampagne wurde in hohem Maße über die Stores getragen, indem sie mit Plakaten, Stickern und Flyern dazu aufgerufen haben, in Haferkater zu investieren. Wir haben es direkt gemerkt: Als Bahnstreik war (und somit keine Kunden an den Stores, Anm. d. Red.), kam auch kein Investment mehr rein.
Eure Franchisepartner stehen also dahinter.
Ja. Sowohl für die Teams als auch die Franchisepartner:innen ist es gut zu wissen, dass wir Haferkater nicht nächstes Jahr an irgendwen verkaufen. Es gibt ihnen eine relative Sicherheit, dass es konstant so weiterläuft wie jetzt. Wenn ein Franchisesystem verkauft wird, dann erwartet der Käufer signifikante Ertragssteigerungen und diese gehen in der Regel zulasten der Franchisepartner:innen: Die Gebühren steigen oder die Partner:innen werden dazu gebracht, Filialen zu eröffnen, die ein höheres Risiko bergen. Wir erhalten durch das Verantwortungseigentum den Ist-Zustand. Das, wofür wir tagtäglich arbeiten.
Ist es auch eine Qualitätssicherung für den Gast? Durch Vervielfältigung oder gar Verkauf verändert sich die Qualität mitunter ja schon. Und ihr habt bekanntlich hohe Ansprüche an eure Rohstoffe und euer Produkt.
Wachstum stellt grundsätzlich eine Herausforderung für die Produktqualität dar. Diese an verschiedenen Standorten, mit anderen Teams, zu unterschiedlichen Bedingungen gleichbleibend zu halten, wird umso komplexer, je größer du wirst. Das Thema beschäftigt uns ständig. Und ja, Verantwortungseigentum sichert, dass niemand Haferkater kaufen kann, der dann sagt: Die Qualität ist mir egal solange die Gäste dafür zahlen und wiederkommen. Wie erwähnt führt der Verkauf eines Unternehmens zu höheren Renditeerwartungen und der schnellste Weg dahin ist: Preise oder Gebühren hoch, Wareneinsatz runter. In der neuen Unternehmensform von Haferkater gibt es keine Gesellschafter mehr, die persönlich reicher werden, wenn das Unternehmen mehr Gewinne erreicht. Dadurch gehen wir das Problem an der Wurzel an: Wir nehmen Haferkater einfach den Grund, so vorzugehen.
Aber was ändert sich jetzt eigentlich, wenn Haferkater ins Verantwortungseigentum übergeht?
Das fragen wir uns auch (lacht). Dadurch, dass es ein Stiftungsmodell ist, welches du dir ein Stück weit selbst baust, ist vieles möglich. Das regelt man alles über die Statuten und den Gesellschaftervertrag. Es gibt zwar Rahmenbedingungen, zum Beispiel müssen 51% der Verantwortungseigentümer aus dem Unternehmen kommen. Doch gleichzeitig ist es erwünscht, Externe reinzuholen. Theoretisch kann sich jeder bewerben, der Lust hat, sich in Haferkater einzubringen. In diesem Zuge beschäftigen wir uns gerade mit Fragen wie: Setzen wir eine Wahlperiode ein? Jährlich, alle drei Jahre, alle fünf? Wer entscheidet darüber, wer reinkommt und wer rausgeht? Wir wollen auf jeden Fall dazu motivieren, Verantwortung für Haferkater mitzutragen.
Anna, vielen Dank dir und viel Erfolg euch.
Mehr Informationen:
www.haferkater.com
Auch die brand eins berichtet über Haferkaters Schritt ins Verantwortungseigentum.
Ein großes Haferkater-Portrait haben wir 2019 verfasst.
Was ist Verantwortungseigentum?
Bei diesem Unternehmensmodell liegen die Kontrolle und die Gewinne eines Unternehmens in den Händen von Personen, die langfristig am Wohl des Unternehmens und dessen gesellschaftlicher Wirkung interessiert sind, statt – wie bei herkömmlichen Eigentums- und Kapitalbeteiligungsmodellen Gewinne zu maximieren bzw. Renditeziele zu verfolgen. Verantwortungseigentümer sind häufig stärker an der Mission und den (u.a. ökologischen und sozialen) Werten des Unternehmens ausgerichtet, was einer konsistenten Unternehmensführung und -kultur zuträglich ist. Große Unternehmen wie Zeiss, Bosch oder ZF Friedrichshafen befinden sich schon seit Jahrzehnten in Verantwortungseigentum, ebenso die Outdoor-Marke Patagonia,
der Bio-Lebensmittelhändler Alnatura oder der Kondom-Hersteller Einhorn. In Deutschland ist die Stiftung Verantwortungseigentum die zentrale Orientierungshilfe für Unternehmen, die diesen Weg gehen wollen. Stand heute sind es bereits rund 250, die sich für dieses Modell entschieden haben.