Mit den Getränken in der Discothek verhält es sich im Prinzip so wie mit der Musik: Bekannte Nummern gehen immer gut und lassen die Leute tanzen bzw. zugreifen. Doch wer ein paar Geheimtipps in den Mix einbaut, für Kenner und Entdeckungsfreudige, der macht sein Profil spannender.
Wer wissen will, was sich im Bereich handwerklicher, hipper, kleiner und konzernunabhängiger Spirituosen in Deutschland und Europa gerade tut, der besucht im Frühjahr das Festival Destille Berlin. Was 2012 mit ein paar Tischen im laufenden Betrieb der Markthalle Neun in Kreuzberg begann, ist heute ein zweitägiges Fach- und Publikumsevent in der benachbarten Heeresbäckerei mit 600 Produkten von Aquavit bis Wermut. Junge Marken, deren Flaschenetiketten teils wie frisch und von Hand angeklebt aussehen, spannende Alternativen zu den etablierten Klassikern der großen Kategorien, kunstvoll gestaltete Designs, spannende Aromen und interessante, passionierte Menschen – viele Produzenten stehen nämlich selbst an den Ständen – gibt es hier zu entdecken.
Die Initiatoren des Events sind Theo Ligthart und Thomas Kochan. Zwei Männer, die sich leidenschaftlich mit Indie-Spirituosen beschäftigen: Kochan betreibt den Boutique-Spirituosenshop Dr. Kochan Schnapskultur und hat über das Trinken in der DDR seine Dissertation geschrieben. Ligthart produziert unter anderem den Kornbrand „Das Korn“ und hat das Freimeisterkollektiv mitgegründet, ein Verbund, in dem bekannte Brenner besondere, aber optisch völlig unauffällige Schnäpse für die Gastronomie anbieten – White-Label-Spirits, sozusagen. Das Portfolio hat einiges zu bieten: Amaranth- und Quinoa-Wodka von Georg Hiebl aus dem Mostviertel in Österreich, London Dry Gin und Amaro von Thomas Neubert aus Mecklenburg-Vorpommern, Florian Faude von „Faude Feine Brände“ steuert einen (klaren) Curaçao bei; zuletzt erschienen der „Wermut Uhudler“ von Brennerin und Winzerin Lisa Bauer aus der Steiermark, „Rose & Hagebutte“, ein Cuvée aus Brand und Geist von Birgitta Rust und ein Mezcal von Karina Abad im Programm. Praktisch alle Klassiker der Barwelt lassen sich mit den Kollektivprodukten darstellen. Theo Ligthart sieht durchaus einen Platz für handwerkliche Spirituosen in der Clubwelt: „Viele Clubs legen Wert auf Musik von unabhängigen Produzenten, Independentlabels oder Klänge abseits des Mainstreams. Daher ist es unverständlich, wenn sie sich die Spirituosenauswahl von den großen Konzernen diktieren lassen“, findet er.
Die neuen Kleinen
Schauen wir uns die Produkte und Protagonisten dieser neuen Indie-Welt anhand einiger Beispiele einmal genauer an. Zum Beispiel im Bereich Wodka, dem nach wie vor dem in der Discothekenwelt wohl wichtigsten Segment. Aus Berlin kommt eine kleine Alternative im Markt der Großen: Smokecraft ist ein Wodka auf Sommerweizenbasis, der mit Buchenholz geräuchert wird und so einen rauchig-kraftvollen Geschmack bekommt.
Die von Gründer Robert Köcke in Handarbeit hergestellte Spirituose, die ohne künstliche Aromen, Zuckercouleur und Co. auskommt, wurde 2016 vom Bundeswirtschaftsministerium zum „Hand Made in Germany“-Produkt gekürt und auf eine weltweite Roadshow geschickt. Smokecraft wird in Hotelbars ausgeschenkt und ist bereits bei einigen Feinkostkonzepten wie „Manufactum“ im Sortiment. Preislich befindet sich das Produkt auf Augenhöhe mit Premiumwodkas – schließlich zählt es qualitativ betrachtet auch dazu, ohne sich so zu nennen.
Künstlicher Aprilscherz
Einen in der Spirituosenbranche aufmerksamkeitsstarken Aprilscherz erlaubte sich Felix Georg Kaltenthaler aus Worms in diesem Jahr: Der mit seinem Revolte Rum bekannt gewordene Jungbrenner kündigte an, sein Stammprodukt – einen subtilen, floralen Rum auf Basis von Melasse aus Papua-Neuguinea – einzustampfen und statt dessen einen Spiced Rum einzuführen, „der durch künstliche Aromen nur so von Vanille und Toffee-Noten strotzt“. Begründung: „Gegen Rums, die in erheblichem Ausmaß gezuckert und gleichzeitig mit verschiedenen chemischen Substanzen versetzt werden, kommen wir mit unserer Philosophie einfach nicht mehr an.“
Ein feiner Seitenhieb gegen die Kollegen im Rumgeschäft, die ihrem Produkt aufgrund laxer Regulierungen Zucker und Aromen beifügen. Und dann ließ Kaltenthaler den Worten Taten folgen: Denn seit kurzem gibt es tatsächlich einen Spiced Rum aus seiner Manufaktur, mazeriert mit Rosinen, Orangen und Zimt. Leider auf 104 Flaschen, angelehnt an den Aprilscherz, limitiert. Doch vielleicht legt Kaltenthaler ja noch mal nach.
Korn, neu erfunden
Ordentlich nachlegen müssen vermutlich auch die Feinbrenner von Sasse aus Schöppingen im Münsterland: Für ihren „Nju Korn mild“ wurden sie beim renommierten „World Spirit Award“ (WSA) zum „Spirit of the year 2018“ gekürt. Nju Korn, neben der Sorte „mild“ auch in „fruchtig“ und „wuchtig“ erhältlich, ist eine echte Ansage. Schließlich gilt der Kornbrand unter Discogängern doch als Altherren- und Landeier-Gesöff.
Doch der Wind dreht sich. Bekanntlich werden viele traditionelle Speisen und Getränke, vom Grünkohl bis zum Gosebier, heuer wiederentdeckt und neu geschätzt, und in diesem Zuge schüttelt auch der Korn sein staubiges Image dank moderner, qualitätsgetriebener Produkte ab. „Heute haben die Menschen verstanden, dass Korn etwas richtig Gutes sein kann, wenn er denn mit Herz und Hand gemacht wird“, so Brenner Rüdiger Sasse (der für das bereits erwähnte „Freimeisterkollektiv“ zudem einen Rye Whiskey entwickelt hat). Die Variante „fruchtig“ ist denn auch nicht künstlich aromatisiert, wie es gängigerweise der Fall ist, vielmehr entsteht die Fruchtigkeit – rote Beeren, Mandarinen, frisch gebackenes Brot – durch das Destillationsverfahren in Traditions-Kupferblasen aus Beckum quasi aus sich selbst heraus.
Deutscher Whiskey, hip gestaltet
Bastian Heuser und Steffen Lohr, Ex-Bartender, Mitgründer des „Bar Convent Berlin“ (Heuser) und Ex-Markenbotschafter in der Spirituosenindustrie (Lohr), wollten im Spreewald eigentlich nur ein Whiskyfass kaufen und kamen mit einer ganzen Destillerie zurück: Denn sie verliebten sich sofort in das idyllische Anwesen in Schlepzig und der Besitzer der sich dort befindenden Spreewald-Brennerei suchte ohnehin nach einem Nachfolger – geboren waren die „Spreewood Destillers“ und die Whisky- und Rum-Range „Stork Club“.
Modernes Packaging, handwerkliche Herstellung und eine spannende, glaubwürdige Story – die Erzeugnisse schließen an eine bestehende Brenn-Tradition am Standort an, dieser befindet sich im größten Roggenanbaugebiet Deutschlands, in dem sogar US-Destiller ihren Rohstoff einkaufen – bilden die Basis für das große Vorhaben, deutschen Whisky wieder salonfähig, man könnte auch sagen szenefähig zu machen. Das hippe Design der Etiketten dürfte sich jedenfalls auch im Neon- und UV-Licht der Discobar gut machen.
Übrigens: Mit Sebastian Brack ist bei den „Spreewood Destillers“ ein Dritter im Bunde, der als Seriengründer nicht nur den Markt der Longdrink-Filler mit „Thomas Henry“ ordentlich aufgemischt, sondern mit Belsazar Vermouth auch einen deutschen Wermut vorgelegt hat. Die Marke wurde kürzlich, es ging durch die Fachpresse, vom weltgrößten Spirituosenkonzern Diageo gekauft.
So kann es eben auch gehen mit den Indies in der Schnapsbranche, ganz wie in der Musikwelt: Die Majors schauen sich genau an, wer hier das Potential hat, auf großen Bühnen zu spielen – und nehmen diese Newcomer nur zu gerne unter Vertrag. Ein Gin mit Affenmotiv aus dem Schwarzwald, den Namen braucht man gar nicht mehr zu nennen, hat es mit der Vertriebskraft von Pernod Ricard zu fast weltweiter Bekanntheit – und Verfügbarkeit – gebracht.
Fazit: Große ja, Kleine – auch ja!
Die Discotheken- und Clubbranche wird große Spirituosenmarken und -namen immer brauchen. Bekanntheit schafft Sicherheit für den Konsumenten. Wo es dunkel, laut und trubelig ist, bleibt wenig Platz für die Erklärung von Nuancen. Überdies bringen große Unternehmen mit, woran es Kleinen stets mangelt: ein Budget. Dass WKZ, Rückvergütungen, Promotions und Zahlungen für Sichtkontakte das Schmiermittel im Clubgetriebe sind, ist unstrittig. Indes: Das Konsumentenbedürfnis differenziert sich immer weiter aus, Nischenprodukte sind gefragt und somit kleine, besondere, qualitätsgetriebene Erzeugnisse.
Noch einmal Theo Ligthart: „Wenn es um den Ausschank von Craft Spirits geht, wird vom Gastronomen Mut und Weitsicht verlangt, die aber durch Differenzierung und Authentizität belohnt wird. Wer ausschließlich industrielle Massenware anbietet und obendrein den Club mit Werbemittel bekannter Spirituosenmarken dekoriert, vergibt eine gute Chance für Alleinstellung.“
So, wie so mancher Betrieb im Zuge des Craft-Beer-Hypes ein zweites, drittes, viertes und x-tes Bier listet, können auch besondere Wodkas, Gins, Rums, Whisk(e)ys und Co. neben dem Hauptprodukt für Abwechslung im Sortiment – ergo für den Gast – sorgen.
Dieser Beitrag erschien zuerst im disco-Magazin.