Mehr statt weniger: Jonathan Kartenberg vom „Irma La Douce“ hat zum Gastro-Restart zwei weitere Öffnungstage und eine zusätzliche Karte aufgefahren. Und verstärkt das Team in seinem anderen Restaurant „eins44“ mit einer bekannten Berliner-Gastro-Persönlichkeit.
Frische Gillardeau-Austern. Marinierter Pulpo, gegrillte Garnelen. Eine kraftvolle Bouillabaisse mit Meerbarbe, Muscheln und Sauce Rouille. Zum Abschluss eine klassische Crème brûlée. Dazu Weine aus Frankreichs Regionen von Südwest bis Beaujolais – das Berliner Restaurant Irma La Douce, das im vergangenen Herbst eröffnete, hat sich sowieso schon der französischen Kulinarik verschrieben und tut es in diesem Sommer noch ein bisschen mehr mit einer Karte mit Seafood-Schwerpunkt, die etwas Provence-Flair in die belebte Potsdamer Straße holen will. Und das immer von Sonntag bis Dienstag – an den anderen Tagen gibt es die reguläre Karte. Aktuell hat man sieben Tage geöffnet, vor Corona waren es nur fünf.
Eine zusätzliche Karte und zwei zusätzliche Tage: Betreiber Jonathan Kartenberg geht in #restartgastro-Zeiten ganz offensichtlich einen anderen Weg als viele Restaurants, die ihr Angebot und ihre Öffnungstage eher ein Stück weit reduzieren. Warum? Das wollen wir uns erklären lassen. Aber erst einmal: Wie geht’s?
„Wir wurden volle Kanne ausgebremst. Es fühlt sich an wie eine zweite Neueröffnung. Da hätte man sich die erste Eröffnung eigentlich auch klemmen können“, sagt Kartenberg lachend. „Aus wirtschaftlicher Sicht ist es natürlich angespannt. Aber als klar wurde, wir dürfen wieder aufmachen, da wollte ich das unbedingt sofort. Damit bin ich nach wie vor happy.“
50 bis 60 Gäste pro Abend habe sein Restaurant vor Corona gehabt. Jetzt ist es ungefähr die Hälfte, erklärt der Gastronom, der zudem schon länger das eins44 in Neukölln betreibt. „Mir sind 50 Prozent der Zielgruppe – Touristen – weggebrochen, und das sind Gäste, die pro Kopf praktisch immer über 100 Euro ausgeben“, berichtet er. Dass als Reaktion darauf keine Verringerung, sondern eine Erhöhung der Öffnungstage vorgenommen wurde, mit einer Extra-Karte, die die Vielfalt des Angebots vergrößert, erklärt er so: „Wir wollen mehr für die Berliner da sein, und ich möchte, dass sie möglichst oft in unsere Läden kommen können.“
Mit den beiden Karten im „Irma La Douce“ und der neu konzipierten Karte im „eins44“ bietet er ihnen tatsächlich eine große kulinarische Palette an. In Neukölln war vor dem Shutdown gar geplant gewesen, sowohl das bisherige Menü als auch ein à-la-carte-Angebot zu etablieren, man hat sich nun für ausschließlich Letzteres entschieden. „Das hat sich noch einmal radikalisiert“, so Kartenberg. Bemerkenswert ist in Sachen „eins44“ überdies, dass dort Daniel Achilles als Kreativpartner den jungen Küchenchef Tim Tanneberger unterstützt und die Küche thematisch weiter öffnen soll. „Das ergänzt sich super, und Daniel ist ja zusätzlich auch noch ein Unternehmer“, erklärt Kartenberg – immerhin betrieb Achilles zuvor das mittlerweile geschlossene „reinstoff“, das erhielt zwei Michelin-Sterne. Man habe schon länger darüber nachgedacht, zusammen zu arbeiten – auch hier wirkte Corona dann letztlich als Beschleuniger, nicht als Bremser.
Man merkt: Kartenberg will nach vorne gehen. „Ich verstehe vollkommen, dass andere die Handbremse anziehen. Ich möchte das aber nicht. Sondern mehr machen, nicht weniger.“ Man sieht es auch daran, dass er für seine Mitarbeiter*innen in beiden Betrieben zwar wie überall Kurzarbeit angemeldet, die Gehälter aber auf 100 Prozent aufgestockt hat. „Wirtschaftlich mag das nicht sinnvoll erscheinen, unsere Pläne hat Corona komplett gesprengt. Aber uns ist es wichtiger, dass wir den Rhythmus behalten. Unabhängig vom Finanziellen ist ein Restaurant ein lebender Kosmos. Die Leute brauchen Halt. Wir arbeiten hier viele Stunden zusammen, verbringen hier viel Zeit, mehr als zu Hause vielleicht.“
Ob er nicht aufhören wolle, sei er gefragt worden. Aufhören? „Ich habe jetzt den Laden, einen Mietvertrag, da stelle ich mich doch nicht hin und sage, ich höre auf. Wir ziehen das jetzt durch“, sagt er. Und Bock auf schlechte Laune habe er schon mal gar nicht. Seine Entschlossenheit ist, trotz aller Unwägbarkeiten, deutlich zu spüren. Dass man die Kosten im Blick haben müsse, sei ihm natürlich klar. Die 125-Gramm-Kaviardosen kaufe man derzeit nicht. Algenkaviar sei schließlich auch ein cooles Produkt. Zusammen mit Küchenchef Michael Schulz planen man beim Einkauf sehr genau, was wirklich da sein müsse. „Wir haben auch kein Problem damit zu sagen, wenn etwas mal aus ist.“ Das Angebot aber generell zu verringern, ist aus Kartenbergs Sicht nicht das richtige Signal an die Gäste.
Wir sitzen draußen. Trotz ihrer Vierspurigkeit ist die Potsdamer Straße gar nicht so lärmig wie befürchtet. Eigentlich ist es richtig nett, dem bunten Treiben zuzusehen in der (gar nicht mehr so) neuen Ausgehmeile. Nebenan sitzen die Gäste der „Victoria Bar“ mit Drinks an den Tischen. Auf der anderen Seite ist gerade die Agentur Reference Studios eingezogen – deren Fläche vor dem Fenster darf man bis zum Herbst mitnutzen und bedarfsweise mehr Tische aufbauen. So lassen sich bis zu 30 Gäste draußen platzieren.
Sieben Wochen habe er auf Antwort beim Straßenamt gewartet, bis man ihm mitgeteilt habe, dass er in diesem Jahr zusätzliche Außenfläche bespielen dürfe, berichtet Kartenberg. Nur welche, das habe man ihm nicht gesagt. Noch dichter an die Straße zu rücken machte keinen Sinn, mit den Nachbarn – inklusive dessen Vermieter – wurde man sich schnell einig. Wenn das Ordnungsamt vorbei schauen sollte, liegt die generelle Zusage ausgedruckt vor und die Umsetzung hier lässt Passanten sogar mehr Platz als anderswo. Das sollte doch passen. In diesem Jahr sowieso. Und wenn man seine Fantasie nur ein kleines bisschen bemüht, was einem die Speisen des „Irma La Douce“ denkbar leicht machen, dann stellt sich tatsächlich ein wenig südfranzösischer Esprit an der Potsdamer Straße ein.