Jasmin Suchy, Frea Berlin: „Je mehr Raum zum Arbeiten, desto weniger Abfallprobleme“

Ein Gespräch über nachhaltiges Wirtschaften und kompetente Küchenplanung

von Jan-Peter Wulf
G7A1877 1 - management, gastronomie, food-nomyblog Jasmin Suchy, Frea Berlin: „Je mehr Raum zum Arbeiten, desto weniger Abfallprobleme“

Foto: Frea

Tüten aufreißen und die Ware regenerieren, den Plastikmüll und die Lebensmittelreste von Dienstleistern gegen Geld entsorgen lassen? Das gibt es weder im 2019 eröffneten Restaurant Frea noch in der Frea Bakery. Nur wenige Betriebe arbeiten so konsequent nachhaltig.

Möglich wird es durch die Verwendung rein pflanzlicher Zutaten in der Küche und der Bäckerei sowie konsequente Abfallvermeidung (Stichworte: Zero Waste bzw. Less Waste). Möglich macht es aber auch eine Küchen- und Backstubenplanung, bei der alle notwendigen Prozesslinien mit spezifischen Geräten ausgestattet und synergetisch verknüpft sind. Mit Jasmin Suchy, die das „Frea“ zusammen mit ihrem Geschäftspartner David aus der Taufe gehoben hat, sprachen wir über Planung, Prozesse und neue Projekte.

Jasmin, ihr seid im Frontend für eure vegane Küche bekannt. Was zeichnet denn euer Backend aus?

Das Besondere des veganen und Zero-Waste-Küchenbetriebs ist, dass wir nicht die üblichen Küchenabläufe haben. Alle Produkte sind pflanzlicher Herkunft „frisch vom Feld“ und werden täglich geliefert. Wir arbeiten ohne industriell vorproduzierte Ware, wärmen nichts auf oder halten warm. Wir schweißen auch nichts ein. Das Verarbeiten vor dem Garen und Anrichten geschieht in Handarbeit nach der Mise en place,  die Zubereitung à la minute. Durch die tägliche Lieferung vermeiden wir die Notwendigkeit von Verpackung für das Haltbarmachen. Stattdessen greifen wir auf nachhaltige Prozesse wie Fermentieren und Einlegen zurück, die zudem neue Geschmacksnoten kreieren und unsere Küche besonders interessant machen. Die Lebensmittel werden vollständig verarbeitet. Nur die nicht weiter zu verarbeitenden Reste, etwa nach dem Einkochen zum Herstellen von Gemüsefonds, werden in unserer hauseigenen Kompostieranlage zu einem wertvollen Bodenersatzstoff verarbeitet und dann in Form von Dünger an den Kreislauf zurückgegeben.

Ihr habt euer Küchenkonzept dann mit dem Planer Stephan Falke besprochen.

Richtig, mit Stephan haben wir über unsere innovativen Ansprüche und Ideen zu einer Kreislaufwirtschaft in der Küche gesprochen. Unsere Ausgangsfrage war: Wie können wir durch ein anderes Arbeiten als in der herkömmlichen Gastronomie-Küche unser Ziel erreichen? Umsetzen konnten wir das dann mithilfe der Catering-Erfahrungen von David, meiner Expertise in der Prozessoptimierung und unserem ersten Chefkoch Halfdan Kluften, den David 2017 während seiner gemeinsamen Arbeit im „Silo“ in Brighton (ein Pionier der Zero-Waste-Bewegung, Anm. d. Red.) getroffen hat.

Wie ging es dann los?

Zunächst einmal musste die Küche erstmal ganz anders geplant werden. Es gibt sonst oft sehr ähnliche Erfordernisse, was auch zu einer „Allerwelts-Planung“ führt: Wenn viele industrielle Fertigprodukte tierischen und pflanzlichen Ursprungs bezogen werden oder das Meiste zeitversetzt vorproduziert wird, geht es vor allem ums Regenerieren und Endgaren – und das mittels vielfältigem Gerätepark bei hohem Energieaufwand. Außerdem müssen Kühlketten und Lagerfristen eingehalten werden, mit entsprechender, umfangreicher Ausstattung und verhältnismäßig großen Lagerkapazitäten.

Wir verwenden aber keine tierischen Milch- und Fleischprodukte, sondern vor allem frische, am selben Tag zu verarbeitende Lebensmittel pflanzlichen Ursprungs. Deshalb sind die Kühllagerkapazitäten wesentlich geringer und nur auf pflanzliche Produkte ausgelegt. Das Garen erfolgt ausschließlich auf induktiven Kochstellen und in Steamern, die den drei Posten Kochen und Dünsten, Braten und Grillen sowie Finishen zugeordnet sind. Eine Fritteuse oder Wärmelampen brauchen wir auch nicht. Das Wichtigste ist die Anrichte- und Ausgabezone mit Unterkühlung: Je größer, desto besser!

Ihr braucht dann auch ganz andere Gerätschaften, zum Beispiel einen Gemüseschneider.

Oder unsere Schokoladenmaschine, unsere Zentrifugen, unsere Getreidemühlen. Alles, was der hausinternen Produktion dient. Bei uns wird ein Großteil der einzelnen Bestandteile des Menüs in den Küchen und der Bäckerei von Hand produziert. Die Maschinen helfen uns dabei, effizient und kostensparend zu verarbeiten. Das Ganze schafft auch Platz für unsere Kompostieranlage, die man in konventionellen Küchen bisher nicht antrifft. Diese, das wussten wir vorher auch nicht, dürfen wir aus hygienischen Gründen nicht in die Küche stellen, obwohl sie hermetisch verschlossen ist. Wir mussten und müssen immer mal wieder etwas ändern, wenn sich herausstellt, dass ein Ablauf nicht wie geplant funktioniert

Also sollte man schon eine gewisse Flexibilität in der Planung mitbedenken.

Unbedingt. Prozesse ändern sich nicht wesentlich, aber der rasante technische Fortschritt der Geräte und die sich erweiternde Produktpalette erfordern Umstellungen und neue Verarbeitungsweisen. Für uns war es ein großer Schritt, als wir das „Frea“ vom Lunch- zum Dinner Restaurant mit drei bis fünf Gängen umgestellt haben. Da haben wir nochmal einiges geändert und anders zugeordnet, weil wir gemerkt haben: Es ist existentiell, dass alles so designt ist, dass die Köche stringent arbeiten und die Teller perfekt „schicken“ können. Eine Engstelle im Restaurant ist immer noch der Pass: Der ist nun zu klein für das gleichzeitige Anrichten der jeweiligen Menüteile geworden. Doch auch solche Herausforderungen lassen sich mit Flexibilität lösen.

Dabei sieht der Pass gar nicht so klein aus?

Fürs Mittagessen hat er auch gereicht. Aber wenn jetzt ein großer Tisch gleichzeitig seinen Gang bekommen soll, ist einfach nicht genug Platz fürs Anrichten da. Wir haben vor dem Durchgang noch einen Klapptisch für das Anrichten der Desserts gebaut. Den Nachtisch hatten wir nicht, als wir noch ein Lunchplace waren. Auch die Gästezahlen sind seitdem immer weiter gestiegen. Man kann natürlich für immer mit den gleichen Gegebenheiten arbeiten. Aber dann kommt man an ein Limit. Ist das notwendig? Lieber noch mal investieren, damit alles optimal abgestimmt ist. Das ist auch für die Nachhaltigkeit wichtig: Je mehr Fläche wir zum Verarbeiten und Anrichten schaffen, desto effektiver und qualitativer das Arbeiten und am Ende weniger Abfälle.

Ihr braucht wie beschrieben keinen Raum für Vorproduziertes. Wie sieht es denn mit der Lagerung von Gemüse und Co. aus?

Da sind wir beim eigentlich Wichtigsten in unserem System: Wir kaufen täglich ein und verbrauchen auch alles am selben Tag. Das geht, weil wir wissen, wie viele Gäste kommen. Sagt kurzfristig jemand ab, können wir mit Walk-ins auffüllen. So ist am Ende des Tages alles wegproduziert und die Kühlschränke sind wieder frei für den nächsten Tag. Damit vermeiden wir, Sachen wegwerfen zu müssen. Bleiben mal frische, unverarbeitete Produkte übrig, können wir sie am Folgetag verarbeiten und korrigieren die nächste Bestellung. Wir lagern also sehr kurzfristig in entsprechenden, gekühlten Einheiten – bis auf Trockenware, die kaufen auch wir in größeren Mengen ein – und schauen sehr genau auf den aktuellen Lagerstand. Regelmäßige Inventuren kommen dazu. Das macht uns effizient.

Macht es die Arbeit für euer Team auch kreativer?

Die Gestaltung des Arbeitsplatzes wirkt sich enorm auf die Kreativität aus. Aber auch auf die Produktivität und die Effizienz. Wir bekommen von unseren Leuten regelmäßig das Feedback, wie angenehm es ist, in unseren gut ausgestatteten Küchen zu arbeiten. Übrigens auch, weil wir nur leistungsgerechte state-of-the-art-Geräte einsetzen, energetisch effizient, umweltgerecht und kontinuierlich, und soweit das Budget es zulässt, notwendige Zukäufe vornehmen. Und auch der Faktor Sauberkeit spielt eine große Rolle. Jeden Abend wird die Küche komplett gereinigt, sodass der Arbeitsplatz am nächsten Morgen wieder gut aussieht und die Leute gerne zur Arbeit kommen. Es ist wichtig, den Mitarbeitenden ein Wohlgefühl zu geben. Kochen ist ein Kunsthandwerk, und als Koch in einem veganen, prosperierenden Restaurant zu arbeiten, gibt ein gutes Gefühl. Auch, weil man am Ende etwas für die Umwelt getan hat.

Du hast mir mal berichtet, dass ihr praktisch keine Personalprobleme hattet, weil ihr vegan kocht und nach Zero-Waste-Prinzip handelt.

Das ist immer noch so. Wir bekommen immer noch viele Bewerbungen von talentiertem Personal, das bei uns arbeiten möchte. Wir haben ein sehr stabiles Küchenteam, was uns sehr glücklich macht. Viele Leute haben bei uns schon vor Corona angefangen. Und wir wachsen, insgesamt sind wir mittlerweile fast 80 Leute: 45 im Restaurant, 35 in der Bäckerei.

Geht ihr gemeinsam auch raus aus der Küche und raus aus dem Restaurant?

Wir machen so einiges, mal in kleinen Gruppen, manchmal im ganzen Team, auch wenn wir dafür dann einen Tag schließen müssen. Vom Pilzesammeln im Herbst über Besuche bei Erzeugerbetrieben bis zum Um-die-Häuser-ziehen. Das ist für den Zusammenhalt schon sehr wichtig. Außerdem lernen unsere Mitarbeitenden so auch etwas über unsere Lieferanten und sehen, wo unsere Lebensmittel herkommen.

Blick in die Zukunft: Was habt ihr geplant?

Unser neuestes Projekt geht in die Richtung Softwareentwicklung für die Gastronomie. Es soll auch anderen Gastronomen künftig mit unserer Hilfe ermöglichen, Prozesse zu verschlanken und Kosten einzusparen. So schaffen wir wiederum mehr Zeit und Budget, um den Fokus in der Gastronomie auf Nachhaltigkeit legen zu können – ein notwendiger Schritt.

Liebe Jasmin, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview wurde bereits 2023 für das FCSI-Magazin geführt. 

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