Die Stuttgarter Bar Jigger & Spoon, eingerichtet in einem alten Tresorraum, spielt sonst mit dem Speakeasy-Flair der Prohibitionszeit in den USA, in der illegale Bars bekanntlich das Alkoholverbot umgingen. Jetzt musste sie, wie alle anderen im Land, bis auf Weiteres schließen. Von bis zu 300 Gästen am Wochenende auf null. Für Betreiber Eric Bergmann gab es keine Alternative zur Kündigung aller Mitarbeiter*innen. Eine harte Situation. Wir haben den Bartender und Unternehmer um ein Gespräch gebeten.
Hallo Eric, erste Frage: Wie geht es dir und dem Team?
Momentan ist, soweit ich das als Chef mitbekomme, die Stimmung im Team, den Umständen entsprechend, noch gut. Wir haben unsere Tagesabläufe komplett umgestellt und fangen alle gemeinsam um zehn Uhr an zu arbeiten. Gegen 13 Uhr gibt es eine gemeinsame Mittagspause. Einer kocht für alle. Quasi unsere Freitags-Tradition, nach der Schicht auf täglich und auf mittags verlegt. Die finanzielle Bedrohung ist zwar vorerst verdrängt, bleibt aber selbstverständlich für uns alle bestehen.
Was hast du gemacht, als du erfahren hast, dass du zeitnah schließen musst? Hast du dich darauf vorbereiten können?
Tatsächlich hatten wir am Dienstag vor der freitäglichen Schließung bereits ein Krisenmeeting in der Geschäftsführer-Runde, um einzelne Szenarien durchzuspielen. Daher haben wir die Meldung am Freitag recht gefasst aufnehmen können. Wir waren nicht geschockt, sondern eher verwundert, dass es nun doch so schnell ging. Bei uns war es tatsächlich auch nicht zeitnah, sondern die Pressekonferenz am Freitag hat die sofortige Schliessung angeordnet. Wir haben direkt reagiert und noch während der PK per Facebook unsere Entscheidung verkündet, den Laden zuzusperren. Da haben viele Stuttgarter Gastronomen anders reagiert.
Ich frage mal direkt: Wie und wie lange kann deine Bar eine Schließung verkraften? Ihr habt ja laufende Kosten und praktisch keine Erlöse. Was macht ihr jetzt?
Wir haben keine Erlöse. Punkt. Freitags wurde uns der Betrieb untersagt. Am Samstag haben wir eine Personalversammlung einberufen. Hier mussten wir schweren Herzens unserem Personal mitteilen, dass wir es entlassen müssen. Nach Rücksprache mit verschiedenen Beratern war und ist das leider, solange es hier kein Update gibt, immer noch der sinnvollste Weg für alle Seiten. Eine fristlose Kündigung ist nicht möglich und wollten wir auch nicht durchführen.
Durch die Kündigung vor dem 15. März hatten unsere Mitarbeiter so die Möglichkeit, sich direkt arbeitslos zu melden, bevor die Ämter komplett überlastet sind. Kurzarbeit ist in unserem Fall leider keine ernstzunehmende Lösung. Zumindest, wenn es bei 60 Prozent bleibt. Wir haben uns dazu entschieden, unser Personal im Rahmen der jeweiligen Kündigungsfristen ihrem Vertrag nach einzusetzen und ihnen das Gehalt voll auszuzahlen. So steht zudem jedem frei, diese Zeit zu nutzen, um sich beruflich zu orientieren. Die Gastronomie ist momentan keine Option, aber andere Sparten haben momentan durchaus Bedarf.
Sollte das Verbot, wider Erwarten, früher als befürchtet, gekippt werden, haben wir die Möglichkeit, die Kündigungen zurückzuziehen. Das wäre für uns das bevorzugte Szenario. Die Wahrscheinlichkeit geht hier allerdings, realistisch gesehen, leider gegen Null. Das Schlimme ist die momentane Ungewissheit. Keiner weiß, wie lange die momentane Situation und das damit verbundene Verbot aufrecht erhalten wird. Wären es sicher nur ein paar Wochen, wäre es absehbar und man hätte mit Minusstunden arbeiten können. Dem ist aber nicht so, da die drei Aussagen „auf unbestimmte Zeit“, „diese Verordnung tritt am 15. Juni 2020 außer Kraft“ und „der Betrieb von Gaststätten wird bis zum 19. April 2020 grundsätzlich untersagt“ uns völlig in der Luft hängen lassen. Verständlich. Denn die Regierung weiss ja selbst nicht, wie lange der momentane Zustand andauern wird.
Selbstverständlich ist auch eine Wiedereinstellung, sobald der #rebootday vor der Tür steht, eine Option, die im Raum steht. Vorausgesetzt, die Angestellten haben ein Interesse daran.
Den Begriff #rebootday, das zur Info für die Leser*innen, hast du eingebracht: Der Tag, an dem wieder geöffnet werden darf, ähnlich wie der „repeal day“ nach der Prohibition.
Ja, wobei ich das damalige Verbot für falsch halte, das nur zur Abgrenzung.
Gibt es schon Anzeichen für Hilfe durch die Stadt oder das Land? Stehst du im Austausch mit anderen Stuttgarter Gastronom*innen und den Behörden?
Wir Stuttgarter Gastronomen, gerade die Barszene, tauschen uns gerade intensiv aus. Die Behörden in Baden-Württemberg haben meiner Meinung nach genug zu tun. Daher warten wir hier vorerst auf eine Meldung. Wenn da allerdings nicht bald etwas passiert, werden wir hier auch entsprechende Schritte – offener Brief etc. einleiten. Momentan sind wir eher mit unserem eigenen Betrieb beschäftigt.
Was hilft dir gerade? Rücklagen, Rückhalt durchs Team?
Unsere Investitionskosten sind bei Weitem noch nicht abgebaut. Daher sieht es auch mit üppigen Rücklagen recht schwierig aus. Unser Team zeigt Verständnis für unsere Entscheidung, auch dadurch, dass wir uns am Samstag viel Zeit dafür genommen haben, um die Lage und die damit verbundene Entscheidung zu erklären. Es geht letzten Endes darum, den Betrieb komplett auf Sparflamme und auf „lebenserhaltende Maßnahmen“ herunter zu drosseln, um im Falle eines #rebootdays die entsprechende Energie zu haben, wieder durchzustarten. Das psychisch Zermürbendste ist, dass wir, völlig ohne eigenes Verschulden, dazu gezwungen wurden, die Mitarbeiter zu entlassen. Aber auch hier hilft tatsächlich das Verständnis der Mitarbeiter ungemein.
Es herrscht große Unsicherheit in der Gastronomie, vor allem in der Barbranche. Was brauchst du als Gastronom jetzt und was kann auch ein Verband leisten? Du bist ja auch in der Deutschen Barkeeper-Union e.V. recht aktiv.
Die DBU arbeitet gerade an einigen Möglichkeiten. Die Krux daran ist allerdings, dass die ehrenamtlichen Mitglieder natürlich gerade selbst betroffen sind und verständlicherweise erst mal ihre eigene Existenz auf die Kette bekommen müssen. Spontan fällt mir von Regierungsseite her ein: Kurzarbeit auf 100 Prozent setzen! Und alle, alle Gastronomien schließen! Sofort!
Welchen Rat kannst du deinen Kolleg*innen mit Hinblick auf die aktuelle Situation geben?
„Don’t panic“ ist grundsätzlich abgedroschen, aber ein sinnvoller Rat. Respektive für Barkeeper kursiert auf Facebook ein Zeitplan, wie man sich auch im Fall einer Quarantäne beschäftigen kann. Wir persönlich nutzen die Zeit, um uns auf den #rebootday vorzubereiten. Wir arbeiten an den neuen Karten, ordnen, organisieren, erledigen Dinge, die wir seit Jahren vor uns herschieben, renovieren. Langweilig wird uns definitiv nicht.
Was forderst du von der Politik?
Ausgedehnte Tests sind eine sehr sinnvolle Sache. Südkorea hat es vorgemacht. Ich befürchte nur, dass sich die Zahlen dann erst mal verzehnfachen werden. Wer infiziert und nicht getestet ist, wird eben nicht mitgezählt. Und gerade bei den Jungen wird es die Partylaune evtl. drosseln, wenn Schwarz auf Weiß feststeht, dass sie positiv sind.
1 Kommentar
Eine schwere Zeit für uns alle.
Ein Lichtblick, du hast geheiratet. Herzliche Glückwünsche von Familie Graf aus Weingarten.