Jochen Stähler: „Du kannst heute deine ganzen betrieblichen Abläufe vernetzen“

von Jan-Peter Wulf
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Legt einen umfassenden Leitfaden für Digitalisierung in der Gastronomie vor: Jochen Stähler. Fotos: Redaktion

Überall spricht und hört man von Digitalisierung und wie wichtig sie für den zukünftigen Unternehmenserfolg ist. Jetzt, da die Gastronomie wegen des zweiten Corona-Lockdowns eine erneute Zwangspause eingelegt werden muss, wäre ja sogar eventuell Zeit dafür vorhanden, sich verstärkt um das Thema Digitalisierung zu kümmern.  

Es gibt da nur ein Problem: Viele Gastronom*innen wissen zwar, dass sie ran müssen. Doch sie wissen nicht, wie sie sich dem Thema nähern sollen. Im Dickicht der Angebote ist es schwer zu unterscheiden, was nützlich für den eigenen Betrieb ist und was nicht, wie man sich eine digitale Infrastruktur aufbaut und wo es vielleicht sinnvoll ist, weiter auf altbewährte analoge Methoden zu setzen. Es gibt für alles eine App, aber einen Leitfaden bislang nicht. Jetzt schon: Gastro.Digital bahnt in verständlicher Sprache und aus der Perspektive der Wirte den Weg zum digitalen Gastro-Unternehmen. Mit dem Autor Jochen Stähler haben wir uns auf ein Kännchen Ingwertee in Berlin getroffen. 

Jochen, das Thema Digitalisierung entwickelt sich ja immer weiter – und gefühlt immer schneller. Warum hast du dich beim diesem Thema für ein Buch entschieden? Läuft man da nicht Gefahr, schnell nicht mehr aktuell zu sein? 

Aktualität ist definitiv ein Thema. Als ich fertig war, habe ich sämtliche App-Anbieter, mit denen ich Interviews gemacht habe, noch mal angeschrieben – was gibt es Neues? Da gab es so einiges, neue Features, Fusionierungen … ich habe das Buch quasi anderthalb mal geschrieben. Die Änderungen haben sich aber meistens auf Details beschränkt. Die Grundsatzfragen haben sich als ziemlich konstant erwiesen.

Ein Buch kann dir einfach eine Gesamtgeschichte am besten erzählen und einen Bogen spannen: Worauf musst du als Gastronom generell achten? Für welche Bereiche kann Digitalisierung Vorteile bieten und wie hängen die Bereiche zusammen? Wie ist die grundsätzliche Herangehensweise an die Digitalisierung in unserer Branche und welche konkreten Strategien und Tools eignen sich? Dafür, dass das Buch überhaupt entstanden ist, bin ich den Leuten vom Matthaes Verlag sehr dankbar. Der Verlag hat mir gesagt: Greif dir ein spezielles Thema raus – und weil ich mich von Berufs wegen mit Digitalisierung beschäftige, lag es auf der Hand. Die Abläufe kenne ich ja.

Weil du Geschäftsführer eines Startups bist und lange im Vertrieb für große Unternehmen gearbeitet hast. Aber auch, weil du selbst einen Gastronomiebetrieb gegründet hast, die Burgerbar „Schmack O’Fatz“ in Frankfurt, 2006 bis 2011.  

Ich habe in meinem Burgerladen unter anderem mit Pizza-Taxi.de kooperiert, das gab es damals noch. Da hatte ich ein Faxgerät im Laden stehen! Wir haben also die Faxe rausgezogen und die Bestellungen in die Kasse getippt, damit hinten in der Küche ein Bon rauskommt. Und dann haben wir per Telefon einen Kurier angerufen, der die Bestellung abgeholt hat.

Beim Buchschreiben habe ich mich an solche Sachen erinnert: Wo sind mir damals selbst Handgriffe auf die Nerven gegangen? Und das ist genau der Clou: Du kannst heute deine ganzen betrieblichen Abläufe mit Tools vernetzen. In der Gastronomie geht es ja immer nur um kleine Handgriffe, es ist viel manuelle Arbeit.

Am Buchanfang schreibst du, dass Gastronomie als kleine Einheit in Sachen Digitalisierung gut handelbar ist, im Gegensatz zu einem Autokonzern zum Beispiel. Warum hinkt sie dann so hinterher bei dem Thema – oder tut sie das gar nicht?

Doch, das tut sie. Es gibt zum Beispiel in einen Biergarten hier in der Stadt, wenn du da zu dritt bist und die Rechnung aufteilen willst, muss die Bedienung dreimal reinrennen, um den Bon zu splitten. Ich sehe das überall und die Kassenhersteller bestätigen mir das auch. Der Grund ist, dass viele Leute, die Gastronomie machen, entweder aus dem Hotel- und Restaurantfach kommen, sie haben das mal gelernt. Oder sie sind Quereinsteiger. Es wird mehr kreativ gedacht, aber selten betriebswirtschaftlich.

In England zum Beispiel sind die ganz anders drauf. Die ganzen Gastropubs sind alle Ketten mit mindestens drei, vier Betrieben. Dieses Kleinteilige ist typisch für Deutschlands Gastronomie. Der Gastronom muss alles selbst machen: Von der Kreation in der Küche bis zu Abrechnung und Steuern hat er überall die Hand drauf. Das kannst du gar nicht leisten. Weil du die Größe nicht hast, kannst du auch niemanden einstellen, der es macht.

Das wäre dann ja umso mehr ein Argument für Digitalisierung, weil es dir helfen kann, diese ganzen Sachen zu vereinfachen.

Richtig.

Mangelt es dann eher an der Erkenntnis, dass Digitalisierung Arbeit zu reduzieren hilft, wenn man sie einmal richtig implementiert hat?

Ja.

Wie fange ich dann an?

Mein Ansatz mit dem Buch ist: Wenn du es einmal komplett durchgehst, dann hast du die Aufmerksamkeit dafür, was bei dir nicht gut funktioniert und wie du da rangehen kannst. Wo tut es gerade am meisten weh? Wenn du das gelöst hast, findet sich schnell der nächste „pain point“. Das ist die vermutlich praktikabelste Lösung.

Gib bitte mal ein Beispiel.

Ich habe in Limburg an der Lahn nach Zufallsprinzip zehn Betriebe rausgegriffen und geschaut: Haben die ihr Google-My-Business-Profil vereinnahmt? Sechs von zehn hatten es nicht. Heißt: Da hat irgendjemand einfach irgendwas eingetragen. Damit geht es ja schon mal los. Du musst deine Einträge in Verzeichnisdiensten pflegen, sonst machen es andere für dich. Und du musst wissen, dass das Thema Google-My-Business wirklich wichtig ist für dich.

Du gibst im Buch viele gute Marketing-Tipps, aber es geht auch um viele andere Bereiche der Gastronomie, zum Beispiel Back-of-House. Darüber liest man sonst wenig.

Und da ist eine Menge am Start, zum Beispiel bei den Einkaufsgesellschaften. Die haben mittlerweile voll integrierte Systeme. Ich bin damals als Gastronom ständig zu verschiedenen Händlern rumgefahren. Wie viel Lebenszeit ich damit verbracht habe! Einkaufen, Ware ins Regal stellen und das alles in die Kasse kloppen. Das kann man echt lassen.

Aber viele Betriebe wollen ja eine große Auswahl an Lieferanten, weil sie zum Beispiel mit einem ganz bestimmten Bauern vor der Stadt zusammen arbeiten wollen – Stichwort Regionalität. Ich habe mal von einem Restaurant in Franken gehört, das 200 Lieferanten hat. Geht das zusammen – Einkauf bündeln und gleichzeitig besondere Quellen nutzen?

Lass uns mal von drei verschiedenen Restauranttypen ausgehen.

Typ eins: Wenn du wie das von dir genannte Restaurant so darauf spezialisiert bist, ganz einzigartige Lieferanten zu haben, dann machst du den Einkauf wahrscheinlich wirklich am besten selbst. Aber: Auch dafür gibt es Software. Mich hat damals ein Lieferant grundsätzlich immer um halb eins angerufen, also immer wenn der Laden gerade gebrummt hat und ich keine Zeit hatte. Wenn ich dann später zurück gerufen habe, war keiner mehr erreichbar. Und ich hatte am nächsten Tag keine Pommes. Es gibt Tools, mit denen du das digital steuern kannst und nicht angerufen werden musst.

Typ zwei ist ein Restaurant, das eine gewisse Auswahl und ganz besondere Zutaten braucht. Dann ist es bei Einkaufsgesellschaften meiner Meinung nach gut aufgehoben. Da werden verschiedene Quellen gebündelt über eine Schnittstelle, auch kleine Lieferanten können die für dich führen. Es wird frei Haus geliefert, du bekommst eine Abrechnung im Monat und hast wenig Papierkram. Damit bekommst du Vielfalt gut gestemmt.

Und dann gibt es als dritten Typ zum Beispiel ein gutbürgerliches Restaurant, mit Schnitzel und Schweinshaxe auf der Karte. Denen reicht es vielleicht schon, wenn sie bei einem Großhändler im Portal sind und sich die Ware liefern lassen. Was auf jeden Fall schon besser ist, als morgens zum Großhandel zu fahren, den Wagen vollzuladen, alles zu verräumen und zwei Rechnungen in der Woche, also acht im Monat, nach Lebensmittel, Waschmittel und so weiter zu sortieren und zu verbuchen. Das bekommst du alles zentral von denen gemacht. 

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Blick ins Buch: Eine Leseprobe gibt es hier.

Corona, das liest man immer wieder, sei ein Beschleuniger für Digitalisierung, auch in der Gastronomie. Wie siehst du das?

Das Take-away- und Bestellthema hat die Gastronomie im Eilverfahren durchgepeitscht. Da haben viele sich etwas installiert, was erst soweit einmal funktioniert. Viele haben sich auch Onlineshops gebastelt. Aber wie sieht es beim Thema Personal aus? Viele haben Mitarbeiter in der Coronazeit verloren. Das Personalproblem, welches sowieso schon herb ist in der Gastronomie, hat sich noch einmal verschärft.

Da hilft die Digitalisierung: Wenn die Mitarbeiterin im schon genannten Biergarten, die  dreimal an die Kasse muss, um den Bon zu splitten, mit einem vernünftigen System arbeitet, mit einem Drucker an der Hüfte, dann spart sie sich zehn Minuten pro Tisch und der Betrieb kommt mit weniger Personal aus. Oder was machst du zum Beispiel mit No-Shows? Kannst du auf Tripadvisor schnell ein Angebot raushauen? Hotels machen das, Restaurants eher nicht. Ein weiterer Punkt ist die sich anbahnende Konsolidierung in der Gastronomie. Wenn sich der Nebel gelegt hat, denke ich, wird es viele Restaurants und Bars nicht mehr geben. Es stehen ja jetzt schon die ersten Sachen leer hier in Berlin.

Allerdings. 

Es wird sicher einige Filetstücke unter den Flächen geben und auch Gastronomen, die mit einem Polster in diese Situation reingegangen sind und gut rauskommen. Die können dann ein Schnäppchen machen und ihr Restaurantkonzept multiplizieren.

Du meinst, es wird dann eher Expansionen geben als Neugründungen?

Ich glaube schon. Und die Multiplikation gelingt dir, wenn du mit digitalen Tools die Performance in zwei oder mehreren Läden in Echtzeit überwachen kannst. Da ist dann nicht mehr der Koch, sondern der Kaufmann oder Manager in dir gefragt. Dann kannst du deinen Einkauf über dein Cockpit machen und lässt in zwei Läden liefern.

Sieht man diese Cockpits eigentlich schon in Restaurants? Werden die genutzt?

Die sind technisch schon sehr weit fortgeschritten. Sie sind aber immer noch in den großen Häusern zu finden, der klassische Einzelgastronom hat sie eher noch nicht. Da gibt es eine Hemmschwelle, die ich aber auch gut verstehen kann: Die Sprache, die viele Anbieter auf ihren Seiten nutzen, versteht kein Gastronom.

Die verstehe ich ehrlich gesagt auch oft nicht.

Die Tools selbst sind gastronomiefreundlich gemacht, aber die Präsentation ist es nicht. Darum war es auch ein Anliegen für mich im Buch, das „du“ zu wählen. Und vom Fachgebiet und den Abläufen der Gastronomen, mit denen sie sich gut auskennen, in die Apps hineinzugehen, sie zu erklären und dann zu sagen: Da gibt es diese Lösung, und da ist jemand, mit dem kannst du darüber reden. Die Webseiten sind fast alle furchtbar, aber die Leute, die diese Tools machen, sind gut. Und die Apps, die mittlerweile auf dem Markt sind, sind es auch.

Mir hat in deinem Buch besonders gefallen, dass du dir die Arbeit gemacht hast, die verschiedenen Tools, zum Beispiel Kassensysteme oder Dienstplan-Software, in Tabellen für die Leser vergleichbar zu machen, ohne zu bewerten. Diese Vergleichbarkeit fehlt oft. 

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Lass uns zum Schluss noch einen Ausblick wagen. In vielen Branchen wird ja schon über Automatisierung als nächstes Level gesprochen. Es wollen immer weniger Menschen Köche werden – kommen also doch irgendwann die Küchenroboter? Ich kann mir das als Außenstehender noch eher vorstellen als Robotik im Service.

Darüber könnten wir jetzt eine Glaubensdiskussion führen (lacht). Ich kann es mir eher im Service vorstellen. Denn was ich an Beispielen gefunden habe, das ist die Schankanlage, die von der Kasse aus steuerbar ist, oder der Billardtisch, damit die Bedienung da nicht mehr hinlaufen muss. Die Küche behilft sich im Moment mit Convenience-Produkten, die Handgriffe werden in die Fabrik ausgelagert. Und: Der Konvektomat, der spart dir Personal. Man muss aber generell schon ein Auge drauf haben. McDonald’s hebt die Pommes ja jetzt schon automatisch aus dem Fett. In der Sternegastronomie sehe ich das gar nicht. In der breiten Individualgastronomie … muss man mal sehen.

Was ich noch wichtig finde, ist der Unterschied zwischen Digitalisierung und Technisierung. Was ich damit meine: Ich will als Gast nicht in einer Umgebung sitzen, die voller Technik steckt, überall Bildschirme. Vor denen sitze ich doch den ganzen Tag.

Das Thema Technisierung schlägt für mich schon durch, wenn ich als Gast an der Kasse einen Buzzer bekomme. Mittags finde ich den vielleicht noch okay. Aber nicht abends, da möchte ich doch gerne einen Kellner vor mir haben. Wenn dieser Kellner nun aber ein Tablet hat und nicht seinen Block, dann kann er viel effizienter arbeiten und ich als Gast merke das gar nicht.

Womit wir wieder beim Personalmangel-Thema wären. Angelernte Kräfte sehen das Gericht auf dem Tablet, die Allergene, und können dann Vorschläge machen: „Ja, da sind Haselnüsse drin. Wollen Sie lieber die Schokosauce? Da sind keine drin.“ Genau dann finde ich Digitalisierung gut, denn so habe ich noch die persönliche Betreuung vom Service, wie ich ihn will. Lieber eine vom Tablet kompetent angeleitete Hilfskraft als eine inkompetente Hilfskraft ohne Tablet.

Stichwort Hilfskraft. Bietet die Digitalisierung für die Gastronomie auch im Bereich Recruiting Potentiale?

Mega-Potentiale! Die Betreiber müssen allerdings ihre Ansprache aus den vergangenen Jahrzehnten ablegen: „Wir sind ein traditionelles Haus, das sehr viel Wert auf … legt“ – darauf kommt es Bewerbern in der Ansprache nicht an. Viele Gastronomie-Profile auf den Plattformen sehen schlimm aus. Deswegen gebe ich konkrete Hinweise: Nimm ein schönes Foto. Achte darauf, was bei der Selbstpräsentation im Vordergrund stehen sollte. Das ist halt ein bisschen Arbeit.

Und auch die Präsentation auf der eigenen Seite. Wenn ich auf Webseiten von Unternehmen aus anderen Branchen bin, finde ich oft einen Bereich, in dem sich die Unternehmen potentiellen Bewerbenden vorstellen. Warum das Restaurants so selten machen, habe ich mich immer schon gefragt.

Meine Interviewpartner haben immer hervorgehoben: Wenn du ein Instagram-Profil hast, dann zeig auch mal einen Blick in die Küche. Natürlich einen vorteilhaften.

Vielen Dank, lieber Jochen.

 

Gastro.Digital von Jochen Stähler ist im dfv Matthaes Verlag erschienen, hat 180 Seiten und kostet 29.90 Euro. Mehr Infos hier. 

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