Bekanntlich heißt das Wort „Connaisseur“ übersetzt „Kenner“. Wer einer sein will, muss Wissen mitbringen – zum Beispiel beim Wein. Das setzt Zeit und Muße voraus, die nicht jeder hat. Jeder aber soll gute Weine genießen dürfen, findet Jens Pietzonka, zweifacher Sommelier des Jahres, und bricht mit seiner „Weinzentrale“ in Dresden starre Modelle auf. Mit Erfolg.
„Bei uns sitzt der Student neben der Familie neben dem Arzt neben dem Anwalt. Es geht bunt gemischt zu“, beschreibt der gebürtige Dresdener Jens Pietzonka die Gästestruktur seines Konzepts. Kein All-in-One, keine Kneipe, sondern eine Weinbar mit besonderem Touch: Die im August 2015 eröffnete „Weinzentrale“ ist kein exklusives, hochpreisiges Gastronomiekonzept, sondern ein inklusives und preislich moderat kalkuliertes. Das „mission statement“ findet sich auf der Webseite: „Die Weinwelt wird von uns nicht neu erfunden, sie soll besser werden … entspannter, lockerer und vor allem statusfrei, ohne die Leistung der Rebstöcke und Winzer zu schmälern.“
Raus aus der Sterne-Welt
Dabei kommt Pietzonka aus einer anderen Welt, lernte und wirkte in der Top-Restauration. Er zeichnete zuvor im „Bean & Beluga“ (Dresden), der Frankfurter „Villa Merton“ und dem Sylter „Söl´ring Hof“ für das Weinsortiment verantwortlich und wurde 2013 von „Falstaff“ und 2014 vom „Aral Schlemmeratlas“ zum Sommelier des Jahres gekürt. Die „Weinzentrale“ auf der Hoyerswerdaer Straße ist sein Schritt in die Selbständigkeit. Dafür hat er sich mit seinem Freund Silvio Nitzsche zusammengetan, der bereits die „Wein.Kultur.Bar“ in der Stadt betreibt. „Meine Sterne-Erfahrung nutze ich als Sprungbrett, aber ich wollte weg davon“, erklärt er. Junge, poppigere Wein-Konzepte wie die „Cordobar“ in Berlin habe er sich zum Vorbild genommen, sagt er.
Das Mobiliar der 40 Plätze (plus ein Dutzend außen) bietenden Location hat er selbst auf Floh- und Antikmärkten zusammengesucht. Nackte Vintage-Glühdrähte, Holzkisten als Rückbuffet und der Tresen aus altem Weinkistenholz treffen den Geschmack des szenigen Publikums der Dresdener Neustadt. In der „Adler-Ecke“ hat jede Weinregion Deutschlands ihr eigenes Regal bekommen – ein kleiner Showroom für heimische Weine, den man in Zusammenarbeit mit dem VDP (Verband Deutscher Prädikatsweingüter) errichtet hat, der sich in die Ungezwungenheit des Interieurs gut einfügt.
Aufmerksamkeit schon vor der Eröffnung
Von seinem Kollegen Billy Wagner, der wie er seine Karriere vom angestellten Sommelier zum Betreiber des „Nobelhart & Schmutzig“ (ebenfalls Berlin) umgelenkt hat, habe er sich inspirieren lassen, was die frühzeitige Erzeugung von Aufmerksamkeit betrifft: Über Wagners „brutal lokales“ Restaurant schrieb die Presse schon fleißig, als es sich noch im Zustand des erweiterten Rohbaus befand, in der „Weinzentrale“ fanden in der Bauphase, der Tresen war noch gar nicht da, zwei Weinpartys statt. „Das hat uns gut getan“, so Pietzonka. 1.000 Facebook-Fans, schon bevor die Türen sich zum ersten Mal offiziell öffneten: Damit kann man arbeiten.
Arbeit abgenommen haben ihm in der Openingphase auch befreundete Kollegen: An jedem Abend der Eröffnungswoche stellte ein anderer Winzer den Gästen sein Sortiment vor, unter anderem Meike Näkel vom Weingut Meyer-Näkel, Markus Schneider vom Weingut Schneider und die „Gemischte Bude“, ein Zusammenschluss sächsischer Weinhändler. Parallel dazu standen unterschiedliche Gastköche am Herd des Hauses – Ralf Hiener vom Dresdener „Raskolnikoff“ oder Björn Swanson vom „Gutshaus Stolpe“ versorgten die Gäste, sodass sich der Gastgeber aufs Socialising konzentrieren konnte: „Die Bude war jeden Abend voll, und es war trotzdem stressfrei“, so Pietzonka.
Vom Glas-Montag zum Restesaufen-Freitag
Mittlerweile ist der Alltag eingekehrt. Was in der „Weinzentrale“ jedoch keineswegs bedeutet, dass ein Abend wie der andere verläuft. „Der Schwung der Anfangsphase muss bleiben!“, ist das erklärte Ziel des Chefs. Und um das hinsichtlich der ungewöhnlichen Öffnungszeiten – am Wochenende ist nämlich geschlossen, dafür am Montag schon um 12 Uhr – zu sichern, wird einiges geboten: Montags können die Gäste jeden der 500 Weine (darunter auch vegane und biodynamische Positionen, Stichwort Naturwein) glasweise bestellen, mit dem Motto „lieber volle Gläser als leere Parolen“ setzt man einen genussvollen Kontrapunkt zu den montäglichen Pegida-Aufmärschen an der Elbe.
Dienstags gibt es Magnumflaschen zum Vorzugspreis, Freitags ist „Restesaufen“ angesagt. Das Event heißt wirklich so. „Das ist natürlich schon ein grenzwertiger Begriff, aber der Freitag hat Kultstatus. Und zum Glück bekommen wir die unter der Woche geöffneten Flaschen oft schon vorher leer, sodass es am Freitag nie ausartet“, erzählt der Chef schmunzelnd. Das regelmäßige „Großeweinetrinken“, bei dem Flaschen großer Gewächse entkorkt werden, Sondertermine wie „Chianti vs. Riesling“, Austernabende oder „WZ Unplugged“ mit Gästen wie den Autoren Kaddi Cutz und Mike Altmann, dem Weinkritiker Hendrik Thoma oder gleich 17 Pfälzer Winzern sorgen für Abwechslung. Pietzonka: „Winzerveranstaltungen sind bei uns nicht elitär. Die Winzer stehen nicht hinter ihrem Stand, sondern setzen sich mit den Gästen an die Tische und wechseln nach jedem Gang den Platz.“
„Schmakazien“ schnabulieren
Uneitel ist auch, was er und sein Team sowohl weinbegleitend auftischen: „Schmakazien“ nämlich, rustikale Happen ganz im Stil einer Besenwirtschaft: Dipps mit Landbrot, Flammkuchen, Ochsenbäckchen mit Selleriepüree, Schinken vom sächsischen Wollschwein, Teller mit Käse aus der Region. Aus der Region ist auch der Großteil seiner Gäste, erklärt der Mittvierziger: „95 Prozent unserer Gäste sind Dresdener, und das macht mich glücklich.“ Denn es zeigt ihm, dass ein unaufgeregtes, junges Gastronomie-Konzept mit Fokus auf Wein in der Stadt, in das sich auch Nicht-Kenner trauen, wahrscheinlich einfach noch gefehlt hat.
Weinzentrale
Hoyerswerdaer Straße 26
01099 Dresden
Telefon: 0351 / 89966747
www.weinzentrale.com
Öffnungszeiten: Montag ab 12 Uhr, Dienstag bis Freitag ab 15 Uhr