Wie sieht eigentlich gelebte soziale Nachhaltigkeit im Gastgewerbe aus? Zum Beispiel so: Grünkohl-Battle statt Corona-Tristesse – im „Peters“ in der Wingst zeigen Azubis aus zwei Betrieben, wie kreativ sie mit der norddeutschen Palme kochen. Wir waren dabei.
Der Zug von Hamburg nach Cuxhaven hält in Wingst. Wir steigen aus und stehen mitten auf dem Lande. Willkommen im Cuxland. Nordwestdeutschland, wie man es sich vorstellt – freie Sicht bis fast zum Horizont. Direkt am Bahnhof steht ein villenartiges Haus im markanten Rotton: Peters Genusshotel, Ziel unserer Reise.
1997 übernahm Claus Peter den elterlichen Betrieb (ein Jahr davor war er eingestiegen), heute ist der 1899 als Bahnhofshotel eröffnete Bau ein Drei-Sterne-Superior-Hotel. Zur Eröffnungsparty zwei Jahre später erschien die große Dame der Tagesschau, Dagmar Berghoff, sehr elegant gekleidet, wie man auf einem Foto sehen kann. Der Chef trug anscheinend schon damals gerne weite Stoffhosen mit lustigen Motiven drauf, wie er sie auch heute trägt.
Es passt zu seiner Persönlichkeit: Claus Peter ist ein humorvoller, lebensfroher Typ, das merkt man sofort an der Art, wie er mit den Gästen, aber auch mit seinen Leuten umgeht. Ihm liegt seine Branche, das Gastgewerbe, sichtlich am Herzen – und vor allem das Thema Nachwuchs(mangel) treibt ihn um. Hier auf dem Lande – Hamburg ist fast 100 Kilometer weg – sei es noch schwieriger als für Betriebe in den Städten, Personal zu finden, erklärt er. Als Ausbildungsbetrieb werde man praktisch nicht wahrgenommen.
Außer man tut und hebt sich hervor: „Wir haben vor ein paar Jahren entschieden, dass wir eine andere Art der Darstellung brauchen“, erklärt er. Seitdem hat man eine Menge Initiativen und Kooperationen angeschoben, die Azubis des Hauses nehmen an Wettbewerben teil, man richtet Pop-ups aus und lernt andere Küchen kennen, hausintern gibt es Kochevents namens „Kitchen Battle“ und Ehemalige, die in andere Betriebe weitergezogen sind, lädt man ein, damit sie sich mit den aktuellen Azubis austauschen und ihre Erfahrungen im Rahmen von Veranstaltungen teilen. Natürlich vor Publikum, und so verbinden sich interne Motivations- und Weiterbildungsmaßnahmen mit einer Veranstaltung für die Gäste, mit Menübuchungen, Übernachtungen und Umsatz.
„Wir können mindestens so gut ausbilden wie Sternebetriebe“, sagt Claus Peter, der unter anderem im „Schlosshotel Bühlerhöhe“, im „Rheinhotel Fischerzunft“ in Schaffhausen/Schweiz und im „The White Barn Inn and Spa Kennebunk Beach“ in Maine/USA arbeitete, selbstbewusst. „Bei uns lernen die Azubis ganze Tiere zu verarbeiten und nicht nur Edelfleischstücke. Und wissen, wie man Grünkohl macht.“
Gesucht: das beste Grünkohl-Fingerfood
Grünkohl ist das Stichwort, denn deswegen sind wir hier: Dieses Wochenende findet im Genusshotel ein „Grünkohl Kitchen-Battle“ statt. Wer macht das beste Fingerfood-Rezept mit Grünkohl? „Wir wollten raus aus der Corona-Tristesse und unseren beiden Koch-Azubis etwas bieten, haben deswegen die Grünkohl-Weltmeisterschaft 2017 wieder aufleben lassen“, erklärt Peter.
Bei dem Event in Oldenburg erkochte er sich damals den zweiten Platz, den dritten machte sein ehemaliger Mitarbeiter Thorben Solheit, der heute in Cuxhaven arbeitet, Sieger wurde Christoph Steinhauser. Die beiden rief man an, ob sie dazu kommen wollten – und Steinhauser brachte gleich drei Azubis vom Burghotel auf Schönburg in Oberwesel am Rhein mit, sodass insgesamt fünf junge Leute gegeneinander antraten.
„Ich saß zu Hause, suchte nach Ideen und stieß auf ein Cupcake-Rezept. Warum das nicht mal mit Grünkohl machen?“, erklärt Maximilian Meyer, der hier in der Wingst seine Ausbildung zum Koch absolviert. Rauchlachs und Grünkohl in einem Cupcake – damit könnte man wohl auch im hippen Berlin-Mitte oder im Hamburger Schanzenviertel punkten. Seine Kollegin Lea Benner, aus dem Siegerland hier hoch gezogen und erst seit kurzer Zeit im Betrieb, trat mit einem Mango-Kohlwurst-Grünkohl-Blätterteigkissen an.
Die drei jungen Kollegen aus Rheinland-Pfalz kreierten: einen Kartoffel-Baumkuchen mit Grünkohl und Himbeere (Luca Guerriero), Arancini mit Grünkohl-Ricotta (Tobias Henrich) und einen Mini-Burger mit Grünkohl, Burgunder-Pastrami und Zwiebelconfit (Daniel Liebe). „Ich hatte mit Grünkohl vorher kaum Berührungspunkte, aber als wir eingeladen wurden, habe mich mich damit beschäftigt und mich für einen Burger entschieden“, erklärt Liebe, Azubi im dritten Lehrjahr. Sein Chef Christoph Steinhauser, immer noch amtierender Weltmeister, weil seit 2017 keine Grünkohl-WM mehr stattfand – was ist da los, Oldenburg – findet den Battle super: „Es ist für unsere Azubis eine schöne Möglichkeit, eine neue Küche kennen zu lernen. Sie fangen quasi komplett neu an, mit anderen Geräten, alles steht an einem anderen Ort.“
Kitchen Impossible, Kale Edition: Fünf Fingerfood-Vorspeisen, die Gäste vergaben auf den ausgelegten Stimmzetteln ihre Punktzahlen, dazu drei Hauptgänge – Bronze, Silber und Gold von der WM – machen den Abend rund. Genauer: die Abende, das Ganze fand gleich zweimal hintereinander statt, und am Ende wurde neben den Tagessiegern auch ein Gesamtsieger gekürt. Konnte sich am Freitagabend Tobias Henrich mit seinen Arancini durchsetzen, zog Meyer, der den Samstagvormittag nutzte, um sein Rezept noch einmal zu verfeinern, am folgenden Abend vorbei, holte sich knapp den ersten Platz und gewann damit eine Teilnahme an einem Probetraining der Jugendnationalmannschaft der Köche.
Dass aber alle Sieger waren, wie es oft so schön heißt, stimmt in diesem Fall ganz besonders, denn das „endlich mal wieder was los“-Feeling war deutlich zu spüren. „Ich finde es super, neben dem à-la-carte-Geschäft endlich mal wieder einen kleinen Wettkampf machen zu können, das gibt einem neue Perspektiven“, so Maximilian Meyer.
Nicht nur bei so einem „Kitchen Battle“, sondern ganz grundsätzlich wolle er für seine großenteils jungen Leute eine Bühne schaffen. „Damit sie sich selbst fordern und über sich hinaus wachsen“, so Claus Peter. „Weil wir so ein kleines Team sind, kann und muss hier jeder schnell Verantwortung übernehmen. Die Köche gehen mit in den Service und umgekehrt, ein Gegeneinander gibt es nicht. Wir brauchen uns untereinander. Nur so erreichen wir unser Ziel: Dass der Gast geht und sagt: Ich freue mich schon aufs nächste Mal.“
Bei uns wurde dieses Ziel auf jeden Fall erreicht. Wir freuen uns schon auf den nächsten Besuch – ob zu einem erneuten Battle oder einfach nur zum genussvollen Entspannen.
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