Dies ist der erste Teil der neuen Meinungskolumne von nomyblog-Herausgeber Jan-Peter Wulf. In unregelmäßigen Abständen nimmt er zu aktuellen und generellen, zu branchenin- und externen Themen Stellung.
Heute ist der „Tag der nachhaltigen Gastronomie“. Und zwar weltweit, denn es handelt sich um ein UN-Projekt. Nach dem globalen Debüt 2017 findet dieser Tag 2018 das erste Mal in Deutschland statt. Maßgeblich hat sich Greentable e.V. der Sache angenommen (Offenlegung: nomyblog ist Partner von Greentable) und ruft mit #grünaufgetischt dazu auf, Absichtserklärungen und Ideen rund um Nachhaltigkeit in der Branche – gastgeber- und gästeseitig – in sozialen Netzwerken zu posten. Die Resultate gibt es hier.
Eine Social-Media-Kampagne, ein Anfang, nicht weniger, nicht mehr. Das Thema Nachhaltigkeit an einem Tag zu highlighten, ist nicht schlecht für die Aufmerksamkeit, die dieses Thema braucht. Aber natürlich ist es ein Widerspruch in sich, geht es bei Nachhaltigkeit doch um Permanenz, um Dauerhaftigkeit, um ständig und immer.
Und an diesem Punkt muss ich, als Gast und Gastrobeobachter, leider feststellen: So richtig viel Schwung hat das Thema, trotz spannender Ideen und Ansätze, noch nicht. Nach wie vor werden täglich Unmengen von Lebensmitteln, auch in dieser Branche, weggeworfen, weil nicht aufgegessen, beim Buffet übrig geblieben, weil aus Vorschriftsgründen zu entsorgen und so weiter. Nach wie vor werden allein in Deutschland täglich Millionen von Plastiktrinkhalmen in Gläser gesteckt und nicht selten direkt vom Gast neben das Glas gelegt, begeben sich aber nach zehn Minuten Schlürfen in die Jahrhunderte dauernde „Zerfallszeit“, die in Mikroplastik endet, das unsere Nachfahren dann in ihren Lebensmitteln wiederfinden werden. Täglich landen Millionen von Einwegbechern, die anfühlen wie Pappe, aber aus kaum rezyklierbarem Verbundstoff bestehen, im Müll. Umverpackungen, Gurkenkondome, to-go-Geschirr, diese furchtbar überflüssigen Hotelseifen in Einzelpackungen, die nach zweimal Händewaschen ein ähnliches Schicksal haben wie die Plastikhalme … die Liste lässt sich endlos weiterschreiben und vermutlich kratzt man damit, was die Nicht-Nachhaltigkeit in der Hoga-Branche angeht, immer noch nur an der Tür.
Während ich das hier niederschreibe, sitze ich in einem Hotelzimmer in Frankreich, dessen Bett nach nur einer Übernachtung meinerseits komplett neu bezogen werden muss, dessen Bad eine neue Mülltüte benötigt, weil meine in Plastik eingepackte Zahnpasta zu Ende gegangen ist, auf dessen Schreibtisch eine leere Plastikflasche gegen eine neue getauscht werden wird, wenn ich auf dem Weg zum Flughafen bin – ich sollte mir also doppelt und dreifach an die eigene Nase fassen. Diese Art des Reisens, so schön sie sein mag, ist Klimamord. 788 Kilogramm Co2 verursacht mein Trip Berlin-Bordeaux-Berlin, ein Drittel meines klimaverträglichen Jahresbudgets (das zu diesem Zeitpunkt schon aufgebraucht sein dürfte). Die Tatsache, dass ich hier für einen Beitrag zu nachhaltigem Weinanbau recherchiert habe, bessert diesen Umstand nicht wirklich. Immerhin: Nur 19 Euro (steuerlich absetzbar) kostet es, um die verursachten Emissionen meiner Flugreise zu kompensieren, das Geld wandert in Klimaschutzprojekte.
Wir sollen alle weniger fliegen
Ein moderner Ablasshandel für Umweltsünden? Kann man so sehen. Aber würde jeder Flug automatisch diese Kompensation inkludieren, wie eine Steuer mit einbeziehen, wäre man wenigstens ein Stück näher dran am tatsächlichen Preis für diese Art der Mobilität. Fakt ist: Wir fliegen alle zu viel. Auch wenn’s dufte ist, für 30 Euro innerhalb Europas zu fliegen: Die Kosten für die negativen externen Effekte, wir alle wissen, aber verkennen es, sind deutlich höher. Fünf Prozent der gegenwärtigen Co2-Emissionen kommen vom Fliegen – das mag erstmal nach gar nicht so viel klingen, aber auch nur fünf Prozent aller Menschen haben je ein Flugzeug bestiegen. First world problems im ganz und gar unironischen Sinne.
Also, was hat das mit unserer Branche zu tun? Viel, finde ich. Denn jeder von uns, ob Journalist, Einkäufer, Gebietsleiter, Markenbotschafter, zum Event geladener Koch oder Bartender oder was auch immer, sollte für sich selbst überlegen: Wie kann ich wirklich nachhaltig handeln? Was kann ich, in meinem eigenen Berufs- und Privatleben, tun, damit meine eigene Klimabilanz sich verbessert? Muss ich von Berlin nach Köln oder München fliegen oder geht auch der – den Plänen der Bahn zufolge schon bald klimaneutral fahrende – Fernverkehrszug? Ist dieser Trip überhaupt nötig oder täte es auch eine Videokonferenz?
Und weiter: Brauche ich 37 Positionen dieser Spirituosen- oder Weinkategorie mit Produkten aus aller Welt? Einen prall gefüllten Brotkorb vorweg, von dem die Hälfte (ich frage oft nach, wenn abgeräumt wird) in der Regel im Abfall landet oder gingen auch erstmal zwei Scheiben und die Info für den Gast, er könne sehr gerne jederzeit nachordern? Braucht es den Plastikhalm und -stirrer im Aperol Spritz? Was gibt’s da zu stirren? Warum einen über 12 Liter verbrauchenden Kastenwagen als Shuttle für das Stadt- oder Landhotel? Braucht die Industrie ständig neue Fahrzeuge für den Unternehmensfuhrpark, deren Produktion einen Wahnsinn an Energie kostet? Muss Aluminiumkapselkaffee am Konferenzbuffet wirklich sein? Gibt es keine Alternative zu Tausenden Plastikgläsern auf der Fachmesse?
Genug. Meine zugegebenermaßen geringe Detailkenntnis von Produktions- und Verarbeitungsprozessen in der Gastronomie, besonders im Küchenbereich, lässt mich aber eher fürchten, dass es noch viele weitere tägliche Ökowahnsinne gibt. Nachtrag: Nils Wrage beschreibt einige davon in seinem Nachhaltigkeit in der Gastronomie sehr ganzheitlich betrachtenden Beitrag.
Einen tipping point, bitte!
Kommen wir noch mal auf den Plastikhalm zurück, weil er so präsent ist. Ich hoffe, dass wir bei ihm schon sehr bald einen „tipping point“ erleben, dass er gästeseitig nicht scheinbar gefordert (bitte mal fragen, ob das so ist), sondern sogar geächtet wird, und dass sich das auch auf andere Überflüssigkeiten auswirkt. Ein to-go-Cup ist sicher nicht so schnell aus der Bequemlichkeitswelt geschafft, aber kann es nicht ein wiederverwendbarer sein, vor allem einer, der aus so gutem Material ist, dass man ihn wirklich gerne nutzt?
All dieses mündet scheinbar in ein Paradox dieser Zunft: Denn hier geht es doch um Genuss, um das Schaffen des vielzitierten „dritten Orts“, um Eskapismus und um Entertainment. Einschränkung oder gar Verzicht, auf das Stück Fleisch, auf die exotische Zutat, auf die frisch eingeflogenen Seafoodprodukte, auf die schöne Incentivereise in die Speyside fürs Team, auf was auch immer) ist doch pures Gift fürs Gastrogetriebe, nicht wahr?
Ich glaube nicht. Ich glaube, dass viele Gäste – besonders jene, die sich für innovative, moderne Gastronomie interessieren – den Weg mitgehen. Weil sie wissen, dass es wichtig ist, und weil es in ihren Lifestyle passt. Auch, wenn das mit dem Lifestyle schnell ins Oberflächliche zu drängen droht: Das ist der Weg. Wenn es Spaß macht, dann machen Menschen mit. Immer mehr.
Es kommt also darauf an, wie man das Thema Nachhaltigkeit so dreht, dass es den – bewussten – Genuss betont. Es kann komplett so gemacht werden, dass man als Gast davon erstmal gar nichts mitbekommt und erst auf Nachfrage darüber informiert wird, dann aber gerne. Mit solch einem Ansatz kann man 2018 sogar einen der wichtigsten Preise für Gastrogründer gewinnen.
Man kann seine Gäste aber auch einbinden. Eine Profiküche, die Energie, Abfälle und somit auch Kosten reduziert, von der können auch der Hausmann und die Hausfrau was lernen, vielleicht liegt darin sogar ein Zusatzgeschäft verborgen. Ein verführerisches, cleveres Tellergericht aus „Resten“ und gesunden, regionalen Lebensmitteln (die übrigens in der Herstellung nicht immer, aber meistens nachhaltiger sind), ein transparentes nachhaltiges Gesamtkonzept mit Tipps für zu Hause, Kursen für Kinder, langfristig sogar attraktiven Endpreisen aufgrund guter Marge durch weniger Wareneinsatz … ich glaube fest daran, dass Gastronomen, die ihr Herz für dieses Thema öffnen, am Ende sehr gut dastehen. Tipp: einfach mal die Konzepte dieser Betriebe anschauen, vieles ist hier bereits Realität. Trends wie die Hinwendung zu Regionalem, zu Gemüse statt Fleisch als Hauptbestandteil, zu Selbstgemachtem und Co. – alles wunderbar mit Nachhaltigkeit vereinbar. Avocados in der ubiquitären Bowl vielleicht nicht, hier droht ein weiterer Wahnsinn.
Wir von nomyblog wollen unseren kleinen Beitrag zum Trend Nachhaltigkeit leisten, der gekommen ist, um zu bleiben. Indem wir weiterhin Gastronomien, Food-Entrepreneure, Dienstleister und Menschen vorstellen, die mit ihren Ideen den Wandel der Branche vorantreiben. Und damit andere inspirieren. Nachmachen ausdrücklich erlaubt! Wir wollen es aber auch leisten, indem wir unsere eigenen Prozesse auf den Prüfstand stellen: Wir wollen herausfinden, wie sich nachhaltiger eben auch bloggen lässt.
Die Welt wird eigentlich, auch wenn man es mitunter kaum glauben mag, immer besser. Das zeigen aktuelle Zahlen. Beim Thema Umwelt, und dabei vor allem beim Thema Klimawandel, sind die Prognosen jedoch fatal.
Gastronomie sollte grüner Vorreiter sein
Ich wünsche mir für die Gastronomiebranche, dass sie sich nicht, wie so oft und wie aktuell bei der Digitalisierung der Fall, als eine der letzten Branchen bewegt. Sondern dass sie sich an die Spitze der Bewegung begibt. Dass jeder, der in dieser Branche arbeitet und Geld verdient, gerne seinen Teil dazu beiträgt. Ein kleiner Schritt wäre, eigene grüne Ideen und Absichten mit dem Hashtag #grünaufgetischt auf Facebook, Instagram oder Twitter kundzutun. Entstünde damit ein Ideenpool für alle, wäre das schon wieder ein kleiner Schritt. Und wenn man erstmal ein paar Schritte gegangen ist, dann wird daraus ein Weg.