Kommentar: Die Gastronomie ist politisch und muss sich positionieren

Ein Kommentar: Mehr denn je kommt es jetzt darauf an, dass die dritten Orte sichere, diverse und demokratische Orte bleiben

von Jan-Peter Wulf
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Foto: Redaktion

Es gilt ja eigentlich dieses ungeschriebene Gesetz an der Bar: no politics. Diese Themen sollen bitte draußen bleiben. Zuletzt wiesen die Kollegen vom Mixology-Magazin in ihrem Newsletter auf diese Regel hin und fragten, ob sie noch gültig sei. Damit wollen wir uns hier beschäftigen. 

Die Regel gilt ja nicht nur an der Bar. Auch am Restauranttisch oder auch im Club, im Prinzip in der gesamten Hospitality möge man über Angenehmeres sprechen. Und ganz ehrlich: Wie angenehm ist diese Regel? Dass wenn jemand mit Politik anfängt, selbst wenn man die Meinung möglicherweise grundsätzlich teilt, man dann das Gespräch umlenken darf. Dass versierte Gastgeber dann galant eingreifen, nachschenken, das Thema wechseln, wie auch immer. Und dass der Dancefloor ein vermeintlich (und das ist zu betonen: vermeintlich) unpolitischer Ort ist und sich im Strobonebel bei 128 BPM alles scheinbar schön bunt, happy, eine Familie ist. Friede, Freude, Eierkuchen: So war tatsächlich mal ein Techno-Grundgedanke.

Doch das ist in echt anders. Vor allem der Clubbereich, insbesondere hier in Berlin, ist heute politischer als je zuvor – mit teils skurril wirkenden Ausformungen, auf die wir hier aber nicht weiter eingehen können. Aber festzuhalten bleibt: Das Politische hat längst Einzug in die Hospitality gehalten. No politics is over, it seems.

Der Ort, an dem Politik aus guten Gründen nicht stattfinden soll, ist wohl endgültig nicht mehr loszudenken von dem, was in seiner Außenwelt, also unserer Alltagswelt, passiert. Es steht in einem direkten Zusammenhang miteinander. Orte der Hospitality waren immer schon Orte des Politischen: Von Kneipen, die zu Wahllokalen umfunktioniert werden (gibt es eigentlich noch den Shot namens Wahlbitter?) über Diskussions- und Informationsabende der Zivilgesellschaft oder Parteitreffen hin zu Saalschlachten, in denen Meinungsverschiedenheiten im Handgreiflichen eskalierten – das alles fand und findet hier statt.

Zuletzt gab es ein konspiratives Treffen in einem Gästehaus, in dem sich Rechte, Rechtsradikale und Nazis zum Netzwerken einfanden und um Vertreibungspläne zu schmieden. Nichts weniger als das. Das ist strategischer Rassismus. Das Landhaus, das die Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt hat, distanziert sich von der Veranstaltung und sei nicht für die Inhalte seiner Kunden verantwortlich, so ein Statement auf der Webseite.

Das stimmt natürlich soweit. Aber, und das dürfte dieses Treffen in aller Deutlichkeit gezeigt haben – was dort verhandelt wurde, hat das Berliner Ensemble in einer sehenswerten szenischen Lesung auf die Bühne gebracht: Auch diese Form von no politics (nämlich was unsere Gäste untereinander besprechen, ist ihre Sache) ist over.  Neutralität muss Selbstverantwortung weichen, wenn die Gastronomie als Teil der demokratischen Gesellschaft einen Beitrag dazu leisten will, dass die Demokratie nicht zerstört wird. Machen wir uns nichts vor: Genau das ist der Plan der Rechten. Sie will die Demokratie zerstören und eine biodeutsche Autokratie oder was auch immer etablieren. Ein viertes Reich?

Wie tief solche Ideologien mittlerweile in unsere Gesellschaft und auch in die Branche hineinragen, dürften die vergangenen Wochen mehr als deutlich gezeigt haben. Von Geldgebern für gastronomische Unternehmungen, die sich als Veranstalter rechter Austausche wie jenem bei Potsdam entpuppen – bis hin zu Gastronomen, die selbst bei rechten Parteien Mitglied oder gar in führenden Rollen dort aktiv sind.

Wie sehr es darauf ankommt, Haltung und Verantwortung zu zeigen, möge nur dieses Beispiel zeigen: Wenn der DEHOGA Bayern bei seinem „Wahl-Talk“ vor der Landtagswahl 2022 auch dem Landtagsabgeordneten der AfD (der zugleich ein Gastwirt ist) einen Platz und Redezeit auf der Bühne gewährt, dann hat der Verband das Recht dazu. Er trägt aber so dazu bei, dass ein „level playing field“ entsteht – alle sollen sich äußern dürfen – und somit dazu, dass die rechtsextreme AfD und ihre Position, selbst wenn es wie in diesem Gespräch vor allem um Bettensteuern und Co. ging, verharmlost, weil als Teil des Meinungskanons dargestellt wird. Wozu? Cui bono? Eine aus unsere Sicht bessere Haltung – als Vorschlag für die ab jetzt beginnende Zukunft: Auch keinen medialen Fußbreit den Faschisten. Die Akteure der Hospitality sollten dazu ihren Beitrag leisten und weder ihre Kanäle entsprechenden Personen zur Verfügung stellen noch sich an Diskussionen beteiligen, an denen solche Personen beteiligt sind.

Und dies bedeutet auch, dass die Hospitality mehr Sensibilität dafür aufbringen muss, wen sie in ihre Räume lässt und wem sie diese zur Verfügung stellt. Dafür braucht es Orientierungshilfen. Ebenso um zu gewährleisten, dass diese halböffentlichen Räume sichere Räume sind und bleiben – safe spaces.

Aktionen aus der Branche, die „ein Zeichen setzen“ wollen, sind sicher gut gemeint. Aber bislang sind sie genau oft das: gut gemeinte Symbolik, ohne Veränderungen zu zeitigen. Nun geht es mehr denn je darum, konkret zu werden und Tatsachen zu schaffen: Gastronomien sollten sich als soziale Orte positionieren, an denen sich die Gäste sicher und wohl fühlen können. An denen sie Hilfe bekommen, wenn es zu einer Diskriminierung, Belästigung, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit kommt. Was tue ich als Betrieb, als Mitarbeitender, wenn eine solche Situation auftritt? Wie erkenne ich überhaupt, dass es jemandem nicht gut geht? Wie gelingt es mir, Regeln für den Umgang miteinander in meinem Betrieb zu etablieren, die für ein gutes Miteinander sorgen? Und das sowohl auf Gäste- als auch auf Teamseite?

Das ist kein leichtes Unterfangen. Doch im Netz gibt es haufenweise Beispiele und Unterlagen für Awareness-Konzepte, die man für den eigenen Betrieb anpassen kann, für den superurbanen Club wie für das Landgasthaus. Die regionalen Verbünde der Club- und Nightlifeszene wie die Club Commission (Berlin) oder das Clubkombinat (Hamburg) unterstützen dabei, machen Veranstaltungen dazu oder veröffentlichen Leitfäden. Initiativen wie zum Beispiel Noteingang lassen sich überall umsetzen. Projekte wie die Stammtischkämpfer*innen liefern Tipps und Argumente.

Alle Akteure, die der Hospitality zuarbeiten, sie als Vertriebs- oder Kommunikationskanal nutzen, über sie berichten oder anderweitig mit ihr zu tun haben, sollten ihren Beitrag dazu leisten, dass die dritten Orte der Gastronomie sichere, diverse, demokratische, gute Ort sind – und bleiben.

Gäbe es z.B. ein einheitliches Programm, mit Informations- und Schulungsevents, klaren Standards und einem Code of Conduct, zu dem sich alle Teilnehmenden verpflichten, dann wäre das schon ein großer Schritt. Ausgewiesen mit einem Signet wie einem Aufkleber an der Tür, einem Logo auf der Webseite, einem Icon in der Speise- und Getränkekarte, das eindeutig macht: Dies ist ein safe space. Es würde übrigens auch klarstellen: Hier dürft ihr gut und gerne euer Geld ausgeben. Es landet nicht an Stellen, die womöglich menschen- und demokratiefeindlich sind.

Dann können wir hoffentlich wieder entspannt an einem Manhattan schlürfen, das Essen genießen (natürlich nachdem wir es fotografiert haben) oder uns zu 130 BPM die Birne freitanzen, ohne die ganze Zeit über an den braunen Scheiß da draußen denken oder darüber sprechen zu müssen. Das wäre ein schönes Re-Entry der „no politics“. Doch es ist ein langer Weg dorthin.

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