Konsumverzicht wegen Energiepreisschock: Droht der Gastronomie eine neue Krisenzeit?

Die Antwort ist vermutlich leider ja – ein Kommentar

von Jan-Peter Wulf
Neues Projekt 18 - management, gastronomie Konsumverzicht wegen Energiepreisschock: Droht der Gastronomie eine neue Krisenzeit?

Foto: Redaktion

Die Zahl kann einem wirklich Sorgen machen: 55 Prozent aller Befragten einer aktuellen Umfrage der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung planen, „bedeutend weniger“ oder „etwas weniger“ in Gaststätten und Restaurants essen und trinken zu gehen. Grund dafür ist der deutliche Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise.  

Wenn die Energiekosten weiter steigen (es wird eine Verdreifachung der Gasabschläge in Aussicht gestellt), ebenso die Lebensmittelpreise (erwartet werden rund zehn Prozent 2022), die Inflation derzeit bei hohen acht Prozent liegt und alle diese Dinge auf das Budget der privaten Haushalte drücken – nun, dann muss an anderer Stelle ja geradezu zwangsläufig der Konsum zurück gefahren werden, zumal sich bei Lebensnotwendigkeiten wie Wärme im Winter und Essen auf dem Tisch nur bedingt sparen lässt. Konsumverzicht ist das Stichwort. Verzichten, sprich sparen werden viele in den kommenden Monaten müssen.

Ein Grund ist, dass die Deutschen, anders als das Klischee es vielleicht vermuten lässt, insgesamt eher wenig Rücklagen bilden. Ein Drittel hat so gut wie gar keine. Wohlstand für alle? Eine Illusion: Wir leben in einem Land, in dem das Vermögen sehr ungleich verteilt ist. Und das wird nun wohl mehr denn je sichtbar bzw. wirkmächtig. Schon jetzt ist das Konsumklima auf neuem Niedrigststand. Besonders drastisch sieht die Situation in den einkommensschwachen Schichten aus: In der Pandemie sind viele Menschen – Selbständige übrigens überproportional – noch weiter sozial abgestiegen. Die Armut hat in Deutschland stark zugenommen: 13 Millionen Menschen gelten als arm, jedes fünfte Kind, hat der neue Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands ermittelt. Die Mittelschicht wird immer dünner.

Konsumverzicht durch Gastroverzicht ist leider sehr einfach 

Das ist eine schlechte Botschaft für die Gastronomie. Denn so hart und gemein es klingt: Es ist recht einfach, in der Gastronomie zu sparen. Man geht einfach nicht oder weniger hin. Fragt man Google: „Wie kann ich auf Konsum verzichten?“, so lautet eine Antwort: „Bei einem bestimmten Lebensbereich anfangen, der als nicht allzu große Herausforderung erscheint.“ Gastronomie ist für die Allermeisten kein must have, sondern ein nice to have, da darf man sich nichts vormachen.

So sehr wir betonen mögen, dass Gastronomie ein kulturelles Gut ist, das gepflegt und geschützt werden muss – so ist es dennoch so: Sie ist individuell entbehrlich, und das schlägt ein, wenn Konsumverzicht angesagt ist. Weil man dann vielleicht nur noch einmal im Monat sein Lieblingsrestaurant aufsucht statt zuvor alle zwei Wochen. Oder bis auf Weiteres gar nicht? Wenn man statt des klassischen Restaurants die vermeintlich günstigere Alternative ansteuert, den Quickservice oder Imbiss, das Backshop-Café und nicht das Kaffeehaus?  Oder wenn man sich alternativ eher was Gutes für zu Hause kauft, weil es günstiger ist als der Gastronomiebesuch (der freilich, das wissen wir, ein ganz anderes Leistungsbündel bietet)?

Besonders hart wird es, so vermuten wir, für die „mittelschichtige“, den „Gastro-Mainstream“, der einen Großteil der Betriebe ausmacht, vom einfachen Gasthof über die Eckkneipe und das Kleinstadt-Café über das gutbürgerliche Restaurant bis zum hippen urbanen Streetfood-Konzept. Wer dreimal so viel für seine Gasrechnung einplanen muss, geht seltener in eine Gastronomie. Wenn überall dazu geraten wird, nun etwas zurück zu legen, dann wird dies u.a. durch „Verzicht auf Vergnügen“ geschehen: Verzicht auf den Drink in der Bar oder den Kneipenbesuch, Verzicht auf das Essen im Lieblingsrestaurant, das Wellness-Wochenende oder das Gourmet-Dinner, das man sich, weil man guten Genuss (zurecht!) so wertschätzt, ab und an gönnt.

Es könnte sogar durchaus so kommen, dass auch diejenigen, die verhältnismäßig gut situiert sind und die steigenden Kosten besser abfedern können – Konsument*innen, die gefühlt überdurchschnittlich oft in Gastronomien gehen und dort überdurchschnittlich viel Geld ausgeben – mitverzichten. Nämlich dann, wenn es zur allgemeinen Haltung wird, sozusagen eine kollektive Kraftanstrengung, sich in der Mäßigung zu „üben“. Letztlich geht es ja auch darum, sich gegen einen Aggressor zu stellen, so irre das alles ist. Und gemeinsam zu Hause zu bleiben, dies sei noch hinzugefügt, hat das Land aus Pandemiegründen ja schon gelernt.

Die Gäste: gerade erst zurück, bald schon wieder weg? 

Als hätte die Gastronomie nicht schon Sorgen genug. Sie steckt als (hohe) Energieverbraucherin und  Lebensmitteleinkäuferin (en gros) zudem ja mitten in der gleichen schwierigen Situation. Und nun kommt auch noch hinzu, dass die Gäste, die man gerade erst wieder zu sich zurück holen konnte, demnächst häufiger fort bleiben könnten. Schon jetzt berichten uns Gastronom*innen davon, dass sie das Gefühl haben, die Frequenz gehe zurück.

Zu den gestiegenen Betriebskosten kommen dann, so sieht es aus, deutlich geringere Umsätze dazu. Die Überbrückungshilfen sind ausgelaufen, und ob es erneut welche geben wird, ist mehr als fraglich. Wie sich die Inzidenz entwickelt, wenn es kühler wird, davon wollen wir gar nicht erst anfangen.

Was heißt das für den Umsatz? Für die Erlöse? Sicher nichts Gutes. Dass man dann aufgrund fast überall sehr dünner Personaldecke – über 216.000 Beschäftigte hat die Branche allein 2020 verloren – zumindest nicht überlaufen und überfordert wird, dürfte für viele Betriebe ein sehr schwacher Trost sein. Denn runterzuskalieren, schlanker zu fahren, ist leichter gesagt als getan – und einem Raum, in dem nur halb so viele Leute sitzen, muss sogar eher mehr Wärme zugeführt werden, der halbvolle Kühlschrank benötigt mehr Strom.

Es ist zu befürchten, dass es für viele Betriebe eng wird. Werden wir viele Schließungen, Aufgaben erleben? Wir hoffen, dass es nicht so kommt. Und wir wollen im Rahmen unserer Möglichkeiten in den kommenden Monaten Tipps und Ideen geben, wie sich Betriebe wehrhaft gegen die kommende Krise und stark für die Zukunft aufstellen können. Zum Beispiel mit unserem Wirtschaftlichkeits-Schwerpunkt, mit inspirierenden Gedanken, mit Ideen, wie man weiterhin Gäste für sich gewinnt, mit Tipps fürs nachhaltige Energiesparen, Stimmungsbildern und Ratschlägen von Kolleg*innen und vielem mehr.

Alles Gute!

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