Kann deutsche Küche bodenständig, aber unspießig sein, traditionell, aber zeitgemäß? Das Luna D’Oro liefert eine ziemlich überzeugende Antwort.
Es gibt wenige gastronomische Orte in Berlin, die Geschichte und Tradition so atmen wie das Clärchens Ballhaus in Mitte. Eröffnet 1913, hat es zwei Weltkriege, fünf politische Systeme und sechs Währungsreformen überstanden. Ein Ort der Begegnung, des Tanzes, des Essens, Trinkens, des Vergnügens für die Berliner, aber hat auch viele düstere Jahre durchstehen müssen. Das alles kann man auf der Webseite nachlesen, detailliert in einem eigenen Buch oder man bucht eine Führung bei dessen Autorin Marion Kiesow durch das Haus mit seinem Spiegelsaal, der einen mit seinem Glanz und seinen etlichen Schrammen, um nicht zu sagen Wunden, ein wenig demütig macht.
Gleichzeitig ist das Clärchens ein sehr „gegenwärtiger“ Ort, der sich nicht auf seiner Historie ausruht, sondern Tradition im Sinne Thomas von Aquins als das Weiterreichen der Flamme, nicht des Festhaltens an der Asche zu verstehen scheint. So wird auch 2025 ordentlich geschwoft: Swing, Tango und, yeah, Discofox.
Seit 2024 gibt es ein neues Restaurant im Erdgeschoß, das „Luna D’Oro“, und damit auch wieder eine stärkere kulinarische Kontur. Der Name, erklärt uns Restaurantleiterin Anh Vu, die aus dem „Oukan“ herüber gewechselt ist, ist eine Hommage an Lisbeth Dorowski, die hier einst unter dem Namen Luna Dorow als Tänzerin tätig war. Einen goldenen Mond gibt es hier tatsächlich: Eine Discokugel, nur unwesentlich kleiner als der Erdtrabant, dreht sich über den inselförmig gruppierten Sitzbänken. Das Interieur wurde behutsam erneuert, Decken wurden von Tapeten befreit, ein neues, übrigens sehr angenehmes Lichtsystem wurde installiert, irdene und purpurne oder dunkelgrüne Farben geben dem Ort Charme. Wie Uli Hanisch, der für die Neugestaltung verantwortlich ist, an die Herausforderung herangegangen ist, Tradition und Modernität, Authentizität und Spielerisches zu verbinden, erklärt er im sehr lesenswerten Interview mit Esspress.
Mettigel 2.0
Einer vergleichbaren Aufgabe stellte sich die Kulinarik: Wie lässt sich Berliner, wie lässt sich „deutsche“ Küche so inszenieren, dass sie nicht einfach nur traditionell im Sinne von altbacken, nicht langweilig, sondern spannend und schmackhaft ist? Die Antwort findet sich in der Karte: Frittierte Spreewaldgürkchen. Hühnerbrühe mit Backerbsen. Miesmuscheln auf Rheinische Art. Königsberger Klopse. Kalbsleber. Der Mettigel, das vielleicht deutscheste aller Partygerichte, kommt hier in Form eines putzigen und qualitativ upgegradeten Tartarigels auf den Tisch und sorgt sichtlich für Verzückung. Gebackene Austernpilze mit Jägersoße reinterpretieren Klassik auf moderne, pflanzenbasierte Art. Und der Wackelpudding zum Finale, aus selbst gesammeltem Waldmeister hergestellt, schmeckt garantiert auch Gästen, die sonst nur das künstliche Waldmeister-Aroma und Vanillingeschmack (hier: Crème Anglaise mit viel echter Vanille) kennen. Uns jedenfalls sehr gut.
„Die deutsche Küche hat einen gewissen Witz“
Hinter diesem mit Klischees spielenden Foodkonzept stehen Tobi Beck und Paul Gerber, die zuvor beide im „Ember“ mit offenem Feuer kochten. „Ich bin sehr froh, dass Claudia (Steinbauer, General Manager und Gastgeberin, Anm. d. Red.) und wir dieselbe Sprache sprechen“, erklärt Tobi Beck. Er und Gerber sind beide in Mannheim groß geworden, kennen sich seit Schulzeiten (wie übrigens auch die beiden Köche im nicht weit entfernten Dae Mon) und haben natürlich auch das in „Monnem“ erfundene Spaghettieis auf die Dessertkarte gesetzt. Er müsse unbedingt über deutsche Küche reden, hätten ihm Kolleg*innen aus dem Ausland nahe gelegt, so Beck. Er schaut sich international wie innerhalb der Landesgrenzen gerne und oft nach kulinarischen Traditionen um, sammelt regionale Kochbücher und . Stolz, wie andere Landesküchen, sei die deutsche sicher nicht. Aber: „Die deutsche Küche hat einen gewissen Witz“, findet Beck.
Hier mischen sich die Menschen
Witzig, nicht albern, mit Bioprodukten und französischer Soßenkunst handwerklich im wahrsten Sinne des Wortes unterfüttert, kommt sie hier nun auf die Tische. Manchmal sogar als Buffetplatte mit Wunderkerze, etwa bei der seniorigen Dreiergruppe am Nebentisch. Daneben sitzen junge Hipster, neben uns alte Stammgäste, weiter vorne Touristen aus dem Ausland: Es ist schön zu sehen, wie sich die Menschen hier mischen. Viel zu selten passiert das in Berlin. Und noch viel seltener so genussvoll.
Auch dies hat hier Tradition: Kaffee und Kuchen am Nachmittag kommen zurück, bald ist wieder Spargelzeit, dann Biergartensaison – auch draußen sitzt man wunderschön. Kurz: Es geht heiter weiter im Clärchens Ballhaus und das „Luna D’Oro“ steht ihm wirklich gut.