Klingt gut: Listening-Bars bieten Aufenthaltsqualität durch Top-Akustik und attraktives Angebot

Unkompress, Rhinoçéros, Anima und Bar Neiro – 4 Konzeptbeispiele aus Berlin

von Jan-Peter Wulf
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Foto: Redaktion

 

Jazz Kissas sind Bar-Cafés, in denen sich die Menschen treffen, um guter Musik aus guten Boxen zu lauschen: Die ersten eröffneten bereits Ende der 1920er-Jahre in Japan. Ihren Boom erlebten sie nach dem 2. Weltkrieg. Hier liefen für Privatpersonen oft viel zu teure Import-Platten. Trotz musikalischer Allverfügbarkeit durch Streaming-Angebote sind die Kissas weiter sehr beliebt und im Zuge des Vinyl-Revivals rund um den Globus anzutreffen.

Jetzt auch bei uns: Inspiriert von den traditionellen japanischen Jazz Kissas, entwickelt sich jetzt auch bei uns ein „audiophiler“ Betriebstyp: Neue Listening-Bars locken mit gutem Sound und gastronomischem Angebot. Wir haben uns vier – recht unterschiedlich ausgerichtete – Konzepte in Berlin angeschaut – und angehört.

 

Listening-Café-Weinbar: Unkompress

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Foto: Felix Torkar

In der Fichtestraße, einer der ruhigeren, charmanteren Straßen Kreuzbergs, gleich neben dem Stern-Restaurant „tulus lotrek“, hat im Frühjahr 2023 das Unkompress eröffnet. Dessen Betreiber Kevin Rodriguez kaufte sich schon zu Teenagerzeiten in New Jersey fleißig Platten, legte als DJ auf und arbeitete später in der Fine-Dining-Gastronomie im „Big Apple“, bevor er in den Agenturbereich wechselte. Irgendwann mal eine Listening-Bar nach japanischem Vorbild zu eröffnen, war sein Traum.

„Aber in New York, bei den Mieten? Keine Chance“, sagt der sympathische junge Mann lachend. In Berlin wurde sein Traum Realität: Rodriguez’ „Unkompress“ ist tagsüber Café – um die Musik nicht zu übertönen, wird der Kaffee gefiltert – und wandelt sich zum Abend hin zur Bar. Zu trinken gibt es unter anderem Naturweine, Craft Beer, Sake und als herzhaften Snack ausgewählte Edelsardinen aus Spanien und Portugal. An der Wand hängt ein „Kiosk“ mit Magazinen, dem Hauskaffee von S/O Yellow aus München, Mezcal und anderen Boutiqueprodukten, die Gäste käuflich erwerben können.

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Foto: Felix Torkar

Boutique ist das Stichwort: Gerade mal 24 Quadratmeter groß ist „Unkompress“. Drinnen finden 18 Personen sitzend Platz, draußen noch mal ein Dutzend. Das kleine Publikum darf sich über ausgezeichnete Akustik freuen, in die Rodriguez viel investiert hat: Die Decken ließ er einen halben Meter herabsetzen und mit Dämmstoff füllen, zudem wurden Akustikpaneele angebracht. Für den mittigen, satten Sound sorgt ein erlesenes Setup: die legendären Cornwall-Lautsprecher von Klipsch, das Mischpult Modell 2533 von Resør aus Berlin zwischen den Technics-Plattenspielern und ein 300b-Verstärker, den hat Rodriguez zusammen mit einem Freund aus einem Bausatz selbst zusammengebaut und mit besonders hochwertigen Widerständen, Transformatoren und Kondensatoren getunt hat. „In New York waren die besten Partys immer die mit dem besten Soundsystem, erklärt Rodriguez. „Warum nicht genau das in ein chilliges Café übertragen?“

Audiophile Barkultur: Bar Neiro

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Foto: Redaktion

Zufällig in die Bar Neiro hineinstolpern wird kaum jemand. Dafür liegt sie viel zu versteckt im Obergeschoss eines Hinterhofs nahe der Jannowitzbrücke – der berühmt-berüchtigte „KitKatClub“ befindet sich auf der anderen Hofseite. Auch Betreiber Erik Breuer kommt aus der Musikbranche. Der Kölner hat viele Jahre weltweit für die Red Bull Music Academy gearbeitet und Studios gebaut, bevor er hier seine eigenen Brewery Studios eröffnete.

Von Anfang an sei Teil der Projektidee gewesen, auch einen öffentlichen Ort zu schaffen, erklärt Breuer, der sich als Mitgründer der Initiative Analogue Foundation für den Erhalt und die Wertschätzung analoger (Klang-)kultur einsetzt – Slow Food für Audio. Im April 2023 war es dann, coronabedingt verzögert, mit dem Opening der „Bar Neiro“ soweit.

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Foto: Redaktion

Dass der Raum „audiophil“ gebaut wurde, merkt auch ein Laie schnell: Es gibt keine parallelen Wände, vielmehr spreizt sich die Bar von der mit einem großen Regal ausgestatteten Wand, vor der die beiden Altec A5 stehen, zum Tresen hin – ähnlich wie die beiden imposanten Hörner, die in den 1950er-Jahren ein US-Kino beschallten. Früher standen sie überall in den Lichtspielhäusern, heute sind sie kaum noch erhältlich, erklärt uns Breuer. Über dem Tresen schwebende Holzelemente oder Gitter unter der Decke sind zugleich dekorativ und dem guten Klang zuträglich. Schallplatten und Spirituosen stehen gemeinsam im Rückbuffet, und stellt nicht gerade ein befreundeter Künstler, DJ, Journalist oder anderweitig musikaffiner Gast hier die Musik des Abends zusammen, kümmert sich das Barteam darum und legt Vinyl auf die edlen Garrard 301 Plattenspieler.

Er habe schon viel Neues über Jazz und Co. gelernt, seit er hier tätig ist, erklärt uns Barchef Jeffrey Berraoui, der zuvor u.a. im „Truffle Pig“ tätig war. Auf seiner Karte stehen unter anderem der aktuelle Topseller „Kappa’s Cure“ mit Mezcal, Gurkencordial, Kümmel und der japanischen Gewürzmischung Shimichi Togarashi sowie der erfrischende „Highball #3“ mit Vanille-Wodka, Olivenöl, Sherry und Soda. Um zu vermeiden, dass Personen abgewiesen werden müssen, weil die gut 25 Plätze der Bar schon belegt sind, wird um eine Reservierung gebeten: Man möchte alle Gäste an den Tischen, auf dem Sofa oder natürlich am Tresen platzieren können.

Kiez-Kissa: Rhinoçéros

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Das Rhinoçéros im Prenzlauer Berg ist Berlins Pionier unter den Listening-Bars, es eröffnete bereits 2017. Die ursprüngliche Idee von Bénédict Berna, der aus der HipHop-Szene kommt und früher auch selbst produzierte, war ein französisch inspirierter Grillstrand mit Steak Sandwich und Frites, in dem HipHop, Jazz, Funk und Soul vom Plattenspieler laufen sollten.

Ein kochender Kollege riet ihm von der schönen Idee ab – das Frittierfett hätte jede Rille seiner Schallplatten binnen Monaten zugeklebt. Berna entdeckte dann, dass es in Japan eine ganze Barkultur gibt, die sich dem Hören von Musik widmet, und entschied sich, dieses Konzept an die Spree zu bringen.

„Rhinoçéros ist eine Hommage an die Kissas und ist gleichzeitig eine Berliner Kiezbar. Hier im Umfeld gibt es nur wenige Bars, das kommt uns zugute“, erklärt der Franzose. Entsprechend bunt gemischt ist das Publikum. Nicht alle kommen primär wegen der Musik, es darf ganz normal geplaudert und gelacht werden. Andächtiges Anhören, fachkundig moderiert, findet bei den montäglichen Listening-Sessions statt, dann wird sogar der Kühlschrank ausgestellt. „Und wer quatscht, fliegt raus“, so Berna mit Augenzwinkern.

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Wie es dann ist, erahnen wir, als Berna „Chitlins con Carne“ von Kenny Burell vom (auch optisch was hermachenden) High-End-Plattenspieler DQX-500 von Micro Seiki abspielt: Warm und trocken klingen die Seventies-Horns von Altec Lansing (VOTT A7). Und bei „They Say It’s Wonderful“ von John Coltrane steht Johnny Hartmann mit seiner unvergleichlichen Stimme gefühlt im Raum. Dafür muss man nicht sehr viel investieren. Ab 5.000 Euro, so Berna, der u.a. auf Ebay Kleinanzeigen fündig wurde, könne man sich bereits ein ordentliches System aufstellen.

High Fidelity im Hotel: Anima

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Man habe das Gastrokonzept völlig unabhängig vom Hotel entwickelt – so, als gebe es gar keines drumherum, erklärt uns Robin Causse, der zusammen mit Thibaut Machet das Anima im ganz neuen Locke at Eastside Gallery eröffnet hat. Auch sie beide haben einen Hintergrund im Musikbereich, als DJs, Producer und Veranstalter. Als die britische Apartment-Hotelkette für ihre Lobby ein Gastrokonzept ausschrieb, habe man sich darauf beworben und erhielt den Zuschlag.

Organisatorisch ist man getrennt, abgerechnet wird separat, keine Buchung aufs Zimmer. Räumlich-baulich jedoch ist der Übergang von Rezeption und Lobby ins „Anima“ fließend entlang der Fensterfront mit direktem Spreeblick. Helle Creme- und Pastellfarben und ein zentral platziertes Grünpflanzen-Arrangement in einem großen Fliesenkorpus prägen den schicken Raum, der tagsüber auch fürs Coworking genutzt werden kann.

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Das Rückbuffet der Bar sieht aus wie die Wohnzimmerwand eines Plattensammlers (und tatsächlich steht hier die Sammlung des Duos), das Audio-Setup von Causse und Machet besteht aus einem H.A.N.D. HiFi-System und einem Resør Rotary-Mischpult, beides handgefertigt in Berlin, sowie einem P200-Verstärker von Qualiton.  Regelmäßig legen Gäste auf – ungemixt, es gibt nur einen Plattenspieler. Gemixtes zu trinken hingegen gibt es in Form von Drinks wie dem Paper Plane oder dem Espresso Martini.

Von allen Berliner Listening-Konzepten ist „Anima“ das mit dem höchsten Foodanteil, die Küche serviert vorwiegend mediterrane Tapas zum Teilen. Man wolle mit dem „Anima“ ein wenig französische Bonvivant-Kultur in die Stadt bringen, so Robin Causse. „Wir sind keine Cocktailbar, keine Weinbar, kein Restaurant, sondern ein bisschen von allem.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in fizzz 11/2023.  Schöne Einblicke in die Welt japanischer Jazz kissas gibt es auf
www.tokyojazzjoints.com

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1 Kommentar

Loic 1. Dezember 2023 - 08:44

The dream combo: Music+Food+Drinks
Vielen Dank für den Tipp!

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