Einwegbecher fliegen überall in Neukölln herum. Damit Cafés einen stärkeren Anreiz haben, auf Mehrwegstrukturen umzustellen, leistet der Bezirk nun Anschub: Zehn Betriebe erhalten ein Recup-Starterkit, damit hoffentlich bald viele weitere mitmachen und ein engmaschiges Netzwerk entsteht.
Martin Hikel, der hochaufgeschossene Bezirksbürgermeister von Neukölln, hat Zahlen zum Pressefrühstück mitgebracht: 20.000 Einweg-Kaffeebecher werden allein in Berlin pro Stunde verbraucht, 480.000 Tag, 170 Millionen pro Jahr. Eine enorme Anzahl und hochproblematisch, weil die Becher aufgrund des Verbundstoffs nicht einfach zu recyceln sind. Auch fürs Klima echt schlecht: 83.000 Tonnen CO2 entstehen durch Kaffeebecher in Deutschland pro Jahr.
Starterkit für ausgewählte Betriebe
Um der Sache Herr zu werden, sprich Mehrweg zu forcieren, müsse man auch diejenigen adressieren, die diese Becher verkaufen, so Hikel. Zum Beispiel die zahlreichen Cafés in Neukölln. Deswegen leistet der Bezirk nun Anschub und hat in einem Pilotprojekt zehn Betriebe mit einem „365 Starterkit“ ausgestattet: Unter anderem erhalten dieses die Kaffeekirsche und das Café Lux, das Tischendorf auf der Friedelstraße und Blumen Weyer, ein Floristikgeschäft, das nebenbei richtig viel Kaffee verkauft.
Das Kit besteht aus der Übernahme der Jahresgebühr plus einem Set aus Mehrwegbechern von Recup, dem in Deutschland am weitesten verbreiteten System dieser Art. Vor rund drei Jahren mit 70 Standorten in Rosenheim gestartet, hat Recup jetzt deutschlandweit 5.000 Partner. Das Prinzip funktioniert so: Coffee to go wird in den braunen oder türkisgrünen Mehrwegbechern der Marke statt in Einwegbechern ausgegeben, dafür hinterlegen die Käufer*innen einen Euro Pfand. Die leeren Becher können sie deutschlandweit bei allen Partnern zurückgeben und bekommen dann ihr Pfand zurück. Ein System, das wie jede Community umso besser funktioniert, je mehr Ausgabe- und Annahmestellen es gibt. Und deswegen nun der Anschub durch den Bezirk.
Individuelle und interkulturelle Mehrwegberatung
Zudem gibt es Beratung für alle Betriebe, die mitmachen, durch das Projekt Schön wie wir: Die 2016 ins Leben gerufene Initiative will mit einer Vielzahl von Aktionen dafür sorgen, dass das bunte, aber leider oft auch sehr vermüllte Neukölln ein Stück sauberer und lebenswerter wird. Eine gezielte Mehrwegberatung unterstützt ortsansässige Gastronomien in Fragen der Nachhaltigkeit von der Mülltrennung bis zur Verwendung wiederverwendbarer Verpackungen und Behältnisse. Dabei wird auf Diversität und Individualität geachtet: Die Beratung erfolge interkulturell, mehrsprachig und zugeschnitten auf die jeweiligen Bedürfnisse und Kundenstrukturen der Betriebe, erklärt die Projektleiterin Leila Mousa. So soll ein „preaching to the converted“ vermieden werden – nicht nur Cafés, die sowieso schon auf Nachhaltigkeit achten, soll das Projekt erreichen, sondern auch und gerade die, die es noch nicht tun. Und derer gibt es im Kiez viele: Plastik-Einwegverpackungen fliegen zwischen Harzer Straße und Columbiadamm en gros durch die Gegend.
Ein Netzwerk soll entstehen
Ein Grund dafür ist auch, dass Mehrweg viele Touchpoints braucht. Die Becher müssen nicht nur ausgegeben, sondern auch wieder angenommen werden, und wie beim Flaschenpfand nicht zwangsläufig in dem Betrieb, wo der Kaffee gekauft wurde. Engmaschigkeit ist das Ziel: Kann man in Café A einen Kaffee im „Recup“ kaufen und in Café B, das sich in Laufweite entfernt befindet, den Becher wieder abgegeben und vice versa, wird es nicht nur für die Kund*innen bequemer und besser, sondern auch für die Betriebe. Dirk Weyer von „Blumen Weyer“ berichtet, er habe bisher eigene Pfandbecher genutzt, weil ihm die Vernetzung von Recup noch zu gering war und somit keine Motivation bestand, in die Jahresgebühr und Becher zu investieren. Durch den Anschub habe er jetzt die Möglichkeit erhalten, am kollektiven System zu partizipieren.
Für Mesut Can, Gastgeber im Café dots, in dem das Pressefrühstück stattfindet, waren bislang die großen Becher ein Hemmnis – jetzt gibt es auch kleine, die zu den Kaffeespezialitäten des Hauses besser passen. „Wir sind im Gesamtkonzept nachhaltig, kaufen alles in Bioqualität ein und so gut es geht aus Brandenburg“, berichtet er. Dass er nun die noch verbleibenden Pappbecher (s. Bild) aufbrauchen und dann mit Pfandbechern arbeiten kann, freut ihn – und seine Kund*innen. Geradezu aus der Hand gerissen habe man ihm die ersten Recups. „Der Wille der Leute ist da, man muss ihnen nur die Möglichkeit dazu geben.“
Mit gerade einmal 350 Recup-Partnern in Berlin ist noch viel Potential und Luft nach oben vorhanden. Wenn es richtig „convenient“ für die Berliner*innen sein soll, muss die Zahl deutlich steigen. Und auch sollte die Vernetzung mit anderen Mehrwegbecher-Systemen sowie übergeordneten Konzepten wie dem „Better World Cup“, das auch die Nutzung eigener Becher zum Mitnehmen fördert, vorangetrieben werden. „Lawinen entstehen nur, wenn man mit einer kleinen Kugel anfängt, und die formen wir hier gerade“, so Bürgermeister Martin Hikel. Es wird auch Zeit.
1 Kommentar
Finde ich eine großartige Sache. Die Becher sollten meiner Meinung nach in allen Städten verpflichtend eingeführt werden.