Manifesto-Gründer Martin Barry: „Essen ist Teil der Erlebniswirtschaft“

Ein Interview über Streetfood, Foodhalls und den Potsdamer Platz

von Jan-Peter Wulf
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Manifesto-Gründer*innenteam: Hollie Lin und Martin Barry. Foto: Tomas Princ

Der Potsdamer Platz in Berlin will es wissen: Mit zahlreichen Neueröffnungen wird der Standort, der touristisch zwar gut frequentiert ist, von den Berlinerinnen und Berlinern aber eher gemieden wird, kulinarisch jetzt enorm aufgepeppt.

Anfang 2023 öffnete der Manifesto Market seine Türen – im The Playce, dem Nachfolger der in die Jahre gekommenen Shoppingmall „Potsdamer Platz Arkaden“. Eingebettet in ein Ensemble aus NBA-Store, Flagshipstores amerikanischer Spielwarenhersteller und einer hochmodernen Videospielwelt, will das Konzept sich klar von gängigen Foodcourts (man nennt sich stattdessen auch „Foodhall“) abgrenzen. Das wird auf den ersten Blick deutlich: Das Design ist sowohl trendiger als auch gastronomischer, die üblichen Marken der Systemgastronomie findet man hier nicht. „Manifesto“ erinnert schon eher an die kunterbunten Streetfood-Hawker-Centres Südostasiens, gepaart mit einer einheitlichen Visualität.

Hinter „Manifesto“ steht Martin Barry: Der amerikanische Architekt und Unternehmer eröffnete 2018 zusammen mit seiner Frau Hollie Lin im Prager Stadtteil Florenc den ersten Foodmarket mit 27 Ständen bzw. Restaurants. 2019 bis 2021 gab es „Manifesto Smichov“ auf einem alten Hofgelände, inklusive Pool. Dritter Standort: Manifesto Anděl, seit 2021, ist ganzjährig geöffnet und hat eine Kapazität von 500 Plätzen. Mit dem „Manifesto Market Potsdamer Platz“, dem ersten reinen Indoor-Standort, erfolgte nun die Expansion ins Ausland.

Warum Potsdamer Platz? Darüber sprachen wir mit dem Gründer und CEO.

Herr Barry, was ist die Idee hinter „Manifesto“?

Wir verwandeln, überdenken und beleben Orte – und zweifelsohne bringen gutes Essen und kulturelle Erlebnisse die Menschen zusammen. Es begann mit temporären Aktionen im Freien, wir sind seit 2018 erfolgreich in Prag tätig, wo wir drei Orte mit zuvor vielen Problemen und schlechtem Image in lebendige, beliebte Ziele verwandelt haben. Ich habe „Manifesto“ als eine Kombination aus Streetfood- oder Night-Market-Kultur und gehobener Gastronomie konzipiert. Hollie und ich haben Dutzende von Märkten in Tokio, Singapur, New York, London oder Seattle besucht und haben das Chaos dieser Orte in ein neues Markterlebnis zu verwandeln versucht. Wir arbeiten nie mit Ketten zusammen und wählen Köche und Gastronomen für jeden Standort sorgfältig aus. Ein typisches Restaurant bei uns ist ein kleines bis mittelgroßes Familienunternehmen, das authentische Konzepte entwickelt. Außerdem veranstalten wir Events und vertreiben auch eigene, handwerklich hergestellte Cocktails.

Wie verlief die Auswahl der Partner für den Potsdamer Platz?

Wir haben mit einem Pool von 800 potenziellen Kandidaten für 22 Plätze begonnen. In der Regel wählten wir zwei, drei Restaurants für jede Küchenrichtung aus, diskutierten und bewerteten dann ihr Konzept und Modell. Zum Schluss fand eine Verkostung statt. Ich war in den gesamten Prozess direkt eingebunden.

Welchen Leistungsumfang bieten Sie den Gastro-Partnern – Ladenbau, Infrastruktur, Marketing?

Wir gestalten unsere Räume selbst, um eine einladende, ansprechende und inspirierende Umgebung zu schaffen, die weit über die reine Zweckmäßigkeit hinausgeht. Wir entscheiden über die Stühle, auf denen die Gäste sitzen, über Teller und Besteck, Beleuchtung und besondere Merkmale wie einen Pool, ein Amphitheater oder einen „vertical garden“. Wir kuratieren die Restaurants – auch in Bezug auf ihre Speisekarten – und stellen das technische Rückgrat, einschließlich zentraler und einheitlicher Kassen, gebündelter Lieferung, Online-Reservierungssystem und marktweiter Gutscheinkarten. Wir kümmern uns um Marketing, Community-Aufbau und Veranstaltungen, ebenso um den Tischservice, das Sammeln, Waschen und Verteilen des Geschirrs, da wir keine Einwegartikel verwenden. Alle Speisen werden auf Porzellan serviert.

Zahlen die Partner eine Miete oder erhalten Sie eine Umsatzbeteiligung?

Es ist eine Mischung. Die Bedingungen beinhalten eine dynamische Komponente, so dass wir als „Manifesto“ ein Interesse am Erfolg unserer Restaurants haben. Welche Art von Küche die einzelnen Einheiten anbieten und welche nicht, ist vertraglich fixiert. Wir wollen, dass jeder in seinem Gebiet bleibt und man sich gegenseitig ergänzt.

Welche Rolle spielt das Design? 

Design ist mein Background und eine der obersten Prioritäten. Essen ist ein Teil der Erlebniswirtschaft: Nur wer mit Nachdruck daran arbeitet, das Setting für das Essen zum Erlebnis zu machen, macht es unvergesslich. Ich arbeite bei meinen Projekten mit sehr jungen und meist weiblichen Architekten zusammen. Zwei meiner Prager Locations wurden von dem inzwischen sehr renommierten Architekturbüro Chybik+Kristof entworfen, das die Prinzipien des veränderbaren Designs in zwei aufeinander folgenden Projekten umgesetzt hat. Den Auftrag für unseren ersten Indoor-Standort am Potsdamer Platz vergab ich an die portugiesische Architektin Sara Gomes, die Teil meines Teams ist und sich trotz ihres jungen Alters – 27–  nicht scheute, die Herausforderung anzunehmen, Europas größte Foodhall zu entwerfen. Wir bauen nach und nach ein internes Designbüro für unsere Expansion auf. Unsere Inneneinrichtung wollen zu einer Lifestyle-Marke weiterentwickeln und unseren Gästen ermöglichen, ein Möbelstück oder Gläser für zu Hause zu kaufen.

Sie nannten den Community-Aufbau als Leistung. Wie bauen Sie diese in Berlin auf?

Mit locals, locals und nochmal locals – und alle anderen werden folgen. Bei der Benennung unserer Märkte halten wir uns immer an den Namen des Viertels, oft in Verbindung mit der nächstgelegenen ÖPNV-Haltestelle. Unsere sozialen Medien sind in der Regel stadtspezifisch. In Prag haben unsere Kanäle – Instagram, Facebook, YouTube, TikTok, LinkedIn, Pinterest – etwa 70.000 Follower. In Berlin sind wir jetzt bei etwa 17.000, Tendenz steigend. Unsere Followerschaft ist etwas weiblicher und die Daten verraten, dass fast 90 Prozent unserer Besucher am Potsdamer Platz Deutsche sind. Das ist fantastisch.

Kommen auch die Berlinerinnen und Berliner?

Mir wurde von allen gesagt, dass kein Berliner jemals auf die Idee käme, zum Potsdamer Platz zu gehen, um dort Zeit zu verbringen. Aber das passiert, und wir haben ja gerade erst angefangen. Wir wollen ein Foodspot für ganz Berlin, Expats und Reisende gleichermaßen sein.

Der Wettbewerb am Potsdamer Platz wird intensiver: Im Untergeschoss von „The Playce“ gibt es zahlreiche Snack- und Imbisskonzepte, in der „Mall of Berlin“ einen der größten Foodcourts des Landes und 2024 eröffnet Kerb aus London gleich gegenüber einen weiteren Foodmarkt.

Der Potsdamer Platz war lange Zeit eine Foodwüste. Das ändert sich jetzt, und wir sind froh, dass wir ein Teil davon sind. Wir wollen, dass die Gegend der beste Ort der Stadt zum Essen und Trinken wird. Ich besitze und betreibe drei Bars im „Manifesto“ und bin froh, dass The Alchemist nur einen Block entfernt eröffnet hat. Eine starke und angesehene Marke, genau wie das Frederick’s. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, den Potsdamer Platz an die Spitze der Liste der beliebtesten Orte in Berlin zu bringen.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Zahlen, Daten & Fakten Manifesto Berlin 

4.400 Quadratmeter
960 Sitzplätze
22 Restaurants
3 Bars, zweistöckiger „Beer Tower“

Speisen: Bestellung und Abholung an den Restaurants, Info per Buzzer
Getränke: Tischservice nimmt Bestellungen an den Tischen entgegen
Geschirr & Gläser: werden von der „Manifesto“-Crew eingesammelt, gereinigt & verteilt
Bezahlung: bargeldlos
Takeaway: ja & auch Online-Vorbestellung
Reservierung: optional für Sitzplatzgarantie, persönliche Begrüßung vom Standortleiter

Das Interview erschien zuerst in fizzz 7/2023.

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