Weg mit der Mehrwertsteuer auf (pflanzliche) Grundnahrungsmittel!

Ein Kommentar und Vorschlag zum Tag der nachhaltigen Gastronomie 2023

von Jan-Peter Wulf
Neues Projekt 61 - gastronomie, food-nomyblog Weg mit der Mehrwertsteuer auf (pflanzliche) Grundnahrungsmittel!

Foto: Redaktion

Die Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie soll gesenkt bleiben, so eine Forderung aus der Branche wie von CDU und CSU. Wichtiger wäre es, die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel zu streichen – zum Beispiel pflanzliche zur Förderung der „planetary health diet“. Ein Vorschlag zum Internationalen Tag der nachhaltigen Gastronomie 2023.  

In einen kurzen Nachbericht des „Tagesspiegels“ zu einem Food-Gespräch, das auf der diesjährigen Republica stattfand, hat sich offenbar ein Fehler eingeschlichen: Sowohl Ilona Scholl, Betreiberin und Gastgeberin im „tulus lotrek“, als auch Katharina Kurz, Gründerin und Geschäftsführerin der Craftbier-Marke und des Brauhauses „BRLO“ werden jeweils wiefolgt zitiert: Sonst „preisen wir uns auch irgendwie aus dem Markt raus“. Dass das Zitat doppelt im Text gelandet und somit einer Person falsch zugeordnet wurde – passiert.

Die Sache ist: Beide Talk-Teilnehmerinnen könnten es so sagen, denn das Problem ist omnipräsent in der Branche. Die Preise können eigentlich kaum noch weiter steigen. Die Zahl derjenigen, die sich Gastronomie – und das gilt für praktisch jede Kategorie, vom Foodmarkt bis zum Fine Dining – leisten können, wird mit jeder Erhöhung kleiner, und somit das Gäste-Potential. Wenn Gourmetbetriebe beginnen, niederschwelligere Angebote wie „boozy brunches“ oder Abendbrote einzuführen, ist das Zeichen ihrer Kreativität, aber vermutlich auch Ausdruck des Umsatzdrucks.

Das Ende der Fahnenstange? Scheint erreicht. Außer vielleicht, man geht bewusst darüber hinaus und ruft damit hervor, dass es zukünftig weniger Anbieter, weil weniger Gäste gibt, wie ein lesenswerter Text in der britischen FT kommentiert: „Maybe restaurants should rise prices until customer numbers drop and, if that means there need to be fewer restaurants as a result – that might just be inevitable.“

Der DEHOGA wird nicht müde zu betonen, wie überlebenswichtig es nun sei, dass die reduzierte Mehrwertsteuer erhalten bleibe. Sonst müsse die Erhöhung weitergegeben werden. Und das klingt ja erstmal plausibel. Doch eines geht dabei unter: Damit würde das Instrument der Mehrwertsteuer-Reduktion einmal mehr exklusiv für die Branche eingesetzt. Wird die Steuer gesenkt, wird der Vorteil einbehalten. Wird sie erhöht, wird damit gedroht, den Nachteil weitergeben zu müssen.

Das ist ein Problem. Denn der reduzierte Mehrwertsteuersatz ist für Konsument*innen und Verbraucher*innen gedacht, damit sie sich bestimmte, und zwar essentielle Dinge des Lebens, „Waren des täglichen Bedarfs“, leisten können. Die kurzfristige Verwendung als „Gastro-Konjunkturhebel“ in der Pandemie hat diese Funktion ausgehebelt. Von der rund 20 Jahre alten „Mövenpick-Steuer“ und ihrem dubiosen Entstehungskontext (Vergünstigung für die Hotellerie, nachdem die FDP Spendengelder von der Mövenpick-Familie Finck erhielt) ganz zu schweigen: Eigentlich wollte die GroKo unter dem damaligen Finanzminister Olaf Scholz die Hotelsteuer wieder auf 19% heben, um damit die Grundrente zu finanzieren. Davon ist heute keine Rede mehr. Dabei wäre es gerecht, denn: Von einer höheren Grundrente hätten alle etwas, während man darüber streiten kann, ob eine Hotelübernachtung eine Ware des täglichen Bedarfs ist. Das mag einem aus reiner Branchensicht nicht gefallen, aber es ist so.

Ziehen wir den Kreis etwas weiter: Die Mehrwertsteuer ist generell, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler Maurice Höfgen immer wieder, ein unfaire und unsolidarische Steuer, weil alle sie gleich viel und in gleicher Höhe zu zahlen haben, die Rentnerin wie der Millionär. Letzterem ist es eher piepe ob sie erhöht wird oder gesenkt. Der Rentnerin, die ihren Wocheneinkauf erledigt, aber nicht. Und auch der Familie nicht. Den Durchschnittsverdienenden nicht, denjenigen, erschreckende rund 30% der Gesellschaft, die praktisch keinerlei Ersparnisse haben, vermutlich auch nicht.

Wir schlagen vor: Liebes Gastgewerbe, liebes Genusshandwerk, liebe Lebensmittelbranche, liebe alle, setzt euch für einen Wegfall der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel ein. Null Prozent: Spanien macht es derzeit vor. Es ist effektiv: Der LEH, extrem preisunelastisch wegen hoher Konkurrenz, würde die Reduktion an die Konsument*innen durchreichen. Das gilt sicher auch für den Großhandel. Heißt: Auch die Gastronomie kann günstiger einkaufen. Und dann kann sich jeder Betrieb überlegen: Reicht er den geringeren Herstellungspreis weiter? Ganz oder zum Teil? Fängt er damit die anderen steigenden Kosten ab, ohne seine Preise weiter erhöhen zu müssen? Ganz nebenbei bietet es auch Vorteile für die Gastronom*innen und ihre Beschäftigten selbst, die ja auch privat einkaufen gehen müssen.

Und warum nicht mit diesem Wegfall gleich bestimmte Lebensmittel bevorteilen, pflanzliche Grundnahrungsmittel nämlich? Dies wäre im Sinne der „planetary health diet“ und ein weiteres Mittel, um den Klimawandel zu bremsen – wir wissen, wie hoch die Emissionen tierischer Produkte sind und dass wir zukünftig halb so viel Fleisch produzieren und essen müssen.

Ja, wir hören schon förmlich den Protest, es wird Reaktionen geben wie seinerzeit auf den Vorschlag, das Oktoberfest bis 2 0 3 5 ökologisch zu machen. 2035! Aber wir sind überzeugt davon, dass es progressive, kreative Angebote in der Gastronomie blühen lassen wird. Es würde schließlich den Anteil pflanzlicher Gerichte auf den Karten forcieren – und wenn sich diese preislich fortan noch günstiger darstellen lassen, dann greift so mancher Gast und manche Gästin häufiger dazu und wird feststellen: Superlecker. Und preiswert. Und gesund. Und nachhaltig.

Bundesagrarminister Cem Özdemir hat diese Idee, gesunde Lebensmittel in der Steuer zu reduzieren, schon 2022 begrüßt. Hey, wäre eine Steuersenkung nicht etwas, das man sogar mit dem Koalitionspartner FDP ausnahmsweise in Einklang hinbekäme?

Wenn gerade so viel vom Ende der Fahnenstange gesprochen wird, was Preise angeht, dann schlagen wir vor: Schauen wir doch mal an den Anfang der Fahnenstange. Und darum: Weg mit der Mehrwertsteuer auf (pflanzliche) Grundnahrungsmittel. 

 

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