Die bargeldlose Gesellschaft, zumal die bargeldlose Gastronomie, wird bis auf Weiteres eine Utopie bleiben. Aber: Es gibt Projekte, die das Ziel im Visier zu scheinen haben. Eines, nämlich Lunchio, probiere ich bei diesem Mittagessen im Foreign Affairs Berlin aus.
Ich habe heute so gut wie kein Bargeld dabei. Gar nicht mal mit Absicht, ich habe oft so gut wie kein Bargeld dabei. Ich bin ständig bargeldpleite, sozusagen. Das ist schlecht, wenn man etwas essen und trinken gehen will – zumindest in diesem Land, denn werden anderswo fleißig die Karten gezückt, ist hier zumindest bei kleineren Beträgen Papier und Metall immer noch und sicher auch noch 2020 das dominante Medium.
Was hab ich nicht schon alles ausprobiert. Mit Apps einchecken und via Digital-Bezahldienst die Zeche löhnen, dafür dann aber erstmal raus aus dem Laden treten müssen, weil drinnen kein Netz/Internetempfang. Das ist dann ja richtig convenient. Oder Tools, mit denen man jemandem einen Drink über Facebook ausgeben kann, man muss nur den Code vorzeigen. Schade nur, wenn der Service nichts von diesem Service weiß. Es muss super einfach sein, es muss „no frills“ garantieren, das bargeldlose Zahlen in der Gastronomie.
Mit Lunchio ins Mittagessen-Land
Entsprechend skeptisch betrete ich an diesem Mittag das Hotel-Restaurant „Foreign Affairs“ im „Arcotel John F“, das sich, man kann es sich denken, gegenüber des Auswärtigen Amts befindet. Ich probiere nämlich heute einen neuen Service aus, bei dem man kein Geld mitbringen muss: Lunchio. Ein Start-up aus dem Ruhrpott, aus Witten, um genau zu sein, hat gerade seinen Sitz in die Kapitale verlegt, auf der Homepage finden sich neben vier Restaurants in Berlin, die schon mitmachen, auch zahlreiche mir aus alten Studienzeiten bekannte und geschätzte Betriebe aus Bochum. Auch in Stuttgart, Würzburg, Bremen und dem beschaulichen Sprockhövel ist man schon vertreten. Der Infotext: „Mit Lunchio kannst Du ganz bequem Dein Mittagessen online vorbestellen, bargeldlos bezahlen und so alle Wartezeiten im Restaurant sparen. So bleibt mehr Zeit für das Wesentliche: eine entspannte Mittagspause ohne das Risiko, das man vielleicht nicht rechtzeitig zurück ins Büro oder zum nächsten Termin kommt. Vor allem Berufstätige schätzen unseren Service, da sie so nicht auf Lieferdienste angewiesen sind und wieder die Möglichkeit haben, mal wieder im Restaurant zu Mittag zu essen.“
Mittagessen ist hier im Regierungs-Quartier das ganz große Thema: Nebenan gibt es sogar einen Laden, der „Lunchtime“ heißt, gleich daneben ist das „Chipps“ von „Cookie“ Heinz Gindullis, drumherum zwei, drei weitere Läden, die sich ganz auf das mittägliche Eilen zu den Trögen zu konzentrieren scheinen. Wie wohl die Kantine im Außenministerium ist? Ich habe schon Tage zuvor online für eine bestimmte Uhrzeit vorbestellt und bezahlt, inklusive Trinkgeld: Wiener Schnitzel mit Bratkartoffeln, dazu einen frischen Eistee und einen Espresso. Ich komme rein, werde platziert und mir wird die Karte gereicht. Brauche ich nicht, sage ich, ich habe schon gewählt. „Ah, haben Sie online bestellt?“, fragt der freundliche junge Kellner. Genau. Er checkt die Reservierungseingänge und nickt freundlich. Komisch irgendwie, nichts zu bestellen am Platz. Man ist da total konditioniert, fühlt sich, als hätte man die Bestellung nicht aufgegeben. Ich warte. Aber nicht lange, dann kommt der Eistee und etwas Brot mit Dip. Geht schon mal gut los.
Kommt das Trinkgeld im Foreign Affairs Berlin an, wenn es online gegeben wird?
Dann kommt das Mittagessen, zwei amtliche Schnitzel und knusprige (für manche wohl zu knusprige, für mich ideale) Bratkartoffeln. Gut und sättigend. Der Eistee kann hingegen gar nichts. Am Tisch gegenüber zeigt eine Frau ihrer Mittagsbegleitung Facebook-Fotos und sagt, sie sei ja nicht mehr auf Facebook. Eigentlich. Es wird abgeräumt. Die nette Kellnerin fragt, ob alles in Ordnung war. Ich sage ja (und bin gespannt wie ein Flitzebogen, ob der Espresso auf dem Schirm ist oder ich ihn erwähnen muss). „Dann kommt jetzt der Espresso“, sagt sie. Uff. Als er serviert wird, sage ich noch, dass ich kein bares Trinkgeld geben werde, weil das habe ich schon online gegeben. Sie guckt erstaunt. Und ob es denn beim Service ankomme, will ich noch wissen. Das findet sie auch interessant, geht weg, erkundigt sich kurz und serviert mir die Antwort mitsamt Espresso: Man stelle Lunchio alles inklusive Trinkgeld in Rechnung – theoretisch müsse es daher bis zum Service gelangen. Es sei aber das erste Mal, dass sie davon höre. Kürzlich gab ich online auch bei einem dieser gehypten neuen Lieferdienste einen Tip und dem Kurier nicht in bar – ich habe es ihm dann vorsichtshalber gesagt, damit er nicht zu Unrecht böse ist, dass er gerade drei Portionen in den vierten Stock geschleppt hat, ohne eine Aufmerksamkeit dafür zu bekommen. Es sei das erste Mal, dass er davon höre, sagte er. Auch er wollte sich mal schlau machen, ob das Geld bei ihm ankommt.
Lunchio: Gut für Gäste, die sich vorher festlegen können
Fazit: Essen gut, Service gut, Bestell- und Bezahlvorgang simpel. Aber was ist, wenn man, wie es in Firmen so oft vorkommt, gemeinsam zu Tisch schreitet, aber nicht alles auf eine Bestellung bzw. eine Rechnung gehen soll? Und wer Vorbestellung online anbietet, kann dort nicht oder nur sehr eingeschränkt in dem Sinne marktfrisch einen Mittagstisch anbieten, dass wirklich erst am Morgen entschieden wird, was gekocht wird. Oder? Nachgefragt bei „Lunchio“, wird mir erklärt, dass schon bald Reservierungen zusammengelegt, aber einzeln bezahlt werden können, und dass man auch spontan auf die Karte kommende Angebote in Zukunft mit anbieten kann, dafür werde gerade eine Backend-Lösung geschaffen. Und was das Trinkgeld betrifft: Das werde natürlich an die Unternehmen überwiesen und man gehe davon aus, dass es intern dann auch die Richtigen erreicht. Hoffentlich: Am Tag zuvor seien 25 Reservierungen über den neuen Dienstleister eingegangen, erzählt man mir beim Verlassen des Restaurants. Das ist ja schon mal eine Zahl.
Foreign Affairs
Werderscher Markt 11
10117 Berlin
www.foreign-affairs-berlin.de