Modernist Pizza: Das Buch über das wohl weltweiteste Gericht

Eindrücke vom Buchgespräch mit Autor Nathan Myhrvold

von Jan-Peter Wulf
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Fotos: Redaktion

Pizza ist ein global player mit eindeutiger Herkunft: In Neapel geboren, ist das Teigrund heute praktisch überall anzutreffen. Nathan Myhrvold hat sich nach seinen Büchern über das Kochen und Brotbacken nun der Pizzakultur angenommen. Bei der Buchvorstellung seines Drei-Bände-Wälzers in Berlin waren wir dabei. 

„Ich wusste überhaupt nichts über Pizza«, so der Inhaber einer Pizzeria in Frankfurt über den Start seiner Karriere. Aber eine Pizza zu backen war schließlich nicht schwer. Es waren weitgehend Autodidakten, die Deutschland von den Vorzügen der italienischen Küche überzeugten. Der pizzaiolo, der ausgebildete Pizzabäcker, hatte daran jedoch keinen Anteil. Für Deutsche war diese neuartige Speise zunächst gewöhnungs- und erklärungsbedürftig. Die Reiseführer jener Zeit beschrieben sie wahlweise als neapolitanisches Törtchen oder als Pfannkuchen, die freilich nicht süß, sondern salzig schmecken. Aber schon bald wurde Pizza mit italienischem Essen generell gleichgesetzt. Es schien unvorstellbar, dass eine italienische Gaststätte sie nicht im Angebot führen könnte. Diese Einstellung führte dazu, dass jedes italienische Speiselokal nördlich der Alpen Pizza anbieten musste: Deutschlands >>Ristorante-Pizzeria«< war geboren.

Diese Zeilen finden sich im nach wie vor großartigen Buch Döner Hawaii von Marin Trenk, in dem er die Reisen – hin und zurück – des Essens nachzeichnet, „unser globalisiertes Essen“, wie er im Untertitel schreibt. Um sein Buch ging es allerdings nicht beim Autorengespräch, zu dem wir im September in die Friedrichshainer Pizzeria Futura eingeladen wurden, sondern um das von Nathan Myhrvold und Francisco Migoya: Modernist Pizza.

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Nathan Myhrvold im Gespräch mit Tagesspiegel-Redakteur Felix Denk.

Beim Namen Myhrvold horchen Foodies und Köch*innen auf, hat er doch mit „Modernist Cuisine“ vor elf Jahren ein Standardwerk unter den Kochbüchern geschrieben. Fast 2.500 Seiten lang, in sechs Bänden – dagegen fällt das Pizza-Buch (zwischendurch gab es auch noch eines über Brot) mit nur 1.700 Seiten in drei Bänden fast schlank aus. Im Ernst: Der Ex-Microsoft-CTO mit mehreren Uni-Abschlüssen und einem Doktortitel in mathematischer und theoretischer Physik hat sich so richtig in das Thema Pizza hineingearbeitet. Neben schlappen 1.000 Rezepten, die im eigenen Laboratorium entwickelt bzw. nachgebacken wurden, liefert „Modernist Pizza“ im ersten Band „Geschichte und Grundlagen“ auch einen deep dive in die Erfolgsgeschichte des Teigrunds. 

Offiziell gibt es in nur drei Ländern keine Pizzeria

Kein Gericht sei weltweit wohl so wichtig und so präsent wie Pizza, erklärte Myhrvold den Gästen des Buchtalks. Man habe die Botschaften aller laut UN zurzeit existierenden Länder angefragt, ob es in diesen mindestens eine Pizzeria gibt – bei nur dreien, unter anderem Südsudan, war dies offiziell nicht der Fall, doch wahrscheinlich gebe es auch dort eine entsprechende Lokalität. Pizza werde überall gegessen, aber – im Gegensatz zu vielen anderen weitverbreiteten Speisen – von nur relativ wenigen Menschen selbst gemacht. Oft, weil der heimische Ofen es nicht auf die nötige Temperatur bringt – was ja für die Gastronomie, Alleinstellungsmerkmal, eine ganz gute Botschaft ist, auch wenn nicht jede einen fast 500 Grad erreichenden Kuppelofen hat wie „Futura“.

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original 7908f4ea 9c5f 4258 88d0 811bf2528e89 PXL 20220923 124626532 - gastronomie, food-nomyblog Modernist Pizza: Das Buch über das wohl weltweiteste GerichtDass Pizza aus Neapel in die ganze Welt kam, anders als der artverwandte Flammkuchen, hat viel mit dem Exodus der neapolitanischen Bevölkerung aus der immer schon wirtschaftlich und sozial gebeutelten Stadt zu tun. In der Neuen Welt boomte die Pizza und verbreitete sich über den gesamten Kontinent, mit „glokaler“ Färbung: In São Paulo mit großer italienischstämmiger Community ist Pizza ein feines Sonntag-Abend-Essen, zu dem die Familie ausgeführt wird, in Buenos Aires ein gestückelter Streetfood-Snack, der am Stehtisch gegessen wird. Oft mit einer Gabel, weil so viel Käse drauf ist, als würde man eine Schüssel Fondue drüberkippen, so der Autor, der für seine Recherche rund um den Globus gereist und in vielen, vielen Pizzaläden eingekehrt ist. Wie ausdifferenziert Pizza allein in Berlin ist, zeigen neapolitanische, römische oder amerikanische Varianten, die man in Gastronomien findet, und neuerdings sogar eine japanische.

Die heute so angesagte neapolitanische Pizza wiederum sei ein Kind der 1950er-Jahre, hergestellt mit aus Nordamerika importierten Mehlen. Ein Reimport sozusagen. Die Vintage-Pizza Neapels aus dem 19. Jahrhundert wiederum würde man heute womöglich gar nicht als Pizza identifizieren: Öl, Knoblauch, kleinste Fische, keine Tomaten – die „teuflischen“ Nachtschattengewächse, die Kolumbus und Epigonen aus Übersee mitgebracht hatten, waren lange suspekt.

Ananassaft: Pizza-Booster

Als Tech-Nerd hat Nathan Myhrvold natürlich auch in diesem Buch wieder ein paar Tipps und Hacks am Start. Ein wenig Xanthan verhindert, dass die Pizza „suppig“ wird, man kennt das bei üppigen und wasserhaltigen Belägen wie z.B. frischen Tomaten. Und zwei Tropfen Ananas-Saft, bitte aber nicht mehr, sorgen für einen fluffigen Teig, sollte diesem keine Ruhe über Nacht gegönnt werden können.

Und ähnlich wie bei dem berüchtigten T-Shirt-Spruch, der besagt, Pizza sei wie Sex – wenn gut, dann sehr gut, und wenn schlecht, dann immer noch ganz gut – rät auch Myhrvold dazu, relaxt zu bleiben: Pizza muss nicht perfekt sein, um zu schmecken. Er habe viele Restaurants besucht, die gar in der Falle stecken, weil ihre Gäste eben genau ihre seltsame (qualitativ betrachtet mitunter fragwürdige) Interpretation lieben und keine Veränderung zulassen würden. Diese Anpassungsfähigkeit an die Bedürfnisse ihrer Esser*innen rund um den Erdball ist wohl das große offene Geheimnis des globalen Pizza-Erfolgs.

Mehr Infos zum Buch hier.
Eine Rezension von „Modernist Pizza“ hat Steffen Sinzinger auf seinem Blog verfasst.  

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