Wenn es im öffentlichen Diskurs ums Nachtleben geht, dann geht es meist um Ruhestörung und Anwohnerbeschwerden. Selten darum, welchen ökonomischen und gesellschaftlichen Wert es für Städte und Regionen schafft. Die „Night Economy“ schafft eine andere Perspektive. Und zeitigt erste Forschungsergebnisse.
„Heatmaps“ nennen sich die Karten, die 2015 im Rahmen der Pilotstudie Stadtnachacht an der Hamburger „HafenCity Universität“ entstanden: Ein Team um die Stadtplaner Jakob F. Schmid und Thomas Krüger kartierte auf Basis von explorativen Analysen, Gesprächen mit Veranstaltern, Betreibern und anderen Akteuren sowie Auswertungen bestehender Erhebungen für 13 Städte, wo das Nachtleben in den jeweiligen Orten besonders ausgeprägt ist. Ob mitten im Zentrum wie in Bochum oder vorwiegend am Rande wie in Mannheims neuem Stadtteil Jungbusch: Das, was in den Städten nach 20 Uhr passiert, hat Wert – ökonomischen.
Mit Zahlen kann man argumentieren
In Bochum zum Beispiel trägt das Nachtleben ganz erheblich zur Wertschöpfung bei: 620 Euro, so ergab die Untersuchung, beträgt allein der Umsatz durch Getränke pro Kopf – wenn man den Umsatz, den der lokale Gastro-Hotspot „Bermuda3eck“ mit seinen Bars und Clubs erzielt, auf die Einwohnerzahl umrechnet. Hier hat man den Wert der Nacht erkannt und hat gehandelt: Schon seit 2013 gilt hier ein lokaler Bestandsschutz. Der „Bebauungsplan 930“ beschränkt die Zulässigkeit des Wohnens in dem zentralen Ausgeh-Quartier ein; der (Nacht-)Gastronomie wird der Raum gegeben, den sie braucht.
Die Nachtökonomie oder „Night Economy“, die in Großbritannien entwickelt wurde und international schon einige Ergebnisse hervorgebracht hat, wird auch hierzulande ein Instrument, um den Dialog rund ums Nachtleben auf einer neuen Ebene zu führen: Denn wenn Zahlen, Daten und Fakten vorliegen, welchen Wert eine Branche für eine Stadt schafft, dann kann auch darüber gesprochen werden, wie sich aus diesem Budget – wie in jeder Industrie – auch Gelder für Dinge wie Emissionsschutz (z. B. gegen Lärm) und für die Förderung der Branche (die auch „Szenewirtschaft“ genannt wird) reinvestieren lassen.
„Die Betrachtung des Wirtschaftsfaktors Nachtleben unter dem Blickwinkel einer erweiterten Ökonomieperspektive im Sinne einer Nachtökonomie finde ich wichtig zu betonen und auch in den politischen Raum zu kommunizieren: Da gilt es eben nicht nur den Umsatz X darzulegen, sondern beispielsweise auch die prozentual hohe Wertschöpfung angesichts des hohen Personaleinsatzes in der Gastronomie, die Anzahl an Mini-Jobs, die – egal wie man zu dieser Erwerbsform steht – eine wichtige Erwerbsnische für bestimmte Gruppen darstellt oder auch die Höhe der Waren- und Dienstleistungskäufe, von denen andere Branchen profitieren“, erklärt Stadtplaner Jakob Schmid.
Betrachtenswert sei zudem die so genannte „Umwegrendite“: Welche weiteren Umsätze werden durch das „Ausgehen“ in anderen Bereichen induziert? Schmid verweist hier auf die Taxifahrt, das „Wegbier“ vom Kiosk, aber auch die Umsätze im Beherbergungsgewerbe. „Viele Städtereisen sind bei bestimmten Zielgruppen nicht zuletzt dadurch motiviert, in das Abend- und Nachtleben einer Stadt einzutauchen“, stellt er fest.
Nachtleben: Auswahlkriterium für Lebensmittelpunkt
Und noch mehr als das: Das Vorhandensein eines attraktiven Nachtlebens stellt nicht nur für Berufseinsteiger ein Auswahlkriterium dar. Wohin ziehen? In welcher Stadt leben, Geld verdienen und ausgeben, Steuern zahlen? Gastronomie wird hier, so Schmid, eine immer wichtigere Rolle zuteil. Gab es jahrelang für Stadtplaner beim Stichwort Innenstadt nur ein Thema – Einzelhandel –, wisse niemand, wie es mit dem klassischen (Innenstadt-)Einzelhandel angesichts der Entwicklung des Online-Handels weitergeht. Ausgehen kann man nicht online – das ist ein Kriterium für die Förderung dieser durch und durch offline stattfindenden Freizeitgestaltung.
„Auch kleinere Großstädte wie Koblenz haben die Bedeutung eines attraktiven Abend- und Nachtlebens als harten Standortfaktor mittlerweile erkannt und entsprechende Studien in Auftrag gegeben“, berichtet Schmid. 113 Millionen Euro ist die Gesamtwirtschaftsleistung der örtlichen Gastronomie groß, seit 2012 hat die getränkegeprägte Gastronomie (inklusive Clubs) einen Zuwachs von fast 100 Prozent, jeder 25. Arbeitnehmer ist in der Gastronomie tätig, hat man für Koblenz ermittelt – Zahlen, mit denen man die Gesamtleistung einer sehr kleinteiligen Branche auf den Tisch der Verwaltung bringt.
Und auch dieses Konzept wurde aus dem Ausland importiert: Als erste deutsche Stadt hat Mannheim 2018 einen Night Mayor eingestellt, wie er schon seit vielen Jahren u.a. in Amsterdam tätig ist. Hendrik Meier kennt die Szene in Rhein-Neckar als selbstständiger Booker und Veranstalter, hat seine Masterarbeit über die Veranstaltungswirtschaft der Metropolregion geschrieben und hat nun die herausfordernde Aufgabe angenommen, zwischen den Betrieben der Nachtgastronomie, Gästen, Anwohnern und der Verwaltung zu vermitteln.
Das Potential wird oft noch nicht genutzt
Ob Club Commission in Berlin, Clubkombinat in Hamburg, Klubkomm in Köln oder Pro Nachtleben in Freiburg – in vielen Städten haben sich in den vergangenen Jahren Veranstalter und Spielstättenbetreiber zusammengeschlossen, um für ihre Interessen einzustehen und gebündelt in den Dialog mit den Ämtern und Bürgervertretungen zu treten – auch unter Zuhilfenahme des Konzepts der „Nachtökonomie“.
Wenig Interesse daran hat Schmid hingegen bislang beim Branchen- und Berufsverband festgestellt: „Erstaunlich finde ich, wie wenig präsent der Dehoga insgesamt bei Stadtentwicklungs-Diskussionen ist – kein Vergleich zu den Einzelhandelsverbänden“, erklärt er. In fast keiner der Städte, in denen man das Nachtleben analysiert habe, spielte der Verband eine Rolle als „Fürsprecher“ bei den betrachteten Problemlagen. „Und diese Problemlagen gewinnen an Bedeutung angesichts eines steigenden Wohndrucks“, erklärt der frisch promovierte Stadtplaner.
Auch die Aktivitäten des BDT sieht er kritisch: Im Gegensatz zu den oben genannten Clubverbänden spielen hier aus seiner Sicht „brancheninterne einzelunternehmensbezogen Fragestellungen von klassischen Großdiskotheken“ die zentrale Rolle. „Gesellschaftliches geschweige denn politisches Agenda-Setting, auch im Interesse der Mitglieder, kann man damit nicht betreiben“, stellt er klar. Das Instrument, mit dem sich dieses Agenda-Setting betreiben lassen könnte, wird den Akteuren mit der „Nachtökonomie“ an die Hand gegeben. Jetzt ist es an der Zeit, es auch zu nutzen.
Das ist Nachtökonomie
Die seit den späten 1980er-Jahren in Großbritannien entwickelte „Night Economy“ untersucht im Schwerpunkt erwerbswirtschaftliche Gastronomie- und Kulturbetriebe, deren Nutzungsschwerpunkt in den Abend- und Nachtstunden liegt. Neben der Betrachtung als Wirtschaftszweig geht es dabei auch um eine sozio-ökonomische Betrachtung des Nachtlebens – und darum, es in die Stadtentwicklungsplanung einzubeziehen. Im November 2019 findet in Berlin die Konferenz „Nights – Stadtnachacht 2019“ statt, die sich u.a. der Nachtökonomie widmet.
Mehr Infos: www.stadtnachacht.de
Dieser Beitrag erschien zuerst im disco-Magazin.