Es gibt ja viele Restaurants, die zurzeit Foodboxen zur Abholung anbieten. Schon seit einem Jahr macht dies das koreanisch-spanische Fusionrestaurant Kochu Karu aus dem Prenzlauer Berg. Das Besondere: Der Pickup funktioniert dezentral, denn ihre Box können die Kunden in verschiedene Weinhandlungen Berlins liefern lassen und dort abholen. Auch gegen das Plastikmüll-Problem, das viele Boxen verursachen, haben Bin Lee-Zauner und José Miranda Morillo eine gute Lösung gefunden: die guten alten Weck-Gläser. Wir haben mit der Betreiberin über „Nimm.Mahl!“ gesprochen.
Frau Lee-Zauner, wie ist die Idee zu „Nimm.Mahl!“ entstanden?
Unser Liefergeschäft ist tatsächlich aus der Not heraus entstanden. Es war (und ist) eine beängstigende Situation. Aber wir wollten nicht mit Lieferando und Co. arbeiten. Unserer Ansicht nach gehen diese Unternehmen nicht fair mit den eigenen Mitarbeitern und mit den Gastronomen um. Aber wir waren nicht in der Lage, alle Kunden selbst zu beliefern. So enstand die Idee mit den Pickup-Stationen.
Ihr bietet die Speisen dezentral in der ganzen Stadt an, in Zusammenarbeit mit Weinhandlungen. Wie kamt ihr darauf?
Ich habe die Besitzer von Paketshops (DHL, UPS, Hermes etc.) gefragt, warum sie das mit anbieten. Sie bekommen 50 Cent pro ausgegebenem und angenommenem Paket. Wegen des Geldes machen sie das definitiv nicht! Sie holen die potenziellen Kunden in den Laden rein. Also sparen sie die Kaltakquise. Der Nebeneffekt ist in diesem Fall das Wichtigste. Wir können unsere Weine nicht so günstig an die Kunden verkaufen, da wir diese Weine nicht zum Einzelhandelspreis eingekauft haben. Also können wir nicht mit dem Weinladen nebenan mit dem Weinpreis im Konkurrenz treten. Aber unsere Kunden bekommen so eine fantastische Wein-Beratung vor Ort, die ich gerade nicht geben kann, und sie bekommen gute Weine mit tollem Preis. Wir finden es irgendwie sehr sozial, fair und positiv.
Es ist eine schöne Erfahrung, kann ich bestätigen. Wie konntet ihr die Weinhändler davon überzeugen?
Unsere ersten „Pickupstationen“ bei waren befreundete Weinhändler, Kollegen und Gäste, sie kennen das Restaurant „Kochu Karu“ und uns persönlich und unsere Qualität. Es gab zwei Ausnahmen: die „Weinhandlung Suff“ und „Von Boehn Weine und Spezialitäten“. Ich musste aber auch dort nicht viel Überzeugungsarbeit leisten, da alle sehr hilfsbereit waren. Alle haben ausnahmslos sofort zugesagt und fanden die Idee sehr dynamisch und lebendig. Dann kamen drei neue Pickupstations dazu, die Weinhändler haben sich bei mir gemeldet. Ich hatte noch drei bis vier weitere Anfragen von Weinläden, aber keine Kapazität mehr. Wir sind gerade dabei, dieses Konzept langfristig zu erweitern und nehmen weitere Pickupstations dazu.
Zurzeit sind es elf Pickup-Points inklusive eurem Restaurant. Worauf muss man achten, wenn man so ein dezentrales System aufbaut?
Wir müssen gut mit der Pickupstation kommunizieren und einander zu 100 Prozent vertrauen. Beide Seiten müssen von dieser Zusammenarbeit überzeugt sein, da diese nur in einem positiven Miteinander funktioniert. Wir haben unsere Pickupstationen nach folgenden Kriterien ausgesucht bzw. suchen weiter anhand dieser: Passt der Laden zu gutem Essen? Ist er keine Kette? Gibt es einen Kühlschrank? Ist ihm Nachhaltigkeit „nachhaltig“ wichtig?
Viele Foodboxen kommen mit Einwegverpackungen ins Haus. Ihr habt einen anderen Weg – Mehrweg – eingeschlagen.
Wir haben uns mit Verpackungsmaterial auseinandergesetzt, haben über die Fakten recherchiert, uns über die Herstellungsverfahren informiert und eine Lösung gesucht. Das Ergebnis war, dass Einwegverpackungen schlichtweg nicht nachhaltig sein können. Papiergeschirr und -schalen sind auf jeden Fall ein kleineres Übel als Plastikbecher und Vakuumbeutel. Aber sie sind innenseitig mit Kunststoff beschichtet. Du kannst sie eigentlich nicht in Papiertonnen entsorgen. Ich bin sicher, dass viele Leute das tun, obwohl sie die Fakten kennen. Als wir das erkannten, war klar: Wir können solche Verpackungen nicht benutzen. Wir hatten das Gefühl, das wir unser liebevoll gekochtes Essen in Müll zu verpacken – etwas radikal ausgedrückt.
Darum habt ihr euch für Weckgläser entschieden.
Das Weckglas ist für uns die einzige wirklich nachhaltige Lösung. Falls die Kunden die Gläser nicht zurückbringen, sondern behalten, benutzen sie sie weiter und denken weiter an unser „Nimm.Mahl!“. Und falls sie das Glas entsorgen, was kaum der Fall ist, dann werden diese Gläser recycled. Zusätzlich bringt das Glas einen großen Vorteil beim Aufwärmen der Speisen. Die Aromen und der Geschmack leiden nicht unter Kunststoffbeschichtung und das Glas ist sehr praktisch fürs Wasserbad, den Ofen oder die Mikrowelle. José – mein Mann und unser Chefkoch – hat auch seine Freude, da er die Gerichte schön im Glas anrichten kann.
Wie hoch ist die Rücklaufquote?
Wir sind gerade bei ca. 40 Prozent Rückgabequote. Aber Tendenz steigend. Wir haben viele Stammkunden, die dieses Konzept mit Begeisterung begleiten. Sie haben vielleicht die Gläser bei der ersten Bestellung einbehalten. Aber die meisten Leute haben nicht so einen großen Küchenschrank und bringen die Gläser gesammelt wieder zurück. Und auch die Kartons, Kordeln, Holzgriffe und Metallclips. Wir haben sicherheitshalber einen Teil des Gläserpreises einkalkuliert. Aber langfristig gesehen müssen wir eher den Energie- und Wasserpreis einkalkulieren: Wir kaufen immer weniger Gläser neu ein, obwohl die Bestellungszahlen steigen.
Pfand nehmt ihr nicht, das hat mich überrascht.
Wir haben uns bewusst gegen ein Pfandsystem entschieden, da wir an die Einstellung unserer Kunden glauben. Sie machen die Gläserrückgabe nicht wegen des Pfandgeldes, sondern aus Überzeugung. Wir haben ein Belohnungssystem bzw. zeigen unsere Dankbarkeit mit einer Flasche Wein – natürlich ein bestimmter Wein mit Preisabsprache, wenn ein Kunde 12 gewaschene Weckgläser mit Deckel zurückbringt. Das tut wiederum den Weinhändlern gut. Oder ein Glas Kimchi im Kochu Karu. Die Leute bedanken sich sogar bei uns, dass sie damit endlich ihre eigene Überzeugung zum Ausdruck bringen können. Ich habe noch nie so viel Mail-Feedback und Briefe – meistens im Karton bei der Gläserrückgabe – von Kunden bekommen. Ehrlich gesagt waren wir in der Anfangszeit auch ein wenig skeptisch, ob das Rückgabesystem wirklich funktioniert. Wir sind froh, dass wir an unsere Kunden geglaubt haben.
Vielen Dank für das Gespräch!
Wer Nimm.Mahl! selbst ausprobieren möchte: Bestellungen werden am Vortag bis 23 Uhr entgegen genommen, Abholung in der gewünschten Pickup-Weinhandlung am Folgetag ab 14 Uhr. Neben Weinhandlungen wären auch Kochshops, inhabergeführte Feinkostläden oder Buchhandlungen „natürliche Partner“ des Vertriebsmodells. Mehr Infos hier.